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04.01.2010 - dradio.de

 


Thema des Tages

Kriegserklärung

  Zitat
Am Sonntag, den 3. September 1939, war ich infolge der anstrengenden Tage, die hinter mir lagen, zu Hause so spät aufgewacht, daß ich nur mit Hilfe eines Taxis das Auswärtige Amt erreichte.
Ich konnte gerade noch sehen, wie Henderson durch den historischen Eingang in der Wilhelmstraße 76 das Haus betrat, als ich über den Wilhelmsplatz fuhr.

Ich benutzte einen Nebeneingang und stand pünktlich um g Uhr in Ribbentrops Arbeitszimmer zum Empfang Hendersons bereit. Auf die Minute genau meldete ihn der Amtsdiener. Er betrat das Zimmer mit einem sehr ernsten Gesicht, reichte mir die Hand, nahm aber auf meine Aufforderung nicht an dem kleinen Tisch in der Ecke des Zimmers Platz, sondern blieb feierlich mitten im Raum stehen.

„Ich muß Ihnen leider im Auftrage meiner Regierung ein Ultimatum an die deutsche Regierung überrei-chen",

begann er mit bewegter Stimme und verlas dann, während wir uns gegenüberstanden, das bekannte Dokument der britischen Regierung. „Über 24 Stunden sind vergangen, seit eine sofortige Antwort auf die Warnung vom z. September erbeten worden ist und seitdem die Angriffe gegen Polen intensiviert worden sind. Wenn die Regierung Seiner Majestät nicht vor 11 Uhr britischer Sommerzeit befriedigende Zusicherun-gen über die Einstellung aller Angriffshandlungen gegen Polen und die Zurückziehung der deutschen Truppen aus diesem Lande erhalten hat, so besteht von diesem Zeitpunkt ab der Kriegszustand zwischen Großbritannien und Deutschland."

Nach diesen Worten überreichte mir Henderson das folgenschwere Dokument und verabschiedete sich von mir. „Es tut mir aufrichtig leid", sagte er zu mir, „daß ich gerade Ihnen ein solches Dokument übergeben muß, denn Sie sind stets sehr hilfsbereit gewesen." Ich drückte auch meinerseits mein Bedauern aus und richtete noch einige von Herzen kommende Abschieds-worte an den englischen Botschafter, den ich, wie gesagt, immer außerordentlich geschätzt hatte.

Dann begab ich mich mit dem Ultimatum in der Aktentasche in die Reichskanzlei, wo alles voller Spannung auf mein Kommen wartete. In dem Raum vor Hitlers Arbeitszimmer waren die meisten Kabinettsmitglieder und prominenten Parteileute versammelt.

Es herrschte ein ziemlich starkes Gedränge, so daß ich einige Mühe hatte, zu Hitler vorzudringen. „Was gibt es denn Neues?", fragten mich mehrere etwas ängstlich klingende Stimmen. Ich entgegnete nur achselzuckend: „Die Schule fällt aus", und betrat das danebenliegende Zimmer, in dem Hitler an seinem Arbeitstisch saß, während Ribbentrop etwas rechts von ihm am Fenster stand. Beide blickten gespannt auf; als sie mich sahen.

Ich blieb in einiger Entfernung vor Hitlers Tisch stehen und übersetzte ihm dann langsam das Ultimatum der britischen Regierung. Als ich geendet hatte, herrschte völlige Stille, genau so wie nach dem Paukenschlag in der Nacht von Godes-berg.

Wie versteinert saß Hitler da und blickte vor sich hin. Er war nicht fassungslos, wie es später behauptet wurde, er tobte auch nicht, wie es wieder andere wissen wollten. Er saß völlig still und regungslos an seinem Platz.

Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, wandte er sich Ribbentrop zu, der wie erstarrt am Fenster stehen geblieben war. „Was nun?" fragte Hitler seinen Außenminister mit einem wütenden Blick in den Augen, als wolle er zum Ausdruck bringen, daß ihn Ribbentrop über die Reaktion der Engländer falsch informiert habe.
Ribbentrop erwiderte mit leiser Stimme: „Ich nehme an, daß die Franzosen uns in der nächsten Stunde ein gleichlautendes Ultimatum überreichen werden."

Da meine Aufgabe nun erledigt war, zog ich mich zurück und sagte den draußen im Vorzimmer Wartenden, die mich umdrängten:

„Die Engländer haben uns soeben ein Ultimatum überreicht. In zwei Stunden besteht zwischen England und Deutschland Kriegszustand."

Auch hier - im Vorraum herrschte bei dieser Ankündigung Totenstille.

Göring drehte sich zu mir um und sagte: „Wenn wir diesen Krieg verlieren, dann möge uns der Himmel gnädig sein!"

Goebbels stand in einer Ecke, niedergeschlagen und in sich gekehrt, und sah buchstäblich aus wie der bewußte begossene Pudel.

Überall sah ich betretene Gesichter, auch bei den kleineren Parteileuten, die sich im Raum befanden.
Coulondre übergab kurz danach Ribbentrop ein auf 5 Uhr nachmittags befristetes Ultimatum gleichen Inhalts.

Am Abend verließ ich das verdunkelte Berlin im Sonderzug des Auswärtigen Amtes in östlicher Richtung.
Zitatende

Dr. Paul Schmidt - 'Statist auf diplomatischer Bühne' - Athenäum Verlag - 1949 - S. 463 - 464

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:


Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing
 

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