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04.01.2010 - dradio.de

 

 

 


Thema des Tages

5. März 1931

'Der Hauptmann von Köpenick'


Uraufführung in Berlin

'Der fröhliche Weinberg' lief ungeachtet der schlechten Kritiken - Goebbels fand das Stück am 10. September 1926 'einfach saumäßig'. So was kröne man in Deutschland mit dem Kleistpreis.

Auch die 'Katharina Knie' war schon auf den Spielplänen.

Zuckmayer dachte, beim nächsten Stück, das Thema 'Eulenspiegel' aufzugreifen - aber es gelang ihm nicht, einen Bogen vom alten Volksbuch zur Gegenwart zu schlagen.

Fritz Kortner kam mit der Idee, einen Film über das Ereignis des Jahres 1910 zu inszenieren, die Geschichte des Schusters Voigt, der sich in einer alten Hauptmann-Uniform im Rathaus Köpenick einen Pass zu erschleichen sucht.

Zuckmayer griff das Thema auf, erzählte Helene Thimig davon und Reinhardt bat sogleich um das Textbuch. Da musste das Stück überhaupt erst noch geschrieben werden.
 

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Für den Vortag der Uraufführung war eine öffentliche Generalprobe angesetzt, zu der Werner Krauß in einem Zustand einer fast vollendeten Volltrunkenheit von Heinz Hilpert aus einer Weinkneipe in Köpenick geholt werden musste - der Hauptdarsteller wollte noch 'Atmosphäre' studieren.

Bei dieser öffentlichen Probe wurde das Stück von den Anwesenden mit Skepsis aufgenommen - Max Pallenberg, der mit seiner Frau Fritzi Massary hinter Zuckmayer im Zuschauerraum saß, kommentierte mit mitleidigem Lächeln: 'Seltsames Stück'

Die Premiere lief dann, dank der überragenden schauspielerischen Fähigkeiten des Werner Krauß, mit ungeheurer Intensität ab.
Wie Ihering es fand, spielte Krauß einen kleinen, unbedeutenden Spintisier.

Danach übernahmen große Charakterdarsteller die Rolle des Schusters Voigt:
Rudolf Platte, Erich Ponto, Carl Raddatz, Werner Hinz und Heinz Rühmann.

Als Harald Juhnke als Schuster Voigt ausfiel, spielte die Regisseurin der Produktion die Rolle des Köpenicker Hauptmanns: Katharina Thalbach.

 

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Die Wirkung auf das große Publikum war 1931 besonders nachhaltig, da hier - obwohl das reale Ereignis 20 Jahre zurücklag - bereits die aufkommende militärische Kostümierung der neuen Machthaber persifliert wurde.

Goebbels drohte, er - Zuckmayer - werde bald ein Zuchthaus von innen sehen, auch wurde die Ausbürgerung in Aussicht gestellt - zumindest aber auf den Henker verwiesen.

 

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Ein ähnlicher Vorfall wie seinerzeit in Köpenick ereignete sich am 14. April 1945 in Bayreuth - der Stadt, in der heutzutage die 'so genannten Wagner-Festspiele' abgewickelt werden

Karl Ruth war von den Nazis schon 1940 in Belgien, wohin er als Kommunist 1933 emigriert war, inhaftiert worden, saß zunächst in Berlin, dann - ab Januar 1945 - in Bayreuth im Gefängnis. Alle 270 Gefangenen sollten Anfang April noch von der SS erschossen werden.

Als die Amerikaner im Frühjahr 1945 auch Oberfranken erreichten, gelang es Ruth, aus der Haft zu entkommen, sich zu den heranrückenden Amerikanern durchzuschlagen und als unrechtmäßig einsitzender belgischer Staatsbürger auszugeben.

Im Rahmen der daraufhin eilig eingeleiteten Entlassung erhielt er von der US-Armee eine amerikanische Uniform, in der er mit Begleitmannschaft in die Stadt gefahren wurde. In einer unrechtmäßigen Amtshandlung - die Uniform tat ihre Wirkung - verlangte er von dem Wachpersonal die sofortige Freilassung der Häftlinge. Unter diesen befand sich auch der spätere Bundestagspräsident Gerstenmaier.

Weiter konnte Ruth verhindern, dass die Stadt von den Amerikanern beschossen und sonst wohl schwerer zerstört worden wäre.

Aber auch den Amerikanern fiel irgendwann das unberechtigte Nutzen der Kostümierung auf, Ruth wurde interniert und kehrte später dann nach Antwerpen, seinem früheren Wohnsitz zurück.

 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik
um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung -
Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing