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Nr. 36

 

 

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Theater

»Ein gewisser Korpsgeist«

Nachdem mehrere Mitarbeiterinnen der Berliner Volksbühne dem Intendanten Klaus Dörr Machtmissbrauch und übergriffiges Verhalten vorgeworfen haben, trat dieser Anfang der Woche zurück. Sarah Waterfeld, Jahrgang 1981, vom Künstlerkollektiv »Staub zu Glitzer«, das während des Aufruhrs um Dörrs Vorgänger Chris Dercon die Volksbühne besetzt hatte, hat für Dörrs Rückzug gekämpft.

SPIEGEL: Frau Waterfeld, immer wieder wird Machtmissbrauch an Theatern aufgedeckt. Warum sind gerade Bühnen so anfällig?

Waterfeld: Machtmissbrauch geschieht natürlich nicht nur an Theatern. Zwei Dinge sind allerdings besonders: Theater sind strikt hierarchisch organisiert, und es herrscht ein gewisser Korpsgeist.

SPIEGEL: Was heißt das?

Waterfeld: Das konnten wir an der Volksbühne beobachten: Als die Mitarbeiterinnen sich gegen Klaus Dörr zu wehren begannen, gab es große Angst, später der Nestbeschmutzung bezichtigt zu werden. Zunächst schreckten einige deswegen davor zurück, sich zu organisieren. Dass sie es nun doch taten, war ein Befreiungsschlag.

SPIEGEL: Klingt, als hätte an manchen Theatern die Feudalherrschaft überlebt.

Waterfeld: Das Theater ist monarchischer Mikrostaat. Es ist von der Willkür der Person an der Spitze abhängig. Mal hat man Glück mit einem sanften König, aber oben stehen eben auch Tyrannen. Strukturen, die zu solchem Machtmissbrauch einladen, müssen schnell zerschlagen werden.

SPIEGEL: Und wie? Durch mehrere Menschen an der Spitze? Das wird gerade an Theatern in Zürich versucht.

Waterfeld: Dass ein Kollektiv Machtmissbrauch verhindert, ist eine Illusion. Wenn dort eine Clique waltet, kann sie genauso unterdrücken. Der ganze Betrieb muss vergesellschaftet werden, basisdemokratische Strukturen müssen entstehen.

SPIEGEL: Also die Mitarbeitenden wählen, wer die Leitung übernimmt? Wie bei den Berliner Philharmonikern?

Waterfeld: Alle, auch die Menschen hinter der Bühne, sollten eine Stimme erhalten und Delegierte wählen. Außerdem sind wir für eine harte Frauenquote in allen Abteilungen und eine egalitäre Gesprächskultur, die nicht von sogenannten Alphamenschen dominiert wird.

SPIEGEL: Aber Theater
soll ja auch ein freier Raum sein. Je mehr Regeln es gibt, desto unfreier, langweiliger wird die Kunst, oder nicht?

Waterfeld: Dann fragen Sie doch mal die Mehrheitsgesellschaft, ob heute an Theatern große Kunst stattfindet.
Ich fürchte, die Antwort wird zeigen, dass auch die derzeitigen Strukturen kein Garant dafür sind. EVH

Zitatende

Quelle: Der Spiegel – Nr. 12 – 20.3.2021 – Seite 117

 

 

 

Zitat

Ich hasse Regisseure, die kommen und sagen:
Ich habe für »Hamlet« noch keinen Einfall,
ich weiß nicht, was ich aus dem Stück machen soll.

Meine Antwort ist dann:
Lesen Sie.
Lesen Sie das Stück.
Und inszenieren Sie, was da geschrieben steht. —

Anstatt das Stück zu inszenieren, wollen halt viele nur sich selbst in Szene setzen.
Sie müssen unverständlich sein, denn sonst käme ja jeder schnell dahinter, was für ein Scharlatan sich da in Szene gesetzt hat.
Man muss nicht nur gegen die Everdings vorgehen, sondern auch, vor allem! gegen die jungen Schwindler, die nur angeblich progressiven Theaterleute.

Therese Giehse

Zitatende

Quelle: „Gelebt für alle Zeiten – Schauspieler über sich und andere“ -
Hsg. Renate Seydel – Henschelverlag Berlin 1986 – Seite 313

  
 

Jetzt inszenieren!
Aber wie?


werktreu
werkgerecht
interpretieren
verfälschen
zerstören

Das sind die Möglichkeiten, die eine Theaterleitung hat, wenn sie ein Regieteam für eine Opernproduktion engagiert.

Scharfsinnige Überlegungen sind hoffentlich vorausgegangen, welche Presse, welches Publikum man ansprechen will. Oder man macht sich keinerlei Gedanken, denn die Steuerzahler finanzieren ja sowieso alles und man engagiert irgendwen, der oder die gerade sich einen Namen machen wollen oder schon gemacht haben. Sei es auch mit dem größten Unfug.
Und da liegt nun das ‘Werk‘ wie ein schönes totes Tier und kann sich nicht wehren. Viel Sorgfalt und Arbeit vom Komponisten und Librettisten wurden aufgewendet, um es großzuziehen. Gesund und prachtvoll sollte es für immer auf den Bühnen der Welt stehen, sorgfältig gepflegt von kundigem Personal wird ein wertvolles Tier - aber nein unser Werk fällt in die Hände von Metzgern, die sich mit Anatomie nicht auskennen. Alles wird zerhackt, falsch gewürzt bis es ungenießbar ist, und wenn es niemand mag, dann sind die Konsumenten eben blöd. Hauptsache man hatte seinen Spaß, macht sich einen Namen, subventioniert wird die ganze Kunst-Metzgerei ja sowieso.
Selbstverständlich habe ich großen Respekt vor jedem Metzgermeister und seinen Angestellten, aber diese Leute vergreifen sich ja auch nicht an einer Oper.

Die Zerstörung der Oper geschieht aus Hass auf eine Kunstform, die angeblich mit ihrem süßlichen Orchestergesäusel und unrealistischem Gesinge die harte Wirklichkeit nicht abbildet und darum nach den Gesetzen des Sozialismus in die proletarische Realität versetzt werden muss.
Jegliche differenzierte Gefühlsregung wird platt gemacht und alles auf Sex and Crime reduziert.
Natürlich kann man alle Bühnenwerke von der Antike bis heute darauf zurückführen aber “in dem wie da liegt der ganze Unterschied“ so sagt die Marschall im ‘Rosenkavalier‘.
Das Elend, das Unrecht, das sich Menschen zufügen, zu schildern ist Aufgabe des Theaters auch des Films. Aber es ist auch die Aufgabe, den Suchenden Auswege aufzuzeigen. Das hat nichts zu tun mit den marktschreierischen Heilsversprechen evangelikaler Schreihälse oder den auf ein irreales ewiges Leben ausgerichteten Glaubensgemeinschaften.

Die Mittel, derer sich die Opernzerstörer bedienen sind Ekel, Schock, Quälerei.

Alle Körperflüssigkeiten, die in der zivilisierten Welt in verschlossenen Räumen hervortreten, haben sich in deutschen Opernhäusern über die Bühne ergossen.
Riesige Grimassen werden projiziert, um Arien zu stören.

Widerliche Aktionen zum Beispiel ein Schlammringkampf in der Hannover‘schen ‘Aida‘, permanente Schmierereien auf Wände, hässliche Kleidung, die Bühne mit Kloschüsseln vollstellen - gesehen in Braunschweig -, um zu zeigen, dass ‘Don Giovanni‘ ein Scheissstück ist alles das dokumentiert eine Pornographierung der Oper auf unterster Stufe.

Wenn die 68-er forderten „macht kaputt, was euch kaputt macht“ wird wohl kaum jemand zu finden sein, den Oper kaputt macht.
Ich denke an Zuschauer, aber auch an bedauernswerte Mitwirkende!
Gibt es wirklich die deutsche Lust an der Selbstzerstörung?
Es ist wohl so!
Aber das Coronavirus hat den Opernintendanten die Arbeit abgenommen.
Alles zurück aufs Minimum!

Mit großem Aufwand an dreidimensionalen Bühnenbildern, die mit dem Werk nichts zu tun haben, waren ja die Künstler der Zerstörung überall mit enormen Kosten für die Steuerzahler am Werk.

Die Verfälschung der Oper wird von Regie-‘Künstlern betrieben`, die uns mit ihren politischen und sexuellen Problemen behelligen.
Der Zeitrahmen, in dem ein Werk angesiedelt ist und aus dem sich seine Problemstellung und die musikalische Aufarbeitung ergibt, wird platt gemacht unter dem Vorwand der neuen Sicht auf die altbackene Oma-Oper.
Die Methoden der Verfälschung sind simpel.
Es wird radikal verheutigt, die Charaktere werden in ihr Gegenteil gedreht. Der Böse, der Verbrecher wird zum armen Opfer seiner Kindheit und zum bedauernswerten Sympathieträger.
Der ehemals aufrecht tapfere Held wird zum blöden ‘Softie‘.

Hat sich der Pressewirbel genug gedreht, springen die Agenturen auf und erleichtern den Ministerien das sowieso ungewohnte Denken, indem sie ihre Klienten hineinschieben.
Die Aufsichtsräte der Theater, die größtenteils aus völlig fachfremden Juristen oder altgedienten Verwaltungsintriganten bestehen, sind froh, wenn ihnen irgendwer empfohlen wird.
Das bisschen Klassik ist ja sowieso nur Ballast, und das Klassikpublikum als geringe Anzahl der Bevölkerung unerheblich als Wähler.
Also runter mit dem Niveau!

Das Interpretieren - lateinisch ‘interpres‘ ist der Ausleger.
Dolmetsch, einer, der uns etwas erklären und nahebringen soll.

Die Interpretation einer Oper ist der nebulöse Raum, in dem die ‘Künstler‘ von Regie und Bühnenbild in unseren kulturentwöhnten Zeiten ihre linksradikalen Ideen unterbringen.
Mit brutalen Mitteln der Verhässlichung wird jede Figur zum Ausbeuter oder Ausgebeuteten.

Eigentlich dient die Interpretation dazu, aus dem Text und der Musik herauszulesen und zu hören, welche Gefühle eine Figur beherrschen:
Liebe oder Hass, Freundschaft oder Feindschaft, Mitleid oder Herrschsucht, Ehrlichkeit oder Intrige.
Hinzu kommt die Umgebung, in der sich das Bühnengeschehen abspielt, Ist es ein Palast, ein Schloss, eine reiche Villa oder ein bürgerliches Haus, eine arme Hütte oder eine schmutzige Straße?
Wichtig ist auch die Epoche, in der ein Werk spielt. Große Dichter und Komponisten können sich in sie hineinversetzen oder das Werk stammt aus der dargestellten Zeit.

Das soziale Gefälle zwischen Mächtigen und Ohnmächtigen, Reichen und Armen, Gebildeten und Unwissenden, Glaubensfanatikern und Vernünftigen ist der Kampfplatz der Gefühle im Theater.
Da die unterschiedlichen Epochen ihre eigentümlichen Grundströmungen hatten, sollte ein Regieteam einen Blick auf die bildenden Künste und die Äußerungen der Philosophen, Theologen und Pädagogen tun.

Dass dies möglich ist, habe ich in der Zusammenarbeit mit hoch gebildeten Studienleitern und gut geschulten Repetitoren erlebt.
An der Führung der Gesangslinie, der auf- oder abwärts geführten Intervalle lässt sich der Gefühlsinhalt klar ablesen. Hören wir Taminos Sexte aufwärts bei “Dies Bildnis“ erkennen wir sofort, wie verliebt er ist-
Hören wir Mimes Tritonus abwärts bei “Wer helfe mir“ bemerken wir seine trostlose Verzweiflung.
Das Tempo, die Tonart, die Instrumentation, die Führung der Gesangslinien geben uns vielfältige Mittel an die Hand ein Werk mit Respekt und Sensibilität so zu interpretieren, dass das Publikum bereichert wird und einen solchen Opernabend lange und lebendig im Gedächtnis behält.

Werkgerecht mit einem Stück umzugehen, trifft sich mit dem, was auch über eine gute Interpretation gesagt wurde.
Werkgerecht soll auch die Verwendung unserer heutigen technischen Mittel sein.
Sie sollen vermitteln, erhellen, bereichern, keineswegs aber zum albernen Selbstzweck werden. Man denke an die völlig unsinnige hochgetürmte Pappkartonszenerie bei Wolfgang Trojahns ‘Was ihr wollt‘ an der Nds. Staatsoper Hannover.

Eine Farce, eine Komödie, ein bürgerliches Trauerspiel, eine Tragödie und alle die dazu gehörigen Mischformen die große Oper, die romantische Oper, die Spieloper, die Operette davon sollten Regieteams schon mal etwas gehört haben, um nicht jedes Werk zum Pornoschmuddelstück verkommen zu lassen, sondern werkgerecht zu interpretieren.

Ich bedauere alle Kollegen, die so viele sinnlose Aktionen ausführen müssen, um Geld für die Familie zu verdienen.
Eine werkgerechte Inszenierung geht mit Respekt und fundiertem Wissen, klarer Bildvorstellung und Achtung vor den Leistungen der Sänger an die Arbeit. das Ergebnis beglückt das Publikum, macht die Mitwirkenden zufrieden, füllt die Opernhäuser und entlastet das Budget.

Eine werktreue Inszenierung, die so sein will, wie die Autoren und Komponisten sie zu ihrer Zeit praktiziert haben, ist nahezu unmöglich darzustellen.
Kerzenlicht oder Gaslampen würden die Feuerwehr zur Verzweiflung bringen und auch die szenischen Angaben wörtlich zu nehmen, ist nicht ratsam, obwohl sie gelesen werden sollten.

Hat also die Kunstform Oper noch eine Überlebenschance?

Dazu schreibt Gerard Mortier, der international anerkannte Theaterleiter


Zitat
Mehr als je zuvor gibt uns heute die Oper die einzigartige Möglichkeit wieder Gefühle zu vermitteln und diese mithilfe von Gesang, Tanz neu zu bewerten und zu deuten - dank einem Theater in dem getanzt und gesungen wird, um Geschichten zu erzählen.
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Quelle: Gerard Mortier - Das Theater, das uns verändert – Bärenreiter/Metzler 2019 - Seite 55

Marie-Louise Gilles


Leserbrief

 

 

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Liebe Marie-Louise,
diesmal gab es ja wieder jede Menge zum Lesen. Die Auszeichnung der Oper Hannover habe ich auch absolut nicht verstanden. Das ist schon sehr ärgerlich. Ansonsten möchte ich noch etwas ergänzen:
 
BOLESLAW BARLOG
 
Die Tosca, Deutsche Oper Berlin, steht immer noch auf dem Spielplan des Hauses, zuletzt 2019 und mußte da wegen Corona ausfallen. Ich selbst sah die Aufführung am 9. Dezember 2018 in einer wunderbaren Besetzung: Sondra Radvanovsky in der Titelpartie und zur Zeit meine Lieblings-Tosca. Scarpia war Ivan Inverardi und Cavaradossi Massimo Giordano. Die Aufführung war keineswegs verstaubt, kein Rampensingen, sondern es war viel los auf der Bühne, teilweise ein richtiger Krimi. Und fürs Auge bietet diese Inszenierung auch eine Menge. Man ging beglückt und erfüllt aus dieser Aufführung raus.
 

THORNTON WILDER BZW PAUL HINDEMITH
 
"Das lange Weihnachtsmahl" - die Premiere war am 17. Dezember 1961 in Mannheim und Hindemith dirigierte selbst. Mein Mann gehörte auch zu der Besetzung und verstand sich wunderbar mit Hindemith, der ihm eine sehr schöne persönliche Widmung schrieb, die sich immer noch in meinem Besitz befindet.
 
Vielleicht sind die Ergänzungen für Dich noch interessant. Vielen Dank für die viele Mühe, die Du Dir immer machst und liebe Grüße aus München sendet
R.

Zitatende

Leserbrief

 

 

Zitat
Liebe Marie-Louise, lieber Herr Hansing,
heute betätige ich mich als Gscheidhaferl in Sachen Alfred Andersch.

Er war nicht der Organisator der Gruppe 47. Das war allein Hans Werner Richter. Die beiden kannten sich aus der Kriegsgefangenschaft und gründeten zusammen als Nachfolger der Gefangenenzeitschrift den "Ruf". 
Hier kamen junge Autoren bzw. solche, die es werden wollten, zu Wort, vor allem mit Beiträgen zur gegenwärtigen Lage im Nachkriegsdeutschland.
Als der "Ruf" dann von den Amis verboten wurde und in entschärfter Weise an Erich Kuby als Herausgeber ging, beschlossen Richter und Andersch, eine neue Zeitschrift für den neuen Zeitgeist zu gründen, die sie "Der Skorpion" nannten. Allerdings kam die über eine Nullnummer nie hinaus.
(Das einzige Exemplar hatte die Witwe von Andersch, ich habe damals für Richter (und mich) eine Kopie gemacht.) Doch "Der Skorpion" bekam keine Lizenz. 

Da die jungen Autoren aber irgendetwas machen wollten, lud Hans Werner Richter im September 1947 17 Leute an den Bannwaldsee nach Füssen ein, wo ihnen die Schriftstellerin Ilse Schneider-Lengyel ihr kleines Haus zur Verfügung stellte. und bat, Manuskripte der Beiträge mitzubringen, die sie verfasst hatten.

Drei Tage wurde gelesen und kritisiert und man war sich einig, dass man das weiter machen sollte. Bei diesen Treffen war Andersch nicht dabei, er arbeitete in Hamburg für die "Hamburger Nachrichten". Zum zweiten Treffen lud ihn Richter ein. Er bekam wie die anderen eine handgeschriebene Postkarte. Und an dieser Form der Einladung änderte sich bis zum Ende der Gruppe 47 nichts.

Bei der Namensfindung orientierte man sich an einer spanischen Gruppe, die sich Gruppe 98 genannt hatte. Richter wollte auf keinen Fall einen Verein, Club oder Ähnliches, und so blieb die Gruppe 47 eine Zusammenkunft von Autoren, Kritikern, Dramaturgen, etc., die jeweils von Hans Werner Richter eingeladen wurden.

Das alles weiß ich von HWR, der lange Jahre bei der Nymphenburger mein Autor war. Ich habe viele Manuskripte für ihn geschrieben und hatte zu ihm und seiner Frau Toni bis zu beider Tod noch eine freundschaftliche Verbindung.

Langer Rede, kurzer Sinn, und daher höre ich auf, aber nicht, ohne zu sagen, dass ich wieder ganz begeistert von Ihren Mitteilungen samt Anhang bin.
Viele Grüße nach Hannover
GG

Zitatende

Leserbrief
 

 

 

Zitat
Zur vermeintlichen „Gendergerechtigkeit“ der deutschen Sprache

Zur Verteidigung der vermeintlich „gendergerechten“ Sprache wird oft ins Feld geführt, dass Sprachen sich im Laufe der Zeit verändern. Solche Veränderungen kommen aber nur über lange Zeiträume zustande, über Jahrhunderte. Und zwar von innen heraus, ganz wichtig, also von jenen, die diese Sprache sprechen, von unten nach oben. Seit meinem Abitur 1971 kann ich keine wirklich nennenswerten Änderungen der deutschen Sprache erkennen, weder in der Großschreibung noch in der Wortwahl (bis auf mehr Anglizismen, die auch technologiebedingt sind wie IT etc.) noch in der Interpunktion. Das war vor fast 50 Jahren, also einem halben Jahrhundert. Seit 20 Jahren bin ich selbst journalistisch tätig in der internationalen Opernrezension. In der Literatur hat sich auch nichts geändert, auch hat hier die sog. „Gendergerechtigkeit“ nicht Einzug gehalten. Das finden Sie in kaum einem in Deutschland oder Österreich verlegten Buch.

Die eigentlich nur mit einer Aufsetzung zu vergleichende sog. „gendergerechte“ Sprache ist Ausfluss eines politischen Willens, der seit relativ kurzer Zeit um sich greift. Es ist ein politisch-bürokratisches Oktroyieren von Änderungen auf die deutsche Sprache, die von einer Minderheit als wünschenswert gesehen und fast ausschließlich von Moderatoren von TV-Sendungen verwendet werden und über Gleichstellungsbeauftragte in staatlichen und privaten Institutionen gewissermaßen „von außen“ durch Verordnungen und Vorschriften durchgesetzt werden. Also eine diskretionäre Sprachänderung von „oben“ statt von unten. Und dabei entspricht das nicht einmal dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland. Dort ergab eine Infratest Dimap Studie 2020, dass 56 Prozent der Befragten gegen das „Gendern" sind. Und dabei waren auch Frauen, die sicher auch Bücher lesen.

Moderatoren „gendern“ vornehmlich in den Nachrichtensendungen, aber auch jene in Talkshows, immer nur die Moderatoren. Interessant ist nämlich, dass die in Dokumentationen und Interviews Befragten, und seien sie auch aus der avantgardistischen Kulturszene, nahezu nie „gendern" – nur die Moderatoren. Man hat oft das Gefühl, Moderator und Interviewter sprechen verschiedene Sprachen - so wie es Zerbinetta von Ariadne in der Oper „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss vermutet… Man könnte aber auch meinen, es handele sich um ein Moderatorenkartell zu Gunsten der vermeintlichen sprachlichen „Gendergerechtigkeit“ gegen den semantischen Mainstream.

Die Sprache wird durch das „Gendern" auch (in ihrer Aussage) verfälscht, was gravierend, aber besonders im Fall der deutschen Sprache auch leicht belegbar ist. Ich habe das schon in meinem Aufsatz zum Thema 2019 geschrieben, den ich hier anhängen darf.

https://www.klaus-billand.com/deutsch/betrachtungen/zu-politischen-themen/gendergerechtigkeit-in-der-deutschen-sprache-maerz-2019.html

Mittlerweile ist dazu noch ein interessanter Artikel erschienen, vom Dichter Reiner Kunze, den ich ebenfalls hier anhänge und sehr zu lesen empfehle.

https://www.pnp.de/nachrichten/kultur/Dichter-Reiner-Kunze-Sprachgenderismus-ist-eine-aggressive-Ideologie-2971049.html

Kunze ist eine seriöse Kapazität auf dem Gebiet der Dichtung und natürlich Sprache, also eine gute Referenz. Und er hat einiges im Leben mitgemacht, hier seine Wikipedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Reiner_Kunze

Es ist in seinem Aufsatz eigentlich alles erklärt und auf die Konsequenzen hingewiesen, was das „Gendern" in der deutschen Sprache bewirken wird: Ihre Verarmung. Ich würde sogar sagen, ihre Verhunzung!

Immer wieder stellt man nun fest, dass Moderatoren in einer Nachrichtensendung ein Substativ, das sowohl Frauen wie Männer umfasst, mit der Endung -innen gebrauchen, ohne die Sprechpause zu machen. Damit wird ein klarer Verständnisfehler produziert. Es wird damit versucht, das Gendersternchen auszusprechen, was nicht geht, womit das auf „-innen“ endende Substantiv wie ein durchgehendes Wort gesprochen wird. Damit unterstellt der Moderator automatisch, dass mit der Aussage nur Frauen gemeint sind. Es ist aber aus dem Zusammenhang offensichtlich, dass Frauen und Männer gemeint sind (was im Schriftbild durch das Gendersternchen im Prinzip sichtbar wäre). Diese Formulierung ist also eine ernstzunehmende Verfälschung der Sprache und ihrer Ausdrucksfunktion. Wenn das weiter um sich greift, muss man annehmen, dass Dinge oder Sachverhalte nur noch Frauen betreffen und die Männer ausgeschlossen sind. Schlichte Fehlinformation! Ein möglicher Fall zum Nachdenken: „Die Soldatinnen wurden auf der ganzen Front zurückgeschlagen.“

Dabei ist es doch ganz einfach. Im Gegensatz zu anderen Sprachen kennt die deutsche die markierte Form bei der weiblichen Ausdrucksweise. Diese wird dadurch dokumentiert, dass bei der weiblichen Form des Substantivs immer ein -in oder im Plural ein -innen als Suffix anhängt. Die männliche Form hat eine solche Markierung nicht. (Bei: „Ich gehe zum Arzt“ oder „die Ministerpräsidenten“ kann es sich sowohl um Männer wie auch Frauen handeln; es wäre reiner Zufall, wären es nur Männer). Man könnte deshalb sogar sagen, das männliche Geschlecht ist in der deutschen Sprache benachteiligt. Wegen der fehlenden Markierung des männlichen Geschlechts kommt es zur Verwechslung mit der unmarkierten, vermeintlich männlichen Form, der generischen Form, die geschlechtslos ist. Wer also unbedingt das …-in und …-innen anhängen will, oder Binnen  oder Ähnliches wie das sog. Gendersternchen * einbringt, um vermeintlich „gendergerecht“ zu formulieren, beweist, dass er die deutsche Sprache nicht vollumfänglich versteht. Und das kann und darf bei einem weitreichenden Medium doch nicht sein.

Wenn man es etwas überspitzt formulieren wollte, wäre sogar zu sagen, dass sich jene, die auf „Gendergerechtigkeit“ pochen, mit dem zwanghaften Anhängen von -in und -innen an die von ihnen vermeintlich für biologisch maskulin gehaltene Form - von zumeist Berufsbezeichnungen - auf -er (die aber de facto eine generische ist) gar keinen Gefallen tun. Denn sie formulieren wieder nicht gendergerecht: Das Weibliche wird lediglich zum semantischen Anhängsel des (vermeintlich) Männlichen, also einem Suffix...

Ich möchte aber auch einen Vorschlag zur Güte machen: man könnte bei der ersten Gelegenheit einfach …-er und …-innen beim ersten relevanten Substantiv sagen (aber bitte ohne die Sprechpause, die ohnehin mit der Zeit wieder verschwinden wird, weil niemand eine solch mechanistische Sprachkonstruktion auf die Dauer aushält und sprechen wird) bzw. schreiben und bleibt dann im Rest des Beitrags bei der bisher üblichen, auch in der Literatur maßgebenden Ausdrucksform. Denn ein ständiges, gewissermaßen durchkomponiertes Enden auf …-in oder …-innen würde Zuhörer und Leser in den semantischen Wahnsinn treiben und mehr Text und damit Platz kosten, ohne dass Wesentliches hinzukäme.

Womit wir bei einer weiteren Regel wären, gegen die die vermeintlich „gendergerechte“ Sprache ebenfalls verstößt, die Sprachökonomie. Sprachen entwickeln sich nach der Regel, so ökonomisch wie möglich zu sein. Das „Gendern“ mit in der Regel erhöhter Wortzahl spreizt den Text signifikant auf, ja bläst ihn auf, ohne Substanz hinzuzugewinnen. (Das wird auch einer der Gründe sein, warum es in der Literatur nicht gemacht wird). Allein von daher wird das „Gendern“ auf lange Sicht im allgemeinen Sprachgebrauch wohl wieder erodieren zugunsten einer ökonomischeren Sprache. Einfach durch den täglichen Sprachgebrauch. Am Ende könnte man dann frei nach Shakespeare sagen: „Viel Lärm um nichts.“

Und haben sich die Befürworter des „Genderns“ einmal gefragt, wie ein Ausländer dann die deutsche Sprache lernen soll?! Wir leben in der Staatengemeinschaft der EU und sollten auch darauf erpicht sein, dass die deutsche Sprache erlernbar bleibt. Deutsche und Österreicher führen überall die Touristenstatistiken an…

Es gibt aber noch etwas ganz Verblüffendes:

Das alte Englisch, das wesentlich komplexer war, hatte drei Geschlechter wie heute das Deutsche.

Die altenglische Endung - ere für jemanden, der etwas macht, war maskulin. Daraus wurde später -er (teacher, singer, lover etc.) oder Deutsch; Lehrer, Sänger, Liebhaber. Die altenglische Feminin-Endung dazu war – estre, die später fast komplett verschwnad, abgesehen von wenigen Ausnahmen wie z.B."seamstress", so dass im heutigen Englisch nur noch die Maskulin-Endung -er existiert oder -or bei Wörtern, die aus dem Französischen bzw. Lateinischen kommen (professor, actor, doctor etc.).

Das moderne Englisch hat also bei Berufsbezeichnungen, (um die es ja im Genderdeutsch im Wesentlichen geht), nur noch eine Maskulin-Endung, die für alle gilt und auch generell akzeptiert ist.

Andererseits legen die englischen Schauspielerinnen Wert darauf, als "actor" angeredet zu werden und nicht als "actress", was als abwertend gilt.

Es ist also nicht so, wie vielfach positiv herausgestellt wird, dass das moderne Englisch kein Gender hätte und damit gerechter wäre, ganz im Gegenteil, es hat nur das Maskulinum!

Im Deutschen ist das Weibliche mit einer eigenen Feminin-Endung (-in), mit der sog. Markierung, also privilegiert. Auch in den romanischen und slawischen Sprachen haben sie diesen Vorzug.

https://en.wikipedia.org/wiki/Old_English_grammar

Es geht bei dieser Thematik um etwas ganz Wesentliches: Die Beibehaltung der Schönheit und Klarheit der deutschen Sprache, so wie sie sich über viele Jahrzehnte entwickelt hat. Und da wirkt die Oktroyierung einer vermeintlichen „Gendergerechtigkeit“, die de facto gar keine ist, sowie die verschiedenen Erscheinungsformen, wie Gendersternchen * und etliche andere, wie ein krasser Fremdkörper an der Sprache.

Ich möchte in dem Zusammenhang noch an den Turmbau zu Babel im Alten Testament erinnern, eine schöne und hier durchaus passende Geschichte. Die Menschen wollten im Stile einer Selbstüberhöhung mit einem immer höheren Bau des Turms Gott gleichkommen. Bekanntlich strafte er sie durch die babylonische Sprachverwirrung, die dazu führte, dass sie sich nicht mehr verstehen konnten....

Dr. Klaus Billand

10. Februar 2021

Zitatende




Der Genderstern geht noch nicht auf

 

 

Zitat
Geschlechtergerechte Sprache:
Rat für Rechtschreibung verschiebt Empfehlung
Von Stefan Arndt

Hannover. Hannovers Stadtverwaltung schreibt weiterhin regellos: Der Genderstern, den die Landeshauptstadt 2019 mit dem Ziel der. geschlechtergerechten Schreibweise eingeführt hatte, wird vorerst nicht in das amtliche Regelwerk der deutschen Sprache aufgenommen. Dies geht aus einem Zwischenbericht hervor, den der Rat für deutsche Rechtschreibung am Freitag in Mannheim beschlossen hat. Explizit regelwidrig ist das Zeichen damit aber auch nicht: Das Expertengremium will die Entwicklung des Schreibgebrauchs zunächst weiter beobachten.

Der Rechtschreibrat will sich in seiner künftigen Bewertung von verschiedenen Schreibweisen an der Lesbarkeit und Verständlichkeit orientieren.
Außerdem sei es das Ziel, „einem unkontrollierten Nebeneinander unterschiedlichster Variantenschreibungen  entgegenzuwirken“ und „die Einheitlichkeit der Rechtschreibung in allen deutschsprachigen Ländern zu erhalten.“

In ihrem Bericht. bekräftigen die' Experten ihre Auffassung, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen.

Eine Lösung, wie das zu erreichen sei, bietet der Rat aber nicht an. Das sei eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die „nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung" gelöst werden könne.



Konkreter wird der Bericht in der Beschreibung von Problemen, die aktuelle Lösungsversuche mit sich bringen: Die Verwendung von Sonderzeichen wie dem Genderstern („Student*innen") oder dem Unterstrich („Bürger_innen") könne zu sprachlichen „Folgeproblemen" und - grammatisch nicht korrekten Lösungen" führen: Darum sollten sie „zu diesem Zeitpunkt" nicht in das Regelwerk aufgenommen werden.

Seit 2004 ist der Rat für deutsche Rechtschreibung die maßgebliche Instanz in Fragen der Orthografie. Er hat 40 Mitglieder aus Deutschland; Österreich, der Schweiz, dem Fürstentum Liechtenstein, der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol und der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Seine Empfehlungen gelten für Schulen sowie für Verwaltung und Rechtspflege.

Noch kein Thema für die Schüle*rinnen und Schüler:
Die Verwendung des Gendersterns im Unterricht.

Zitatende

Quelle: HAZ – Ausgabe 27./28. März 2021 – Seite 1



Was andere schrieben

 

 

Premierenkritik: "Der Freischütz" an der Bayerischen Staatsoper

Im Leben geht mancher Schuss daneben

14.02.2021 von Bernhard Neuhoff

Niemand, nicht mal der böse und mächtige Samiel, trifft immer ins Schwarze. Aber so komplett daneben wie dieser szenisch verschossene "Freischütz" gehen zum Glück dann doch nicht viele Inszenierungen. Mitleid und Respekt verdienen die durchweg guten, teils phantastischen Sängerinnen und Musiker – erstaunlich, wieviel sie, rein musikalisch, dem szenischen Vakuum abtrotzen können.
Klar, der Freischütz gilt als schwer zu machen, ebenso wie die "Zauberflöte". Opern, die viele aus der Kindheit kennen. Melodien, die man nicht mehr aus dem Kopf kriegt, wenn sie einmal drin sind. Nur halt verbunden mit einer Geschichte, die man einigermaßen wohlbehalten hindurchnavigieren muss durch ein sehr biedermeierliches Bermudadreieck zwischen Märchennaivität, Schauerromantik und Frömmigkeit.

Perverses Firmenritual
Keine Spur von hilfloser Frömmigkeit:
Golda Schultz in ihrem Rollendebüt als Agathe, Anna Prohaska als Ännchen.
Regisseur Dmitrij Tscherniakow gibt sich allergrößte Mühe, den Figuren jede treuherzige Betulichkeit auszutreiben. Aus dem dunklen deutschen Wald verlegt er den Freischütz in eine aseptisch moderne Firmenzentrale. Erbförster Kuno ist der fiese Chefbonze einer fiesen Kapitalistentruppe. An Stehtischen stößt die Belegschaft im Businessdress mit Champagner auf das perverse Firmenritual an: Durchs offene Fenster soll Max, der Juniorchef in Spe, zufällige Passanten abknallen. Viel zu diskutieren gibt es nicht über diese wackere, wenn auch eher holzschnittartige "Kapitalismuskritik".

Die fromme Försterstochter Agathe und ihre naseweise Zofe Ännchen will uns der Regisseur als zwei sehr zeitgenössisch emanzipierte Frauen nahebringen. Und weil er dafür kein anderes szenisches Mittel und nach Lage der Dinge auch keinen Anknüpfungspunkt im Text findet, tauschen die Figuren gelegentlich ein paar müde, fürs Bühnengeschehen eher irrelevante Textbotschaften aus.

Hilfloser Gegenwartsrealismus
Aus der Firmenzentrale mit ihrem hilflosen Gegenwarts-Realismus kommt Tscherniakow nicht mehr raus. Wie ein Löschblatt saugt die triste Einheitsbühne alle Imagination auf. Konsequent treibt die Inszenierung dem Freischütz das Beste aus, was er zu bieten hat: Traum, Phantasie, Unbewusstes und Ambivalenz. Logisch wird die Geschichte trotzdem nicht, die hier mühsam kolportiert wird. Warum der böse Kaspar den ängstlichen Max gefesselt in die Firma zieht, wo er sowieso die ganze Zeit rumhängt, warum er beim Kugelsegen planlos im Foyer rumballert, und warum zum Teufel sich der weise Eremit als Oberkellner des Cateringteams getarnt hat, das alles will man eigentlich gar nicht mehr wissen.

Zitatende
Quelle: https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/kritik-freischuetz-staatsoper-muenchen-tscherniakow-manacorda-100.html

 

 

 

Was andere schrieben

Gedanken zum Rosenkavalier - 23. März 2021 - Thomas Prochazka
 

 

 

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Etikettenschwindel auch in München. Diesmal sogar zwiefach: Denn am Nationaltheater verhebt sich nicht nur Barrie Kosky am Hofmannsthalschen Text, nein, man hebt auch Eberhard Klokes auf 43 bis 50 Musiker reduzierte, 2019 entstandene Partiturfassung aus der Taufe und meint, Rosenkavalier-Stimmen auf den Pulten liegen zu haben.

In München wird solches Tun, das immerhin unter der Schirmherrschaft von Strauss’ langjährigem Partner Boosey & Hawkes vonstatten geht, mit den Notwendigkeiten von »Sie wissen eh« argumentiert. Eberhard Kloke schreibt, er wollte »eine klangliche Lösung für ein Konversationsstück […] finden«. Auch sei es ihm »um eine Veränderung des Klangbildes und damit der Klangstruktur innerhalb des Orchesters sowie der Balance zwischen Bühne und Orchester« gegangen. Als bestünde irgendeine Notwendigkeit, Richard Strauss’ großartige Instrumentation verbessern zu müssen. Um den Komponisten selbst zu zitieren: »Wann i net wollen hätt, daß man’s spielt, hätt’ i’s net komponiert.«…
[…]
Barrie Koskys zentrales Thema ist die Zeit. Das ist zwar nicht das zentrale Thema der Oper, doch was tut das schon zur Sache? So gibt es alle Arten von Uhren. Sogar Schwager Kronos tritt auf. Ihn sucht man zwar in Hofmannsthals und Strauss’ Personenverzeichnis vergeblich, doch dafür gehen einige der 13 Schläge der Uhr in der Marschallin Schlafzimmer im Orchesterrauschen unter. Ausgleichende Gerechtigkeit…

Allerdings: Ist das zentrale Thema im Rosenkavalier nicht vielmehr die Liebe (oder, besser: die Lust) in all ihren Spielarten? Der schwärmerische Jüngling, die mit ihren 35 Jahren auch noch junge Feldmarschallin Fürstin Werdenberg, die halbwüchsige Sophie, der seiner Lust lebende Landedelmann Baron Ochs auf Lerchenau… Ist es nicht die Ironie des Stückes, daß nach dem Fallen des Vorhangs alle weiter tun werden wie bisher? Der Lerchenauer wird weiterhin hinter dem Gesinde her sein. Die Feldmarschallin wird sich binnen Wochen mit einem anderen Jüngling trösten: »Einmal…« Und die Jungen? Sophie wird über kurz oder lang zur neuen Marschallin werden…

Regieanweisungen sind, so scheint’s, Barrie Kosky herzlich gleichgültig, wenn es darum geht, einem Werk seine übersprudelnden Phantasien und unzähligen Ideen überzustülpen. Immer wieder stolpert man über Schlüpfrigkeiten, welche vielen seiner Produktionen gemein sind: Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt.

Aber wer liest denn heute noch das Kleingedruckte? Hätten’s die Verantwortlichen gelesen, es wäre ihnen nicht entgangen, daß in Richard Strauss’ Partitur für Ort und Zeit der Handlung »In Wien, in den ersten Jahren der Regierung Maria Theresias« geschrieben steht. Hugo von Hofmannsthal schuf eine Kunstsprache, die es so natürlich im Rokoko nie gegeben hat. Die sich jedoch, wie jetzt in München, jeder szenischen Aktualisierung erfolgreich widersetzt. So wirkt es nur mehr albern, wenn der Baron Ochs im Anzug und die Feldmarschallin im 1920-er-Jahre-Abendkleid eingewienerte italienische und französische Redewendungen verwenden.

Diese Inkongruenz setzt sich im unglaubwürdigen Verhalten der Personen und ihren Kostümen (Victoria Behr) fort: Octavian auf der Sofalehne sitzend, während die an ihn geschmiegte Feldmarschallin mit dem Ochs »parliert«? Seit wann trägt man Degen zum Smoking (mit ausgestellter Marlene Dietrich-Hose)? Die Feldmarschallin, die nach dem Frühstück das Abendkleid im Stil der 1920-er Jahre anlegt, um damit »in die Kirch’n« zu gehen? Sophie, die im Cocktailkleid in ihrem Bett herumturnt?

Auch sonst ging handwerklich einiges daneben: Wenn man die Livree hinten in die Kutsche einsteigen sieht, nur damit sie auf der vorderen Seite wieder herausklettert, verliert man das Vertrauen in die Handwerkskünste des Arrangeurs. Und was, bitte, soll das Herumgeturne von Octavian und der Marschallin im ersten Aufzug, während anstelle des Frühstücks, wie’s in der Partitur steht — und komponiert wurde! — Kübelpflanzen auf die fast dunkle Bühne gerollt werden? (Übrigens in völliger Ignoranz der Spielanweisung, wonach der erste Aufzug im Schlafzimmer der Feldmarschallin spielt.) Fiel denn niemandem auf, daß der Friseur an diesem Morgen nicht erschienen war, der Feldmarschallin Klage daher ins Leere lief? Einzig Galeano Salas als Sänger im an Ludwig XIV. gemahnenden Kostüm war wenigstens eine Augenweide…

Vladimir Jurowski, der designierte Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, ergab sich bereits vor Amtsantritt: Es scheint kaum vorstellbar, daß er nicht weiß, daß Strauss sowohl die Frühstücksszene als auch den Auftritt des kleinen Mohammed minutiös in der Partitur schildert. Nicht nur hier wäre Widerstand zu leisten gewesen gegenüber den Begehrlichkeiten des Spielvogtes.

Auch gegen die Klokesche Fassung wäre bis zuletzt Einspruch zu erheben gewesen, die sich erschreckend weit vom Original angesiedelt anhörte. Die in keinem Moment jene musikalische Farbenpracht des Orchesters der Ariadne auf Naxos erreichte. Dabei weiß man ja in München sehr gut, wie man Richard Strauss spielt. Daß man derzeit ein bisserl aus der Übung zu sein scheint, war nicht nur beim Violinsolo im Finale des ersten Aufzuges zu hören: Ein wenig anämisch klang das alles; leidenschaftslos; eintönig. (’S wär’ hoch an der Zeit, daß die Theater wieder spielen.)

Marlis Petersen wird wohl all die nächsten Jahre die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg in München geben. Denn kaum eine andere Interpretin dieser Partie wird es sich angelegen sein lassen, in des Spielvogt Kosky freizügiger Inszenierung mit Octavian noch vor dem Frühstück zwischen den Kübelpflanzen Fangerl zu spielen… Petersen singt die Feldmarschallin mit flacher Stimme. Säuselt oft, ohne Tiefe. Man will sich gar nicht ausmalen, wie sie forcieren wird müssen, sollte man nach »Sie wissen eh« wieder zur originalen Orchesterbesetzung zurückkehren. Petersen bot eine gesanglich uninteressante Darbietung, weit entfernt vom Strauss’schen »Silberton« der Großen der Vergangenheit. Jene mögen uns entschwunden sein; doch schmälert das weder ihre Leistungen noch macht es die Tatsache ungeschehen, daß sie über eine viel bessere Gesangstechnik verfügten: Wer kritisch dergleichen billigt, ist ein Niveau-Schänder.

Um den Octavian der Samantha Hankey war es nicht viel besser bestellt: Zweiter Preis beim Operalia-Wettbewerb 2018 hin oder her, gesangstechnische Mängel bleiben gesangs­technische Mängel. Hankey verfügt über schönes Material, weiß auch die untere Stimmfamilie einzusetzen. Allerdings läßt ihre Stimme bereits jetzt, falscher Technik geschuldet, ein übergroßes Vibrato hören. Man achte auf die Zungenstellung und den (zu) weit geöffneten Mund: Vergeudung der Kräfte, wohin man blickt.

Katharina Konradi hinterließ mir als Sophie einen günstigeren Eindruck als noch vor einigen Wochen bei ihrem Abend mit Schubert-Liedern. Aber auch ihr fehlt es an jener Körperspannung, die doch die Grundlage bildet für die notwendige Komprimierung des Tons über den gesamten Stimmumfang. Operngesang ist Schwerarbeit.

Und Christof Fischesser, der Baron Ochs auf Lerchenau? Auch der mühte sich nach Kräften — ich will’s ja niemandem absprechen —, aber mehr als ein »Oxerl« wurd’ es nicht. Zu farblos, zu wenig eindringlich hörte sich das für mich an. Und ohne ein sauberes tiefes ›e‹ im Finale des zweiten Aufzuges bleibt es halt nur eine halberte G’schicht’. Gewiß, nett, daß man den Strich im ersten Aufzug geöffnet hatte, somit einmal die gesamte Lerchenauische Tirade zu hören bekam. Doch macht das schon einen Ochs?

München bekam mit dieser Produktion eine Stagione-Inszenierung, die sich im Repertoire bewähren soll. Das wird, fürchte ich, nicht funktionieren. Im mindesten nicht, was den Kassenreport betrifft. Betrüblich stimmt, daß auch die musikalische Seite dieses Nachmittages nicht überzeugte.
(Man ist dazu da, die Wahrheit zu sagen.)

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Quelle: http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=C508BC6D-FBB0-F791-AA613D9DA5374F84

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Heillos Inkonsequentes gegen Romantik

Die „Freischütz“-Neuproduktion der Bayerischen Staatsoper München

Ein besonderer Abschied wäre möglich gewesen: In der 1970 heillos gescheiterten „Freischütz“-Neuinszenierung donnerte im Nationaltheater der damalige Schauspieler Klaus Bachler die tödlichen „Freikugel“-Bedingungen Samiels ins Theaterrund. Jetzt hätte der gerne als Erzähler oder Vorleser auftretende Intendant Nikolaus Bachler in seiner letzten Saison nochmals… Doch der von ihm engagierte Regisseur sah alles anders.

14.02.2021 - Von Wolf-Dieter Peter

Der weiße Schimmel „Regietheater“ führt in seinen besten Auftritten bestürzende, faszinierende und horizontbereichernde Werksichten vor. Dafür stand Dimitri Tcherniakow lange Zeit. Als Künstler im 21. Jahrhundert lehnt er „Freischütz“-Gegebenheiten wie Gottesglaube und Eremiten, Teufelspakte und Samiel ab. Er siedelt die Handlung um Probeschuss, treffsichere Kugeln und allerlei Spuk-Brimborium im Hier und Heute an – und muss also viel „in die Moderne übersetzen“.

Als sein eigener Bühnenbildner hat er als Einheitsbild den hochgelegenen Veranstaltungssaal eines schicken Hotels gewählt. Dessen hintere Holzlamellenwand lässt durch Drehen der Segmente in einen weiteren Saal blicken, dahinter Hochhausfassaden. Im Saal feiert ein Oligarch oder Boss (imposant mit dicker Havanna Bálint Szabó) mit einer Business-Society ohne Masken und Abstand (tapfer klangschön der Staatsopernchor; Einstudierung: Stellario Fagone), bedient von Hotelpersonal mit Maske; man säuft Bier aus der Flasche. Der Probeschuss besteht darin, aus dem Hotelfenster wahllos einen Passanten abzuknallen. Dafür kommt Tcherniakows zweite Neuheit zum Einsatz: auf einer schwarzen Leinwand blicken wir mit Max durchs Zielfernrohr und sehen dann bei Kilians Schuss das Gehirn des Getroffenen spritzen – erst nachher wird vorgeführt, dass das ein Fake-Filmchen war.

Damit wir auch verstehen, dass Max ein Weichei ist, läuft er in einer ärmlichen Strickjacke herum, Typ Oberbuchhalter. Diesen panischen Normalo schleift Kaspar, ein wohl traumatisierter Kriegsheld, später in den abgedunkelten Saal als „Wolfsschlucht“ in einem Plastiksack herein. In einer Ölsardinendose mixt er diese speziellen Kugeln und ballert damit lustvoll herum. Da fehlt jegliche Horror-Atmosphäre. Einzig beeindruckende Regie-Idee für Kaspar, die der kernig-böse Bariton Kyle Ketelsen auch bewundernswert umsetzt: aus seinem Trauma heraus antwortet er als „Samiel“ mit gepresst abgedunkeltem Bass sich selbst und beschwört sein Ende. Nach dieser szenischen Enttäuschung zieht sich aber Agathe in eben diesem Saal und nicht in einer Luxus-Suite zur Hochzeit um. Woher Ottokar kommt, bleibt unklar, erst recht der Auftritt des Eremiten – doch all das spielt in halbhellem Nacht-Blau – also wohl nur in Maxs neuem Trauma … doch da war schon klar, dass Tcherniakows Werksicht völlig inkonsequent und verkorkst modernisiert war. So retteten auch die auf die Filmleinwand projizierten neuen Zwischentexte nichts.

Trost für die pausenlos gestreamte Aufführung kam aus dem auf Abstand sitzenden Staatsorchester unter Antonello Manacorda. Die auf gute Übertragungsqualität zielende Aussteuerung ließ die Besonderheiten der Orchesterfassung von Eberhard Kloke nicht so recht erkennen. Doch Manacorda vermied alle spätromantische Aufladung der Emotionen, sondern bezog den Gesamtklang auf die damals lebenden Beethoven und Schubert: schlank, klar, straff, melodieselig wo angebracht. Darin folgte ihm ein exzellentes Solistenensemble: neben dem fiesen Kaspar von Ketelsen der tenoral fast zu gesund strahlende Max von Pavel Čhernoch; aus Ännchen hatte Tcherniakow eine zweite Tilda Swinton geformt, die auch noch eine lesbische Beziehung zu Agathe andeuten musste - aber Anna Prohaska sang das einfach strahlend weg. Sie alle überragte Golda Schultz: ihre Agathe klang nach Sopran-Sonnenschein-Gold, dabei weich, mühelos formbar und herzenswarm – eine Verneigung wert. Ansonsten: Auf Nimmerwiedersehen!

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Quelle: https://www.nmz.de/online/heillos-inkonsequentes-gegen-romantik-die-freischuetz-neuproduktion-der-bayerischen-staatsope


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THEATER „Hau ab, du Arsch!“

Sie lassen stöhnen, schuften, koitieren und auf der Bühne Notdurft verrichten. Klassiker sind allenfalls Material. Jungdeutsche Regisseure sind dabei, die üppigste Theaterlandschaft der Welt mit ihren abgelatschten Schocks endgültig zu ruinieren.

Von Joachim Lottmann - 06.03.2006

Düsseldorf, vor dem Theater. Draußen lungern diese seltsamen Schüler herum, die mit der Leseschwäche, aus der "Die Milch macht's"-Werbung. Sie kicken mit Bierdosen, spielen sich Handytöne vor, gucken unsicher und lämmchenhaft. Innen zu Hunderten jene Frauen, die ich zuletzt vor 20 Jahren in Hamburg als Helga Schuchardt identifizierte. Ich habe zwei erstaunlich unbequeme Holzsitze, dünn überspannt mit Samt. Jemand von links liest alles mit, was ich in meinen gefährlichen Stadelmaier-Spiralblock schreibe. Genau so einen hat er gehabt, von der hochpreisigen Markenfirma Landré, ich habe ihn mir zeigen lassen. Lappig, biegsam, trotzdem unhandlich, und an der Seite die berüchtigte geringelte Stahlfeder, mit der man sich leicht verletzen kann, wenn man um das Blöckchen kämpft. Wer hatte da recht? Der Kritiker oder das Regietheater? Ich bin hier, um mir ein Bild zu machen. Im Theater war ich die letzten 20 Jahre nur gelegentlich. Ich bin nicht als Kritiker unterwegs, sondern als Stiftung Warentest.

„Hau ab, du Arsch!“

Als Erstes also Shakespeares "Macbeth" in Düsseldorf, von Jürgen Gosch.

Macbeth, nackt. Es ist Ekeltheater von Anfang an. Die minderjährigen Lämmer haben sich noch nicht richtig hingesetzt, als ihnen schon meterhoch der Dreck entgegenspritzt. Was mag in ihnen nun vorgehen? Der Lehrer hat etwas anderes versprochen. Auch die Mädchen hatten eigentlich Shakespeare erwartet. Nun sehen sie Blut und Schlimmeres. Aber sie kotzen nicht, das tun ja schon die Schauspieler.

Von der ersten Sekunde an stehen alle nackt auf der Bühne. Nur der König trägt etwas, eine verrutschte Papierkrone auf dem Kopf, damit man ihn erkennen kann. Der Zuschauerraum ist hell ausgeleuchtet, damit niemand unbemerkt fliehen kann.

Die Pause fällt aus, aus demselben Grund. Gäbe es eine, wäre anschließend das Haus leer - bestimmt hat man das schon oft ausprobiert. Von da aus ist es nicht mehr weit, dem letzten Kritiker mitten in der Vorstellung das Blöckchen zu entreißen und ihn mit derben Worten wie "Hau ab, du Arsch! Verpiss dich!" einzuschüchtern.

Aber der westliche Mensch ist liberal. Gott sei Dank. Er relativiert gern. Könnte nicht auch die andere Seite recht haben? Musste Stadelmaier unbedingt ein Blöckchen mitbringen? Hätte er seine Eindrücke nicht auch nach der Vorstellung aufschreiben können? Hätte er nicht weiter hinten und unbemerkt sitzen können? Und überhaupt: Warum kritisiert er so viel?

Während ich darüber meditiere, wird minutenlang auf der Bühne gepinkelt. Erst der eine, dann der andere, dann noch einer, dann furzen sie (Tonband aus dem Off), dann scheißen sie einen halben Akt lang und so weiter. Im Publikum ist nun echtes Unbehagen. Kopfschütteln, Frauen verziehen das Gesicht. Einer Schülerin ist schlecht, sie will raus. Auch andere wollen raus, trotz der gnadenlosen Scheinwerfer.

Ein Rinnsal von Flüchtenden bildet sich, Vertriebene aus dem Theaterland, Alte, Gebrechliche, Enttäuschte, manche weinen. Etwa ein Drittel des zahlenden Publikums verlässt das Haus vorzeitig, trotz der Schikane.

Die Inszenierung wurde von der Kritiker-Jury des Theatertreffens als eine der zehn besten Inszenierungen der Saison nach Berlin eingeladen. Was geht in Kritikern vor?

Der Großkritiker in seiner Burg. Der Kritiker Stadelmaier lehnt es ab, in dieser Jury mitzuwirken. Sein Raum besteht fast nur aus Büchern, manche hat der gefürchtete Herr selbst geschrieben. Buschige dunkle Augenbrauen, ein bohrender Blick. Ein atypisch aussehender Kritiker, nicht klein und bebrillt, sondern wuchtig, kolossal, angriffsbereit. Der ist auf dem Pausenhof nie verprügelt worden, der musste sich nie in die Bücher flüchten, vor dem hatten selbst die Lehrer Angst. Ich nehme mein Herz in die Hände und frage: "Herr Stadelmaier, wie konnte dieser lächerliche Happening-Stil aus den Siebzigern so lange überleben?"

"Dieses Theater wird verschwinden", antwortet er, "weil irgendwann das Publikum wegbleibt."
Ich frage, warum er noch immer hingeht. Sich das antut. Seit über zehn Jahren leidet er darunter, hört man doch. Er ignoriert die Frage, ganz Pflichtmensch alter Schule, spricht ein paar Minuten über seine Kinder, denen er sein Theater in Erzählungen und sogar Kinderbüchern nahegebracht hat. Seine Kohleaugen glühen, und ich spüre, was ihn noch aufrechthält.
Dann redet er vom "Rübenrauschtheater": Alles, was dem Regisseur während der Proben durch die Rübe rauscht, werde umgesetzt. Ohne dass es durch den Text überprüft werden könne. Es handle sich folglich um völlige Beliebigkeit. So beliebig wie das Zeug, das Menschen normalerweise nachts träumen. "Genau deswegen langweilt es immer so, wenn einem die Freundin ihre Träume erzählt beim Frühstück", pflichte ich ihm eifrig bei.

Goethe in Frankfurt. Nächster Versuch: Goethes "Egmont" in der Goethe-Stadt Frankfurt. Das dortige Theater hat die Sprachverhunzung schon im Namen, wie ein Programm: "schauspielfrankfurt", kleingeschrieben und zusammen. Da ahnt man die offene Bühne, den Verzicht auf Werktreue, auf Kostüme und Bühnenbild bereits beim Kauf der Karte.
Von außen sieht das Haus aber wunderschön aus. Dieses zukunftsfrohe Leuchten und Glitzern der echten Moderne, die noch keine Postmoderne ahnte. Glas, Stahl, von diesem Tempel inmitten der Stadt wird der Theaterbesucher bestimmt angezogen. Und umso schrecklicher enttäuscht.

Denn wieder sehe ich diese selbstgeschnitzten Blödmannszenen, dieses Punk- und Rock-Zeug, alles vom Regisseur geschrieben, von Goethe nur die Stichworte, das sogenannte Material. Der Regisseur hat das Wort "Vaterland" im Goethe-Text entdeckt. Hey, Mann, "Vaterland"! Das heißt natürlich: Pflichtprogramm. Nämlich 35 Minuten lang "patriotische" Stellen von allen deutschen Klassikern und Nichtklassikern ins Publikum schreien. Die circa 40 Schauspieler bilden einen Chor und brüllen los. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Brüll! Kreisch! Donner! Schepper! Mein lieber Herr Gesangsverein, heil Hitler aber auch, denke ich.

Da hat der Regisseur den verlogenen Goethe mal wieder so richtig schön "dekonstruiert". Als latenten Nazi? Den Geheimrat, echt? All die hässlichen deutschtümelnden Sätze waren doch von anderen!

Das Kritikerblöckchen im Einsatz. Dass auch wieder "die Sau rausgelassen" wird, interessiert mich kaum noch. Der Schock hat sich durch den "Macbeth" am Vorabend verbraucht. Nachdem ich nackten, meist alten Männern beim Kacken auf dem Donnerbalken zugeschaut habe, kann mich jetzt das wilde Beischlafgestöhne des Campino-Lookalike mit dem Punk-Klärchen im nassen Schlamm nicht mehr erreichen. Ich langweile mich.

Das Klärchen zieht sich aus, der Egmont zieht sich aus, aber Klärchen finde ich hässlich, und Egmont ist ein Mann. Warum isst Wilhelm von Oranien einen Joghurt von Ehrmann? Wieso wird immer nur geflüstert oder geschrien? Warum stecken die Beine vom Prinzen von Gaure in einem Teddysack? Oder war es der Herzog von Alba, als Penner verkleidet? Und wozu muss er mit einem Klebeband vom Baumarkt zugepflastert werden, und die Kalaschnikow fällt aus dem Koffer, und Pink Floyd spielt dazu?

Ich notiere mir diese entscheidenden Fragen gerade in mein Blöckchen, als eine Schauspielerin auf mich zutritt und mich ins Stück miteinbeziehen will. Natürlich: Sitze ich nicht genau auf dem Platz, auf dem Stadelmaier, der größte und letzte deutsche Theaterkritiker, körperlich angegriffen wurde?

Wie in einem Reflex halten meine beiden Hände mit größtmöglicher Kraftentfaltung das geliebte Blöckchen fest. Wenn die Frau jetzt trotzdem stärker ist, reißt es mir die Innenhaut der Hand auf! Also, wenn sie zugreift. Aber sie tut es nicht, sondern hält mir einen Luftballon hin. Ich ergreife ihn. Die Zuschauer erstarren. Dann fordert sie das Publikum auf, in der Pause mit den Schauspielern zu diskutieren. Über Stadelmaier, denke ich sofort. Aber dann höre ich, es solle über das Stück gehen, über die Möglichkeit einer Revolution im heutigen Deutschland. Daraus wird dann nichts, denn die Zuschauer denken nicht daran. Ich halte mich an meine Schauspielerin, wir lernen uns kennen und treffen uns nach dem Stück in der Theaterkantine.

Die gemütliche Theaterkantine. Hier geht es gemütlich zu, in so einer typischen Kantine eines deutschen Subventionstheaters. Hier sind die Theaterleute unter sich, und auch sonst sind sie ja immer unter sich. Sie haben den schönsten Beruf der Welt. Sie sind sich selbst eine große Familie. Sie agieren sich aus, bei den Proben, auf der Bühne, aber auch sonst, und paaren sich untereinander und trennen sich untereinander und haben ganz, ganz viele ganz, ganz liebe Freunde überall untereinander. Außerhalb des Theaters kennen sie niemanden.

Eine Unterschriftenliste wird von Tisch zu Tisch gereicht. Genervt unterschreiben die Leute. Irgendeine Petition. Sicher wichtig, denke ich und frage die Frau, die damit herumläuft; es ist die Intendantin. Sicher eine politische Resolution gegen Stadelmaier. Er ist jetzt der große Feind. Er bedroht irgendwie durch seinen "Fall" das ganze staatlich geschützte Biotop, und das "wehrt" sich jetzt bestimmt. Ich frage: "Politische Sache, wie?" "Ja, es geht um die neue Raucherverfügung." Nichtraucher und Raucher sollen besser oder anders voneinander getrennt werden. Auf der Petition lese ich: "Vor dem Hintergrund, dass diverse Gespräche mit dem Betriebsrat, der Frauenbeauftragten, der Schwerbehindertenvertretung sowie auch dem Arbeitskreis Betrieblicher Gesundheitsförderung ..."

Da kommt die Intendantin wütend an meinen Tisch und fragt, was ich in der Kantine zu suchen hätte. Hier kämen grundsätzlich keine theaterfremden Leute rein!
"Kann ich mir denken", murmele ich.

Bloß schnell weg. Auf nach Hamburg, auf zu Horváths Menschen-im-Hotel-Stück "Zur schönen Aussicht". Das wird sicher keine Ferkelei! Nicht in diesem schönsten aller deutschen Theaterhäuser. Mit dem die Hamburger ihren Größten, nämlich den Theaterkritiker und Dramaturgen Gotthold Ephraim Lessing, ehrten, und zwar dadurch, dass sie es im Stil des wunderschönsten Hochbarock ausschmücken ließen.

Die Hamburger Bürger kommen auch heute in tadelloser Garderobe und füllen die Plätze. Ich atme tief durch. Zu früh gefreut. Ein dicker Mann zieht sich aus, stellt sich nackt und breitbeinig mit gezogenem Glied vor den Kopf einer liegenden jungen Frau, schreit sie an, sie solle seinen Pimmel in den Mund nehmen und so weiter, steigert sich dabei in einen Schreikrampf, und das als "verklemmt" bekannte Hamburger Publikum buht. Skandal, Skandal. Gewagt, gewagt. Theater muss "gewagt" sein. Grenzen überschreiten. Leider ist diese Aufführung dann noch viel schlechter als die anderen beiden. Die Schauspieler berserkern.

Manchmal denke ich, es müsste bestürzend oder komisch sein, wenn man plötzlich keine Popmusik mehr hören könnte. Wenn sie einfach nie mehr gespielt würde.

Und stattdessen gäbe es nur noch falsch imitierte Zwölftonmusik. Nicht die echte von Schönberg, sondern beliebiges, selbstgebasteltes Dröhnen, Ächzen und Klingeln. Und man würde 10, 20, 30 Jahre nur noch diesen kranken Lärm hören. Und wer sich noch an die Beatles, die Strokes oder an Tokio Hotel erinnerte, wäre ein Spießer, ja der Feind! Und Diedrich Diederichsen würden sie das Blöckchen zerreißen ...

Ich wachte auf. Immer noch war ich in der so faden wie deprimierenden "Zur schönen Aussicht". Wie schön es wäre, die von Horváth angelegten Konflikte nicht von völlig verrohten, entstellten, karikierten Menschen ausgetragen zu sehen, sondern von echten! Wenn nicht alle Männer Schweine und Proleten, nicht alle Frauen Schlampen wären!

Bochum, Schauspielhaus. Das deutsche Theater, denke ich, ist verloren. Doch anderntags sitze ich im Bochumer Schauspielhaus und erlebe ein Wunder. Auf dem Programm steht Oscar Wildes Komödie "Ein idealer Gatte". Und ich sehe - Oscar Wilde.

Regisseur Armin Holz macht kein "Gleichheitszeichentheater" wie alle anderen, nach dem Motto Faust = Gerd Schröder, Macbeth = Angela Merkel als Mann, Wallenstein = Boris Becker, gespielt von einem transsexuellen Zwillingspärchen.

Er lässt sein Stück tatsächlich dort stattfinden, wo es geschrieben wurde, im Jahr 1895, mit entsprechenden Dandy-Kostümen. Holz brachte das Haus offenbar sogar dazu, einen Vorhang anzuschaffen, und lernte, wie man ihn auf- und zuzieht. Er erzählte mir in dem Lokal "livingroom" in der Fußgängerzone von Bochum, dass es tatsächlich keinen Vorhang am Theater gab. Eine völlige Überrumpelung also jetzt: Es gibt vier Akte und eine Pause! Und einen Vorhang. Wahnsinn!

Die Schauspieler sprechen den Text von Oscar Wilde, und zwar nicht in einer verballhornten Übersetzung, sondern einer exakten. Die Paradoxa Wildes werden in ihrer ausdrucksstarken Schwebe gelassen und nicht in sexuelle Eindeutigkeiten überführt. Die Schauspieler können sprechen, man versteht in der letzten Reihe jedes Wort. Die Zuschauer lachen oft und freundlich. Armin Holz braucht keine Video-Einspielung, keine Rockmusik und nicht das Kino. Ihm reicht der Text, und er bewundert seine Schauspieler. Und die spielen so glänzend, dass einem das Herz aufgeht.

Sebastian Koch, bekannt aus "Speer und Er", gibt einen wunderbar verkommenen, liebenswerten, aufregend präsenten und doch immer leisen Lord Goring, und Markus Boysen ist viril, unfassbar viril, und man hat schon ganz vergessen, dass Männlichkeit so aussieht, etwa wie Marcello Mastroianni in seinen ersten Filmen. Margit Carstensen ist von hochbürgerlicher "Lieblichkeit", und die größte Überraschung ist die 25-jährige Claude de Demo, die neben der Carstensen nicht verblasst. Premierenbeifall: 13 Minuten. Ich kämpfe mit den Tränen.
"Wer heute als Schauspieler noch eine Figur richtig spielen und nicht dekonstruieren will, muss normalerweise zum Film gehen", sagte mir Armin Holz vorher. Bei ihm dürfen sie sprechen. Wie schön!


Oscar Wilde und die Vogelgrippe


Ach, hätte Stadelmaier das miterleben können! Aber er verbarrikadiert sich wohl besser in seiner Frankfurter Redaktionsstube. Denn die argwöhnische Raucherverordnungs-Intendantin Elisabeth Schweeger hat nun zur großen Gegenattacke geblasen. Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt: "Der Skandal ... geht in eine neue Runde. Nun hat sich das Theater zur Wehr gesetzt. Man werde es nicht hinnehmen, dass so ein bedauerlicher Vorfall wie dieser dazu genutzt wird, den Kunstraum Theater und die künstlerische Freiheit der dort tätigen Künstler einzuschränken', heißt es in einer Erklärung."

Sicher wird es nun zu vielen Solidaritätsaktionen kommen, zu Podiumsdiskussionen, Lichterketten und umgedichteten Singspielen an der Berliner Volksbühne. Claus Peymann hatte dem Schauspieler Lawinky, der Stadelmaier so nachhaltig medienwirksam den geliebten Spiralblock entriss, in seinem Ensemble "Asyl" gewährt. Überhaupt sind sich so ziemlich alle einig in dieser verdorbenen Branche, dass Stadelmaier "nun wirklich" zu weit gegangen ist.

Auch die anderen Theaterkonformisten werden sich nicht lumpen lassen und irgendein Crossover von Stadelmaier, Bayreuth und Vogelgrippe aufführen. Und irgendwann dann wird der letzte Zuschauer zum Mitspielen animiert. Und das wäre dann das Ende von 250 Jahren deutscher Theatergeschichte.
 

Debatte ums moderne Regietheater

Der Streit begann mit einem entrissenen Notizblock:
Während der Premiere von Sebastian Hartmanns Interpretation des Ionesco-Stücks "Das große Massakerspiel oder Triumph des Todes" auf einer Nebenbühne des Frankfurter Schauspiels riss der Darsteller Thomas Lawinky, 41, Mitte Februar dem Kritiker Gerhard Stadelmaier, 55, den Schreibblock aus der Hand - mit den Worten: "Mal sehen, was der Kerl geschrieben hat."
Zwar gab Lawinky den Block sogleich zurück, "FAZ"- Chefkritiker Stadelmaier aber stand auf und verließ das Theater, während ihm der Schauspieler nachrief: "Hau ab, du Arsch!"

Folge des Eklats:
Der Schauspieler Lawinky wurde aus seinem Gastvertrag in Frankfurt entlassen, die Frankfurter Aufführung musste umbenannt werden, weil der deutsche Verlag Ionescos befand, Hartmanns Inszenierung (neuer Titel "Being Lawinky") nutze allenfalls zehn Prozent der Stückvorlage.

Vor allem aber löste die Attacke, die Stadelmaier als Angriff auf die Pressefreiheit wertete, eine heftige Debatte um die Auswüchse des modernen Regietheaters aus. Während viele deutsche Theatermacher im aktuellen Bühnen-Kulturkampf ihr Recht auf künstlerische Freiheit betonen, sehnen sich einige Kritiker nach werktreueren Inszenierungen.

Für den SPIEGEL beschreibt in dieser Woche der Schriftsteller Joachim Lottmann einige aktuelle Aufführungen aus der Sicht eines gelegentlichen Theaterbesuchers. In der nächsten Woche folgt von Wolfgang Höbel ein kritisches Loblied auf das zeitgenössische Regietheater.

Zitatende

Quelle: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46160414.html

Was andere schrieben

 

 

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Richard-Wagner-Verband Ortsverband Chemnitz e.V.

Vorsitzender Matthias Ries-Wolff,
Ricarda-Huch-Straße 5, 09116 Chemnitz

Liebe Mitglieder des Chemnitzer RWV, ganz still ist das neue Jahr gestartet; man hat kaum mitbekommen, dass schon Januar war:
Keine Premiere, keine Kulturnachrichten, Funkstille.
Aber Nicht-Nachrichten können auch interessant sein:
So ist z.B. der Vertrag von Christian Thielemann als Musikdirektor der Bayreuther Festspiele zum Jahresende 2020 ausgelaufen. 
Einer Verlängerung scheint also irgendetwas entgegenzustehen...
Apropos Thielemann:
An der Semperoper tobt mal wieder ein Machtkampf. Der GMD wollte mit der Staatskapelle eine symphonische Dichtung von Richard Strauss proben und der Intendant Peter Theiler hat's verboten.
100 Musiker in einem Saal, das ginge gar nicht.
Nun ist das Landesarbeitsgericht Chemnitz mit dem Fall beschäftigt, denn fünf Musiker klagen darauf, dass sie arbeiten dürfen.
Theiler hat gesagt, Thielemann solle mit kleinem Orchester proben.
Na dann, frei nach Mozart: Eine Gute-Nachtmusik!

Im Dezember wurde an der Staatsoper Berlin LOHENGRIN in einer Neuinszenierung von Calixto Bieito aus der Taufe gehoben.
Das Publikum durfte dies nur zu Hause vor dem TV oder Computer verfolgen.
CB hat nicht enttäuscht und Fragwürdiges geliefert:
Der Kampf zwischen Lohengrin und Telramund läuft so ab, dass sich der Chor teilweise entkleidet und mit roter Farbe einschmiert, während Telramund allein durch den knallharten Blick von Lohengrin niedergezwungen wird, während ein stark an Parkinson leidender König Heinrich zusammen mit seinem Hofnarr-Heerrufer zuschaut.
Wie man hier, wie Teile der Presse lobten, einen „packende Politthriller" erkennen kann, ist nicht nachvollziehbar.

Ich habe ja eine hohe Toleranzschwelle, aber im zweiten Akt hatte der Impuls des Abschaltens gesiegt. Hinzu kommt, dass musikalisch nur die beiden Damen, Ekaterina Gubanova als Ortrud und Vida Mikneviciute als Elsa überzeugen konnten. René Pape als Heinrich erschien müde. Am Pult der Staatskapelle stand Matthias Pintscher, der "eine Rekonstruktion des Klangs der Weimarer Hofkapelle" geschaffen habe. Die Musik klingt, als würde ein Kammerorchester spielen. Und trotz der kleinen Besetzung hatte Roberto Alagna hörbar Mühe, der Titelpartie gerecht zu werden. Sollte dieses eines Tages auf CD oder gar DVD erscheinen, ich könnte Ihnen die Anschaffung nicht empfehlen.

Was kommt demnächst?
Man weiß es nicht, weil die Damen und Herren Politiker auf die 1., 2., 3.,  ...  erwartbare Mutation des Virus mit einer Lockdown-Verlängerung reagieren?
Man braucht keine vertieften Kenntnisse der Evolution, um zu wissen, dass die Überlebensstrategie eines jeden Lebewesens darin besteht, sich zu verändern und anzupassen. Dies gilt auch für einen kleinen Virus. Wie viele Mutationen wollen wir denn abwarten? Aus der sächsischen Staatsregierung hört man, dass es einen 4-Stufen-Plan gebe, der als größtes Zugeständnis an die Bevölkerung vorsieht, dass Veranstaltungen bis 1000 Personen zugelassen werden könnten, wenn die Inzidenz unter 35 liegt. Ein Leben ganz ohne Beschränkungen und Masken ist hingegen nicht geplant. An diesem Wochenende hätten einige Fasching gefeiert und andere hätten die Koffer gepackt, um nach Berlin zufahren:
An der Staatsoper steht die Premiere von Jenufa unter der musikalischen Leitung von Simon Rattle mit drei tollen Damen auf dem Programm, aus aktuellem Anlass unter Ausschluss von Publikum: In der Titelrolle Camilla Nylund, als Küsterin Evelyn Herlitzius und als alte Buryjovka Hanna Schwarz. 3Sat übertrug am 13.02. ab 20.15 Uhr. Falls Sie vorsichtshalber keine Bilder mochten, war Ihnen das Radioprogramm von BR-Klassik am 14.02. ab 19.05 Uhr empfohlen.

Auf keinen Fall sollten Sie sich auf der Webseite der Staatsoper Hannover die Corona-Version von Carmen anschauen: Im Finale wurde der Chor eingespart, stattdessen schreien Balletttänzer den Text.
Kopfschütteln bereitet das Begleit-Filmchen mit dem Titel "Worum geht es eigentlich in ...Carmen".

Im Namen des Vorstandes grüße ich Sie sehr herzlich!

Matthias Ries-Wolff
Zitatende

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Richard-Wagner-Verband Ortsverband Chemnitz e. V.
Vorsitzender Matthias Ries-Wolff, Bauernweg 90, 09117Chemnitz, den 05.03.2021
Liebe Mitglieder des Chemnitzer RWV, anstatt sich über den kommenden Frühling zu freuen, sind noch immer Corona, Covid-19 und seine Mu-Tanten das beherrschende Thema. Sofort fiel mir der „Vetter aus Dingsda" ein, bei dem es heißt: "Onkel und Tante, ja das  sind Verwandte, die man am liebsten nur von hinten sieht!" Ganz so einfach scheint es bei Corona nicht zu funktionieren, aber neben der wiederholt angesprochenen Unzulänglichkeit  der Politiker müssen auch einmal Defizite in den Medien angesprochen werden:

Warum wird nicht unterschieden zwischen den Infizierten und den tatsächlich Erkrankten?  Und warum wird die Impfungsquote nur beiläufigen die Bewertung der Gefährdungslage mitaufgenommen? Und was in dieser Woche als Ergebnis des Kabinetts bestehend aus der Bundeskanzlerin und den Länderchefs (gibt's eigentlich eine staatsrechtliche Legitimation dafür, dass dort Beschlüsse gefasst werden?) für die Kultur in Aussicht gestellt wurde, ist so vage, dass weder die Intendanten noch wir Zuschauer planen können. Wir hungern nach Kultur! Aber das, was von den Plänen bekanntwird, kann manchmal nur als grober Unfug bezeichnet werden: In Hamburg soll demnächst an der Hochschule DAS RHEINGOLD stattfinden, allerdings in 75 Minuten und nur in Begleitung von zwei Klavieren. Das kann man doch ernstlich niemandem empfehlen! Natürlich gibt es auch Menschen, die noch nie diesen Vorabend des RINGs gesehen oder gehört haben, aber denen empfiehlt man zunächst eine Werkeinführung von Stefan Mickisch und danach eine der vielen wunderbaren Gesamtaufnahmen auf CD oder DVD, zum Beispiel den Jahrhundertring von Patrice Chéreau und Pierre Boulez aus Bayreuth.

Stefan Mickisch, der kongeniale Musikerklärer, ist am 17.02.2021 den Folgen seiner Depression erlegen. Das ist sehr traurig! Er wurde 58 Jahre alt.
Im Namen des Vorstandes grüße ich Sie alle sehr herzlich, Matthias Ries-Wolff
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Leoš Janáček - Jenufa

Wie der Vater sollte er Lehrer werden, studierte in Brünn, legte dort die Lehrereignungsprüfung ab und unterrichtete an der Lehrerbildungsanstalt.
 
Sein Wissen erweiterte er durch Studien in Leipzig und Wien, kam aber schnell zu der Erkenntnis, dass er sich als Lehrer an einer Schule nicht eignete.
 
Durch pädagogische Aktivitäten außerhalb eines Schulbetriebes verdiente er den Lebensunterhalt und nutzte die übrige Zeit zum Studium und Sammeln von Volksliedern.
 
Selbständig machte er sich mit der Wortmelodie einer Sprache vertraut und  richtete seine Opern-Kompositionen nach dem Sprachfluss des Tschechischen aus.
 
Als Max Brod seine 'Jenufa' ins Deutsche übersetzte, stand er vor dem Problem der Anpassung dieser Sprache an die Komposition.
 
Das schlaue Füchslein', 'Die Sache Makropulos', 'Katja Kabanowa', 'Aus einem Totenhaus', 'Jenufa' - alle auf den Spielplänen der internationalen Theater.
Weniger populär sind 'Der Beginn eines Romans', 'Die Ausflüge des Herrn Broucek', 'Sarka' und 'Schicksal'.
Jenufa' 1994 am Theater Regensburg in der Inszenierung von Saskia Kuhlmann.
Susan Salms-Moss in der Titelrolle, Christian Franz als Laca und die als Elektra international bekannte Pauline Tinsley als Küsterin.
Ein großer Publikumserfolg in dem heißen Sommer war es nicht, Janacek hat noch immer seine Probleme - diejenigen, die aber damals ins Theater Regensburg kamen, fanden es gut.

Heute läuft die ‘Jenufa‘ an der Lindenoper.
Die Bühne ein Glaskasten, von allen Seiten einsehbar und - auch indirekt - beleuchtet.
Minimale Ausstattung, Symbole, die den Inhalt der Handlung sichtbar machen sollen.

 

 

 

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Damiano Michieletto schafft in seiner Neuinszenierung an der Staatsoper Unter den Linden Berlin mit der als Live-Stream im Internet sowie als Fernsehübertragung bei 3SAT gefeierten Premiere eine fast schon rar gewordene Mischung von Theatertugenden: Seine präzise, psychologisch ausgefeilte Personenregie zeugt von absoluter handwerklicher Beherrschung und sie lauscht dabei jeder Nuance der Partitur und ihrem Ton der Empathie für all die menschlichen Abgründe, die sich in dieser Geschichte auftun. So wenig Leoš Janáček über die Doppelmoral der Küsterin richtet, so wenig muss es der Regisseur tun. Komponist und Regisseur leiden gleichsam gemeinsam mit. Michieletto und seine Ausstatter finden Bilder, die im Archetypischen das Aktuelle aufspüren, etwa wenn sie das Eis, unter dem der tote Knabe im Frühling auftaucht, zur zentralen Bühnenmetapher des finalen Aktes machen: Ein umgekehrter Eisberg drückt sich mit der Spitze nach unten langsam durch die Decke, immer mehr Wasser tropft daraus am Ende auf die Küsterin hinab – als ein dialektisch doppeltes Zeichen: Die Wahrheit ihres Verbrechens kommt ans Licht. Und die vereisten Seelen der Dorfgemeinschaft erhalten nach all den Verkrustungen der Vergangenheit die Chance auf Verflüssigung, womöglich gar Auflösung, Erlösung.


Poetischer Realismus

Poesie und Realismus gehen hier fruchtbar Hand in Hand. Und Michieletto beweist, dass es einen klugen dritten Weg zwischen deutschem Regietheater mit seinem Dekonstruktionsfuror und italienischer Opernbebilderung mit seiner sängerischen Statik gibt. Michieletto hat in der Tat in beiden Opernwelten Erfolg – nicht als Kompromisskandidat, sondern als ein Künstler, der Kunst kann, will sagen, der aus Werk-Kenntnis und Werk-Respekt heraus seine Deutungsfantasie gebiert, die er dann mit enormer Detailgenauigkeit zu realisieren weiß.

Sängerdarsteller von Weltformat

Grandios, wie er mit ganz starken Sängerdarstellern die Figuren formt. Camilla Nylund, die als Jenufa mit langen blonden Haaren zu Beginn der Handlung eine rote Decke für ihr bald geborenes Baby strickt, darf sich in den zwei spannungsprallen Stunden vom unbedarften Mädchen und Opfer, das sich in den komplett Falschen verguckt hat, zu einer ihrer selbst bewussten jungen Frau entwickeln, die ihr Leben selbst in den Griff kriegt und ihm die entscheidende positive Wendung verleiht. Mit ihrem anrührenden Marschallinen-Sopran vollzieht Nylund diese Wandlung kontinuierlich nach. Ladislav Elgr ist mit seinem fast immer eine Spur übersteuert gefährdetem, enorm vehementen Heldentenor ihr präpotent toller Hecht Steva, der über ein Übermaß an Gewaltpotential und Reizbarkeit wie an Hormonen verfügt. Das männliche Gegenbild gibt Stuart Skelton mit seinem deutlich anschmiegsameren jugendlichen Heldentenor und leiht Laca, der Jenufa am Ende in ein neues Leben und eine in einer besseren Welt auch wirklich möglichen Liebe führt, den sympathisch tumben Charme eines Parsifal.

Evelyn Herlitzius gibt der Küsterin die konzentriert intensive Sopranschärfe einer kalt gewordenen, strengen oder doch einfach nur prinzipienfesten Frau, die durch die Moral der Kirche ein Leben lang geprägt wurde.

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Quelle: https://www.concerti.de/oper/staatsoper-berlin-jenufa-13-2-2021/

 

 


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Großversagen:
Warum muss der Karlsruher Theater-Generalintendant Spuhler jetzt erst gehen?



Sein Vertrag endet nun zum Saisonende: Peter Spuhler. Foto: dpa

 

Karl Georg Berg - Birgit Möthrath - Sonntag, 20. Dezember 2020 - 18:01 Uhr

Die Kritik an seinem autoritären Führungsstil wollte nicht verstummen, die Krise ließ sich nicht einfach aussitzen: So hat der Verwaltungsrat des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe beschlossen, zum Sommer den Vertrag mit seinem Generalintendanten Peter Spuhler aufzulösen. Es wird jedoch nicht reichen, nur die Person auszutauschen.

Es muss für die Verwaltungsratsmitglieder ein Spießrutenlauf zu ihrer Sitzung im Juli gewesen sein, dieses Spalier von rund 300 Beschäftigten mit Protestplakaten vor dem Saal. Schon zuvor hatte sich Außergewöhnliches zugetragen: Schwere Vorwürfe von Operndramaturg Boris Kehrmann, der – nicht als einziger – um vorzeitige Vertragsauflösung gebeten hatte, haben eine wahre Palastrevolution entfacht. Der Personalrat stellte sich hinter Kehrmann mit einem offenen Brief, in dem er ein „toxisches Arbeitsklima“ anprangert. Von „Kontrollzwang“ Spuhlers war die Rede, von rüdem Umgangston, beständigem Misstrauen, „cholerischen Ausfällen“.

Doch der Verwaltungsrat, an dessen Spitze die baden-württembergische Kunstministerin Theresia Bauer (Grüne) und der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) stehen, scheint den Ernst der Lage nicht erkannt zu haben. Wie schon ein Jahr zuvor, als trotz vielfacher mahnender Gespräche die Intendanz Spuhlers für fünf Jahre verlängert worden war – vielleicht, weil man einem Neuling nicht die anstehende Generalsanierung des Hauses zutraute. Vielleicht, weil man sich selbst nicht glaubte, jemanden zu finden, der sich die Leitung eines Spielbetriebs bei laufenden Bauarbeiten zumutet.
 

Zögern kostet Geld, es heißt: 1,4 Millionen Euro

Das Zögern wird Stadt und Land nun teuer zu stehen kommen. Denn nachdem der Skandal nicht einfach auszusitzen war, hat der Verwaltungsrat Ende November doch noch die Reißleine gezogen und beschlossen, mit Spuhler über eine Vertragsauflösung zu verhandeln. Und der hat Ministerin Bauer zufolge auch schon grundsätzlich zugestimmt – jetzt geht es noch um die Höhe der Abfindung für einen Vertrag, der Insidern zufolge ein Volumen von 1,4 Millionen Euro hat.

Neben der Trennung vom umstrittenen Generalintendanten ist nun auch die Entscheidung gefallen, dessen Stelle nicht einfach neu zu besetzen. Eine Kommission soll zunächst eine Interimslösung ausarbeiten. Eine weitere Kommission soll sich mit der Frage der künftigen Leitungsstruktur befassen. Denn der hausintern zaghaft gestartete Reformprozess soll mit professioneller Begleitung fortgesetzt werden.
Der Personalrat hat bereits gefordert, dass die hierarchischen Strukturen aufgebrochen werden, mehr Teilhabe und Transparenz ermöglicht werden müssen. Wenn nicht, bekomme man unter einem neuen Generalintendanten im schlechtesten Fall das gleiche Problem, heiß es. Die kulturpolitische Sprecherin der Karlsruher SPD-Gemeinderatsfraktion Elke Ernemann sprach gar von einem Modell Sonnenkönig, das nicht mehr zeitgemäß sei.

Stattdessen ist nun das Stuttgarter Modell im Gespräch. Karlsruhe hat eine bundesweite Diskussion angefacht, wie problematisch die längst überholten autokratischen Strukturen an deutschen Theatern sind. In Stuttgart hatten sich die drei Sparten bereits 1992 darauf geeinigt, die Generalintendanz abzuschaffen zugunsten gleichberechtigter künstlerischer Intendanten von Oper, Schauspiel und Ballett. Die Gesamtleitung hat ein geschäftsführender Intendant. Das Modell diente auch dem Mannheimer Nationaltheater als Vorbild, als 2012 die damalige Generalintendantin Regula Gerber mit Burn-out ausschied.
 

Sprungbrett Karlsruhe, die Deutung hat Spuhler allein

Doch dem Karlsruher Personalrat schwebt eine noch weiterreichende Wandlung der Strukturen vor: ausdrücklich nicht nur eine Zerstückelung in Spartenintendanzen. „Die Lösung kann nicht sein, die Macht einfach auf fünf Sparten zu verteilen. Und wir müssen aufpassen, dass es keine Verteilungskämpfe gibt“, sagt die Vorsitzende Barbara Kistner. Die Selbstfindung in der Belegschaft nach der Intendantendämmerung steht hier aber noch ganz am Anfang. Kistner zufolge tauschen sich die Sparten gerade erst über ihre Bedürfnisse aus.
Wenn Wertschätzung, Motivation und Vertrauen die Währung für eine funktionierende Kommunikation sind, und die Leidenschaft, ohne die am Theater kein Funke aufs Publikum überspringen kann, dann hat Peter Spuhler sehr viel sehr gründlich in den Sand gesetzt. Ohne verbindende Kraft kann sich auch keine gemeinsame Handschrift entwickeln – mit diesem Vorwurf würdigen Kritiker das Badische Staatstheater zuweilen auf die Stufe eines Stadttheaters herab.

Eine Linie war in der Tat schwer auszumachen – auch angesichts der hohen Fluktuation am Haus. Dramaturg Kehrmann war beileibe nicht der Erste, der dem Haus den Rücken kehrte. Zuletzt sind die Dramaturgin Deborah Maier, die jetzt am Nationaltheater in Mannheim arbeitet, und der Erste Kapellmeister Daniele Squeo, jetzt Generalmusikdirektor am Pfalztheater Kaiserslautern, gegangen. Patric Seibert, Stellvertreter von Operndirektorin Nicole Braunger, hat gar um eine vorzeitige Auflösung seines Vertrags gebeten. Oberdirektor Joscha Schaback schmiss wie Kehrmann sogar ohne Folgevertrag das Handtuch. Spuhler interpretiert die Fluktuation öffentlich gerne als Zeichen, dass das Staatstheater Sprungbrett sei und große Talente für Höheres empfehle. Um eine Deutung von Fakten in seinem Sinne war Spuhler selten verlegen. Doch gerade eine Kritik des Operndramaturgen Kehrmann trifft ins Mark: Auf der Opernbühne kamen ein paar Altgediente immer wieder zum Zug, andere Positionen waren nicht besetzt. Das Ergebnis: Hatte Vorgänger Achim Thorwald noch einige Sänger, die sich auch nach Bayreuth empfahlen, gibt es aus der Ära Spuhler kaum einen Sänger oder eine Sängerin, der oder die Karriere gemacht hat.


Mehr Frauen, weniger Zuschauer

Es war jedoch nicht alles schlecht in Spuhler zehnjährigen Intendanz. So muss man ihm zugute halten, dass er die von seinem Vorgänger noch angestoßene Sanierung und Erweiterung durch persönliche Fürsprache in der Politik kräftig vorangetrieben hat. Auch inhaltlich hat der 55-Jährige, der seine Laufbahn 1991 als Dramaturg am Schauspielhaus in Wien begonnen hat, neue Akzente gesetzt: Er hat als neue Sparten das Junge Staatstheater und das Volkstheater gegründet, mit dem sich das Haus in die Karlsruher Bevölkerung öffnen wollte.

Auch in der Spielplangestaltung hat Spuhler das Theater zu modernisieren versucht mit neuen, oft aktuellen Themen und ungewöhnlichen Inszenierungen. In der Oper – Flaggschiff allein schon durch die Händel-Festspiele – gab es große Erfolge mit „Tannhäuser“ in der außergewöhnlichen Bildsprache der Lichtkünstlerin rosalie. Politische Stücke tauchten auf wie die multimediale Oper „Doctor Atomic“. Und die vier Teile von Wagners „Ring der Nibelungen“ ließ Spuhler von vier international renommierten Regisseuren inszenieren – gefeiert wurde vor allem die „Götterdämmerung“ von Tobias Kratzer. Der Opern-Spielplan mit „Wahnfried“, „Peter Grimes“ und den „Trojanern“ war durchaus interessant.

Im Schauspiel gab es zum ersten Mal eine der begehrten Einladungen zum Berliner Theatertreffen: mit dem Stück „Stolpersteine Karlsruhe“ über die Verfolgung jüdischer Künstler am Staatstheater während der NS-Zeit. 2017 wurde der Theatervorplatz nach dem jüdischen Hofkapellmeister Hermann Levi, einem Zeitgenossen Richard Wagners, benannt.

Eine weitere Duftmarke setze Spuhler mit der Besetzung der Chefetage durch etliche Frauen. Im Schauspiel kam Anna Bergmann, die bewusst einen emanzipatorischen Gegenentwurf zur noch immer stark männlich geprägten Theaterlandschaft propagiert.

In der ersten Spielzeit wurden beispielsweise ausnahmslos Regisseurinnen verpflichtet. Theoretisch und politisch liest sich das genussvoll, praktisch künstlerisch jedoch zuweilen weniger. „Die radikalen Setzungen müssen wohl erst ihr Publikum finden“, kommentierte Spuhler einen massiven Einbruch bei den Zuschauerzahlen.

Spuhler scheint ein sicheres Gespür für Schlagzeilen zu haben. Ob dabei auch etwas im Repertoire hängen bleibt, wie es sich für ein Staatstheater gehört, scherte ihn offensichtlich wenig. Fast alle Inszenierungen seiner Ägide verschwanden schnell wieder von der Bühne. Sie waren einfach nicht zugkräftig genug. Das Publikum wurde dann mit Produktionen aus der Ära Thorwald und Pavel Fieber bei Laune gehalten.

 

Ein Fall von sexueller Belästigung, auch das noch

Wie sich die Sparten bei diesem Erbe zusammenraufen, dürfte spannend werden. Zumal Opernchefin Nicole Braunger, über die schon länger Gerüchte die Runde machten, sie habe um vorzeitigen Vertragsauflösung gebeten, das Haus definitiv 2021 verlassen wird. Ihre Stelle ist schon ausgeschrieben.

Das Ballett schließlich hat gerade erst begonnen, sich neu zu erfinden. Der Schweizer Choreograf Pierre Wyss hatte zu Beginn des Jahrtausends mit einem sehr modernen, auf Tanztheater basierenden Ansatz das Karlsruher Publikum verschreckt und den Job schließlich hingeschmissen. Ihm folgte Birgit Keil – klassisch, aber mit Klasse. Jetzt ist sie nach 16 Jahren mit 75 Jahren in Rente gegangen. Ihre Nachfolgerin Bridget Breiner konnte im Corona-Shutdowm noch nicht so recht zeigen, welchen Weg sie einschlagen will.

Und wären das nicht schon genug Turbulenzen, hat das Badische Staatstheater auch noch mit einem Fall von sexueller Belästigung zu kämpfen. Viel Stoff für ein großes Drama.

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Quelle: https://www.rheinpfalz.de/kultur_artikel,-gro%C3%9Fversagen-warum-muss-der-karlsruher-theater-generalintendant-spuhler-jetzt-erst-gehen-_arid,5148214.html?reduced=true
 


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Bühne
Karlsruher Zustände kein Einzelfall:
Intendant Peter Spuhlers Zeit in Heidelberg

Marie- Dominique Wetzel

„Kann und wird Generalintendant Peter Spuhler seinen autoritären Führungsstil ändern oder nicht?“ Die verantwortlichen Politiker*innen stellen sich weiter hinter ihn. Doch viele Mitarbeiter*innen am Badischen Staatstheater haben nach mehreren gescheiterten Mediationsversuchen den Glauben daran verloren. Außerdem wurde jetzt bekannt, dass Spuhler ähnliche Probleme bereits am Theater Heidelberg, seiner vorherigen Wirkungsstätte, hatte.

Karlsruher Zustände kein Einzelfall: Intendant Peter Spuhlers Zeit in Heidelberg

Badisches Staatstheater Karlsruhe:
Intendant Peter Spuhler ist bereit aufzuhören

Generalintendant Peter Spuhler hat sein Einverständnis erklärt, seine Dienstzeit als Generalintendant am Badischen Staatstheater Karlsruhe vorzeitig zu beenden.
Wie das Kunstministerium am 18.11. mitteilte, werden Ministerin Theresia Bauer und der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup dem Verwaltungsrat Ende des Monats vorschlagen, den Dienstvertrag mit Spuhler ab September 2021 aufzulösen. (18.11.2020)

Ein bekanntes Muster

Die Berichte aus Heidelberg erinnern deutlich an die Zustände, die zur Explosion der Lage am Badischen Staatstheater in Karlsruhe geführt haben:

Spuhlers ehemalige Assistentin in Heidelberg, Iris Rüsing, und deren Kollegin Annette Schiffmann berichten in SWR2 von einem schwungvollen Beginn der Zusammenarbeit mit Peter Spuhler 2005, allerdings sei schnell klar geworden, dass der junge Intendant extreme Anforderungen an seine Mitarbeiter*innen stellte – Einsatz rund um die Uhr, Wunsch nach permanenter Kontrolle, keine kreativen Spielräume und Wutanfälle, wenn etwas nicht 1:1 seinen Vorstellungen entsprochen habe. Schiffmann, die 2007 in der Presseabteilung tätig war, erzählt außerdem von Sitzungen, in denen Spuhler andere Mitarbeiter*innen für Kleinigkeiten vor allen anderen abgekanzelt habe. Rüsing und Schiffmann verließen das Theater wenige Monate später.

Brief ehemaliger Mitarbeiter*innen aus Heidelberg

Auf Rüsings Posten habe es nach ihr keine persönliche Assistentin länger als zwei Jahre ausgehalten, so steht es in einem Brief, den dreizehn ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Theater Heidelberg unterzeichnet haben.

Sie seien „sprachlos und verletzt“, dass Peter Spuhler in Heidelberg weiterhin „glorifiziert“ werde. Und sie bedauern es, damals nicht den Mut gefunden zu haben, die Missstände öffentlich zu machen.

Mi, 21.10.2020 6:00 Uhr, SWR2 am Morgen, SWR2

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Links zu weiteren Quellen:

https://www.swr.de/swr2/buehne/staatsanwaltschaft-ermittelt-gegen-weitere-mitarbeiter-des-badischen-staatstheaters-100.htm


Professor für Theatermanagement: An vielen Theatern regiert die Angst - SWR2

Debatte um die Leitungsstrukturen an Theatern | 16.10.2020 - SWR2

Deckel drauf und weiter so? Große Sorgen am Badischen Staatstheater vor Spielzeiteröffnung - SWR2

Mutmaßliche Vergewaltigung im Badischen Staatstheater kommt vor Gericht - SWR Aktuell

Hinter den Kulissen – Das raue Klima am Arbeitsplatz Theater - SWR2

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/heikle-machtfuelle-der-intendanz-das-theater-als-arbeitsplatz-100.html

https://www.swr.de/swr2/buehne/mitarbeiter-innen-am-staatstheater-karlsruhe-wenig-beeindruckt-von-entschuldung-des-intendaten-spuhler-100.html

https://www.swr.de/swr2/buehne/ministerin-theresia-bauer-zum-streit-am-staatstheater-karlsruhe-es-hilft-nur-eins-klarheit-und-transparenz-herstellen-100.html

https://www.swr.de/swr2/buehne/neues-in-der-causa-badisches-staatstheater-karlsruhe-kunstministerin-theresia-bauer-aeussert-sich-erstmals-zur-sache-100.html

 


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Machtmissbrauch?
Intendant der Berliner Volksbühne hört auf

16. März 2021



Klaus Dörr (picture alliance / dpa-Zentralbild / Jens Kalaene)

Nach Vorwürfen mehrerer Frauen gibt der Intendant der Berliner Volksbühne, Klaus Dörr, seinen Posten ab.
Er werde seine Tätigkeit zum Dienstag beenden, heißt es in einer Erklärung des Theaters. Darauf habe sich Dörr mit Kultursenator Klaus Lederer (Linke) geeinigt. Die Senatskulturverwaltung bestätigte die Angaben. Für die gegen ihn erhobenen Vorwürfe übernehme er die komplette Verantwortung, wurde Dörr in der Mitteilung des Theaters zitiert. „Ich bedaure zutiefst, wenn ich Mitarbeiter*innen mit meinem Verhalten, mit Worten oder Blicken verletzt habe.“
Die „Tageszeitung“ hatte berichtet, dass sich mehrere Frauen über das Verhalten des Intendanten beschwert haben. Dem Bericht zufolge hatten sie sich an die Vertrauensstelle Themis gewandt, die nach dem #MeToo-Skandal in Deutschland eingerichtet worden war.

Mitarbeiter hätten „von Vorfällen des Machtmissbrauchs, des Mobbings, verbaler Gewalt und sexueller Belästigung“ berichtet, sagte Lederer im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses. Ein Gespräch mit den betroffenen Frauen habe am 21. Januar stattgefunden. Ein Gespräch mit Dörr von Anfang März werde noch ausgewertet.

Die Berliner Volksbühne gehört zu den bekanntesten Theatern des Landes. Das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz hat in den vergangenen Jahren mehrfach Schlagzeilen gemacht. Es stand lange unter der Leitung von Frank Castorf. Als nach ihm der belgische Kurator Chris Dercon übernehmen sollte, gab es Proteste in der Kulturszene. Vorübergehend wurde das Haus auch besetzt. Nachdem Dercon seinen Posten vor drei Jahren aufgab, übernahm Dörr die Leitung. Er sollte das Theater vorübergehend führen. In diesem Jahr war nun ohnehin ein Wechsel geplant – dann soll wie vorgesehen der Regisseur René Pollesch übernehmen.

Diese Nachricht wurde am 16.03.2021 im Programm Deutschlandfunk gesendet.
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Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/machtmissbrauch-intendant-der-berliner-volksbuehne-hoert-auf.2849.de.html?drn:news_id=1238131
 

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Machtstrukturen im Theater
Die Alleinherrschaft der Intendanten abschaffen

Thomas Schmidt im Gespräch mit Vladimir Balzer

Der Rücktritt des Volksbühnen-Intendanten Klaus Dörr verdeutliche das Problem des „Ein-Personen-Regimes“ am Theater, sagt Theatermanagement-Professor Thomas Schmidt. Gremien mit Beteiligung der Mitarbeitenden seien der Zukunftstrend.

Nachdem ihm mehrere Frauen sexualisierte Grenzüberschreitung vorgeworfen hatten, hat der Intendant der Berliner Volksbühne, Klaus Dörr, seinen Posten abgegeben. Für die gegen ihn erhobenen Vorwürfe übernehme er die komplette Verantwortung und gebe sein Amt im Einvernehmen mit der Senatsverwaltung für Kultur und Europa auf, wurde Dörr in einer Mitteilung zitiert. 
 

Zu viel Macht für eine Person

Für Thomas Schmidt, Professor für Theatermanagement an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt, zeigt sich in dem Fall ein strukturelles Problem:
„Die grundlegende Machtstruktur ist ja die des Einzelintendanten, der einzelnen Intendantin, die so viel Macht auf sich konzentrieren , dass es kaum noch jemanden gibt von den Mitarbeiterinnen, die sich wagen, irgendetwas zu sagen“. 
Dabei seien normalerweise die Mitarbeitenden in Unternehmen die „ersten Kontrollinstanzen“. Schmidt hatte 2019 in seinem Buch „Macht und Struktur im Theater. Asymmetrien der Macht“ eine Studie zu Macht im Theater mit 2000 Teilnehmenden ausgewertet. 

Leider würde in solchen Fällen auch eine Einrichtung wie "Themis" für die Opfer von sexueller Belästigung und Gewalt in Theater, Film und Fernsehen nicht wirklich helfen. Denn: „Themis steht auf staatlichen Füßen, und eine solche Institution muss absolut unabhängig sein. Wenn der Bühnenverein hier mitwirkt als eine Trägerstätte, dann ist mir das einfach viel zu nah am Geschäft“, erklärt Schmidt.
 

Vielfältigkeit des Theaters repräsentieren

Vielmehr müssten solche Anlaufstellen und auch die Theater selbst wie NGOs aufgebaut werden. „Die Handschrift des Theaters ergibt sich aus der Summe, aus der Vielfalt der musikalischen, der tänzerischen, der Regie-Handschriften im Schauspiel“, so Schmidt.
„Und wenn all das zusammenkommt, wird es durch eine kluge Dramaturgie und eine kluge Theaterleitung, die aus mehreren Köpfen bestehen sollte, zusammengebunden und präsentiert.“ Das sei die Lösung aus der Sackgasse des „Ein-Personen-Regimes“. 

Ein Modell eines solchen „Direktoriums“ könne vier- bis achtköpfig sein, je nach Größe des Theaters, und würde sich „aus einem geschäftsführenden Direktor, einer Chefdramaturgin, einer künstlerischen Leiterin, die sozusagen das Gesamtkonzept zusammenhält, der technischen Leitung, dem Marketing und PR und dann einer Vertretung der Mitarbeitenden“ zusammensetzen.


Kontrolle der Theaterarbeit durch die Mitarbeitenden

„Ich denke, das ist ganz, ganz wichtig in dieser Phase, dass die Mitarbeitenden die Möglichkeit haben, an den Tagesentscheidung des Theaters teilzuhaben und somit auch die Arbeit der Theater zu kontrollieren“, sagt Schmidt, und es gebe auch schon erfolgreiche Beispiele:„Schauen Sie sich das Schauspielhaus in Zürich an oder das Theater Gessnerallee oder das Theater am Neumarkt: jeweils drei Direktorinnen, die übrigens die besten Programme machen, die ich überhaupt seit Langem erlebt habe.“

Das sei ein Trend, der sich fortsetzen werde – mit „Intendantinnen einer jüngeren Generation, die vielleicht selbst gelitten haben unter diesen Alleinherrschern“.(kpa)

Mehr zum Thema
Vorwürfe gegen Intendant Klaus Dörr – #MeToo an der Berliner Volksbühne
(Deutschlandfunk, Kultur heute, 13.3.2021)

Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit im Theater – „Practice what you preach!“
(Deutschlandfunk, Kulturfragen, 7.3.2021)

Studie über Machtstrukturen im Theater –
Ein System aus Unterdrückung und emotionaler Erstarrung

(Deutschlandfunk Kultur, Rang I, 12.10.2019)

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Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/machtstrukturen-im-theater-die-alleinherrschaft-der.1013.de.html?dram:article_id=494118

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MeToo-Vorwürfe an der Volksbühne
Die Pubertät des Theaters ist am Ende

Ein Kommentar von André Mumot

Übergriffe jenseits der Bühne: Sitzt das Theater dem eigenen Mythos auf, dass große Kunst so manche Grenzüberschreitung rechtfertigt? (Unsplash / Nikolas Noonan )

Intendant Klaus Dörr verlässt die Berliner Volksbühne nach Vorwürfen sexualisierter Grenzüberschreitung. Nicht der erste Fall von MeToo an deutschsprachigen Bühnen. Sind Theater besonders anfällig für ein Klima der Angst und Übergriffigkeit?
Es ist schon keine Überraschung mehr: noch ein MeToo-Skandal an einem großen deutschsprachigen Theater. Wir hatten das beispielsweise schon an der Wiener Burg. Diesmal ist es die Berliner Volksbühne. Am 13. März erst hat die taz über die Beschwerden von zehn Mitarbeiterinnen gegenüber der Berliner Kulturverwaltung berichtet. Klaus Dörr, der als Intendant 2018 eingesprungen war, nachdem der glücklose Chris Dercon das Haus verlassen hatte, wird sexistisches, übergriffiges, altersdiskriminierendes Verhalten vorgeworfen.

 

Latent sexualisiertes Arbeitsklima

Am 15. März dann tritt er selbst zurück. Ganz schnell. Das ist ein Schritt, der durchaus Respekt verdient. Auch Kultursenator Klaus Lederer lässt wissen: „Durch die Freistellung kann der Aufklärungsprozess fortgeführt werden.“ Gut so – bis der abgeschlossen ist, sollten sich Außenstehende mit der Beurteilung des Falles zurückhalten.
Nur hoffen kann man, dass gründlich aufgeklärt wird, fair – und mit einem Blick für die Strukturen des Theaterbetriebs, die offenbar nach wie vor so hervorragend geeignet sind für ein latent sexualisiertes, mit beruflichen Existenzängsten unterfüttertes Arbeitsklima. Wenn der alleinige Chef an der Spitze der Hierarchie über die Verlängerung kurzer Arbeitsverträge entscheidet und gern einen möglichst persönlichen Umgang mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wünscht, ist es eben immer besonders schwer, ihn mit klar gezogenen Grenzen womöglich vor den Kopf zu stoßen.
Erstaunlich ist nur: Die MeToo-Diskussionen sind nun wirklich nicht neu. Trotzdem: immer wieder solche Vorwürfe. Das Theater hängt immer noch seiner eigenen Vergangenheit als Bürgerschreckinstitution nach. Auf der Bühne sollten die Spießer jahrzehntelang mit radikaler Hemmungslosigkeit geschockt werden.
Gerade die Volksbühne hat dieses anarchische Theater repräsentiert: Schauspielerinnen und Schauspieler, die den Exzess auf den Brettern leben, sich in jeder Hinsicht nackt machen. Und immer dabei dieser Mythos: Hinter den Kulissen geht es bestimmt genauso zu – Sex und Drogen und Ausschweifungen, nur damit kann man doch radikale Bühnenkunst zustande bringen.


Zeit für eine neue Ethik

Anscheinend hat sich dieser Mythos auch bei einigen Theatermachern und -macherinnen bis heute gehalten. Aber viele Aktivistinnen und Verbände wie etwa Pro Quote begehren schon seit längerem auf. Die endlos verlängerte Pubertät des deutschsprachigen Theaters kommt an ihr Ende, der Ernst des Lebens beginnt: Das Theater muss begreifen, dass es auch ein Arbeitsplatz ist, an dem Regeln gelten müssen, an dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschützt sind und respektiert werden – auch wenn es auf der Bühne wild zugeht.
Es wird Zeit, dass aus den großen moralischen Worten der Theater gelebte Praxis wird. Was wir brauchen? Eine neue ernst gemeinte Ethik der Theaterarbeit.
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Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/metoo-vorwuerfe-an-der-volksbuehne-die-pubertaet-des.2165.de.html?dram:article_id=494136
 


 

 

 

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KOLUMNE

Die Impfstoffe gegen Covid-19 bieten für jede und jeden früher oder später Perspektiven zur Rückkehr in ein normales Leben - und zugleich vielleicht auch zur mindestens teilweisen Öffnung von Kultureinrichtungen. Der Start der Impfungen in Deutschland hat sich mittlerweile einigermaßen zu-rechtgeruckelt; notwendig ist jetzt und in den nächsten Monaten Solidarität.
Aber auch für Kulturschaffende ergeben sich Fragen und Unsicherheiten bleiben. Inzwischen sind schon 1,6 Millionen Menschen mit der ersten Dosis geimpft worden, angesichts größerer Produktionskapazitäten und der Zulassung zusätzlicher Impfstoffe wird diese Zahl in den kommenden Monaten noch deutlich ansteigen. Dass innerhalb eines knappen Jahres gleich mehrere Impfstoffe gegen das Virus entwickelt und zugelassen werden konnten, die nun perspektivisch Licht am Ende des Tunnels bedeuten, darf sicher als eine tolle Nachricht gelten in einer Zeit, die von aktuell katastrophalen Covid-Nachrichten gekennzeichnet wird.



Wer wird wann geimpft?

Anfangs laufen Fertigungskapazitäten und Nachschubwege der Impfstoffe noch nicht auf Hochtouren und in manchen Bundesländern hakt es auch bei der Logistik. Deshalb hat die Bundesregierung mit der Impfverordnung geregelt, wer sich zuerst gegen das Virus impfen lassen kann - eine Impfpflicht soll es ausdrücklich nicht geben. Besonders von Covid bedrohte Bevölkerungsgruppen stehen dabei in der Rangfolge ganz vorne. Danach sollen Menschen mit höchster, hoher und erhöhter Priorität Impfungen angeboten werden - schließlich folgen in einer vierten Gruppe alle anderen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat mehrfach angekündigt, nach aktuellem Stand sei mit Impfungen dieser vierten Gruppe ab Ende Juni zu rechnen. Bekanntermaßen wird aktuell zunächst in Alten- und Pflegeheimen geimpft, auch das Personal mit hohem Risiko in medizinischen Einrichtungen bekommt ein entsprechendes Angebot. Dazu sind mobile Impfteams unterwegs. Parallel arbeiten in den meisten Bundesländern auch schon stationäre Impfzentren.

Zunächst stehen dort Menschen über 80 Jahren auf der Liste. Die Impfung dieser Gruppen soll laut Gesundheitsministerium mindestens bis Ende dieses Monats dauern. Danach folgt die zweite Gruppe: Menschen ab 70 Jahren sowie Menschen mit einem hohen Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf. Auch Ärzte und Personal mit unmittelbarem Patientenkontakt werden in dieser Kategorie genannt. Die dritte Stufe umfasst laut Impfverordnung alle Menschen ab 60 Jahren oder mit erhöhtem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf aufgrund von Vorerkrankungen. Auch Personen in besonders relevanten Positionen in staatlichen Einrichtungen, wie etwa bei der Feuerwehr oder Polizei, sollen dann eine Impfung erhalten können.


"Normalisierung durch frühe Impfungen"

Die Diskussion um die Impfreihenfolge, auch innerhalb der einzelnen Gruppen, ist damit aber keineswegs beendet: So will zum Beispiel Peter Dabrock, Theologe an der Universität Erlangen-Nürnberg, und bis 2020 Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, weg vom Kriterium der in den Pandemie-Monaten überstrapazierten Systemrelevanz. Diese sei auch von Egoismus gekennzeichnet, so Dabrock gegenüber dem Focus: „Immer wieder hört man von Vertretern einzelner Gruppen, warum ausgerechnet die eigene Gruppe unbedingt mit als erste geimpft werden sollte: Abgeordnete, Rechtspfleger, Lehrerinnen."

Die Systemrelevanz werde erkennbar von gesellschaftlichen und politischen Machtstrukturen geprägt und habe wenig mit Gemeinwohl-Orientierung zu tun. Tatsächlich gibt es immer wieder Diskussio­nen über die anzustrebende Reihenfolge. Nach seinem Vorschlag sollte vielmehr das konkrete Infektionsrisiko zur Grundlage der Impfungen werden. An dieser Stelle kommen Künstler"innen ins Spiel: Die Unfallkasse NRW, die seit Pandemiebeginn immer wieder wertvolle Hinweise zum Umgang mit Corona für Bühnenangehörige erstellt hat, geht davon aus, dass „alle Personen der darstellenden Kunst (etwa Sänger*innen, Musicaldarsteller*innen, Schauspieler*innen, Musiker*innen) erfahrungsgemäß zu den Berufsgruppen mit einem erhöhtem Infektionsrisiko gehören oder dem Risiko besonders schwerwiegender beruflicher Einschränkungen aufgrund einer Infektion durch den SARS-CoV-2- Erreger ausgesetzt sind."
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 Demzufolge wären raschest mögliche freiwillige Impfungen angeraten, um ein konkretes Risiko zu minimieren. Die letztlich fruchtlose Diskussion, ob Kultur nun systemrelevant ist oder nicht, wäre so umgangen. Beispiel Tänzerinnen: ta.med, der Verein für Tanzmedizin, wies schon Ende November darauf hin, dass diese Berufsgruppe mit Tätigkeit mit keinen beziehungsweise geringen Abständen, hohen Belastungen für Herz und Lunge, Tätigkeiten in Innenräumen und in Gruppen einem stark erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sei. Deshalb könne der „Normalisierungsprozess in der szenischen Darstellung" nur durch frühzeitige Impfungen der betroffenen Gruppen ermöglicht werden. Wäre hierzulande ein Verfahren wie in Russland oder Israel denkbar, wo Kulturbeschäftigte vorrangig geimpft werden oder jedenfalls darüber diskutiert wird? In Israel wird es wohl einen „Grünen Pass" geben, der Geimpften den Zugang zu Restaurants, Veranstaltungen und Theatern ermöglicht - wenn der harte Lockdown aufgehoben ist, unter dem das Land jetzt leidet.


Theater mit Impfausweis?

Eine solche Lösung eines digitalen Impf­ausweises hätte den Charme - neben den persönlichen Vorteilen -‚dass Ensembles gemeinsam und ohne Sicherheitsabstand auftreten: Der Bühnenkuss wäre wieder erlaubt. Auf diese Weise könnte auch ein positiver Beitrag zur irgendwann kommenden Debatte über die Öffnung von Theatern und Opernhäusern geleistet werden. Einige Intendanten von Theatern glauben jedenfalls daran und beteiligen sich mit Statements an der laufenden Impfkampagne des Gesundheitsministeriums („Ich lasse mich impfen, weil das Theater dann wieder aufmachen kann"). Vorläufig bleiben aber noch Fragen zu beantworten: Können Geimpfte die Infektionen nicht mehr weitertragen oder sind sie nur selbst vor schweren Verläufen geschützt?

Und wann wird die Zahl der Geimpften groß genug für solche Öffnungsaktionen sein? Diskutiert wird jedenfalls darüber, auch auf europäischer Ebene, wo noch in diesem Monat ein entsprechender Vorschlag Griechenlands und Portugals besprochen werden soll. Die Länder wollen so unter anderem ihren Tourismus wieder ankurbeln. Politische und juristische Bedenken aufgrund einer Ungleichbehandlung zwischen Geimpften und Nichtgeimpften scheinen indes nicht tragfähig zu sein. Auch eine Mehrheit der Jurist*innen vermag offenbar keine unvertretbaren „Privilegien" für immune Menschen zu erkennen — nicht mit Verboten belegt zu werden, sei kein „Privileg", sondern der Normalfall. Die weitreichenden Beschränkungen während der Pandemie waren erforderliche Grundrechtseingriffe, für die die Grundlage wegfällt, wenn Immunität nachgewiesen werden kann. Mit Schnelltests könnte im übrigen der Zugang zu Theatern oder Restaurants auch für Nichtgeimpfte ermöglicht werden — den politischen Willen dazu vorausgesetzt. An diesem scheint es aber mindestens dort zu fehlen, wo die Theater gleich bis Ostern geschlossen wurden.


Impfbereitschaft steigt

Seit Monaten haben Deutschland und Europa der Entwicklung eines Impfstoffs entgegengefiebert. Impfen galt als das Ticket zurück in die Freiheiten aus der Zeit vor der Pandemie — vorausgesetzt, dass genügend Menschen bereit sind, sich impfen zu lassen, um die berühmte Herdenimmunität zu erreichen.

Nun ist dieses Ziel der Vakzinentwicklung spektakulär erreicht. Trotzdem war anfangs die Impfbereitschaft nicht so ausgeprägt wie erwartet; inzwischen steigt sie aber deutlich an. Nach den Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen für das „Politbarometer" des ZDF gaben Mitte Januar 67 Prozent der Menschen an, dass sie sich gegen das Coronavirus impfen wollen. Ende November des vergangenen Jahres waren es noch 51 Prozent. Zehn Prozent lehnen derzeit eine Impfung ab, im November waren es 20 Prozent. 22 Prozent sind sich noch nicht sicher, im November gab es noch 29 Prozent Unentschiedene. Aber auch wenn wir die Rückkehr zum Alltag herbeisehnen, weil die Pandemie für alle zunehmend eine psychische, soziale und ökonomische Zumutung darstellt: Man darf aus guten Gründen zögern, sich impfen zu lassen. Die Impfstoffe wurden in beschleunigten Verfahren zugelassen, manche Risiken konnten bisher nicht so umfassend getestet werden, wie das bei regulären Überprüfungen neuer Arzneien außerhalb des Pandemie-Ausnahmezustands Pflicht ist, von Allergien bis Langzeitfolgen.

 Es ist verständlich, wenn Menschen nach der Devise „je später, desto sicherer" nicht zur ersten Gruppe gehören wollen und lieber abwarten — in der Hoffnung, dass potenzielle Nebenwirkungen im Zuge der Massenimpfungen erkannt und beseitigt werden. Solches Verhalten ist rational und legitim. Trotzdem wäre solches Abwarten im Ernstfall für die Gesellschaft kontraproduktiv. Die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC hat ausgewertet, wie oft es nach den knapp 1,9 Millionen bisher in den USA ver­abreichten Biontech-Impfungen zu schwe­ren allergischen Reaktionen gekommen ist. Die Antwort ist: 21 mal. Der Solidarität steht nichts im Wege.         
Jörg Rowohlt

Zitatende

Quelle: FACHBLATT DER GENOSSENSCHAFT DEUTSCHER BÜHNEN-ANGEHÖRIGER 2/21 – Seite 7 – 9

 

 

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INTENDANTENFINDUNG
 

Vor Headhuntern wird gewarnt!

Die Neubesetzung von Intendantinnenposten ist diffizil.
Verfahren und Ergebnis sind oft genug kritikwürdig.
Ein altbekannter Headhunter droht jetzt, die Letzten Reste an Transparenz zu zerstören.

Unter anderem in Regensburg, Annaberg-Buchholz und Schwerin stehen Leitungs­wechsel an. Der promovierte Jurist Oliver Scheytt mit seiner Firma „Kulturexperten" hat bei der Kandidatenfindung offenbar ein entscheidendes Wörtchen mitgeredet - die jeweiligen kommunalen Rechtsträger haben ihr ureigenes Recht, das eigentlich auch eine Pflicht ist, outgesourct und auf einen privaten Headhunter zurückgegriffen. Dieser hat sich zwar als Kulturmana­ger einen nicht immer guten Namen gemacht, Kritiker werfen ihm aber darüber hinaus vor, „keine Expertise im künstlerischen Bereich" zu haben.

Dabei sollte es genau darum gehen. Was den kommunalen Entscheidungsträger offenbar gleichgültig war: Sie hatten, etwa im Fall Regensburg, keine Neigung, die viele Dutzend Bewerbungen für die Theaterleitung selbst zu lesen und heuerten für eine Vorauswahl Oliver Scheytt an. Problem dabei: Wenn das reine Management gegenüber der Kunst an Übergewicht gewinnt, wird es schwierig. Eine Verknüpfung in einer Person ist nicht unbedingt der Königsweg. Es gibt aus der jüngsten Vergangenheit Bei­spiele für erfolgreiche Generalintendanten - es gibt aber auch Beispiele für grandios gescheiterte Generalintendanten. Reicht nicht ein künstlerischer Intendant? Reicht es nicht, wenn der Verwaltungsdirektor Manager ist? Selbst der frühere Bühnenvereinsgeschäftsführer Rolf Bolwin warnt: „Von Headhuntern oder Agenturen welcher Art auch immer ist dringend abzuraten." Das gilt wohl erst recht, wenn der Headhunter wie in diesem Fall ein, vorsichtig gesagt, zwiegespaltenes Verhältnis zur Institution Stadttheater hat. Normalerweise werden Findungskommissionen einberufen, wenn es um die Besetzung solcher Spitzenposten geht. In denen sitzen Experten*innen aus der Kulturszene, (Ex-)Intendant*innen, Vertreter*innen des Bühnenvereins, auch Journalist*innen, idealer-weise auch Arbeitnehmervertreter* innen. Wenn von diesem Procedere jetzt mehr und mehr abgerückt wird, muss wohl fehlendes kulturpolitisches Verständnis und Engagement der Rechtsträger an einem aufwändigen Bewerbungsverfahren diagnostiziert werden - unter Umständen gilt es, eine Vielzahl von Interessenten einzuschätzen. Eine Vorauswahl durch externe vermeintliche Expertinnen reduziert die Möglichkeiten und schadet der Transparenz: Niemand weiß, welche Bewerber *innen aussortiert worden sind. Unklar bleibt naturgemäß auch, auf welcher Grundlage die Entscheidungsprozesse einer Privatfirma und wie die Rekrutierungen der Kandidat*innen ablaufen - im schlimmsten Fall steht der Vorwurf verdeckter Günstlingswirtschaft im Raum. Oliver Scheytt und seiner Firma wird jedenfalls vorgeworfen, mit seiner Firma auch für die Fortbildung möglicher Kandidat*innen zu sorgen und doppelt am Auswahlverfahren zu verdienen. Problematisch sehen Beobachter auch, dass Scheytts Unternehmen einstweilen als Monopolist unterwegs ist und - so sagte es ein ungenannter Insider dem Münchner Merkur - „bestimmte Leute protegiert".

Juristisch ist die Auslagerung an Private ebenfalls nicht unumstritten: Wolfgang Schwaninger, Sänger, Rechtsanwalt und auch für die GDBA tätig, betont, die Rechtsträger müssten von Anfang bis Ende die Kontrolle über das Auswahlverfahren behalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stelle auch die Auswahl der geeigneten Bewerber für diese Stellen als „amtliches Handeln mit Entscheidungscharakter" als Ausübung von Staatsgewalt dar. Daher müssten die Auswahlverfahren von Leitungspositionen wie Intendanzen, Verwaltungsdirektoren und GMD Stellen in einer ununterbrochenen Legitimationskette in der Hand der Rechtsträger bleiben und transparent erfolgen, dies erfordere das Demokratieprinzip. Das sei nicht mehr gewährleistet, wenn die Vorauswahl ganz an Private ausgelagert und dem Rechtsträger nur noch eine enge Auswahl von Bewerbern präsentiert würden. Das Problem liege nicht in der Hinzuziehung von privaten Beratern an sich, sondern darin, dass diese die originären Pflichten, nämlich die eigentliche Entscheidungsfindung der Verwaltung übernähmen.

Wenn sich durchsetzt, was an einigen Theatern schon zu beobachten war, wären die Folge rein technokratische Personalentscheidungen: Dabei sollte es doch genau anders sein. Der Sonntags viel beschworene Stellenwert der Kultur könnte sich auch darin zeigen, dass die Entscheidungsträger sich selbst professionalisieren und über die Kulturszene informieren. Sich auf Privatfirmen zu verlassen, reicht nicht.
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Quelle: FACHBLATT DER
GENOSSENSCHAFT DEUTSCHER BÜHNEN-ANGEHÖRIGER 2- 2021 – Seite 23

 

 

 

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KULTURPOLITIK

LANDESVERBAND NORD

Intendanzwechsel und Nichtverlängerungen

Der frisch gewählte Vorsitzende des GDBA-Landesverbands Nord und seine Stellvertreterin müssen sich mit zahlreichen Nichtverlängerungen aufgrund Intendanzwechseln in gleich drei Theatern des Landesverbands beschäftigen. Dazu haben sie offene Briefe formuliert.

Konkret geht es um das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin, das Theater Osnabrück und das Theater Vorpommern. In einem vierten Theater des Landesverbands scheint es dagegen trotz Wechsel der Leitung keine Probleme zu geben. Hier sieht der designierte Intendant offenbar genug Möglichkeiten, seine neue künstlerische Ausrichtung umsetzen zu können, ohne alle Möglichkeiten des Tarifvertrags auszuschöpfen.

In ihren Schreiben an die (künftigen) Theaterleiter weisen Volker Röhnert und Claudia Reimer daraufhin, es bleibe unklar, „wie eine neue Intendanz momentan das Profil eines Theaters schärfen oder einen neuen Stil einführen" wolle: „Angesichts der erschreckenden Lage, epidemiologisch wie finanziell, sollte man als Theaterleitung aber gerade alles tun, um zusätzliche und unnötige Kosten zu vermeiden. Das ist auch gegenüber den Rechtsträgern verantwortlich gehandelt. Nichtverlängerungen aufgrund von Intendanzwechsel ziehen Abfindungen in Höhe von drei bis sechs Monatsgagen nach sich. Nicht verlängerte Beschäftigte dürfen nicht in Kurzarbeit geschickt werden. Wird der Vertrag hingegen verlängert, kann die Restarbeitszeit der Beschäftigten auf mindestens 20 Prozent abgesenkt werden, was große Einsparungen, vermutlich in Höhe eines mittleren sechsstelligen Betrags, bedeutet."

Darüber hinaus sollte eine Theaterleitung je nach Infektionslage daran interessiert sein, möglichst viele Stücke des Repertoires zu spielen, um alle potentiell interessierten Zuschauer*innen zu erreichen. Da durch die bisherigen Beschränkungen viel weniger Zuschauer eine Vorstellung sehen konnten als üblich, ist es sinnvoll, jedes Stück viel öfter als gewohnt zu spielen. Wenn man aber nun einen Großteil des Solo-Ensembles nicht verlängert, ist diese Möglichkeit für die Spielzeit 2021/22 verloren. Neue Solist*innen in bestehende Inszenierungen einzuarbeiten, ist mit größerem Aufwand verbunden.

Die Kosten für eine Neuinszenierung sind deutlich höher als für das Spielen von Repertoirestücken. Im gleichen Zeitraum, in dem ein neues Stück probiert wird (4-6 Wochen), könnten ca. 10-20 Vorstellungen stattfinden, die Einnahmen generieren, anstatt nur Kosten zu verursachen.

In dieser durch SARS-CoV2 ausgelösten Lage an dem Recht eines designierten Intendanten zur Nichtverlängerung von Künstler*innen festzuhalten, ist daher finanziell höchst fragwürdig.

Das Recht von nichtverlängerten Solist* innen auf „Ansehrollen" (zwei Premieren zwischen Oktober und Ende März einer Spielzeit) ist nicht einzuhalten, so dass auch hier Schadenersatz fällig wird. Aus all diesen Gründen sollten die ausgesprochenen Nichtverlängerungen rückgängig gemacht werden.

Ohne eine Diskussion über die Kunstfreiheit beginnen zu wollen, zitieren der Vorsitzende und seine Stellvertreterin die Bundeskanzlerin: Freiheit sei nicht, dass jeder tut, was er will, sondern Freiheit sei gerade jetzt Verantwortung.

Kunstfreiheit bedeute auch nicht, alle tariflichen Rechte zu nutzen, sie bedeute auch, Verantwortung für die einem anvertrauten Beschäftigten zu übernehmen und Vorbild zu sein für eine Gesellschaft: „Sollte nicht zumindest die Kunst diese Utopie einer perfekten Welt zeigen, anstatt der Gesellschaft lediglich einen Spiegel vorzuhalten?"
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Quelle: FACHBLATT DER
GENOSSENSCHAFT DEUTSCHER BÜHNEN-ANGEHÖRIGER 2- 2021 – Seite 24


 




„Wir müssen nicht sein, was wir spielen":


Cover des SZ-Magazins vom 5. Februar

 

 

 

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#ACTOUT

Jeder hat das Recht, alles zu spielen

Allein die Zahl ist beeindruckend:
185 Lesbische, schwule, bisexuelle, queere, nicht-binäre und trans* Schauspielerinnen haben sich im Magazin der Süddeutschen Zeitung vom 5. Februar geoutet.
Die Idee zu der Aktion hatten Karin Hanczewski und Godehard Giese, beide Theater- und Film-Schauspieler*innen anlässlich eines Filmfestivals: „Ich hatte meine Freundin dabei", erzählt Hanczewski: „Ich wusste, es wird einen roten Teppich geben, es werden Fotos gemacht." Ihre damalige Agentin habe geraten, die Freundin nicht mit auf den roten Teppich zu nehmen. Die beiden sprachen über ähnliche Erfahrungen aus ihrem Berufsleben. Daraus erwuchs schließlich der Gedanke, sich zu outen — aber eben nicht nur zu zweit, es sollten viele Menschen solidarisch in eine Gruppe geholt werden. Entsprechend trägt das schließlich entstandene #ActOut-Manifest die Überschrift „Wir sind viele". Was die 185 Beteiligten darin fordern, ist mehr Anerkennung in Theater, Film und Fernsehen. Zu den Prominentesten unter ihnen gehören Ulrich Matthes, Mavie Hörbiger, Mark Waschke, Udo Samel, Georg Uecker und Maren Kroymann. Ein bisher einmaliger Schritt, gerade weil er über die individuellen Coming-Outs der letzten Jahre weit hinausweist und so die Gesellschaft insgesamt voranbringen könnte.

Was Karin Hanczewski und Godehard Giese erlebten, waren offenbar keine Einzelfälle: In ihrem Manifest, dass parallel zur Veröffentlichung in der SZ online gestellt wurde, begründen die schließlich 185 Künstler*Innen ihren Gang an die Öffentlichkeit: „Bisher konnten wir in unserem Beruf mit unserem Privatleben nicht offen umgehen, ohne dabei berufliche Konsequenzen zu fürchten." Zu oft hätten viele die Erfahrung gemacht, dass ihnen geraten wurde — „sei es von Agent*innen, Caster*innen, Kolleg*innen, Produzent*innen, Redakteur*innen, Regisseur*innen usw." — die eigene sexuelle Orientierung, Identität sowie Gender geheim zu halten, um Karrieren nicht zu gefährden.

So werde behauptet, „dass, wenn wir gewisse Facetten unserer Identität, nämlich unsere sexuelle sowie Geschlechtsidentität offenlegten, wir mit einem Mal bestimmte Figuren und Beziehungen nicht mehr darstellen könnten. Als wäre deren Sichtbarkeit unvereinbar mit unserer Fähigkeit, Rollen überzeugend und glaubhaft für das Publikum zu verkörpern." Diese Unvereinbarkeit gebe es aber gar nicht: „Wir sind Schauspieler*innen. Wir müssen nicht sein, was wir spielen.


Wir spielen, als wären wir es — das ist unser Beruf."

Darüber hinaus hätten die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt, dass sich die bestehenden Sehgewohnheiten erweitern und verändern. Es gibt weitaus mehr Geschichten und Perspektiven als nur die des heterosexuellen weißen Mittelstands, die angeschaut und gefeiert werden. Diversität ist in Deutschland längst gesellschaftlich gelebte Realität — was sich aber zu wenig in kulturellen Darstellungen widerspiegele: „Unsere Gesellschaft ist längst bereit. Die Zuschauer*innen sind bereit." Unsere Branche soll für ein Miteinander stehen und in ihrer Vielfältigkeit die Gesellschaft abbilden.

Die #ActOut-Unterzeichnerinnen wollen Verantwortung übernehmen „für ein freies und offenes Zusammenleben und Zusammenarbeiten". Sie „solidarisieren (sich) mit allen Menschen, die Stereotypisierung und Marginalisierung durch Ableismus und Altersdiskriminierung, Antisemitismus, Klassismus, Rassismus und anderen Formen von Diskriminierung ausgesetzt sind". Initiatorin Karin Hanczewski: „Es wird einem als Frau in der Branche oft das Gefühl gegeben, dass es vor allem darum geht, 'fuckable' zu sein. Also sexy zu sein für die Redakteure, Produzenten und Regisseure." Von einem Regisseur, der erfahren hatte, dass sie lesbisch ist, sei sie mit einer abwinkenden Geste begrüßt worden. „Ich bin also aus dem Pool der für Männer begehrenswerten Frauen oder Frauenrollen raus. Und exakt das ist die große Angst für lesbische Schauspielerinnen: dass es da keine Fantasie mehr zu ihnen gibt und sie nicht mehr besetzt werden."

Immerhin scheint es einen Unterschied zu geben: Gegenüber der Zeit äußert sich Ulrich Matthes, ebenfalls an #ActOut beteiligt: „Im Theater ist es einfacher, in der Film- und Fernsehbranche ist es schwerer, zu seiner Sexualität zu stehen" - dort herrsche ein fürchterliches Schubladendenken: „Ich weiß von sehr prominenten Kollegen, die sich deshalb an der Aktion nicht beteiligt haben — es gibt da doch eine echte Furcht."


Schockiert angesichts dieser Zustände zeigte sich auch der offen schwule UFA-Chef Nico Hoffmann: „Ich finde es falsch, zu sagen nur schwule Männer dürfen schwule Männer spielen. Ich bin für eine komplette Öffnung dieser Fantasien. Wenn am Ende eine Rollenbesetzung nicht aufgrund von Talent stattfindet, sondern aufgrund gewisser äußerlicher Merkmale, wäre das fatal." Allerdings ist die UFA bisher auch selbst eher nicht durch Abweichungen vom Mainstream aufgefallen — was in der Debatte wohl mit ‘das Publikum nimmt das nicht an' bezeichnet wird. Immerhin hat sich das Unternehmen eine Selbstverpflichtung auferlegt: Sie will in ihren Produktionen die Diversität unserer Gesellschaft abbilden. Ziel soll sein, die Position von Frauen, People of Color, Menschen mit Beeinträchtigungen und der LGBTIO-Community zu stärken. Bis dato spielt in der Traumfabrik, vor allem bei denjenigen, die als traumhaft und irreal schöne Heldinnen besetzt werden, wohl tatsächlich eine Rolle, ob Fans sich in Tagträumen in deren Arme sehnen können, und sich trotz des gesunden Menschenverstands vorstellen, dass sie und ihr Star garantiert eine wunderbare Beziehung führen würden.


Für ein diverseres Bild der Gesellschaft Sorge zu tragen, ist auch Aufgabe der Nachwuchsförderung: Wer wird aufgenommen, wer abge­lehnt? Es sind gesellschaftspolitische Entscheidungen. „Sexuelle Präferenz und ethnische Zugehörigkeit spielen als Aufnahmekriterien keine Rolle — sondern, dass jemand über die Gabe der Verwandlung verfügt", sagt Franziska Kötz, die die Schauspielschule Stuttgart leitet, der ‘Zeit‘.

Jeder müsse das Recht haben, alles zu spielen. Tödlich hingegen sei für die Kunst jede Art von Ideologisierung — wenn ein moralisches Argument alle anderen Argumente schlägt. Kunst lebe ja von Übertretung, wenn das nicht mehr möglich sei, drohe moralischer Populismus und gibt ein Beispiel: „Vor Jahren sagte mir ein Chefdramaturg: „Ich kann dem Abo-Publikum kein dunkelhäutiges Käthchen vorsetzen!“ In letzter Zeit hingegen bekam ich zwei Anrufe von Theatern und wurde gefragt, welche Männer mit sichtbarem Migrationshintergrund wir denn an der Schule hätten.

Nach Talent wurde überhaupt nicht gefragt." Die #ActOut-Unterzeichner*innen sprechen dieses Thema umfassend an — das Publikum muss lernen, besser zwischen Schauspieler*in und Rolle zu unterscheiden. Das ist nicht zu viel verlangt. Schließlich gibt es Theater und Traumfabrik lange genug.

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Quelle: FACHBLATT DER
 GENOSSENSCHAFT DEUTSCHER BÜHNEN-ANGEHÖRIGER 3- 2021 – Seite 20 – 21
 




 

In einer Publikation informierte ein Hannover‘scher Immobilien-Verein im Februar 2021 seine Mitglieder darüber, dass die Staatsoper Hannover nicht mehr vor leeren Bänken spiele, was ehemals an umstrittenen Produktionen gelegen habe.

Diese Aussage mutet etwas verwunderlich an, denn das Haus wurde in 2020 kaum bespielt und ist seit Oktober 2020 bis auf weiteres wegen Corona geschlossen.

Welcher Zeitraum wurde also betrachtet, um zu einer solchen Aussage zu kommen, die angeblich ein ganzes Jahr betrifft?

Umstrittene ehemalige Produktionen sollten auf den Spielplan:
‘Fledermaus‘, ‘Aida‘, beide Wiederaufnahmen verhinderte Corona,

’Die Jüdin’ und ’Der Barbier von Sevilla’ fielen als neue Produktionen der Pandemie zum Opfer.

Wieder aufgewärmt werden soll z.B. ’Der Freischütz’ aus der Ära Klügl. Auch ‘Der Liebestrank‘ aus vergangenen Zeiten ist zum Wiedererscheinen eingeplant.
Was also soll den angeblichen Aufschwung gebracht haben und worin hat er sich manifestiert?

Dass unter diesen Umständen auch noch ein Preis vergeben wurde, ließ Viele  staunen und man kommentierte:
„Da lachen doch die Hühner!“
’Opernhaus des Jahres’ – welches Jahr denn und für was?“

Hat der Hannover’sche Immobilien-Verein einen Pressetext ohne detaillierte Prüfung übernommen und musste man Rücksicht auf Mitglieder und ihr Umfeld nehmen?

Der doch ach so wertvolle Preis wurde nicht öffentlich verliehen, sondern kam in einem ordinären Postpaket in Hannover an.


Wie sich die Frau Geschäftsführerin der Nds. Staatsoper Hannover GmbH sich bei Entgegennahme und Öffnen des Paketes aufführte, zeigt eine Dokumentation im Netz unter
https://staatstheater-hannover.de/de_DE/mediathek

 


Screenshot: Nds. Staatstheater Hannover GmbH


Es wird am Nds. Staatstheater Hannover – egal ob Oper, Ballett oder Schauspiel - wohl noch mehr auf ein ‘anything-goes‘ hinauslaufen.

Klassiker werden kaum auf den Spielplan kommen, weil die Theaterleitung nicht in der Lage ist, die Rollen adäquat zu besetzen und damit die Stücke – dem Autor gemäß – zu spielen.

Was ohne Kontrolle passiert, sah man in Trier und sieht man jetzt in Karlsruhe.
Dort werden - von der nun wachgewordenen Politik - mal eben mehr als eine Million Euro ausgezahlt, um einen Intendantenvertrag aufzulösen.

Es kann nicht sein, dass hundert Prozent der Bevölkerung öffentliche Einrichtungen finanziert, die dann nur von einem Bruchteil genutzt werden, weil sie den Ansprüchen in Bezug auf Erfüllung des Bildungsauftrages nicht gerecht werden.

Für das viele Geld müssen Aufträge, ja sogar Zielvereinbarungen mit Kultureinrichtungen abgeschlossen werden.
Die können nicht machen, was sie wollen!
 



 

 

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Pfarrer Sebastian Kneipp

Zum 200. Geburtstag des aquantischen Heilbehandlers

von Dr. Ullrich Westerhagen

 

 (Dieses historische Bild wurde freundlicherweise
von der Kurdirektion Bad Wörishofen zur Verfügung gestellt)

Sebastian Kneipp wurde am 17. Mai 1821 im bayerisch-schwäbischen Stephansried (heute ein Ortsteil von Ottobeuren) in eine kinderreiche und sehr arme Hausweberfamilie hineingeboren. Damals wäre niemand auch nur im entferntesten an seiner Wiege auf die Idee gekommen ein Preislied anzustimmen, in welchem eine künftige Ikone eines Naturheilverfahrens besungen wird, der zur Heilung zigtausender Menschen beitragen und dadurch zu Weltruhm gelangen wird.

Kneipp war nicht nur ein Hydrotherapeut, der die Kraft des Wassers zur Anwendung und Heilung der verschiedensten Erkrankungen entdeckt und angewendet hat. Er hat darüber hinaus diese Heilbehandlung zu einer Wasserkur entwickelt und systematisch ausgebaut, die aufgrund der damit einhergehenden großen Heilerfolge schließlich auch nach ihm benannt worden ist: der „Kneippkur“.

Doch dieser charismatische Heiler, den eine besondere Aura umgab, war weit mehr, denn er war auch Erfolgsautor, der seine diesbezüglichen Beobachtungen später in Büchern (die Millionenauflagen erreichten) niedergeschrieben hat. Und nur zur Vervollständigung: er war ein begeisterter Imker, der hierüber auch einige Sachbücher schrieb. Niemand hätte damals auch nur erahnen können, dass 200 Jahre nach seiner Geburt in Deutschland ein Bundesland wie Niedersachsen einen „Bienenführerschein für Hobbyimker“ einführen könnte! –

Er war auch Pneumatiker sowie Pneumograph und beschäftigte sich innerhalb seiner konzipierten Wasserkuren auch mit Atemwegserkrankungen und Atemtechniken, mit denen diese begleitet wurden. Techniken, welche die Kneippkuren insbesondere auch für Berufsstände interessant machen, die bei ihrer Berufsausübung auf Atemtechniken angewiesen sind wie Logopäden, Schauspieler und insbesondere Opernsänger.

Diese bilden auch die Grundlage, auf denen Extremsportler individuelle Trainingsmodelle aufbauen, verfeinern und vervollkommnen können; von der Schnapp- bis hin zur pneumatischen Langatmung. Exemplarisch sei der niederländische Extremsportler Wim Hof genannt, der diese Atemtechniken mit der tibetischen Meditationspraxis „Tummo “ („Inneres Feuer“) verquickt hat, wodurch sich für den Menschen extreme Temperaturen aushalten lassen.

Der auch als „The Iceman“ bekannte Holländer hat auf diese Weise 26 internationale Rekorde bewältigt in Verbindung mit dem Ertragen extremer Kälte (z. B. 2 Stunden bis zum Hals im Eiswasser stehen). Oder bei Hitze die Durchführung eines Marathonlaufs in der Wüste Namib (ohne einen einzigen Schluck Wasser während dieser Zeit zu trinken) sowie auch einen Marathonlauf nördlich des Polarkreises (ausschließlich mit Schuhen und Shorts bekleidet).

Ein Sänger benötigt eine gediegene Atemtechnik und kann ohne eine solche lediglich ein schlechter oder mittelmäßiger sein! Dass der Wasser- und Pflanzendoktor sowie Cholera-Kaplan und Wunderheiler, wie er im Volksmund bald genannt wurde, auch auf dem Gebiet der Atemtechnik quasi Grundlagenforschung betrieben hat, ist weithin unbekannt.

Dass der am 6. August 1852 im Augsburger Dom von Bischof Peter von Richarz zum Priester geweihte und als Kaplan in Markt Biberach, Boos und Sankt Georg in Augsburg tätige Geistliche in seinen Gemeinden als „Wasserdoktor“ nach Aussagen von etlichen behandelten „Schäfchen“ wahre Wunderheilungen bewirkt haben sollte, das war den Kirchenoberen mittlerweile nicht verborgen geblieben und bekannt.

Doch sowohl diese Sachverhalte als auch die Begrifflichkeiten, die mit „pneuma“ in Verbindung gebracht wurden (pneuma, griechisch = der Heilige Geist) elektrisierte die Kirchenoberen. Und erst recht als Ihnen zusätzlich zugetragen worden war, dass Sebastian schon während der Studienzeit auf dem Georgianum in München an Tuberkulose erkrankte Kommilitonen erfolgreich behandelt hatte; und nicht nur diese, sondern selbst eine an Cholera erkrankte Magd. Den Gipfel insbesondere für die katholische Kirche bedenkliche Entwicklung stellte schließlich ein Bericht von Augenzeugen dar, wonach der Wunderdoktor sogar eine an der Maul- und Klauenseuche erkrankte Rinderherde eines Bauern mit verschiedenen Wassergüssen geheilt hatte!

Die Überbringer dieser „vertraulichen Nachrichten“ konnten natürlich nicht wissen, dass diese Behandlungen eine evaluierte Grundlage hatten. Denn natürlich war ihnen unbekannt, dass Sebastian seit 1846 an einer Lungenerkrankung, vermutlich an der damals fast unheilbaren Tuberkulose, litt, sich im Selbststudium durch die aktuellste Fachliteratur mit möglichen hydrotherapeutischen Therapien vertraut und sich selbst erfolgreich behandelt hatte. So z. B. mit verschiedenen kalt-heißen Wechselgüssen sowie durch Bäder in der winterlich eiskalten Donau.

Da die Erfolge ganz schlicht nur mit Wasseranwendungen und nicht per Schulmedizin gezeitigt worden waren, schrillten alle Alarmglocken im Bistum. Denn dieser Sachverhalt hatte einerseits in der Ärzteschaft, bei Apothekern und den Verfechtern der Schulmedizin Kritik, Neid und Konkurrenzkampf hervorgerufen. Andererseits jedoch wurde Kneipp von Patienten aller Schichten aufgesucht, die das hohe Preislied über die medizinischen Künste dieses auch – wegen seiner sozialen Einstellung (arme Patienten und Kinder wurden kostenlos von ihm behandelt) – beliebten „Arztes ohne Approbation“ in allen Tonarten sangen.

Und da waren zusätzlich gegen den „geistlichen Quacksalber“ die vielen Anfeindungen mit Anzeigen wegen Kurpfuscherei, Vergehens gegen das „Kurierverbot“, Scharlatanerie, Gewerbebeeinträchtigung, Geschäftsschädigung etc. bei dem zuständigen Bischof sowie amtlichen Stellen.

Noch unangenehmer war jedoch die Tatsache, dass die Wallfahrtsorte mit ihren Wunderheilungen unliebsame Konkurrenz bekamen. Nimmt man exemplarisch den französischen Marienwallfahrtsort Lourdes, bei dessen Wunderheilungen die heilige Maria den Kranken vor deren Heilung erschienen sein soll, so war das nach Interpretation der katholischen Kirche als ein persönliches Geschenk Gottes und als Zeichen seiner Gnade zu betrachten. Damals (und wohl auch noch heute) überwog bei solchen Einordnungen Gottesglauben sowie Frömmigkeit und dabei oft auch gepaart mit einer Portion Einfältigkeit.

Ein gewisses Verständnis für diese Einstellung muss man jedoch haben. Denn wissenschaftlich unbekannt und natürlich auch nicht bewiesen war in der damaligen Zeit die Tatsache, dass besagte Quelle in Lourdes und Umgebung das stärkste je gemessene Magnetfeld unserer Erde aufweist. Besonders stark magnetisiertes Wasser kann besondere Heilwirkungen entfalten. Dieses wirkt sich auf sämtliche Organe aus und kann selbst Knochenbrüche schneller als gewöhnlich heilen. Welche bedeutende Rolle Magnetfeldern bei Lebewesen zukommt, wird immer deutlicher durch die Wissenschaft belegt. So finden z. B. Zugvögel ihre Orientierung aufgrund eines im Schnabel befindlichen Magnetiten, der sich am Magnetfeld der Erde orientiert.

Der Bischof und seine Berater waren in Erklärungsnot und eine Zwangslage geraten. Wie sich daraus befreien? Damals wie heute löste man ein derartiges Problem, indem man eine solche Person „nach oben“ weg beförderte, was aus guten Gründen in diesem Fall nicht möglich war. Also sah man den Königsweg darin, den nunmehr allseits bekannten und geschätzten „Wunderheiler“ an einen Ort zu versetzen, wo er – so meinte man – aus dem Blickfeld verschwand und wenig Schaden in der Öffentlichkeit und für die katholische Kirche anrichten konnte. So wurde Kneipp im Mai 1855 als Beichtvater und Hausgeistlicher in das abgelegene ländliche und betuliche Kloster Wörishofen zu den Dominikanerrinnen versetzt. Dort setzte sich jedoch sein therapeutischer Siegeszug mit ungeahnter Wucht und Wirkung fort und zog Patienten nicht nur aus der Region, sondern weit darüber hinaus im deutschsprachigen Raum an.

Im Laufe der Zeit hatte der „Wasserdoktor“, wie er jetzt oft respektvoll tituliert wurde, seine Wasserkur immer weiter auf der Grundlage aktueller Forschungsergebnisse in der einschlägigen Wissenschaftsliteratur der Mediziner Johann Siegmund Hahn, Heinrich Friedrich Franck und Richard Russell durch eigene Erkenntnisse verfeinert und vervollkommnet. Seine 5-Säulen-Philosophie mit dem Zusammenspiel von Wasser-Heilpflanzen-Bewegung, ausgewogener Ernährung und innerer Balance (Ordnung) in Kombination verschiedenster aquantischer Anwendungen von zuletzt über 100 verschiedenen „Kneipp‘schen Güssen“ (z. B. Knie- und Schenkel- sowie Oberguß) von heiß bis kalt, mit unterschiedlichen Wickeln wie Bein-, Arm-, Waden- und Halswickeln machten Kneipp nicht nur bekannt, sondern diesen Naturheilkundler auch berühmt. Davon profitierte auch der ländlich geprägte Ort Wörishofen, der immer stärker und schneller prosperierte.

Hatte Kneipp anfangs viele Gegner und große Widerstände in Berufsgruppen der Schulmedizin und Behörden zu überwinden mit Rufmord, Anzeigen, Verleumdungen und Gerichtsverfahren, so kippte diese Stimmung, erst allmählich und dann geradezu galoppmäßig ins Gegenteil. Auch die katholische Kirche versteckte ihren erfolgreichen geistlichen Bruder und Wunderheiler nun nicht mehr länger hinter Klostermauern.

Vom Richter und Staatsanwalt bis hin zum Geld- und Hochadel rekrutierten sich seine immer wachsenderen Patientenscharen. Der Durchbruch dieser letztgenannten Klientel war das Jahr 1871, als Wilhelm von Preußen, deutscher Kaiser, aufgrund vorangegangener erfolgreicher Behandlungen seiner Gicht auch Kneipps Freund und Förderer wurde.

Seine Stellung als Geistlicher mit der mittlerweile erfolgten Berufung zu einem Monsignore erhielt nun auch noch eine Krönung, denn Papst Leo XIII. ernannte ihn zum „Päpstlichen Geheimkämmerer“ und lud ihn zu sich nach Rom in den Vatikan ein. Natürlich verbunden mit dem Wunsche, von diesem an seiner Gichterkrankung behandelt zu werden.

Als dies von Kneipp erfolgreich abgeschlossen wurde, schenkte Papst Leo diesem auch noch eine wertvolle Goldmedaille. Der Monsignore aus Wörishofen war somit quasi auch der temporäre Leibarzt des Papstes geworden. Nur zur Vervollständigung sei erwähnt, dass ihm auch noch die Verleihung „Komtur des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem“ durch den dortigen lateinischen Patriarchen zuteil wurde.

Mit diesem Renommee im Rücken schnellten die Besucherzahlen und Heilbehandlungen in Wörishofen kometenhaft in die Höhe. Waren es 1989 erst 4.000 Patienten die Linderung und Heilung für ihre Schmerzen suchten, waren es ein Jahr später 6.000 und 1893 sogar 33.100 Kurgäste.
Mit den sie begleitenden Angehörigen – damals als „sonstige Zuläufer“ und „Passanten“ (Gäste) bezeichnet – ergab das die unglaubliche Zahl von über 100.000 Personen, die nun auch in den benachbarten Ortschaften untergebracht werden mussten. Der Siegeszug des außergewöhnlichen Pfarrers war nicht mehr aufzuhalten.

Quasi über Nacht spielte nun das gerade erst aus seinem Dornröschenschlaf aufgewachte dörfliche Wörishofen mit in der obersten Gesundheitsliga wie den weltbekannten Kurorten im böhmischen Bäderdreieck Karlsbad, Marienbad, Franzensbad sowie Baden bei Wien und Baden-Baden, wo fürstliches Flair und Luxus mit den Kuranwendungen verschmolzen. Natürlich steht Sebastian Kneipp im Mittelpunkt dieses gleißenden Erfolgslichtes. Ihn und seine erfolgreichen hydrotherapeutischen Heilerfolge machen ihn – und damit auch Wörishofen – weltbekannt.

Sein Name hat insbesondere auch in Skandinavien bis heute einen guten Klang. So gibt es im schwedischen Norrköpping den nach ihm benannten Stadtteil Kneippbaden oder Kneippen und außerhalb von Visby die Freizeitanlage Kneippbyn.

1975 entschied eine internationale Historikerkommission, die Bedeutung Kneipps sei so herausragend, dass seine Büste in der „Münchner Ruhmeshalle“ aufzustellen sei, was dann auch geschah. Seit 2010 wird der Geburtstag Sebastian Kneipps unter den Namen „Sebastian-Kneipp-Tag“ als Gesundheitstag bei der „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ geführt und am 4. Dezember 2015 wurde Kneipp sozusagen postum geadelt. Denn die deutsche UNESCO-Kommission gab bekannt, dass das „Kneippen“ als „traditionelles“ Wissen und Praxis nach der Lehre Sebastian Kneipps in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden ist.

Wie hoch dieser Hydrotherapeut auch heute noch in der Gunst von Patienten und Therapeuten steht und welche Hochachtung ihm entgegengebracht wird, machte auch die Deutsche Bundespost deutlich, die sowohl 1953 eine Briefmarke „Kneipp als Helfer der Menschheit“ als auch 1997 anlässlich des 100. Todestag von Kneipp herausgegeben hat.

Kneippen hier – Kneipen dort: auch an den deutschen Stammtischen wusste man den Pfarrer auf eine individuelle pointierte Art zu würdigen, indem man den Geistlichen Monsignore um ein „P“ erleichterte und nicht zum „Früh- oder Dämmerschoppen, sondern zum „Kneipen“ ging.

Ein humorvolles Gedicht von Peter G. Schuhknecht verdeutlicht dies wie folgt:

Sebastian Kneipp

Der eine macht `ne Kneipentour,

Der andre macht bei Kneipp `ne Kur.

Sebastian Kneipp, sei hier vermittelt,

Hat viele Leute eingewickelt.

Entspannung haben sie gefunden

Obwohl in Tüchern eingebunden.

Ins Wasser wird man erst getaucht,

Wozu man die Patienten braucht.

Und wenn man aus dem Wasser steigt,

Stets Zeit noch für ein Bierchen bleibt.

Und so sind Kneipp und Kneipentour

Doch immer noch die schönste Kur.

Die Hautevolee von bekannten Persönlichkeiten aus Adel und Politik, Musik, Kunst und Kirche, die sich an der Geburtsstätte des Kneipp’schen Naturheilverfahrens einer Kuranwendung unterzogen, wird aus den beiden Gästebüchern in der Gemeindeverwaltung sowie im Dominikanerkloster deutlich.

Die Eintragungen sind in 18 Sprachen mit selbst exotischen wie Indischer-, Togolesischer sowie Zulusprache geschrieben.

Exemplarisch seien erwähnt:

*        Erzherzog Joseph von Österreich-Ungarn mit seinem
      Sohn Josef Augustin

*        Herzog und Herzogin Paul von Mecklenburg

*        Maharadscha von Baroda Sayaji Rao Gayakwad III.

*        Dr. med. Shamsshuiddin Suleman, der Leibarzt des
      Maharadschas

*        Josef Karnicki, Senator des russischen Kaiserreichs

*        Don Carlos, Infant von Spanien; Herzog von Madrid

*        Prinz Heinrich von Bourbon

*        Franz, Abt von Marianhil, Natal (Südafrika)

*        Dr. Simeon Volonteri, apostolischer Vikar der Provinz Ho-
      nou, Guin

*        Seine Eminenz Kardinal Domenico Agostini, Patriarch von
      Venedig

*        Pascha Strecker aus Konstantinopel

*        Prinz Neriman Khan, persischer Gesandter in Wien

 

Und auch die Garde der Künstler ist bei den Kurenden erstklassig:

 *        Geza Anda, internationaler Pianist

*        Heli Finkenzeller, Schauspielerin

*        Irmgard Seefried, Opernsängerin

*        Maria Wolf, Kammersängerin (Staatsoper München)

*        Grace Bambry, US-amerikanische Opernsängerin

*        Ivo Pogorelich, internationaler Pianist

Und es taucht mit „Kálmán“ auch der Name eines überaus bekannten Operettenkomponisten auf, doch nicht etwa Imre, bzw. Emmerich, sondern dessen Sohn Charles Kálmán, der in die Fußstapfen seines Vaters hinein geschlüpft aber nicht annähernd so bekannt geworden ist. Er vollendete die letzte Operette seines Vaters, die „Arizona-Lady“, und komponierte neben Orchesterstücken und Konzerten auch einige erfolgreiche Operetten, von denen seine erste „Wir reisen um die Welt“ große Resonanz fand.

Oft erblickt man bei den Eintragungen auch besinnliche oder geistig-spritzige Anmerkungen wie z. B. die des „hochwürdigsten Herrn Bischofs Cselka aus Budapest“ vom 11. August 1894:

„Die Kneipperei ruiniert die Gesundheit,
die Kneipperei stellt sie wieder her
und erhält sie. Also!“

Als Pfarrer Sebastian Kneipp nach einem sehr abwechslungsreichen, aufregenden und erfüllten Leben am 17. Juni 1897 in Wörishofen die Augen schließt, kann er auf ein großartiges, abgeschlossenes Lebenswerk blicken. Er hinterlässt eine große Trauergemeinde weltweit. Ein großartiger und erfolgreicher Hydrotherapeut, Erfinder der Kneipp’schen Wasserkur und Wasser-Papst; er ist eine Ikone der Heilkunst. Sein 200. Geburtstag stellt deshalb mehr als nur ein rundes Jubiläum dar, das lediglich die zeitgenössischen Annalen füllt und wieder schnell der Vergessenheit anheimfällt. Denn die große Familie derjenigen, die sich den Naturheilverfahren verschrieben haben und sich in dieser Gesundheitsbewegung engagieren, erlebt eine Renaissance.

Die ab 1890 gegründeten Kneippvereine sowie der Kneippbund und Kneipp – Ärztebund sind weltweit aktiv. Allein in Deutschland existieren über 600 Kneippvereine mit knapp 160.000 Mitgliedern und 78 Kneipp-Kurorte. Im Jahre 1920 wird Wörishofen das Prädikat „Bad“ verliehen, was den staatlichen Ritterschlag für einen Ort darstellt, der sich um erfolgreiche Heilbehandlungen auszeichnet.

Und wenn im Jubiläumsjahr Sebastian Kneipp mit vielen – auch hochkarätigen – Veranstaltungen in Bad Wörishofen gedacht wird, dann findet in den Programmen etlicher Veranstaltungen auch ein Brückenschlag zu einer großen deutschen Opernsängerin statt. Diese war eine begeisterte überzeugte Kneippianerin und ständiger Kurgast, eine Opernsängerin von Weltformat. Ihr zu Ehren benannte die Stadt Bad Wörishofen ihre städtische Musikeinrichtung.

Es ist die deutsche lyrische Sopranistin Irmgard Seefried (9.10.1919–24.11.1988), die sowohl als Opern- als auch Liedsängerin Weltruhm genoss. Auch die „Irmgard Seefried Sing- und Musikschule“ wird sich dabei sowohl mit Vokal- als auch Instrumentalgruppen aller Altersklassen konzertant einbringen, um den großen „Lebensreformer und Erfinder des Europäischen Naturheilverfahrens“ zu ehren.

Zitatende

 

 


 

Am 2.3.2021 erschien in der Hannoverschen Allgemeinen folgender Artikel:

 

 

Zitat
Das Schauspiel Hannover präsentiert demnächst ein neues Format.

In der Reihe „Bei Anruf Wort“ können Zuschauerinnen und Zuschauer
mit Ensemblemitgliedern telefonieren.

Bei den Eins-zu-eins-Gesprächen am Telefon wollen die Theaterleute den Anrufern und Anruferinnen Gedichte und literarische Texte vorlesen.

Am 16. März um 17 Uhr geht die neue Reihe los. Danach können die Theatertelefonate jeweils dienstags, donnerstags und sonnabends geführt werden.
In der ersten Woche geht es um das Thema „Wunder“, in den weiteren Märzwochen sollen die Themen „Fernweh“ und „Lust“ behandelt werden.

Interessenten können sich unter der Nummer (0511) 99 99 11 11 einen Termin geben lassen. ‚
Die Theaterschaffenden rufen dann zurück
.
Jedes Gespräch soll etwa 15 Minuten dauern.

Das Ganze hat drei Vorteile:

1. Der Einsatz von Theaternebel ist hier nicht möglich.  
2. Es gibt keine Pausengespräche.  
3. Es ist nicht schlimm, wenn man keinen Euro für die Garderobe dabei hat, denn man kann ja hübsch zu Hause im Sessel sitzen bleiben.  

Die Telefoniererei mit den Theaterleuten hat aber auch drei Nachteile:

1. Man bleibt hübsch zu Hause im Sessel sitzen.
2.

Die Schauspielerin und der Schauspieler stellen am Ende womöglich die Frage:

„Und, wie war ich?“

3. Es gibt keine Theaterkritik.

 

Ui, Theater ohne Theaterkritik.
Wie
soll das denn bitte schön funktionieren?
Niemand, der sagt, dass die Sache nach der Pause ein bisschen durchhing? Keiner, der anmerkt, dass da Falten im Rundhorizont waren?
Und dass die Textverständlichkeit nicht immer gegeben war?
Das geht doch nicht.

Vielleicht sollten wir es so machen:
Wer nach der Telefoniererei mit den Schauspielerinnen und Schauspielern das Bedürfnis nach – einer Antwort auf die Frage „Was sollte das jetzt?“ hat,
kann die HAZ-Nummer (0511) 5 18 18 36 anrufen.
Da gibt es dann die Theaterkritik.
Eine Viertelstunde dürfte die sicher nicht beanspruchen.

Ronald Meyer-Arlt 

Zitatende

Quelle: HAZ vom 2. März 2021, Seite 23

 

Am 18. März 2021 berichtete Ronald Meyer-Arlt auf Seite 23 der Hannoverschen Allgemeinen, dass er tatsächlich einen Anruf eines Schauspielers erhielt, der ihm einen Text aus einem Roman vorlas.
Er habe

 

 

Zitat
 ...  „ganz still gehört und nur ein paarmal gehustet, weil etwas in meinem Hals kratzte und damit der Schauspieler merkt, dass ich noch da bin und nicht das Gefühl hat, ins Leere  zu sprechen.“

Zitatende

Zum Schluss

 

 

Zitat

 ...  „habe ich applaudiert und ein bisschen ‚Huuu‘ gerufen. Was man im Theater so macht, wenn’s besonders gut war.

Zitatend

Quelle: HAZ vom 18. März 2021, Seite 23

Beim Besuch der Vorstellungen ‘Der zerbrochne Krug
http://www.telezeitung-online.de/Thema_des_Tages_02._Maerz_2021_'Krug'_in_HAJ.htm


und ‘Don Karlos‘ am Staatsschauspiel Hannover, hatte man keine Veranlassung “Huuu!“ zu rufen, weil‘s besonders gut war. Eher “Bu! Bu,hu,hu!“, denn beide Produktionen waren grottenschlecht. Aber die zurückhaltenden Hannoveraner applaudierten pflichtschuldigst.

Was soll also das Telefonieren jetzt?
Es führt nur zu Irritationen!
Man nutzt Plänkeleien, um im Gespräch zu bleiben und um vom Eigentlichen abzulenken.

Die jetzige Geschäftsführerin der Nds. Staatsschauspiel Hannover GmbH war vordem am Deutschen Theater in Berlin bei Herrn Khuon als Dramaturgin engagiert und damit zuständig und verantwortlich für diese verheerende Produktion von Schillers  ‘Kabale und Liebe‘.
Man lese nach und mache sich ein Bild:

http://www.telezeitung-online.de/
Bemerkungen_zu_%27Kabale_und_Liebe%27_Deutsches_Theater_Berlin_4.4.2010.htm
 

Es kann nicht sein, dass hundert Prozent der Bevölkerung öffentliche Einrichtungen finanzieren, die dann nur von einem Bruchteil genutzt werden, weil sie den Ansprüchen in Bezug auf Erfüllung des Bildungsauftrages nicht gerecht werden.
Für das viele Geld müssen Aufträge, ja sogar Zielvereinbarung mit Kultureinrichtungen abgeschlossen werden.
Die können nicht machen, was sie wollen!
 

 



 

 


 


30. März 2021, 16:57 Uhr
Theater und Macht
:

Welche Intendantinnen hätten Sie gern?

"Der Intendant ist nicht Gott. Wir arbeiten mit euch, nicht unter euch":

Der Machtmissbrauch von Klaus Dörr an der Berliner Volksbühne hat mal wieder Strukturfehler am Theater gezeigt. Und nun? Ein paar Vorschläge. - Von Christiane Lutz

Für die Welt ist es eine kleine Meldung, für Theaterdeutschland eine große: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Theaters Krefeld Mönchengladbach haben vor Kurzem einen neuen Schauspieldirektor gewählt. Richtig: gewählt. Demokratisch. Das mag wenig originell klingen, kommt in der Szene aber einer Revolution gleich. Schließlich wird am Theater niemand in Leitungspositionen gewählt. Intendanten werden ernannt, sie werden geholt, installiert, als Alleinherrscher. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben da nichts mitzureden.

Michael Grosse hält diese Art der Ernennung für unmodern, obwohl er selbst Intendant ist, eben am Theater Krefeld Mönchengladbach. So beschloss er, das Ensemble, die Souflierenden und die Inspizienten einfach zu fragen, wen sie denn gern hätten, als Schauspieldirektor. An sechs Kandidaten schickte das Theater einen Fragenkatalog. Etwa: Wie gehen Sie mit Krisen um? Wie lassen Sie Mitarbeiter an Entscheidungen teilhaben? Drei wurden eingeladen, ihre Ideen zu präsentieren. Dann wurde abgestimmt. Es wird Christoph Roos, derzeit noch Oberspielleiter am Landestheater Tübingen. Hinter diese Idee der Abstimmung, das ist Intendant Grosse klar, kann er künftig nicht mehr zurück. Ob solch eine Wahl der Weisheit letzter Schluss ist, ist natürlich fraglich.
Der Versuch aber zeigt, wie dringend der Wunsch vieler Theaterbeschäftigter ist, selbst ihre Arbeitsbedingungen mitzugestalten, das veraltete System zu entkalken. Der Fall Klaus Dörr an der Berliner Volksbühne hat der Diskussion über allmächtige, zu Übergriffen neigende Intendanten zudem neuen Zunder gegeben.

"Für 2000 Euro kriegst du alles von den Schauspielern"
Das Ensemble-Netzwerk setzt sich seit seiner Gründung 2018 für die Interessen von Künstlern am Theater und für faire Arbeitsbedingungen ein. Lisa Jopt und Thomas Schmidt sind im Vorstand und legen seitdem den Finger in die strukturellen Wunden des Theaters und machen Vorschläge, wie es denn besser gehen könnte. Für sie ist klar: Das Theatersystem, so, wie es ist, begünstigt Machtmissbrauch jeglicher Art. Das liege zum einen an der Position des Intendanten, der oder die im Endeffekt alleiniger Entscheider in künstlerischen und personellen Fragen ist. Zum anderen an den prekären Arbeitsverhältnissen, in denen vor allem Schauspieler am Theater beschäftigt sind, festgehalten im Tarifvertrag NV-Bühne (NV steht für "Normalvertrag"). Also müsse beides weg.

Den NV-Bühne nennt die Schauspielerin Jopt nur "NV-Flatrate", denn "für 2000 Euro kriegst du alles von den Schauspielern". Dieser Vertrag kann jedes oder jedes zweite Jahr einfach nicht verlängert werden aufgrund von "künstlerischen Gründen". Schauspieler müssen also ständig Angst haben, gehen zu müssen. Der Spielraum, was diese "künstlerischen Gründe" sind, reicht von persönlichen Antipathien über offene Streitereien. Bei Intendantenwechseln ist es üblich, Teile des Ensembles auszutauschen. Künstlerische Gründe. Wenn eine Schauspielerin älter wird und scheinbar weniger Rollen für sie zur Verfügung stehen: künstlerische Gründe. So etwas wie Kündigungsschutz gibt es nicht mal automatisch für Menschen in Elternzeit oder den Personalrat. Undenkbar in anderen Unternehmen.

"Man kann Leute sehr leicht loswerden", sagt Lisa Jopt. "Jeder, der sich gegen bestehendes Unrecht stark macht, muss mit Bestrafung rechnen." Da ist es kein Wunder, dass Menschen sich fürchten, den Mund aufzumachen gegen Regisseure und Intendanten. Diese betreiben ihren schlechten Stil oft über Jahre weiter, an den verschiedensten Häusern.

Vor allem für junge Schauspielerinnen sei es hart, sich überhaupt am Theater zu etablieren. Da ist einerseits ein stark umkämpfter Markt, gleichzeitig wird noch immer sehr viel klassischer Kanon inszeniert, in dem es weniger interessante Rollen für Frauen gibt. Man kommt voran, indem man mit den richtigen "Namen" und an den richtigen Häusern arbeitet. "Man schlägt keine der wichtigen Türen zu, das könnte sich herumsprechen", sagt Jopt dazu, warum so viel ertragen wird, was eigentlich unerträglich ist.

"Schrei-Intendanten" setzen ihren Willen über Lautstärke und Dominanzgesten durch
Viele Facetten des Machtmissbrauchs sind inzwischen bekannt: Ältere Spieler werden nicht selten aus den Ensembles gedrängt, sexistisches, teils rassistisches Verhalten wird geduldet. Nicht von ungefähr wurde extra fürs Theater der Titel des "Schrei-Intendanten" erfunden, für einen, der seinen Willen über Lautstärke und Dominanzgesten durchsetzt. Gift für das Klima, wie in jedem anderen Unternehmen auch. Diese Art der Betriebsführung kostete zuletzt Peter Spuhler vom Staatstheater Karlsruhe seinen Generalintendantenjob.
Ein guter Künstler zu sein, qualifiziere jemanden noch lange nicht zum Chef eines Theaters, sagt Jopt. Zu viel laufe bei der Ernennung der Intendanten über Beziehungen. Die Städte und Ministerien entscheiden, der Deutsche Bühnenverein berät. So geht es seit Jahren. Das Ensemble-Netzwerk fordert Qualitätskriterien. "Jeder Fußballspieler, der Trainer werden will, muss doch auch einen Trainerschein erwerben", sagt Jopt.

Zitatende

Quelle: https://www.sueddeutsche.de/kultur/theater-und-macht-welche-intendantinnen-haetten-sie-gern-1.5251566

 

 

 

 




 

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Albtraum Opern-Sanierung: Kosten-Explosion in Köln

Ursprünglich sollte die Modernisierung der Oper Köln 253 Millionen Euro kosten - jetzt wird mit mindestens 618 Millionen Euro gerechnet - und der Zeitplan ist ohnehin ins Wanken geraten. Das dürfte auch einige bayerische Projekte überschatten.
Das Projekt wird immer beängstigender: Einst soll die marode Kölner Oper abgerissen und neu gebaut werden, dann sorgte ein Aufstand der Bürger dafür, dass die Stadt sich für eine Generalsanierung entschied.
Die erweist sich nun als Albtraum. Statt wie ursprünglich einmal berechnet 253 Millionen Euro zu kosten, verdoppelten sich die Ausgaben im Rekordtempo, und selbst das wird nicht reichen. Nach dem neuesten Stand, den Oberbürgermeisterin Henriette Reker und der Technische Betriebsleiter Bernd Streitberger verkünden mussten, wird es unter 618 Millionen Euro nicht zu machen sein, auch 644 Millionen Euro sind durchaus denkbar - "bei Eintritt aller bekannten Risiken".

Die "Kölner Rundschau" rechnete vor, dass die Milliarden-Grenze überschritten wird, wenn auch die Kosten für die Ausweichquartiere und die Finanzierung dazu addiert werden. Da hilft es auch wenig, dass die Stadt den Aufwand für die Finanzierung inzwischen geringfügig nach unten korrigiert hat, schließlich ist das Zins-Umfeld weiterhin günstig.
"Das sind die schlechten, die schmerzlichen Nachrichten“, stellt Oberbürgermeisterin Reker in einer Pressemitteilung der Stadt Köln fest: "Sie sind Folge dessen, dass wir 2015 alles auf null stellen und im Prinzip komplett von vorn beginnen mussten. Die gute Nachricht heute aber ist: Wir sind mit der Planung, einem durchaus auch nervenaufreibenden Prozess, auf der Zielgeraden. Ab März/April wird der Baubetrieb wieder hochgefahren, Mitte dieses Jahres soll wieder mit voller Kraft gebaut werden."


Mindestens neun Jahre Verspätung

Der Technische Betriebsleiter Bernd Streitberger nennt als Hauptgründe für die Verlängerung der Projektlaufzeit "Nachlieferungen, Nacharbeiten und den intensiven Prüfprozess". Mit der Übergabe der sanierten Oper an die Künstler wird jetzt für das erste Quartal 2024 gerechnet, also neun Jahre später als zunächst ins Auge gefasst. Daneben gibt es aktuell auch Zoff um die Noch-Intendantin Birgit Meyer, deren Vertrag im Sommer 2022 ausläuft und nach zehn Jahren Amtszeit nicht verlängert werden soll. Henriette Reker wünscht sich ohne Angabe von näheren Gründen für die Wiedereröffnung der Oper eine "neue Handschrift". Gerüchteweise war von einem Zerwürfnis zwischen Intendantin Meyer und Generalmusikdirektor François-Xavier Roth die Rede, was dieser jedoch öffentlich nicht bestätigt hat.


Bayerische Projekte laufen ebenfalls aus dem Ruder

Für bayerische Großprojekte ist die Entwicklung in Köln einmal mehr ein Menetekel. In Augsburg läuft derzeit eine Theatersanierung, gegen die momentan sogar ein Bürgerbegehren vorbereitet wird. Auch am Lech verdoppelte sich bereits die Kostenschätzung, von zunächst kalkulierten 186 auf 321 Millionen Euro - bei ungewisser Zukunft. Das Opernhaus in Nürnberg muss ebenfalls baldmöglichst generalsaniert werden, derzeit werden dringend notwendige Arbeiten am Brandschutz durchgeführt. Konkrete Kosten wurden noch nicht genannt, im Finanzplan bis 2030 allerdings schon 500 Millionen Euro eingestellt. Das Festspielhaus in Bayreuth wird ebenfalls auf Vordermann gebracht. Dort ist von 170 Millionen Euro die Rede, von denen etwa die Hälfte der Bund schultern will. In Würzburg, wo das Mainfrankentheater saniert und teilweise neu gebaut wird, stiegen die Kosten von 72 auf aktuell 85 Millionen Euro.
Zitatende

Quelle: https://www.br.de/nachrichten/kultur/alptraum-opern-sanierung-kosten-explosion-in-koeln,SNDEGf2

 

 

Impressum

…. erscheint als nichtkommerzielles Rundschreiben zu

   

- ausgezeichnet mit dem Kulturförderpreis der Stadt Regensburg

kulturjournal  –  Büro 93047 Regensburg – Holzländestraße 6 –
info@kulturjournal-regensburg.de

Verteilung:
Direktversand an ausgewählte Leserschaft u.a.
Mitglieder der
Bürgerinitiative-Opernintendanz - http://bi-opernintendanz.de/
Niedersächsischer Landesrechnungshof,
Niedersächsische Landesregierung,
Staatsanwaltschaft Hannover,
Aufsichtsrat der Nds. Staatstheater Hannover GmbH,
Politische Parteien im Nds. Landtag,
Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover,
Bund der Steuerzahler,
Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger,
Richard-Wagner-Vereine,
Feuilletons von Tageszeitungen

RA Frank Wahner, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Hannover
RA Markus von Hohenhau, Fachanwalt für IT-Recht, Regensburg
RA Prof. Dr. Ernst Fricke, Fachanwalt für Bühnenrecht, München/Landshut

Wir verstehen diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen, sondern als Hinweis auf - nach unserer Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes. Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire. Hierfür nehmen wir den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.
Wir benutzen Informationen, hauptsächlich aus eigenen Unterlagen vom Regionalfernsehen Regensburg, telezeitung-online.de und aus dem Internet u.a. den Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Museums, der Preußen-Chronik, Wikipedia u.ä..
Texte werden paraphrasiert wiedergegeben oder als Zitate kenntlich gemacht.
Fotos wurden Buch- und CD-Einbänden entnommen. Beiträge aus der Rubrik ‘Musiktheater‘ wurden als Zitate aus dem Hermes Handlexikon übernommen.
Leserbriefe stellen die Meinung des jeweiligen Verfassers dar.

Gender-Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichten wir auf Differenzierung und geschlechtsneutrale Formulierung. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.


Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:


Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
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Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing