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 Theater Regensburg  - 25. Februar 2007
   Werkeinführung

    Lulu'

  
Oper in zwei Akten nach Frank Wedekind 'Erdgeist' und 'Die Büchse der Pandora'
   Musik von Alban Berg

 
   
 

 

     
 
 

 

 

 


"... mit einem so alten Greis ..."
 
 
   

Musikdramaturgin Schmid freute sich über den regen Zuspruch, den die Einführungsvorträge und speziell dieser beim Publikum fänden. Gut gefüllt das Foyer zum Neuhaussaal - gab's auch hochwertige Kost 'umasunst'.

Wieder wurde der Interessierte noch aufmerksamer, referierte Raoul Grüneis über Alban Bergs Spätwerk.
Dirigierte er doch nur so wie er eloquent, fachlich fundiert und ohne Zögern vorträgt.
Nahm Gerd Albrecht immer noch sehr viel Rücksicht bei seinen Einführungen, plaudert der Regensburger Generalmusikdirektor über musikalische Zusammenhänge, ohne das Publikum zu langweilen oder zu überfordern.
Eher fragt sich der Beobachter, was sagt er jetzt gleich, wenn er zum Flügel strebt und munter die Analyse mit musikalischen Beispielen unterlegt.

Wie in ’Frühlingserwachen’ zeige Wedekind in 'Erdgeist' und 'Büchse der Pandora', was aus bürgerlicher Scheinmoral werden könne, meinte die Musikdramaturgin, die für die fabelhaften Übertitel beim 'Maskenball' oder beim 'Otello' verantwortlich ist und die zur Irreführung des Publikums beitragen. Bei Lulu kann das immerhin nicht passieren.
Frau Schmid führte aus, Wedekind das 'enfant terrible' der Zeit der Jahrhundertwende deckte auf, sei aber in Konfrontation zum Publikum, zur Presse und Obrigkeit gewesen. Immerhin habe er auch als Redakteur des 'Simplizissimus' eine Gefängnisstrafe wegen Majestätsbeleidigung zu absolvieren gehabt.
 

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Alban Berg habe mit 15 Jahren völlig autodidaktisch angefangen, zu komponieren, sein Bruder habe heimlich Lieder an Arnold Schönberg gegeben, der ein außergewöhnliches Talent attestierte, das in der späteren musikalischen Entwicklung angesiedelt werde, zwischen der Schule Schönbergs und der eines Spätromantikers wie Gustav Mahler.

Helene Berg habe 1969 testamentarisch untersagt, die 'Lulu' aus der 2-aktigen Fassung zu befreien und in die Endfassung zu führen.
Der dritte Akt von 'Lulu' dürfe von niemandem eingesehen werden, ebenso dürfe die Foto-Kopie bei der Universal Edition in Wien auch nicht eingesehen werden.
Der Grund, warum sie sich nicht dazu entschließen konnte, die fehlenden Stellen im dritten Akt von einem anderen Komponisten fertig instrumentieren bzw. fertig machen zu lassen, sei folgender:

Nachdem Arnold Schönberg, Anton Webern und Alexander von Zemlinsky nach Einsicht in das Manuskript erklärten, dieses nicht fertigstellen zu können, sei die Meinung dieser drei Freunde Alban Bergs bestimmend gewesen, die 'Lulu' nur als zweiaktigen Torso zur Aufführung freizugeben. Sie wisse auch nicht, warum sie etwas preisgeben solle, was Alban Berg noch gründlich überholen wollte, bevor er es der Öffentlichkeit hätte übergeben können.
Sie sei also in der schrecklichen Lage, das, was Alban Berg sein ganzes Leben vertreten habe, nur sein Bestes zu geben und nur das freizugeben, wozu er bei jeder Note zu einhundert Prozent dahinter stehe, zu verweigern, was unfertig geblieben sei.

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Die Regensburger Fassung werde die beiden von Alban Berg selber fertig gestellten Akte und einen Epilog umfassen.
Theaterdirektor Weil meinte, es sei uninteressant, darüber zu spekulieren, aus welchen Gründen Helene Berg, die Fertigstellung verhindert habe.
Er persönlich habe immer zu der zweiaktigen Fassung tendiert.
Der erste Akt umfasse einen Prolog mit drei relativ kurzen prägnanten Bildern – das sei fast wie Filmschnittmusik, wo die Szenen auch ganz knapp endeten, die Übergänge seien rein bühnentechnische Elemente. Berg als erfahrener Theatermann habe so die Zeit für die jeweiligen Umbauten gelassen.

Der zweite Akt setze sich davon komplett ab, er spiele in der Villa der Dr. Schön wie eine schwarze Komödie, der den Sarkasmus in Wedekinds Text deutlich wiedergebe.

Der dritte Akt zerfranse nach Meinung des Regensburger Theaterdirektors und habe nicht mehr die Qualität der zwei Akte von Alban Berg.
Bei der dreiaktigen Fassung frage man sich, hat man hier nun eine Cerha-Oper mit einem Vorspiel von Alban Berg vor sich.
Vergleichbar sei dies mit der Zu-Endeführung der 'Turandot'.
In Regensburg wird man die Lulu-Suite dem zweiten Akt anschließen, hierdurch einen Schluss ziehen können wie es schon vor 1979 – dem Zeitpunkt der Uraufführung des dritten Aktes – nicht unüblich war.
Kraft Amtes widersprach der Regensburger Theaterdirektor seiner Musik-Dramaturgin, die 'Jack-the-Ripper' als historische Figur bezeichnet hatte. Für ihn sei der Mörder Lulu’s ein Phantom geblieben – wie 'Lulu' ein Geschöpf ohne Herkunft.

GMD Grüneis ließ sich aus über die Uraufführung der Zweitfassung des ’Rattenfängers’ von Friedrich Cerha, nach dessen 'Baal’,  bei der er dem Komponisten assistierte, über den dann gespöttelt wurde, es handle sich beim 'Rattenfänger' um den vierten Akt von Lulu, da Cerha sich zu sehr in die Tonsprache Berg’s hineinbegeben habe, zumal Cerha aus der Schönberg-Nachfolge-Schule komme.
Cerha selber äußerte sich kaum zu seinem dritten Akt 'Lulu', meinte aber, er würde es heute anders machen.

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Musikdramaturgin Schmid sprach über die Figur der 'Lulu', die von einem Mann zum nächsten in einem unendlichen Reigen weitergereicht und von Dr. Schön immer wieder weiter verheiratet werde. Die erste Ehe zeige die pure Ironie. Dr. Schön verheirate die sehr junge Lulu mit einem so alten Greis, den ja bei kleinster Aufregung der tödliche Schlag treffe.

Die folgenden: der Maler, der Dr. Schön, Alwa Schön – gäben ihr unterschiedliche Namen und mutmaßten über die Herkunft der Frau.
Die Zeit habe die Titel-Figur immer wieder anders gesehen – immer aber doch als Prinzip des Sexus und Projektionsfläche der Männer und deren persönliche Vorstellungen.
Nach Ulrike Prokop lasse sich Lulu selber auf Festlegungen nicht ein, nicht Ehefrau, nicht heitere Geliebte, nicht ideale Freundin, nicht Dirne – sie sei alles zugleich und darin läge ihr utopischer Charakter.

Der Regensburger Theaterdirektor ließ sich vernehmen mit Aussagen wie:
'Lulu' sei zwar zur Zeit Wedekinds als ein Stück der Unmoral gesehen worden – er selber sehe aber die die Lulu umgebenden Männer als unmoralisch – es werde eine amoralische Gesellschaft gezeigt.

Angelegt werde die Produktion nicht in das Fin de Siècle auch nicht in das Jahr 2007 aber es sei ein Stück der Gegenwart.

'Lulu' sei nicht die aktive Frau, die sich männermordend betätige, sondern es sei die Frau, um die Männer kreisen und sie für ihr jeweiliges Geschäft in Besitz nehmen wollen.
So sei man auf Marilyn Monroe gekommen, die als Sexikone von Mann zu Mann vom Präsidenten der USA an seinen Bruder Robert weitergereicht wurde – sie, die Monroe habe nie die Wahl gehabt, sondern wurde gewählt, wurde auch wieder auf Distanz gehalten und dann wieder entfernt.
Auch das Bild des Malers – von 'Dr. Goll' in Auftrag gegeben – werde eine heutige Frau zeigen, eine fröhliche 'Lulu' – ähnlich dem Foto der Monroe mit einem Sonnenschirm mit roten Punkten – in Regensburg wird es Dr. Goll’s pretty-baby sein in einem baby-doll Hängerchen, wie es Doris Day in den 50-er Jahren trug.

Neben den wechselnden Männern wandere 'Schigolch' durch das Stück, ein Ur-Vater, niemand wisse, woher er komme, wohin er gehe, welche Beziehung er zu Lulu habe, ob es der Vater war, ein pädophiler Freund-Feind, ein Uralt-Liebhaber, der sich um die 'Lulu' sorge, sich um 'Lulu' kümmere und in der Alterspyramide noch vor dem 'Dr. Goll' rangiere.
Aber auch die jüngere Generation werde gezeigt: 'ein Athlet', 'ein Gymnasiast', 'ein Prinz aus Afrika' und natürlich 'Alwa Schön', vom Vater 'Dr. Schön' ganz im moralischen Sinne erzogen, der 'Lulu' seit Zeiten kennt und sie 'als Halbschwester' liebe.

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Nach dem Versuch des Regisseurs, die szenische Situation zu erläutern, gab der Generalmusikdirektor Hinweise zum System der 12-Ton-Musik, die leider immer noch die Menschen abstoße, als sie zu interessieren, aber die bei Alban Berg auch noch nicht in der vom Publikum erwarteten Form zum Tragen komme.
Alban Berg, aus der zweiten Wiener Schule um Schönberg und Anton Webern, sei immer noch mit seiner Vergangenheit der Spätromantik verhaftet gewesen.
Alle Komposition der Zeit hätten quasi in der Tristan-Harmonik geschwelgt, hätten die Spätromantik im Kopf gehabt – Schönberg: ’Verklärte Nacht’ oder Webern: ’Im Sommerwind’ - bis eben Schönberg gemeint habe, es müsse ein Ende damit haben und Neues sei erforderlich, um Altes zu überwinden, was Alban Berg nicht für sich in Anspruch nahm.

Er, der GMD des Theaters der Metropole der Oberpfalz, liebe die Musik Bergs mehr als die Schönbergs und Weberns zusammen, nicht nur weil sie noch fasslich sei in der Tonalität, sondern auch und besonders weil Alban Berg nie aufgehört habe, an die Kraft der Intervalle zu glauben. Hier unterscheide sich Berg eben grundlegend von allen seinen Zeitgenossen.

Auch eine 12-Ton-Reihe müsse ja erst einmal gefunden werden, es klänge immer so, man brauche nur das Kochbuch aufzumachen, die und die Reihe zu nehmen und es komme schon ein Streichquartett dabei heraus.
Bei der 12-Ton-Technik trete der Grad, die Wertigkeit der Inspiration hinter die Konstruktion zurück – er brauche längst nicht so inspiriert zu sein, wenn der Komponist 12-tönig schreibe.
Wolle man wie Schubert schreiben, dann müsse dem Tonsetzer etwas einfallen, schreibe er wie Schönberg, müsse ihm auch etwas einfallen, aber man könne sich sehr mit Konstruktionen helfen, wobei bevor sich ein Ton wiederholen dürfe, alle 12 Töne des Musiksystem ’abgearbeitet’ sein müssten – das sei – grob gesagt - der Hintergrund des 12-Ton-Systems.

Alban Berg habe dieses starre 12-Ton-System durchbrochen, da er erkannte, wähle er diese 12 Töne, dann spiele die Beziehung der Töne untereinander nur noch eine sehr geringe Rolle. Eine kleine Terz könne dann eben auch eine große Terz sein – Intervalle spielten keine Rolle mehr.

Dieses System habe Alban Berg für seine Musik nicht in Anspruch genommen, sondern für ihn habe die Aussage, der seelische Gehalt einer Sexte, einer Quinte immer eine Rolle gespielt – in der Lulu kombiniert mit der 12-Ton-Technik.
Diese Art der Komposition Bergs stehe für Raoul Grüneis in keiner Form hinter einem 'Tristan' zurück, fasziniere und habe die gleiche musikalische Tiefe.

So sei auch eine Leitmotivtechnik bei Berg und auch dem Lehrer Bergs, Franz Schreker in seinem ’Der ferne Klang’ erkennbar - von Wagner übernommen und weitergeführt, besonders zur Darstellung von Gefühlen.

In der Spiegelung – die Darstellung des Bogens von Lulu’s Aufstieg bis zum Höhepunkt der Karriere und dem unaufhörlichen Niedergang - würden von Alban Berg auch durch die Motive bezogen auf die einzelnen Personen, wie sie im Prolog vorgestellt wurden, alle Figuren zum Ende des Werkes, aus den musikalischen Vorgaben des Prologs schöpfend, zurückgeführt.

Diese Form der Dreiaktigkeit sei aber eine Notwendigkeit, um das Thema zu Ende zu führen – man könne den Abend nicht damit beenden, dass Alwa und Lulu sich in den Armen lägen, der 'Absturz der Lulu' müsse dargestellt werden.

 

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Nun ist es nicht so, als würde das Regensburger Publikum mit einer 'Lulu' überrascht und es bräuchte einen Theaterdirektor Weil, das Werk auf den Spielplan zu heben.
In der letzen Produktion war Linda Healey als Berg's 'Lulu' auf der Regensburger Opernbühne und im Schauspiel in der Inszenierung von Rudolf Zollner waren Frauke Steiner die 'Lulu', Wolfgang Werthenbach war 'Dr. Schön' und Mathias Kostja 'Alwa Schön'.

Kandidja Wedekind korrigierte in der Fürstenloge des Theaters sitzend noch die Aussprache: es heiße nicht Geschwitz mit der Betonung auf der ersten Silbe, sondern eben auf der zweiten Silbe.

Also hat Regensburg längst die 'Lulu' geschaut, dass jemand aus Coburg und Pforzheim kommen müsste.

 

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Als Premieren-Abonnent Theater Regensburg und Abnehmer von Karten aus dem freien Verkauf veröffentliche ich auf dieser privaten Homepage meine Meinung.
Ich
verstehe die Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf nach meiner Auffassung zu Geglücktem oder Misslungenem.
Neben Sachaussagen enthalten die Texte auch Überspitztes und Satire.
Für diese nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5 Grundgesetz in Anspruch.
In die Texte baue ich gelegentlich Fehler ein, um Kommentare herauszufordern.
Dieter Hansing
                                                   

 

 


 

 

 

 


 

 



 

 



 

 

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