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04.01.2010 - dradio.de

 

 

   

Thema des Tages

Uraufführung 'Tosca'
 

 

 

 
 


     ... am 14. Januar 1900
 

 
 

Im Teatro Costanzi von Rom kommt Puccinis Drama um die Sängerin Tosca zum ersten Mal auf die Bühne und von da ab ist der Siegeszug des Stückes nicht aufzuhalten.

Mit seinen drei Akten bietet es in allen Rollen alle Möglichkeiten - der Chor in einem Te Deum kurz und effektvoll herausgestellt. Die Sängerin der Titelrolle trumpft gegen eine Schar von Männern auf. Sie führt das Geschehen zwischen politischen Machenschaften, sie hat bis zum Ende des Werkes alle Fäden in der Hand - der Sprung von der Engelsburg - ihr Ende, aber auch ihr Triumph im letzten Moment.

Die Situation hat einen realen historischen Hintergrund.
Der erste Koalitionskrieg konnte von Frankreich auch dadurch gewonnen werden,, dass die Gegenmächte durch Friedensvereinbarungen aus dem Kriegsverbund herausgelöst wurden.

         
"[...] Im April 1792 erklärt das revolutionäre Frankreich, angestachelt durch eine verbale Provokation, Österreich den Krieg. Preußische Truppen dringen sofort tief nach Frankreich vor. Weitere europäische Mächte, darunter England und die Mehrheit der deutschen Staaten, schließen sich der antifranzösischen Koalition an. Durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht schafft sich die Revulutionsregierung ein nahezu unerschöpfliches Reservoir von hochmotivierten 'Bürgersoldaten'; aus einem französischen Verteidigungskrieg wird ein Eroberungsfeldzug. Außerdem wird eine neue Form der Kriegsführung entwickelt. Die Truppen ernähren sich aus dem Land, damit werden die französischen Armeen wesentlich beweglicher, da sie weniger Troß benötigen.
Trotz der Erfolge des Erzherzogs Karl im Reich endet der 1. Koalitionskrieg 1797 mit einer österreichischen Niederlage durch die Siege Napoleons Bonapartes in Italien. Der Aufstieg Napoleons hatte begonnen.
Der 1798 beginnende 2. Koalitionskrieg trifft besonders Bayern hart. Kriegsentscheidend ist im Dezember 1800 die Schlacht von Hohenlinden, die insgesamt 15 000 Soldaten das Lenen kostet. Das Schicksal des alten Reichs ist besiegelt. [...]"

'1806 - Das Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation'
Stadt Regensburg  - 2003

 

Die zweite Koalition aus Großbritannien, Österreich, Russland, dem Osmanischen Reich, Portugal, Neapel und dem Kirchenstaat gegen Frankreich scheiterte ebenso.
Deutschland unter Friedrich Wilhelm III. verhielt sich neutral - im ersten Koalitionskrieg waren Herzog Ferdinand von Braunschweig und Herzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach an dem Gefecht am 20.9.1792 beteiligt, das mit der Kanonade von Valmy und dem Vorrücken der französischen Revolutionstruppen die weitere Stärkung Napoleons vorgab. 

Um den Österreichern wieder in Italien entgegenzutreten, überquerte Napoleon die Alpen, musste den Feind in der Poebene erst suchen, zog dabei seine Truppen weit auseinander und stieß am 14. Juni 1800 bei Marengo auf die weitaus stärkere Streitmacht von General Michel Friedrich Melas. Am Nachmittag musste er sich zurückziehen und General Melas telegraphierte einen Sieg nach Wien.
Am Abend traf General Louis Charles Desaix mit seinem Korps ein und verwandelte die vermeintliche Niederlage in einen Sieg der Franzosen, verlor dabei aber selber sein Leben.

 


 

Victorien Sardou (1831 - 1908) französischen Dichter machte den 14. Juni 1800 zur Basis seines Werkes 'La Tosca' , das er Sarah Bernardt widmete und das mit ihr am 24. November 1887 als 'Pièce en cinq actes' uraufgeführt wurde. 

Die Schlacht von Marengo ist für Sardou nicht nur Kulisse, sondern bildet die Basis für die Auseinandersetzung zwischen den Vertretern zweier gegensätzlicher Gesellschaftssyteme.

Baron Scarpia verkörpert den eiskalten, frömmelnden Katholiken und Royalisten, der seine persönlichen Wünsche mit Perfidie und äußerster Brutalität durchzusetzen versteht.

Ihm gegenüber Cesare Angelotti und Mario Cavaradossi als Verfechter des Republikanismus, letzterer,  Künstler, Freigeist mit politischen Ambitionen und Überzeugungen, für die er sein Leben aufs Spiel setzt und verliert.

Puccini sah das Werk 1889 in Paris und war überzeugt, einen für ihn passenden Stoff gefunden zu haben, aber Sardou wollte seinen 'Hit' nicht einem damals noch fast unbekannten Komponisten zur Vertonung übergeben, auch hatte sich Alberto Franquetti das Sujet reservieren lassen. Nach Fertigstellung der Bohème konnte Verleger Ricordi das Stück für Puccini sichern.

Guiseppe Giacosa, Luigi Illica wie auch Puccini bearbeiteten die Vorlage und bezogen Sardou in die Arbeit ein. Die Handlung wurde von fünf auf drei Akte reduziert und eine Reihe von Figuren nicht übernommen.
Die Hauptfiguren verloren an politischer Kontur, da Puccini mehr die Liebesgeschichte und wieder einmal die Frau als Verliererin in den Vordergrund stellen wollte. Er selber recherchierte in Rom, um die Schauplätze und die Stimmungen vor Ort für sich weitmöglich zu übernehmen und umzusetzen.
Geblieben ist die Situation am Tag Schlacht von Marengo und wurde im Text ausdrücklich erwähnt.

     
1. Akt

EINIGE SCHÜLER
Aber was ist passiert?

MESNER
Wisst ihr nicht? Bonaparte ... der Schurke . . .
atemlos
Bonaparte ...

ANDERE SCHÜLER
nähern sich dem Mesner und umringen ihn, während weitere hereindrängen,
um sich mit ihnen zu vereinigen

Nun? Was war?

MESNER
Aufgerieben, geschlagen
und zum Teufel gejagt!

SCHÜLER, SÄNGER.
Wer sagt das?
- Ein Traum!
- Ein Märchen!

MESNER
Es ist die reine Wahrheit!
Eben traf die Nachricht ein!
Und heut abend
ein grosser Fackelzug
eine festliche Gesellschaft im Palazzo Farnese
und eine eigens geschriebene
neue Kantate
mit Floria Tosca!
Und in den Kirchen
Lobpreisungen des Herrn!
Nun geht euch anziehen,
kein Geschrei mehr!


[...]


2. Akt

SCIARRONE
stürzt keuchend herein
Euer Gnaden, welch eine Neuigkeit!

SCARPIA
überrascht
Was soll diese betrübte Miene?

SCIARRONE
Eine Niederlage ist zu melden ...

SCARPIA
Welche Niederlage? Wie? Wo?

SCIARRONE
Bei Marengo ...

SCARPIA
ungeduldig, schreiend
So rede endlich!

SCIARRONE
Bonaparte hat gesiegt ...

SCARPIA
Melas!

SCIARRONE
Nein. Melas ist auf der Flucht! ...

 


 

Das ausgehende 19. Jahrhundert brachte den Verismo - schonungslose Zeichnung von Milieu und Stimmung auf die Opernbühne, Italien und Frankreich waren die Länder, in denen die Wahrheit des Lebens schon seit 1830 in der Literatur dem Publikum dargeboten wurde.

1890 erschien 'Cavalleria rusticana' von Pietro Mascagni (1863–1945). 1892 kam  'I Pagliacci' von Ruggiero Leoncavallo (1857–1919) hinzu - beide Werke meist zusammen auf den Bühnen gezeigt.

'La Tosca', das Stück von Victorien Sardou eignet sich - wie schon als Werk auf der Sprechbühne - besonders für eine Vertonung im Stil dieser Zeit, da alle Möglichkeiten geboten sind, Wahrhaftiges aus Quälerei, Grausamkeit, Schrecken, Schönheit, Leidenschaft, Leid, Grandezza und vor allem in der Vereinigung von Eros, Weihrauch und Sadismus auf die Bühne als Musikdrama zu bringen.

Sardou hatte Verdi sein Stück 'La Patrie' zur Vertonung angeboten, der Altmeister aber antwortete, wenn er nicht schon so alt sei, würde er gerne 'La Tosca' übernehmen - Verdi hatte damals das 83. Lebensjahr schon erreicht.

Franchetti, der die Rechte an 'La Tosca' von Sardou erworben hatte, verzichtete 1895 wie er es schon bei 'André Chénier' zugunsten von Umberto Giordano tat.

Woher aber Sardou die Idee zu diesem Stück hatte, dass bereits auf der Sprechbühne zum Renner wurde, ist bisher ungeklärt. Er selber, der des Plagiats beschuldigt wurde, behauptete stets, er habe die Grundidee einer Geschichte aus den französischen Religionskriegen des 16. Jahrhunderts entnommen, Schauplatz sei Toulouse gewesen, wo der katholische Polizeioffizier de Montmorency - in ähnlicher Weise wie Scarpia - an einer protestantischen Bäuerin gehandelt habe.

Sardou - ein gebildeter Mann - übertrug  'La Tosca' ins von Österreich besetzte Italien.
 

     

 


 

Mit der Französischen Revolution begann in Europa das Zeitalter der Nationen, Nation nun nicht mehr verstanden als (Geburts)Stand, sondern als Gemeinschaft von Menschen gleicher Sprache, Geschichte und Kultur, die sich selbst bestimmen (Selbstbestimmungsrecht). Überall in Europa fingen die Völker an, ihre Sprache und Geschichte zu erforschen und eine eigene nationale Identität zu entwickeln.

In den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts versuchten italienische Provinzen und Städte die immer drückender werdenden Machtstellung Österreichs abzuschütteln. Napoleon unterstützte diese Bestrebungen und wurde damit zum Symbol für eine Republik.

Die Revolutionäre erstarkten, obwohl die Franzosen sich nicht viel besser als Besatzungsmacht in Italien verhielten als die Österreicher - trotzdem wurde das eher erduldet, weil es langfristig nationale Freiheit bedeuten konnte.  Nur Bauern und Adel, von der Kirche aufgeputscht, kämpften gegen die Franzosen, die die Aufstände niederschlugen, den Papst gefangen nahmen und nach Valence im Süden Frankreichs abtransportieren. Der Kirchenstaat wurde aufgelöst, die Römische Republik ausgerufen.

Napoleons Gegenspielerin war Maria Carolina, Tochter von Maria Theresia und Gattin des schwächlichen Königs Ferdinand IV von Neapel, Sohn von König Charles III von Spanien und Maria Amalia von Sachsen. Jede Art von Revolution, ob republikanische Begeisterung oder Voltaire'sches Gedankengut waren ihr zuwider, zumal ihre Schwester Marie Antoinette, mit der sie als Kind in enger Verbindung am Hof von Schönbrunn aufgewachsen war, am 16. Oktober 1793 in Paris guillotiniert wurde.

In der Zeit, da Napoleon in Ägypten kämpfte, zerschlug ein österreichisch-russisches Heer unter General Suworow die jungen italienischen Republiken. Rom fiel im September 1799 nach schweren Kämpfen - überwältigt von königlich-neapolitanischen Truppen. Maria Carolina übernahm in diesem Moment, da Papst Pius VI. in Valence starb, auch die Herrschaft in Rom.

Sie ließ Säuberungen durchführen, Jagd auf Verräter, Republikaner, Revolutionäre machen. Tausende schmachteten in Kerkern ohne Anklage und wurden von Maria Carolinas Schergen umgebracht.
Unter den Verfolgten war auch Cesare Angelotti, von den Franzosen als Konsul von Rom eingesetzt. An jenem 17. Juni 1800 floh er aus dem Gefängnis zur Marchesa Attavanti, seiner Schwester.
In deren Privatkapelle, einem Seitenraum der Kirche Sant'Andrea della Valle, verbarg er sich.

 

 

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Um 'Missverständnisse zu vermeiden:

Ich verstehe diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen, sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing

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