Zur Meinungsfreiheit westlicher Gesellschaften 
zählt das Recht zur missverständlichen Überzeichnung.
   
04.01.2010 - dradio.de

 

 

  Bayerische Staatsoper München

Bemerkungen eines Vollzahlers zur szenischen Umsetzung von
   

Richard Wagner
'Die Meistersinger von Nürnberg'
    
Repertoirevorstellung 29.05.2016


'Ein fahrender Sänger, allen bekannt,
 fahrender Sänger, das ist sein Stand'

 

 

 


Die Angelegenheit beginnt mit einer organisatorischen Fehlleistung.
Entsprechend der Maßgabe der Gewerkschaft werden die Türen zum Gebäude der bayerischen Staatsoper erst um Punkt eine Stunde vor Beginn der Vorstellung - hier also um 15 Uhr - geöffnet.

Die Order des Herrn Bachler - gerade verlängerter Intendant des Instituts - besagt, der Herr Dramaturg habe um dieselbe Zeit - also um 15 Uhr mit seinem Einführungsvortrag zu beginnen.

Das Publikum hat keine Zeit, zu stutzen, das hätte es sich vorher überlegen müssen, nun gilt es zu entscheiden.
Wähl man die Version 1, gibt den Ballast ab und eilt stürmischen Schrittes quer durch das Gebäude zum Capriccio-Saal.
Dort kommt derweilen der Dramaturg zum Ende seines Referates über das, was RW wollte und was nun der Regisseur draus gemacht hat.
Oder rennt man in der Version 2 zum Vortrag, mit der Gefahr, dass man mitsamt Plünnen im Zuschauerraum sitzt, weil keine Zeit mehr verblieb, sich der Pelerinen zu entledigen.

 




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Dass alles in einem schäbigen Schmuddelschauspiel-Regisseur-Ambiete' - Theaterdirektor und Regisseur kennen sich aus Wien - spielt, war zu erwarten.

Hier nun im ersten Aufzug Baustelle, links und rechts Gerüsttürme, Leuchten daran befestigt, zwischen den beiden Stahlbauten ein Holzpodest wie eine Boxarena.

Im zweiten Aufzug gleiche Aufteilung, nun aber als 'dreckerte' Häuserfassaden, daran befestigt Satellitenschüsseln zum Empfang diverser TV-Programme.
Links ein alter Renaultlieferwagen als rollende Schusterstube.
Gleiche Szenerie für den Beginn des dritten Aufzugs, dann nach der Verwandlung wieder die Gerüstteile, nun mit Fahnen behängt, die heruntergerollt werden können, wenn sie denn funktionieren würden.

Zum Schluss wird schamhaft ein verzerrtes Hitler-Portrait und ein Foto von Dr. Goebbels eingeblendet - der Bezug zu einer heute wieder populären politischen Strömung sollte wohl krampfhaft hergestellt werden.
 





2. Aufzug

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Das versierte Ensemble weiß, was es zu tun hat und jeder gestaltet seine Rolle nach Gutdünken, möglicherweise blieb auch etwas aus den Proben die Gesamtkonstellation betreffend hängen.

Dass alle den Abend über im selben Look erscheinen, konnte nicht anders erwartet werden, einem modernen, mit der Zeit gehendem Schauspiel-Regisseur fällt zu Kostümen wenig ein. Allenfalls darf Beckmesser sich umgewanden.

 





3. Aufzug

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Dass der Text auch an diesem Institut nicht in Übereinstimmung mit der Szene gebracht wird, zeigt wieder wie sehr am Bildungsauftrag zu Lasten des Steuerzahlers vorbei gearbeitet wird.
Den bayerischen Ministerpräsidenten tangiert es wenig bis garnicht.

 





3. Aufzug

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Der Ablauf des Stückes  findet in der üblichen Abhängigkeit der Rollen zu- und gegeneinander statt.

Beckmesser, der Verschmähte, der auf Hubpodium Balancierende, der sich nach der Prügelfuge im Rollstuhl Bewegende,

Sachs, der ältliche Liebhaber in seinem moving-shoe-shine-automobile, der weiß, dass er es nicht mehr bringen wird,

Goldschmied Pogner, der Schöne, der liebende Vater, der sein Kind in der heutigen Zeit verhökert und letztlich an einen herumziehenden Pop-Sänger bringt, ohne direkt etwas davon zu haben oder gar Geld dafür zu nehmen - bei dessen fabelhafter Stimmgebung mit ausgezeichneter Artikulation und deutlichen Endkonsonanten - exemplarisch.

David mit einem Elektroroller Umhergondelnder gemäß RW Lehrbube - am Besetzungszettel der Staatsoper ohne Zugehörigkeitsbescheinigung.

Magdalene ein irgendwas, die trotz Textvorgaben ohne Bezug zu Eva steht und die mehr oder weniger stets rein- und rausrennt.

Ein Ereignis der Nachtwächter von einem kuwaitischen Bariton mit einem außerordentlich schönem Timbre gesungen, erinnert an den jungen Bernd Weikl in BT in den 70er Jahren.

 





Der fahrende Sänger

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Der Held, im Original ein Ritter aus Frankenland, hier in MUC - Jeans und Lederjöppelchen reichen ihm, gleich wo er auftritt, 'turnschuht' er durch den Abend.

Dass er schon als Radamès in München auf 'unstraffen Schlurfi' machte, stört den Anteil nehmenden Opernbesucher.

Lässt es sich in den Meistersingern noch einigermaßen - das Gesamtkonzept auf Schmuddel basierend -  akzeptieren, so ist es unmöglich, nachzuvollziehen, dass er als ägyptischer Obrist mit 'einer Heerschar tapf'rer Männer', von ihm geführt, den einzigen Krieg, den die Ägypter jemals siegreich beendeten, nämlich den im zweiten Akt 'Aida', eben diesen, dieses 'Buberl im lockigen Haar', aber unstraffer Haltung, geführt haben soll.

Keiner sagt ihm:

"Stell' dich grade hin,
  Brust raus,
  geh' und steh' aufrecht
  und benimm dich nicht so nölig!"

"Aber er ist doch so niedlich!"

Und so war er es eben schon als Caramello in Regensburg als Anfänger 1993/1994.

Das Publikum merkt aber dieses heute und straft Hochnäsigkeit mit geringerem Schlussbefall als es dem Sachs zukommen lässt.

Dass Walter nun Töne durch Angähnen abdunkelt, wurde schon nach einem Konzert im Gasteig berichtet. Dass da Strahl und Kern verloren gehen, nimmt er in Kauf, denn es drohet schlimme Pein, er will ja unbedingt am 28.6.2017 aus dem ROH London den Otello ins Cinemaxx und in 'alle Welt' übertragen lassen.
Dabei fasziniert er im Spiel. Es ist nichts auf der Bühne, das er nicht anfasst und in die Handlung einbezieht. Da ist die H-Milch-Tüte, er muss natürlich dran riechen und darf feststellen, die Milch ist sauer, worüber er deutlich seine Nase rümpfen kann.

Gleich drauf beim Gespräch Eva/Sachs sitzt er am Rand der Bühne und dreht Zigaretten.

Lasst den 'Wuschel' doch den Romeo spielen:

'Die Nacht hat ihre Kerzen ausgebrannt,
 Der muntre Tag erklimmt die dunst'gen Höh'n:
 Nur Eile rettet mich, Verzug ist Tod.'
 





Schusterstube

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Das schönste Weib, Eva im Paradies, eine fesche, schlanke, Junge mit Strahlstimme, die einzige, die gut über die Orchesterwogen hinwegkommt und somit auch auf den teuren Plätzen im Parkett vernehmbar ist.

Wie schön klang neben ihr die Okka mitsamt dem hohen B als Waldtaube in den Schönberg'schen Gurreliedern in Hannover, aber die liegen halt in bequemer Mittellage, bis auf die Spitzentöne, während die Lene sich halt doch in unangenehmer hoher Lage ohne große Bögen singen zu dürfen, mit Plappern aufhält.

Einzig gute Regieleistung ist die Herausstellung des Kothner wie der sich präsentieren darf und der dabei schlackenfrei, alterslos, ohne Schaukel singt, obwohl man ihn doch schon vor Jahrzehnten in Wiesbaden hörte.
Ein berührendes Erlebnis.

 





Ständchen

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Fazit:

Alles in allem szenischer Schmuddel-Schmarrn, nicht anders zu erwarten, dieser mit kräftigen Buhs kommentiert.
Die kamen bei der Repertoirevorstellung zu spät, sie hätten bei der vom BR übertragenen Premiere deutlicher rüberkommen müssen.

Angeblich wollte der Regisseur - laut Dramaturg - es Beckmesser überlassen, etwas Neues für das Stück zu erfinden und er wollte angeblich zeigen, wie das Leben der Protagonisten weitergehe.

Auf Seite 28 des Programmheftes redet er zwar darüber, aber dies darzustellen, gelingt ihm nicht.


 





3. Aufzug

'Verachtet mir die Meister nicht'


 

 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:


Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz,
in Anspruch.

Dieter Hansing
 

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Die Bayerische Staatsoper gibt bekannt:

Zitat


Infos

Oper in drei Aufzügen

Komponist Richard Wagner · Libretto vom Komponisten
In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln | Neuproduktion

Sonntag, 29. Mai 2016
16.00 Uhr – 21.30 Uhr
Nationaltheater

Dauer ca. 5 Stunden 30 Minuten · Pausen zwischen 1. Akt und 2. Akt (ca. 17.15 - 17.55 Uhr) zwischen 2. Akt und 3. Akt (ca. 18.50 - 19.30 Uhr)

Einführung: 15.00 Uhr

Freier Verkauf. Die Anzahl der Karten ist auf 4 Karten je Kunde beschränkt.

Preise M

ausverkauft

Premiere am 16. Mai 2016

 

Musikalische Leitung
Kirill Petrenko
Inszenierung
David Bösch
Bühne
Patrick Bannwart
Kostüme
Meentje Nielsen
Video
Falko Herold
Licht
Michael Bauer
Dramaturgie
Rainer Karlitschek
Chöre
Sören Eckhoff

 
Hans Sachs
Wolfgang Koch
Veit Pogner
Christof Fischesser
Kunz Vogelgesang
Kevin Conners
Konrad Nachtigall
Christian Rieger
Sixtus Beckmesser
Markus Eiche
Fritz Kothner
Eike Wilm Schulte
Balthasar Zorn
Ulrich Reß
Ulrich Eißlinger
Stefan Heibach
Augustin Moser
Thorsten Scharnke
Hermann Ortel
Friedemann Röhlig
Hans Schwarz
Peter Lobert
Hans Foltz
Christoph Stephinger
Walther von Stolzing
Jonas Kaufmann
David
Benjamin Bruns
Eva
Sara Jakubiak
Magdalene
Okka von der Damerau
Nachtwächter
Tareq Nazmi

Zitatende

 

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