Zur Meinungsfreiheit westlicher Gesellschaften 
zählt das Recht zur missverständlichen Überzeichnung.
   
04.01.2010 - dradio.de

 

 

Damals in Regensburg

Thema des Tages

Theater Regensburg

Repertoire-Vorstellung 'Paganini'
am 6.7.2006

   

'Ich kann es nicht fassen, nicht glauben, dass sie die Lulu sein soll' -

so dachte sich der Beobachter, sah und hörte er Gesche Geier als Anna Elisa in 'Paganini'. Tut man ihr mit der Lulu wirklich einen Gefallen? Es wird sich bäldlich weisen.
Die musikalischen Proben laufen schon - Frau Geier's Ferien werden von 'Lulu' überschattet sein - die szenischen beginnen im Oktober - viel Zeit ist für dieses schwierige Stück bis März 2007 dann nicht. Aber, was soll's, der Herr Theaterdirektor inszeniert ja selber.

Frau Geier ist eine elegante Fürstin von Lucca - eine hohe, schlanke Gestalt - im spärlichen Bühnenbild dieser Inszenierung. Mit einem natürlichen Selbstbewusstsein bewegt sie sich auf der Szene. Beim Auftrittslied "Mein lieber Freund, ich halte viel auf Etikette", dem "So ein Mann ist eine Sünde wert" - hier klappert es gleich zwischen Graben und Bühne gefährlich, wie auch beim  "Liebe, du Himmel auf Erden" - kann sie ihre Möglichkeiten, die Stimme bleibt bis in die hohen Lagen im Timbre, vorzeigen - allerdings ist - da sie aus dem Vollen schöpfen kann und es tut - auch die Beanspruchung der Stimme aus früheren Zeiten zu hören.

to top

Niccolo Paganini - an diesem Abend Kalle Koiso-Kanttila - nach 'Ottavio' und 'Matteo' und 'Petrus' - nun zu seiner eigenen 'Befreiung' in einer Operetten-Rolle - "wer Lehár singen kann, kann auch Puccini singen" - sagt eine, die's weiß.
Die Stimme relativ massiv - die Nr. 21 im 'Giovanni' in der nächsten Spielzeit wird zeigen, ob er in den Ferien Koloraturen geübt hat und auch weiter 'dran' ist, solange die Stimme locker bleiben soll.
Sein "Schönes Italien" litt an der musikalischen Begleitung durch das Orchester unter seinem Leiter - einem Griechen ("... die Griechen sind Heiden ....." - die Textstelle von Oscar Wilde in seiner 'Salome' mit seiner Definition dieses Volksstammens geht weiter, man lese bei Reclam nach) - irgendwie war man selten zusammen und das hinderte SängerInnen schon.
Aber ganz wacker kam der Tenore drüber - das "spiele mir auf" - hielt er dann länger als das Orchester spielte - bemerkenswert die Nicht-Übereinkunft mit Georgios Vranos. Finale 1 wie auch Duett "Deinen süßen Rosenmund" und der Tauber-Hit "Gern hab' ich die Frau'n geküsst" - vorführbar, aber irgendwie wirkte er noch immer gehemmt, verglichen mit Charles Hens und Michael Suttner, die auch in Regensburg 'Paganini' waren und die Rolle doch souveräner ausspielten. Vor allem Herr Suttner, der auch noch mit dem Publikum spielte.
Auch etwas bemüht, Herrn Kantilla's textliche Ausgestaltung - aber sprechen wir mal finnisch - immerhin befleißigte er sich einer guten Artikulation mit deutlichen Endkonsonanten. Es fiel auf wie z.B. bei "Paganini spielt nur dor-'t' - wo er willkommen is-'t'- Ich gehe nach Floren-'z'-" - allerdings hing er hier noch ein -'t'- dran, das von der Partnerin mit einen erstaunten "Oh" bedacht wurde.
Nett, so etwas zu beobachten.
 

to top

Melanie Schneider als Bella Giretti füllte mit höchsten Tönen so lange und deutlich im außertextlichen Gezwitscher und Gejuchze, dass der Griff eines Impresarios zur Flasche verständlich ist. Vorteil dieser Einbringung allerdings: sie überdeckte Löcher in den Abläufen, wenn sie aus der Kulisse oder der Gasse sich schon hören ließ.

Karsten Münster als Pimpinelli mühte sich, Tempo in diesen Abend zu bringen. "Niemals habe ich mich interessiert für Kunst und Literatur" - hing gleich wieder musikalisch in der Luft, das Orchester spielte da, wo der Sänger nicht sang. Gleiches galt für die Duett-Passage Giretti/Pimpinelli "Mit den Frau'n auf du und du."
Auch wieder deutlich das Auseinander bei: "Darf ich sie zu Tische führen" - jeder machte was er wollte. Völlig uneben die musikalische Ausgestaltung des Abends.

Dass Herr Münster wie auch Frau Schneider die Register ihres komödiantischen Talents zogen, ist akzeptiert, aber er sollte sich doch mal etwas anderes einfallen lassen, als die nun schon hinlänglich bekannten Bewegungsabläufe. Es wundert, dass er nicht als Richter im 'Ballo' ebenso mit den Beinen 'turned' und 'swingt'. Nahe dran ist er da schon.
 

to top

"Was muss ich hören! Welch ein Sang!" - Jin-Ho Yoo als Fürst Felice, nicht nur, dass er abscheulich zurechtgemacht war (Kaiser Franz Josef war eine Schönheit - auch noch als Greis - gegen diese bemalte Mumie) außerdem 'mulmte' er gesanglich, dass die Stimme gar nicht eingeschätzt werden konnte.
"Wer ist dieser Herr -'e" - diese schreckliche Angewohnheit auch bei ihm, an die Endsilben noch ein -'e'- oder m-'ne'- zu hängen.
Also leider indiskutabel.

to top

Nach ca. 50 Minuten, nach dem ersten Akt, die große Pause  - und danach weiteren eineinhalb Stunden Laufzeit, was sich bis nach 22 Uhr hinzog.
Es ist unverständlich, wie ein deutlich längerer zweiter Teil einer solchen Produktion dem Publikum geboten werden kann - gegen allen Usus und gegen alle Vernunft.
Zwischendrin noch die Umbaupause - die einige Besucher nutzen, das Weite zu suchen. Herr Vranos diskutierte währenddessen mit dem Orchesters lauthals. Man war sich vielleicht über die Höhe des Kammertons nicht einig.

Aber für organisatorischen Dinge gibt es ja Regisseure und vor allem spezielle Direktoren, die sich in allen Angelegenheiten des Theaters so fabelhaft auskennen und die Richtung vorgeben.
Und das in Regensburg bis 2012.

to top

Das Publikum merkte die Schwierigkeiten - kein Georg Schießl, kein Karsten Münster konnten mit ihren Textverbindungen auf Lokales, die Leute aus den Sesseln heben. Man saß auf den Händen.
Hätte da nicht ein Mitleidender im Rang gesessen, der die Initiative ergriff und Szenen-Applause einleitete - der Abend wäre verkleckert.

Der Schlussbeifall war dann herzlich - die Hände waren warm, wussten, wie sie sich aufeinander zuzubewegen hatten, um das allseits beliebte Geräusch hervorzurufen.
Die Besucher waren wach geworden.

 

to top


Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:


Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing
 

to top