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zählt das Recht zur missverständlichen Überzeichnung.
   
04.01.2010 - dradio.de

 

 


Nr. 43

Print- und Internet-Werbung der Nds. Staatstheater Hannover GmbH

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Quelle: https://staatstheater-hannover.de/de_DE/bring-your-friends


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Wahlergebnis 9. Oktober 2022




Quelle: file:///C:/Users/Hansing/Downloads/20221010_PI_11_-_vorl._amtl._Endergebnis-2.pdf
 

Kommentar

„Selber Schuld“

Es gab genügend Themen, die nur hätten aufgegriffen werden müssen.
Alles laufen lassen, obwohl eine große Anzahl von Wählern z.B. die Kulturszene und speziell das fatale Misswirken der Theater in künstlerischer, wie wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht kritisch im Blick hatten.
Die Politik hat keine Ahnung, macht sich auch nicht die Mühe, Tatbestände zu erfassen und zu behandeln. Nun hat sie die Quittung und wundert sich, dass Wähler fernbleiben oder abwandern.

Zitate

 

 

 

 

Ronald Meyer-Arlt über den Spielzeitbeginn am Staatschauspiel Hannover mit Hamlet

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Der Rest ist Leere

[…]
[…] Am Ende gab es freundlichen Applaus.
Nur ganz wenige Zuschauerinnen und Zuschauer erhoben sich, um stehend zu applaudieren.
Diejenigen aber, die hinter ihnen saßen, erhoben sich nicht.
Es gab ja auch keinen Grund dafür!

[…]
Zitatende

Quelle: Hannoversche Allgemeine Zeitung – Ausgabe 19. September 2022 – Seite 23



 

 

 

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Riccardo Muti verteidigt das „N-Wort“ in der Oper

[…]
Hamburg. Riccardo Muti wendet sich gegen politische Korrektheit im Opernbetrieb. Er verteidigt in der „Zeit“ seine Entscheidung, bei der Aufführung von Verdis „Maskenball“ in Chicago das „N-Wort“ nicht gestrichen zu haben.

     „Es ist wichtig, dass nachfolgende
     Generationen wissen,
     was in der Vergangenheit los war,
     im Guten wie im Schlechten“
,

sagt der Stardirigent.
  
    „Wir ziehen ja auch Michelangelos David
      keine Unterhosen an.“

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Quelle: https://www.zeit.de/2022/39/riccardo-muti-italien-oper-diskriminierung-interview/komplettansicht?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F


Dirigent Philippe Jordan:
"Oper ist auf "fatalem Irrweg"

 

 

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Philippe Jordan kündigt im "Kurier" mit Verweis auf zu viel Regietheater an, dass er seinen Vertrag nicht verlängern werde


[…]

Der Grund seiner Resignation sei kein spezifisch wienerisches Problem. "Ich glaube, dass unser Theater, was die Regie betrifft, seit langer Zeit einen fatalen Irrweg eingeschlagen hat. Selten in meiner Karriere war ich bei Inszenierungen wirklich glücklich", unterstreicht Jordan im "Kurier". Dieser Irrweg führe auf Dauer zu einem unvermeidlichen Scheitern.

Zitatende

Quelle: https://kurier.at/kultur/dirigent-staatsopernmusikdirektor-philipp-jordan-oper-ist-auf-fatalem-irrweg/402166506

 

 

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APROPOS: Höchster Respekt und Bewunderung

In meiner Theaterbibliothek befindet sich ein kleines Buch aus dem Diogenes-Verlag, das ich besonders schätze. Es stammt von Georg Hensel, dem mittlerweile verstorbenen, einst hoch geschätzten Theaterkritiker der FAZ. Das Büchlein heißt „Wider die Theaterverhunzer" und stammt aus dem Jahre 1975 (!!). Hensel wusste damals schon, vor fast einem halben Jahrhundert, als das, was wir „Regietheater" nennen, gerade so richtig Fahrt aufnahm, um welch irrwitzige Fehlentwicklung es sich dabei handelt.

Ein Kollege von Hensel, Gerhard Stadelmaier, fand die kostbare Formulierung über Regisseure, die einfach machten, „was ihnen durch die Birne rauscht", ohne Sinn und Verstand, auswechselbar, angeberisch verbrämt. Und damit leben wir nun seit Jahrzehnten.

Heute befinden wir uns in einem geistig gänzlich verbogenen Zeitalter, wo viele Menschen sich scheuen, ihre wahre Meinung zu sagen. Richard Precht, der sich auch nicht den Mund verbieten lassen möchte, analysiert, wie „Meinungen, die von der Mehrheitsposition der Leitmedien abweichen, abqualifiziert und diskreditiert" werden.

Darum ist es umso bewundernswerter, wenn ein Mann aufsteht und offen sagt, was er von der Situation der Regie — in seinem Fall der Opernregie — wirklich hält. Und auch gleich die Konsequenzen zieht, hier nicht mehr mitmachen zu wollen.

Mir stockte immer wieder der Atem, als ich das Interview mit Philippe Jordan im „Kurier" gelesen habe. Der Mann, der im Gleichschritt mit Bogdan Roscic angetreten ist, wendet sich nach zwei Spielzeiten von dem ab, was dieser an die Wiener Staatsoper gebracht hat — schon in der ersten Spielzeit den Schippel von Uralt-Inszenierungen, die teils zwei Jahrzehnte auf dem Buckel hatten, und die Wien als die wahren Novitäten moderner Opernregie verkauft wurden. Und alle — alle Kritiker, die in den Medien hätten aufschreien müssen — haben den Mund gehalten. Jordan sagt, was es war: „Die Antwort kann nicht sein,  dass wir den ausgetretenen Weg des dahinsiechenden deutschen Regietheaters unbeirrt immer weitergehen."

Er legt den Finger auf alle Wunden und findet auch die richtige Bezeichnung für die Entwicklung, nämlich „Irrweg". „Ich glaube, dass sich dieser Irrweg nun mehr und mehr rächt." Er beklagt, dass Regisseure von heute in vielen Fällen an der Musik und das, was sie zu sagen hat, überhaupt nicht interessiert sind, Dazu kommt die Willkür der Interpretationen, die sich um das originale Werk nicht kümmern, sondern nur darum, was ihnen dazu einfallen kann: „Bei vielen, um nicht zu sagen bei den meisten der heutigen Regisseure vermisse ich aber diese gründliche Vorbereitung_(wie sie Dirigent und Sänger leisten,  Anm.) Etwas drumherum zu erfinden oder es auf primitive Weise zu aktualisieren, ist im eigentlichen Sinn des Wortes keine Kunst."

Jordan beklagt auch die Hässlichkeit dessen, was auf der Bühne oft gezeigt wird (wohl als Provokation): „Aber modernes Theater muss nicht notwendigerweise jedes Mal eine ästhetische Zumutung sein."

Und Jordan denkt an jene Leute, die den Direktoren, Regisseuren und Dramaturgen schnurzegal sind, die im Gegenteil provoziert werden sollen bis zum Geht-nicht-mehr: „Das Publikum hat eine richtige Sehnsucht, einfach wieder einmal gutes Theater zu sehen und nicht nur irgendeine Fassung von Irgendjemandem über Irgendwas."

Und er ist überzeugt davon, dass die Leute, die Theater und Oper machen, nicht wahrhaben wollen, dass ein sehr großer Teil des Publikums heute wohl zähneknirschend trotz, aber sicher nicht wegen der Inszenierungen in die Oper kommt. Und wenn die Inflation dann auch die wohlhabenden Kreise erfasst, die sich grundsätzlich Opernkarten leisten können, „da werden  andere Dinge wichtiger als Opernkarten", davon ist er überzeugt.

Jordan denkt auch an andere Opfer des heutigen Regiewahns, nämlich an die Sänger: „Und die Sänger sind überhaupt am schlimmsten dran, denn wenn sie etwas dagegen sagen,  werden sie nicht mehr engagiert." Ich kann dazu zwei hochrangige Beispiele anführen. Als ich mit Johan Botha (seligen, unvergessenen Angedenkens) über heutige Inszenierungen reden wollte, lehnte er das Thema ab — mit genau diesen Worten: „Sonst werden ich nicht mehr engagiert." Und das von Botha, der zu seiner Zeit ein Spitzenstar der Branche war... Und als ich Linda Watson interviewte, hatte ich davor im Internet gelesen, dass sie sich in den USA darüber beschwert hatte, was eine Wagner-Inszenierung von Achim Freyer den Sängern antat. Als ich sie darauf ansprach, sagte sie, ich möge das um Gottes Willen nicht erwähnen, diese Aussage hätte ihr schon genügend Schwierigkeiten bereitet. Auch Jordan konnte dazu etwas beisteuern: „Aber was sie (die Sänger) fast in ihrer Gesamtheit hinter vorgehaltener Hand sagen — und das höre ich täglich, ebenso wie Klagen von Zuschauern und Bemerkungen der Musiker —, stellt unserem heutigen Theater kein gutes Zeugnis aus."

Das alles ausgesprochen zu haben, dafür gebührt Philippe Jorden höchster Respekt und Bewunderung — auch wenn ein Mann seiner Größenordnung sicherlich nicht riskiert, nach seinem Abschied 2025 abzustürzen (auch Welser-Möst stand nicht vor seinem Karriereende, als er — wenn auch aus anderen Gründen — von der Meyer-Staatsoper wegging). Aber Jordan hat sich gewiß von einer prestigeträchtigen, vermutlich hoch bezahlten Position getrennt, wie man sie nicht alle Tage findet. Und vielleicht wird er aus welchen Gründen auch immer (da gibt es viele Möglichkeiten) gar nicht bis 2025 durchhalten...[…]

Renate Wagner

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Quelle: https://onlinemerker.com/apropos-hoechster-respekt-und-bewunderung/

 

 

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Theater und Kino
Stirbt die Kultur? Warum mancherorts Zuschauer ausbleiben

Schlechte Zuschauerbilanzen, unsichere Aussichten: Die Lage der Theater und Kinos in Deutschland ist mancherorts dramatisch. Ein Teil des Publikums bleibt weg. Woran liegt das? Und: Kommt es wieder?
Gregor Tholl, dpa

17. September 2022 09:52 Uhr

Theaterkarten werden nach Einschätzung des Deutschen Bühnenvereins inzwischen oft kurzfristiger gekauft als vor der Corona-Pandemie.

Berlin. Die Ausnahmesituation Corona hat Deutschlands Bühnen und Kinos eine Achterbahnfahrt beschert. Die neueste Statistik der Filmförderungsanstalt (FFA) zeigte neulich, dass die Geschäfte für die Kinos immer noch nicht so laufen wie vorher. Im ersten Halbjahr 2022 wurden rund 33,2 Millionen Tickets verkauft. Das war zwar deutlich mehr als ein Jahr zuvor - da hatten Filmtheater wegen des Coronavirus weitgehend geschlossen -, aber es sind noch immer etwa 20 Millionen Tickets weniger als vor der Krise.

In den Theatern ist die Lage laut Deutschem Bühnenverein unterschiedlich. Manche Bühnen berichten von guten Auslastungszahlen, manche nicht. Was aber klar zu beobachten ist: Abo-Zahlen gehen zurück.

Woran liegt das - und wo wird es hinführen? Stirbt die Kultur - also das Kulturleben mit Theatern, Opernhäusern, Konzertsälen und Lichtspielhäusern?

Eine Auswahl von Thesen zum Thema:

  • Innerer Lockdown als Dauerzustand: Die Corona-Zahlen empfinden viele bis heute als beunruhigend und sie überlegen sich genau, wofür sie ein Risiko eingehen. Öffentliche Verkehrsmittel, Fitnessstudios, Clubs, aber auch Kinos und Theater sind für manche Angst-Orte in Sachen Infektion. Dabei betonen Wissenschaftler, dass das Risiko nicht überall gleich ist. Wichtig sind: die Personenanzahl im Raum, die Belüftung, die Aufenthaltsdauer, die Aktivität (beim Sprechen und zum Beispiel Singen werden mehr möglicherweise ansteckende Tröpfchen produziert). Eine Studie des Aerosolforschers Martin Kriegel von der TU Berlin stellte Berechnungen zu einem Risiko-Vergleich von bestimmten Alltagssituationen an. Weit oben rangieren demnach Aufenthalte in Büros und Schulen, in der Mitte Restaurantbesuche und mit eher geringem Risiko sind Theater- und Kinobesuche behaftet, bei denen das Publikum ja meist schweigt. Dennoch: Auch beim Theaterpublikum zeigt sich die gesellschaftliche Polarisierung, denn einige gehen wohl gerade deshalb auch weniger ins Theater, weil der Besuch derzeit wieder ohne Masken und Tests möglich ist.
  • Anderes Planungsverhalten: Theaterkarten werden nach Einschätzung des Deutschen Bühnenvereins inzwischen oft kurzfristiger gekauft als vor der Pandemie. Vor allen Dingen älteres Publikum bleibe aus. Menschen kauften kurzfristig, sagte die Geschäftsführende Direktorin Claudia Schmitz kürzlich. Abonnements, die seit Jahren schon weniger begehrt seien, seien weiter rückläufig. Viele denken inzwischen, wer weiß schon, was in drei Monaten ist. In der Spielzeit 2021/22 zum Beispiel wurden viele Vorstellungen plötzlich geändert oder abgesagt, weil es Coronafälle in Theater-Teams gab. Da wurde oft Vorfreude enttäuscht.
     
  • Andere Prioritäten: Selbst Theaterfans berichten in Gesprächen, dass sie „jetzt nach Corona“ erstmal ganz viele andere Sachen nachholen und machen wollten und Kultur - also Theaterspielpläne, aber auch Kinoprogramme - so gar nicht auf dem Schirm haben. Manche sprechen aber auch von einem neuen Biedermeier, also einer Lebens- und Geisteshaltung, die dem Privaten und den eigenen vier Wänden den Vorzug gibt und das öffentliche Leben und Engagement scheut.
     
  • Neue Gewohnheiten: „Pandemie, Ukrainekrieg, Inflation, Klimaängste, Energiesorgen - unter dem wachsenden Druck der Verhältnisse ändern sich nicht nur Bedürfnisse und Prioritäten, sondern auch Gewohnheiten“, schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ kürzlich. „Die Gesellschaft enthabitualisiert sich in immer stärkerem Maße.“ Sie werde in neue Formen gepresst, deren Umrisse noch unklar sind.
     
  • Geld ist knapp: Bei aller Liebe zur Kultur und der Wertschätzung von Deutschlands weltweit einzigartiger Theaterlandschaft mit einer Fülle von Stadttheatern - es kostet halt auch Geld. Viele Leute überlegen derzeit genau, ob sie angesichts von Inflation, Angst vor Rezession und einem harten Winter Lust haben, ins Theater zu gehen und dort mit Eintrittsgeld und Drinks mal eben an einem Abend 100 Euro auszugeben.
     
  • Siegeszug des Heimkinos: Die Zeit des Kinos ist einfach vorbei, dank Streamingdiensten und Pandemie. Diese These stellte zumindest der Schriftsteller Bret Easton Ellis („American Psycho“) schon letztes Jahr in seinem Podcast auf, wie die „Welt“ kürzlich zitierte. Eine Lebensspanne von 99 Jahren sei der Kunstform vergönnt gewesen, von 1920 bis 2019 - „in den Palästen und Tempeln, die für dieses Medium gebaut worden waren, deren Darsteller wir zu unseren Königinnen und Königen machten und für die wir uns in langen Schlangen anstellten“.
     
  • Nur noch Stars zählen: Aus Film und Fernsehen bekannte Gesichter oder zumindest unter Theaterinteressierten bekannte Namen ziehen noch Publikum ins Theater, so eine Mutmaßung. Deshalb gehe es Theatern in Städten mit mehr Promis wie Berlin, Hamburg, München, aber auch Wien, Köln und Zürich besser als etwa in kleineren und ärmeren Kommunen.
     
  • Keine Lust auf Belehrung: Das Regietheater in Deutschland mit seinen Befindlichkeiten und Provokationen ist seit den 70ern zum Klischee geworden. Viele Leute empfinden die Theaterszene als arrogant und selbstbezüglich, es sei eine Branche, in der hochsubventionierte Macher die sie bezahlenden Bürger erziehen wollten, so der Eindruck.

    Die „Süddeutsche Zeitung“ meinte neulich, offenbar
    … „haben immer weniger Zuschauer Lust, sich von der Bühne herab mit kapitalismuskritischen Banalitäten und den neuesten Windungen der Identitätspolitik belehren zu lassen“. Die Pandemie wirke hier wie ein Brandbeschleuniger. „Sie verstärkt eine Besucher-Krise, die sich schlecht geführte Theater selbst eingebrockt haben.“

    Zitatende

Quelle: https://www.mittelbayerische.de/kultur-nachrichten/stirbt-die-kultur-warum-mancherorts-zuschauer-ausbleiben-21853-art2155054.html

 

 

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GDBA Kulturpolitik
Gagen
MANTELTARIF ABSCHLUSS

Was die GDBA und die anderen Künstler:innengewerkschaften im Juni mit dem Deutschen Bühnenverein als Tarifabschluss vereinbaren konnten, sucht seinesgleichen: Die Mindestgage steigt in drei Stufen bis September 2023 dynamisch auf 2.915 Euro – von bisher 2.000 Euro, die seit 2018 nicht verändert worden waren. Schon zum 1. September wurde die Mindestgage auf 2.550 Euro angehoben, am 1. Januar 2023 steigt sie erneut auf 2.715 Euro und wird dynamisiert, also an die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst gekoppelt. Darum hatten Künstler:innen seit 30 Jahren gekämpft. Und ab September 2023 gibt es eine ebenfalls dynamisierte Beschäftigungszulage von 200 Euro. Solobeschäftigte und Bühnen-techniker:innen, die länger als zwei Jahre an Theatern arbeiten, die dem Bühnenverein angehören, erhalten dann mindestens 2.915 Euro. Dieser Anstieg um über 35 Prozent dürfte als größter Erfolg der letzten Jahrzehnte in die Geschichte der GDBA eingehen – wobei keineswegs die Rolle der mitverhandelnden Vereinigung deutscher Opern- und Tanzensembles (VdO) und des Bundesverbands Schauspiel (BFFS) unterschätzt werden soll.

Bewegung gibt es im Übrigen nicht allein bei der Mindestgage: Gäste bekommen seit Monatsbeginn pro Vorstellung mindestens zehn Prozent der Mindestgage und pro Probentag mindestens fünf Prozent der Mindestgage. Für kleinere Rollen, Partien oder Aufgaben gibt es pro Vorstellung mindestens acht Prozent und für Proben mindestens vier Prozent.

Chor/Tanzgruppen bekommen die 1,8-fache Tagesgage plus das 1,8-fache der Sondervergütung für Singen in Fremdsprache. Auch gibt es keine halben Probentage mehr, auch kurze Proben werden wie ein ganzer Probentag bezahlt. Es gibt eine Protokollnotiz zum Tarifvertrag, die aussagt, dass bis zu einer tariflichen Neuregelung eine Wochenarbeitszeit von durchschnittlich 44 Stunden zugrunde gelegt wird, diese 44 Stunden aber nicht als zu erbringende Arbeitszeit gelesen werden können. Demnach soll in der nächsten Runde nicht nur über Teilzeit gesprochen werden, sondern auch die Einstiegsgage ab 1. September 2023 auf mindestens 2.750 Euro sowie ab 1. September 2024 auf 2.850 Euro ansteigen.

Das ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Gagengerechtigkeit, aber noch nicht das Ende: Perspektivisch wird es weitere Steigerungen der Mindestgage brauchen. Ebenso sind weitere Gagenstufen notwendig, um ein faires Einkommen von erfahrenen Beschäftigten zu sichern. Auch die Gastgagen müssen einen größeren Sprung machen.

In den Sommermonaten folgten dann erste Reaktionen: Während das unabhängige Schauspielermagazin
cast:mag von einem „in diesem Ausmaß kaum erwarteten Sprung“ bei den Gagen schrieb und die Berliner Zeitung eine „exorbitante Steigerung“ ausmachte, war auf nachtkritik.de ein „Brandbrief Zukunft des Theaters“ zu lesen. Die Landestheaterintendanten André Nicke (Schwedt) und Thorsten Weckherlin (Tübingen) forderten einen kulturellen Zukunftsplan und malten Personalabbau als Konsequenz fairer Gagen an die Wand. Zwar seien die Forderungen der Mitarbeiter:innen irgendwie berechtigt, aber: „Die Theater, die ohnehin immer schon am Limit produziert haben, um möglichst viele Zuschauer:innen interessieren zu können, müssen zukünftig weniger produzieren und weniger spielen.“ Auf der anderen Seite gab es auch Intendant:innen wie zum Beispiel Steffen Mensching (Rudolstadt), die den Abschluss als „angemessen und berechtigt“ begrüßten.

Anderswo waren ohnehin schon in der Vergangenheit höhere Gagen gezahlt worden. Bei steigenden Mindestgagen allein kann es nicht bleiben. So erklärte Dieter Ripberger, Kulturmanager, Dramaturg, und Co-Intendant des Instituts für theatrale Zukunftsforschung am Zimmertheater Tübingen im Deutschlandfunk Kultur das Gagengefüge insgesamt müsse „nach oben anwachsen“.

Über die Finanzierung solle ein „Krisengipfel“ beraten – etwa zwischen Städtetag und Kulturministerkonferenz.

Zur Frage, ob angesichts schwieriger Rahmenbedingungen jetzt der richtige Zeitpunkt für die erreichten Steigerungen sei, entgegnete GDBA-Präsidentin Lisa Jopt in Theater heute: „Wir werden nie passend kommen mit unseren Forderungen, und wenn Stellen abgebaut werden müssen,
Braucht es einen „Krisengipfel“

zur Situation der Theater?
dann ist das nicht die Verantwortung der Gewerkschaften, sondern eine Entscheidung der Kulturpolitik, die ihre Theater nicht in die Lage versetzt, faire Löhne zu bezahlen.“

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Quelle: https://www.buehnengenossenschaft.de/wp-content/uploads/2022/09/22-9-TOI-TOI-TOI_web.pdf



 

 

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EINMALEINS DES VERTRAGSRECHTS

TEXT: ELEONORE MARGUERRE UND JULIA KLAWONN

Die freischaffende Sopranistin Eleonore Marguerre singt 2022 die Lustige Witwe an der Oper Wuppertal und die Barock-Oper Talestri am Theater Nürnberg und ist Autorin des Ratgebers „Vom Ton zum Lohn“.
Sie hostet den Opern-Podcast „Leonore & Fidelio“.


Hast du Deine erste Anstellung an einem Theater gefunden, wirst du mit Euphorie und Begeisterung an die Arbeit gehen. Leider nutzen vor allem kleinere Häuser diesen Enthusiasmus aus, lassen Anfänger:innen extrem viel arbeiten und setzen junge Darsteller:innen oder auch Assistent:innen enormen Belastungen aus. Weil man alles richtig machen will und niemanden enttäuschen möchte, erkennt man die eigenen Grenzen kaum. Deshalb ist es gerade in den Anfängerjahren wichtig, Nein zu sagen und seine Rechte zu kennen – wie wir hier in der GDBA! Aber was kann ich denn überhaupt verhandeln, wenn ich fest an ein Haus komme?

In dieser Serie wollen wir dir erklären, was in einem Festvertrag, einem Gastvertrag (für Darsteller:innen, Tänzer:innen) oder einem Werkvertrag (zum Beispiel für Bühnenbild oder Regie) verhandelt werden kann.

● Stimmfach/Berufsbezeichnung


MUSIKTHEATER: Einteilung der Stimmgruppen nach dem Kloiber-Opernführer, in dem die Stimmlagen in Rollen eingeteilt werden (rechtliche Norm). Wenn du also zum Beispiel als lyrischer Sopran engagiert wirst, musst du keine Partien singen, die im Kloiber als dramatischer Sopran ausgewiesen werden. Achte außerdem auf die Spartenbezeichnung „Musiktheater“, sonst wirst du auch in anderen Sparten eingesetzt. Ist es Dir wichtig, nur bestimmte Genres zu singen, wie Oper, Operette, Musical oder Konzert, solltest du auch das vereinbaren.


SCHAUSPIEL:
Als Berufsbezeichnung sollte „Schauspieler:in“ im „Schauspiel“ vereinbart werden. Meistens wird jedoch „Einsatz in allen Kunstgattungen“ vereinbart – das bedeutet, dass du als Schauspieler:in möglicherweise auch in Konzerten Texte lesen musst, oder eine Operetten-Sprechrolle übernimmst oder in einem Musical mitsingst, ohne dafür extra Honorar zu bekommen. An reinen Schauspielhäusern sind Gesangsleistungen im Musical oft Teil des Vertrags. Wenn du das nicht möchtest, solltest du es aus dem Vertrag streichen lassen.


TANZ:
Hier ist es wichtig, die exakte Berufsbezeichnung, Stellung (Gruppe oder Solo) und die Sparte(n) zu nennen


ANDERE BERUFE, WIE ZUM BEISPIEL ASSISTENT:INNEN:
Die genaue Berufsbezeichnung ist auch hier wichtig (Dramaturgie-Assistenz, Regie-Assistenz), sonst findest du dich als Regieassistent:in plötzlich am Inspizientenpult oder in der Öffentlichkeitsarbeit wieder.


● Gage

Mindestens 2.550 Euro brutto (aktueller Tarif NV Bühne). Achte darauf, dass im Vertrag die Tariferhöhungen inkludiert sind.

● Umfang der Leistungen

MUSIKTHEATER: Kläre und vereinbare: Welche Partien singe ich in welchen Stücken?

Wie viele Rollen singe ich pro Spielzeit (zum Beispiel drei neue Partien plus eine Wiederaufnahme)?


Wie viele Premieren sind mir garantiert (interessant, wenn man oft doppelt besetzt ist)?


Tipp
Müssen kleinere/fachnahe Partien gesungen werden (sogenannte „Wurzen“, also Rollen mit ein oder zwei Sätzen)?

Anzahl der Vorstellungen pro Spielzeit/ Wie viele Vorstellungen fallen für dich an?

SCHAUSPIEL:
Selten werden Rollen und Stücke schon genannt. Man kann aber versuchen, darüber zu sprechen und, wenn das möglich ist, eine Premierenanzahl oder ganz bestimmte Rollen im Vertrag zu fixieren, aber das passiert im Schauspiel eher selten. Auch hier gilt, wenn dich die Intendanz mündlich mit Macbeth ans Theater lockt, heißt es nicht, dass du es auch spielst. Es sei denn, es steht ausdrücklich im Vertrag.


TANZ:
Berate dich vorher mit deinen Kolleg:innen von Dancers Connect dazu, was an dem jeweiligen Haus üblich ist.


● Spielorte

Kläre, an welchen Spielorten das Haus spielt. Gibt es ein Haupttheater mit weiteren Spielstätten? Ist es eine viel reisende Landesbühne? Gibt es Sommerspielorte wie Schlösser, Burgen oder Seebühnen? Muss ich Fahrtkosten dorthin selbst übernehmen oder organisiert das Theater?
Bist du bereit, auch außergewöhnliche Spielorte wie Schulen, Taxen, Krankenhäuser zu bespielen? Wenn nicht, solltest du das im Vertrag vermerken.

● Laufzeit

In der Regel zwei Jahre. Es ist möglich, Festverträge auch kürzer oder länger abzuschließen (maximal vier Jahre).

● Teilspielzeitvertrag

Vertrag für einen bestimmten Zeitraum in der Spielzeit. Man ist Teil des Ensembles und bekommt sein Gehalt auch im Krankheitsfall. Der Vertrag ist immer befristet und enthält einen anteiligen Urlaubsanspruch.

● Residenzvertrag

Vertrag mit dem Theater, der vorschreibt, dass man nur zu gewissen Zeiten der Spielzeit im Theater sein muss, das heißt residiert, aber nicht die ganze Spielzeit eingesetzt wird (also zum Beispiel nur für zwei Produktionen – in der übrigen Zeit muss man nicht anwesend sein). Solche Verträge schließen eher große Theater ab. Versicherungstechnisch bleibt man aber die ganze Spielzeit über das Theater versichert.

● Extra Honorar

Werden Konzerte, Sonderveranstaltungen, Werbeveranstaltungen, Matineen, etc. extra honoriert?

● Überspielhonorar
Wenn ein:e Darsteller:in mehr als die vertraglich vereinbarten Vorstellungen singt/spielt, wird ein Überspielhonorar gezahlt.
Das gilt auch bei Doppel- oder Dreifachvorstellungen. Die Höhe muss vertraglich festgelegt werden.

MUSIKTHEATER:
Üblicherweise wird hier 1/30 der Monatsgage bezahlt, auch für die 2. Vorstellung an einem Tag. Es gibt Theater, die höhere Überspielhonorare zahlen.


SCHAUSPIEL:
Wenn Schauspieler:innen Doppelvorstellungen spielen, erhalten sie meist 50 Prozent des Tagessatzes extra zur Gage. Bei 2000 Euro Monatsgage bekommst du für eine Doppelvorstellung also 33 Euro obendrauf. (2000:30=66, 66:2=33).


● Gastierurlaub

Anzahl der Tage, an denen ein:e Darsteller:in gastieren gehen kann, ohne dass das Theater Gehalt abzieht oder den/die Darsteller:in ans Haus zurückbeordern kann. Laut NV Bühne stehen dir 40 Tage Gastierurlaub zu, ohne dass dir das Theater deine Gage abziehen kann. Vereinbare dies besser noch einmal ausdrücklich, wenn du beabsichtigst, zu gastieren.

● Agenturprovision/Musiktheater

Fällt auf die vereinbarte Gage an. Die Höhe richtet sich nach dem Vertrag mit der privaten Agentur und sollte zur Hälfte vom Theater getragen werden. Üblicherweise wird die Agenturprovision nur in den ersten beiden Spielzeiten an einem Haus bezahlt, danach verhandelt der/die Darstellende selber und bezahlt dann keine Provision mehr.

● Urheber- und Leistungsschutzrechte

Bei theaterinterner Nutzung (zum Beispiel Werbung) oder kleinen Ausschnitten für eine Reportage sind Urheber- und Leistungsschutzrechte mit dem Vertrag meist abgegolten. Soll die Vorstellung für Rundfunk oder Fernsehen mitgeschnitten werden, sollte eine gesonderte Vereinbarung getroffen werden.

Besonderheiten bei Tänzer:innen

Da hier oft international besetzt wird, ist es wichtig, eine englische Version des Vertrages zu bekommen. Auch beim Verhandeln ist es wichtig, alles zweisprachig zu übermitteln, um sicherzugehen, dass alle Inhalte verstanden werden. Das Theater sollte zudem Hilfe und Unterstützung beim eventuellen Beantragen von Visa und Arbeitsgenehmigung anbieten.
Das Theater sollte auch Unterstützung bei der Pflege der körperlichen Gesundheit leisten, entweder finanziell oder durch einen Theater-Physiotherapeuten.

Versuche, das zum Beispiel so vertraglich festzuhalten: „Das Theater ist gewillt, die Gesunderhaltung durch Physiotherapie zu 50 Prozent (oder mehr) finanziell zu unterstützen.“
Zitatende
Quelle: https://www.buehnengenossenschaft.de/wp-content/uploads/2022/09/22-9-TOI-TOI-TOI_web.pdf

Wie verhandle ich meine Gage?

TEXT:JULIA KLAWONN
1 INFORMIEREN
Informiere Dich bei der ZAV, Deiner privaten Agentur, der Gewerkschaft und bei den Kolleg:innen über das Haus, dessen Stil, dessen Budget und den von Dir erwarteten Leistungsumfang.
2 FÜR RUHE UND KONZENTRATION SORGEN
Oft erreicht einen der Anruf der Intendanz in einem sehr unpassenden Moment. Wenn Du gerade unter der Dusche stehst, putzt, kochst oder Fahrrad fährst, solltest Du nicht verhandeln.
Habe Mut und bitte in Ruhe um eine Verschiebung des Gesprächs auf einen passenden Moment, an dem Du genügend Zeit, Ruhe und Nerven hast.
3 MENTALE VORBEREITUNG
Dazu sind zwei Zahlen wichtig. Überlege dir den Betrag, unter den Du auf keinen Fall gehen willst, Deine absolute Schmerzgrenze und überlege Dir andererseits, was Du haben möchtest und schreibe Dir beide Zahlen auf. Notiere Dir auch schon einmal Argumente, die für Dich und deine gute Bezahlung sprechen und überlege Dir auch schon eventuelle Kompromisse wie geldwerte Leistungen.
4 GESPRÄCHBEGINN
Zunächst bespricht man, was für eine Leistung in welchem Zeitraum erbracht werden soll.
Dann bietet der/die Intendant:in Dir eine Gage an. Das ist oft erschreckend wenig, meist unter oder nah Deiner Schmerzgrenze. Verlier nicht den Mut, bleibe ruhig. Sage jetzt eine Zahl, die etwas über deiner Wunschgage liegt. Das sollte man je nach Hausgröße variieren.

Du möchtest 3000?
Sage zum Beispiel 3300 oder etwas mehr.

5 DAS GROSSE INTENDANT:INNEN-WEINEN
Nun folgt immer großes Weh und Klagen und ein Monolog darüber, dass das Ende der Produktion oder des Theaters naht, es absolut keine finanziellen Rücklagen gibt, tiefe Betroffenheit, Vorwürfe oder gar zynisches Lachen. Lass dich davon nicht einschüchtern. Nimm es nicht persönlich. That’s part of the game.
Bleibe freundlich, zeige Verständnis.
Jetzt wäre es Zeit für ein Argument, dass für Dich spricht, Berufserfahrung, Zusatzbegabungen etc. und frage dann:
„Können Sie mir denn noch ein Stück entgegenkommen?“
6 GEGENSEITIGES ANNÄHERN
Im Idealfall nähert man sich nun in 50ger oder 100er Schritten an, konkretisiert dabei die Leistungen, formuliert Argumente bis man irgendwo zwischen Schmerzgrenze und Wunschgage, im bestenfalls sogar bei der Wunschgage oder höher angekommen ist und es sich richtig anfühlt.
Sollte das geschehen: Herzlichen Glückwunsch!
7 STOCKEN UND ENTSCHEIDEN
Manchmal kommt aber auch der Punkt an dem es stockt, die Intendanz sich nicht bewegen will. Wenn es noch zu nah an deiner Schmerzgrenze liegt, wäre hier ein guter Punkt, um über geldwerte Leistungen (die Du Dir vorher notiert hast) zu sprechen, wie Gesangsunterricht, Monatskarte etc.
Wenn es ganz unter Deiner Schmerzgrenze liegt, biete an, das Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen.
Oder sage: „Wir können uns offensichtlich gerade nicht einigen.
Was schlagen Sie denn vor?“

Manchmal wendet sich das Blatt noch oder aber man kommt eben einfach nicht zusammen. Deshalb ist es sehr wichtig, sich vorher ausführlich Gedanken über die Schmerzgrenze zu machen.
8 NACH DEM GESPRÄCH
Empfehlenswert ist es, alles Besprochene zu notieren und als E-Mail an die Vertragspartei zu schicken, damit es dann im Vertrag nicht verloren geht
9 ÜBUNG MACHT DEN MEISTER!
Mache Verhandlungsworkshops oder über diese Art Gespräch mit Kolleg:innen. Spiele alle Worst-Cases
dabei einmal durch. Wenn Verhandlungen einmal nicht so laufen, wie Du es Dir gewünscht hast, lass den Kopf nicht hängen, lerne daraus, übe und mache es das nächste Mal besser!
10 SELBSTBEWUSSTSEIN
Du bist eine tolle Künstlerpersönlichkeit und hast viel zu geben.
Das muss, soll und darf angemessen bezahlt werden.
Ja, Du bist es wert!

 

 

 

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Studie über Machtstrukturen im Theater

Ein System aus Unterdrückung und emotionaler Erstarrung

„Auf jeden Fall ist so eine Studie extrem wichtig, um einfach immer wieder auf die Fakten zu verweisen“, so Dramatikerin Darja Stocke.

 

© Eyeem / Alexandra Friedli

Darja Stocker im Gespräch mit Janis El-Bira · 12.10.2019

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Theater sind offenbar für viele als Arbeitsort die Hölle. Das geht aus einer neuen Studie hervor: Miese Bezahlung und psychischer Missbrauch führen zu hohem Leidensdruck. Die Grundstruktur des Theatersystem sei Schuld daran, sagt Dramatikerin Darja Stocker.

Es kommt selten vor, dass sich die Theaterwelt von einer wissenschaftlichen Studie aufrütteln lässt – aber diese hat es in sich. „Macht und Struktur im Theater“ heißt sie, verfasst von dem Frankfurter Theatermanagement-Professor Thomas Schmidt. Darin befragt Schmidt erstmals fast 2000 Beschäftigte nach ihren Arbeitswirklichkeiten am Theater. Die Ergebnisse sind verheerend: 57 Prozent der Befragten geben an, nicht oder kaum von ihrer Arbeit am Theater leben zu können, 42 Prozent sagen, dass sie unter psychischem Missbrauch leiden und 9,4 Prozent behaupten, dass sie von sexuellen Übergriffen betroffen gewesen seien.

Unterdrückung behindert die Kreativität

Nicht überrascht von diesen Zahlen ist auch die Dramatikerin Darja Stocker. Sie hat vor zwei Jahren in einem kontrovers diskutierten Artikel Machtmissbrauchsfälle am Institut für Szenisches Schreiben der Berliner Universität der Künste (UdK) angeklagt – und damit auch an den Theatern eine Debatte ausgelöst. Über die Bedeutung der Studie sagt Stocker: „Auf jeden Fall ist so eine Studie extrem wichtig, um einfach immer wieder auf die Fakten zu verweisen. Diese Studie scheint mir schon eher in die Tiefe zu gehen, also da wurden ja Interviews geführt und es geht auch um psychischen Missbrauch – und der gehört ja dazu!“ Denn es gehe ja nicht nur um den juristischen Grenzübertritt oder um die sexuelle Straftat, sondern auch um ein System – „und das System beinhaltet eben Mechanismen, die unterdrücken, die entwerten und die die Leute daher in ihrer Arbeit hindern, in ihrer Kreation“.

Die Beschaffenheit des Theatersystems an sich ist für Stocker auch einer der Gründe, weshalb sich – wie die Zahlen der Studie nahelegen – trotz inzwischen jahrelanger Debatten um #MeToo und andere Missbrauchsfälle anscheinend kaum etwas geändert hat. „Traurigerweise ist es halt so, dass solche Systeme extrem starr sind. Man könnte sogar sagen, sie stagnieren. Weil nämlich über Jahre Leute darin bestehen konnten, die genau das gemacht haben: Die zum Beispiel körperlich oder seelisch oder emotional erstarrt sind, wenn es um Übergriffe ging. Das heißt im Grunde, dass das ein dysfunktionales System war – ein patriarchales, dysfunktionales System –, das von einer gewissen Masse von Leuten getragen wurde.“

Neues Vokabular gebraucht

Besonders problematisch findet Stocker, dass die Mehrheit der am Theater Beschäftigten über solche Vorgänge noch immer schweige, ob aus Angst oder schlechtem Gewissen. Wichtig findet sie deshalb, dass eine Sprache gefunden wird, um diese Vorfälle beschreibbar zu machen: „Ich glaube, es braucht ein Vokabular, um Machtmissbrauch zu beschreiben: Was ist das genau? Was heißt das? Was ist verbale Gewalt? Was ist psychische Gewalt? Und das scheint mir noch nicht so weit ausgebildet.“

Viele verwechselten zum Beispiel Sexismus und sexuelle Übergriffe. „Sexuelle Übergriffe finden natürlich in einem sexistischen System statt, ja, aber trotzdem ist Sexismus vom Begriff her etwas Anderes als ein sexueller Übergriff.

Mir scheint da wirklich Handlungsbedarf, dass eine breite Masse weiß: Wovon reden wir? Welche Begriffe benutzen wir? Was ist mir da gerade passiert, oder was habe ich da gerade beobachtet?“

Rollenstereotypen auflösen

Darja Stockers eigenes neues Stück, „100 Jahre Weinen oder 100 Bomben werfen“, das am 18. Oktober am Theater Basel Premiere hatte, thematisiert ebenfalls ein rigides, auf starren Machtstrukturen basierendes System. Es geht um einen jungen Schweizer, der sich der Fremdenlegion anschließt und so in den Algerienkrieg gerät. Frage: Was kann man auch im kleinen Einflussbereich einer Autorin tun, um die Strukturen am Theater zu verändern? Stockers Antwort: „Man kann zum Beispiel versuchen, Rollen zu schreiben, die diesem System weniger entsprechen, indem sie, ich sage jetzt mal, queer sind im weiteren Begriff. Grenzen überschreiten, indem sie ihre Rollenstereotype verlassen und dadurch sich in einen Risikobereich begeben und zum Beispiel beschreiben, wie sie dann in diesem Risikobereich zurechtkommen. Das Zweite, was man machen kann: Man kann natürlich Machtmechanismen am Theater ausstellen.“

Man könne zum Beispiel sagen: „Okay, man hat einerseits diese großen Sprachteppiche, die den Kapitalismus kritisieren. Aber man kann auch sagen: Nee, ich gucke nochmal ganz genau hin, weil ich anscheinend in einem Theatersystem bin, wo ganz viele kleine Sachen noch überhaupt nicht sichtbar geworden sind.“

Thomas Schmidt: „Macht und Struktur im Theater: Asymmetrien der Macht“
Springer VS, 2019


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Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/studie-ueber-machtstrukturen-im-theater-ein-system-aus-100.html

 

 

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Machtstrukturen im Theater

Die Alleinherrschaft der Intendanten abschaffen

Theater wie die Berliner Volksbühne bräuchten mehr Kontrolle durch die Mitarbeitenden, sagt Theatermanagement-Professor Thomas Schmidt.

Thomas Schmidt im Gespräch mit Vladimir Balzer · 15.03.2021

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Der Rücktritt des Volksbühnen-Intendanten Klaus Dörr verdeutliche das Problem des „Ein-Personen-Regimes“ am Theater, sagt Theatermanagement-Professor Thomas Schmidt. Gremien mit Beteiligung der Mitarbeitenden seien der Zukunftstrend.

Aus der Sendung Fazit

Nachdem ihm mehrere Frauen sexualisierte Grenzüberschreitung vorgeworfen hatten, hat der Intendant der Berliner Volksbühne, Klaus Dörr, seinen Posten abgegeben. Für die gegen ihn erhobenen Vorwürfe übernehme er die komplette Verantwortung und gebe sein Amt im Einvernehmen mit der Senatsverwaltung für Kultur und Europa auf, wurde Dörr in einer Mitteilung zitiert.

Zu viel Macht für eine Person

Für Thomas Schmidt, Professor für Theatermanagement an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt, zeigt sich in dem Fall ein strukturelles Problem: „Die grundlegende Machtstruktur ist ja die des Einzelintendanten, der einzelnen Intendantin, die so viel Macht auf sich konzentrieren , dass es kaum noch jemanden gibt von den Mitarbeiterinnen, die sich wagen, irgendetwas zu sagen“.

Dabei seien normalerweise die Mitarbeitenden in Unternehmen die „ersten Kontrollinstanzen“. Schmidt hatte 2019 in seinem Buch „Macht und Struktur im Theater. Asymmetrien der Macht“ eine Studie zu Macht im Theater mit 2000 Teilnehmenden ausgewertet.

Leider würde in solchen Fällen auch eine Einrichtung wie "Themis" für die Opfer von sexueller Belästigung und Gewalt in Theater, Film und Fernsehen nicht wirklich helfen. Denn: „Themis steht auf staatlichen Füßen, und eine solche Institution muss absolut unabhängig sein. Wenn der Bühnenverein hier mitwirkt als eine Trägerstätte, dann ist mir das einfach viel zu nah am Geschäft“, erklärt Schmidt.

Vielfältigkeit des Theaters repräsentieren

Vielmehr müssten solche Anlaufstellen und auch die Theater selbst wie NGOs aufgebaut werden. „Die Handschrift des Theaters ergibt sich aus der Summe, aus der Vielfalt der musikalischen, der tänzerischen, der Regie-Handschriften im Schauspiel“, so Schmidt. „Und wenn all das zusammenkommt, wird es durch eine kluge Dramaturgie und eine kluge Theaterleitung, die aus mehreren Köpfen bestehen sollte, zusammengebunden und präsentiert.“ Das sei die Lösung aus der Sackgasse des „Ein-Personen-Regimes“.

Ein Modell eines solchen „Direktoriums“ könne vier- bis achtköpfig sein, je nach Größe des Theaters, und würde sich „aus einem geschäftsführenden Direktor, einer Chefdramaturgin, einer künstlerischen Leiterin, die sozusagen das Gesamtkonzept zusammenhält, der technischen Leitung, dem Marketing und PR und dann einer Vertretung der Mitarbeitenden“ zusammensetzen.

Kontrolle der Theaterarbeit durch die Mitarbeitenden

„Ich denke, das ist ganz, ganz wichtig in dieser Phase, dass die Mitarbeitenden die Möglichkeit haben, an den Tagesentscheidung des Theaters teilzuhaben und somit auch die Arbeit der Theater zu kontrollieren“, sagt Schmidt, und es gebe auch schon erfolgreiche Beispiele:

„Schauen Sie sich das Schauspielhaus in Zürich an oder das Theater Gessnerallee oder das Theater am Neumarkt: jeweils drei Direktorinnen, die übrigens die besten Programme machen, die ich überhaupt seit Langem erlebt habe.“

Das sei ein Trend, der sich fortsetzen werde – mit „Intendantinnen einer jüngeren Generation, die vielleicht selbst gelitten haben unter diesen Alleinherrschern“. (kpa)

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Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/machtstrukturen-im-theater-die-alleinherrschaft-der-100.html

 

 

 

 

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Kommentar zu #MeToo-Urteil

Vorwürfe gegen Volksbühnen-Intendanten sind noch nicht vom Tisch

 

Von Barbara Behrendt  · 27.08.2022

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Der ehemalige Intendant der Berliner Volksbühne, Klaus Dörr, hat vor Gericht gegen die „taz“ gesiegt. Die will nun in Berufung gehen. Kein Grund zur Genugtuung, meint Kommentatorin Barbara Behrendt: Häme gegen die „taz-Autorin sei unangebracht.

Es geht also in die nächste Runde. Die „taz“ darf Klaus Dörr nicht mehr in Zusammenhang mit Upskirting erwähnen. Dagegen geht die „taz“ in Berufung, weil sie, so erklärt es ihre Chefredakteurin Ulrike Winkelmann, für die Pressefreiheit kämpfen will. Es gebe Zeuginnen und Zeugen, die vor Gericht nicht gehört worden seien. Das Ganze kann sich noch ein Jahr hinziehen, heißt es.

Wenn das Gericht bei seinem Urteil bleibt und Klaus Dörr beim „Upskirting“ – dem gezielten Fotografieren oder Filmen unter den Rock oder das Keid einer Frau – zu Unrecht beschuldigt wurde, so ist damit nur einer der vielen Vorwürfe entkräftet, die ihm gemacht worden sind. Sexistische Sprüche, unangemessene Berührungen und nächtliche SMS – das sind zwar keine justiziablen Vergehen, aber sie legen doch ein Machtgebaren nahe, das sich keine Frau gefallen lassen muss oder soll.

„Blindlings denunziert“?

Natürlich wäre es besser, bei dämlichen, herabwürdigenden Machosprüchen, bei ungewünschten Händen auf Knien und Taillen sofort zu reagieren und nicht erst Jahre später über die Presse Alarm zu schlagen. Aber in Abhängigkeitsverhältnissen ist es nun mal nicht immer leicht, den Chef in seine Schranken zu verweisen. Dafür muss sich erst das gesellschaftliche Klima verändern.
Es ist zwar schon manches anders geworden in der Wahrnehmung, wann Machtmissbrauch beginnt. Aber wer meint, es würde inzwischen viel zu scharf gegen Sexisten Wind gemacht, der lese die Kommentare, die nun nach dem publik gemachten gewonnenen Prozess im Internet kursieren. All jene Menschen, heißt es da etwa, die Dörr „blindlings denunziert“ hätten, sollten jetzt „um Vergebung bitten“, die „eigene Schande“ eingestehen.

Kritikerin wurde verunglimpft

Noch polemischer geht es abseits des Netzes in der Tagespresse zu, vor allem in der „Berliner Zeitung“. Hier werden die Frauen, die sich bei der Vertrauensstelle Themis gemeldet hatten, regelrecht verunglimpft. „Läppische Vorwürfe“ seien das, „dubiose Vorgänge“, mit denen die „taz“-Autorin eine Theaterkarriere zerstört und ihre eigene vorangebracht habe.  

Es wird auch gemutmaßt, es könne sich bei den Beschwerden gegen Dörr um die Kampagne einer feministischen Aktivistin handeln, die sich habe rächen wollen, weil der Intendant sie nicht an die Volksbühne geholt hat. Das ist durchaus möglich. Aber es erklärt nicht, warum sich gestandene Frauen namentlich und öffentlich über Dörrs Verhalten beschweren, die mit ihm an verschiedenen Theatern und in unterschiedlichen Jahrzehnten zusammengearbeitet haben.

Check durch Justiziare

Selbstverständlich kann man bei einer Geschichte wie dieser gar nicht umsichtig genug recherchieren. Schnell bleibt eine bloße Vermutung an einem Menschen haften. Und es gibt in der Tat Medien, die allzu kurze Schlüsse ziehen und den Volksbühnen-Intendanten damals im gleichen Atemzug mit Harvey Weinstein nannten, der sich tatsächlich strafbar gemacht hatte.
Die normale Leserschaft macht sich allerdings keine Vorstellung, wie viele eidesstattliche Erklärungen bei einer Erstrecherche wie die der „taz“ unterzeichnet und wie viele Justiziare um Durchsicht gebeten werden, bevor eine derartige Anschuldigung in den Druck geht. Trotzdem steht letztlich oft Aussage gegen Aussage, das lässt sich nicht vermeiden.

Mediale Häme und Genugtuung

Das Erstaunliche ist nun also nicht, dass Klaus Dörr bis auf Weiteres vom Vorwurf entlastet ist, Mitarbeiterinnen unter den Rock fotografiert zu haben, sondern, welche Häme und Genugtuung das medial auslöst.

Und es entsteht der Eindruck: Alles, was nicht justiziabel ist, ist gestattet. So wird man sie bestimmt nicht los, die Männer und Frauen mit zu viel unkontrollierter Macht, nicht nur am Theater, die meinen, sich alles erlauben zu können.

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Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/klaus-doerr-gegen-die-taz-100.html

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Eine Lange Nacht über Musik im Zweiten Weltkrieg

Musik, ob Gospel, Swing, Oper oder Schlager, wurde zur Propaganda, als Instrument des Widerstands, zur Agitation und nicht zuletzt zum Vergnügen der Bevölkerung eingesetzt. Der Rundfunk bot zum ersten Mal ein Medium zur weltweiten Verbreitung. Musik wurde zum Massenphänomen.

„Wir haben es hier mit einer rätselhaften Situation zu tun: dem Nebeneinander von Kunst und Verbrechen“, so der britische Historiker Patrick Bade, Autor einer Kulturgeschichte der Musik im Zweiten Weltkrieg. Musik war für die Kriegsbemühungen allgegenwärtig.

Eine Lange Nacht voller Beispiele aus Radio-Ansprachen, Durchhalteparolen, lärmenden Lauten und schrillen, scharfen Tönen.

Wiederholung vom 5./6.8.2017

Patrick Bade: „Music Wars 1937–1945 – Propaganda, Götterfunken, Swing: Musik im Zweiten Weltkrieg“, 512 Seiten mit Abbildungen, Laika Verlag, 34,00 €, ISBN: 978-3-944233-41-3

Patrick Bade hat eine kenntnisreiche Musikgeschichte des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Er erzählt von den vielen verschiedenen Bedeutungen und Funktionen, die Musik angesichts von Zerstörung, Tod und Gewalt bekommen hat.

Im Zweiten Weltkrieg spielte Musik eine bis dahin beispiellose Rolle: Ob live oder über die neuen Medien Rundfunk, Film oder Schallplatte unterfütterte Musik die Propaganda, sie sollte die eigene Moral stärken und die der Feinde schwächen. Musik wurde ganz unverhüllt als Propagandamittel eingesetzt, sie war aber auch »Überlebenselixier« und diente zur Ablenkung: Klassische Konzerte und Opern, die unter gefährlichsten Umständen aufgeführt wurden, waren in allen am Krieg beteiligten Ländern gut besucht. Die Menschen tanzten zu Swing und Schlagern und verliebten sich – gerade weil jeder Tag der letzte sein konnte.

Und Bade erzählt sehr anschaulich von denen, deren Berufung die Musik war – von Komponisten, Dirigenten, Musikern, Sängerinnen und Sängern: Nicht wenige bezahlten mit ihrem Leben, andere mussten ins Exil gehen. Die meisten, die in Deutschland blieben, kollaborierten und profitierten von den Ereignissen. Auf alliierter Seite nahmen viele mit ihrer Musik aktiv am Kriegsgeschehen teil und machten diese zur Waffe gegen den Faschismus.

Alle Kriegsparteien erkannten den propagandistischen Nutzen der Musik und setzten diese vielfältig ein. So verstärkte die Pianistin Myra Hess die Entschlossenheit der Londoner Bevölkerung durch eine Reihe von Mittagskonzerten in der National Gallery. Die Bayreuther Festspiele öffneten ihre Türen für Kriegsverletzte und Munitionsarbeiter, und in Paris boten die deutschen Besatzer unzählige Musikveranstaltungen an. Die klassische Musik blühte und erreichte ein neues Publikum.

Eine mächtige Waffe beim Einsatz der Musik für den Krieg war der Swing, der eine unwiderstehliche Kraft entfaltete, die auch die Nazis zu nutzen versuchten.

Am Ende war aber jene Musik am wirksamsten, die zentrale Emotionen und Erfahrungen des Krieges wie Verlust, Trennung, Hoffnung und Sehnsucht zum Inhalt hatte, oft als Schnulze komponiert. In Großbritannien steht dafür vor allem Vera Lynn mit ihrem berühmten Titel We’ll Meet Again, in Nazi-Deutschland war es Zarah Leander mit Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen; dann gelang Lale Andersen mit Lili Marleen im Deutschen Reich ein Millionenerfolg, der bei allen Kriegsparteien bald zum internationalen Soldatenlied avancierte.

Patrick Bade ist seit 1981 Dozent an der Christie’s Education in London und arbeitet am London Jewish Cultural Centre. Er publiziert regelmäßig über bildende Kunst und Musik.

Patrick Bade: „Es wäre unmöglich gewesen, die Musik des Zweiten Weltkrieges in jedem Land zu behandeln. Ich meine, wie schon gesagt, das Buch hat nur 500 Seiten. Und ich bin mir bewusst, dass sich gewisse Dinge tiefer an etwas heran wagen als andere. Es gäbe z.B. viel mehr über die Sowjetunion zu sagen als ich das getan habe. Ich bin auch durch die Sprache eingeschränkt worden. Mein Quellenmaterial, ich meine, ich komme mit dem Italienischen klar, es gibt einiges, was ich gebrauchen kann, aber mein Quellenmaterial war deutsch, französisch und englisch – und das begrenzte den Umfang des Buches. "

Das Buch, das immerhin 500 Seiten umfasst, hätte auch 1000 haben können.

Denn verfolgt man die einzelnen Geschichten selbst, kommt man tiefer und tiefer. Jede/r, der/die im Zweiten Weltkrieg insbesondere in Deutschland, Österreich, Frankreich, Polen, der Tschechoslowakei, der UdSSR als MusikerIn, SchauspielerIn, AutorIn usw. tätig, aktiv, beschäftigt und wirkend war, hatte mit den Regimen zu tun. Unausweichlich, im nationalsozialistischen Deutschland sowieso.

Die Lebenswege aller Beteiligten sind teilweise erstaunlich, katastrophal, perfide, tödlich, lebenszerstörend, bestechlich, unglaublich und unfassbar gewesen. Egal, ob etwa der ´große` Gustaf Gründgens gemeint ist oder die vielen kleinen.

Zwei Beispiele, wie die Zeit zwischen 1937 und 1945 wirkte:

Rom 1944: Das Berliner Rundfunk Sinfonie Orchester unter der Leitung von Leopold Ludwig sowie der Chor des Reichsenders Berlin geben Puccinis „Tosca“. Doch sie singen nicht, angesichts des Verlaufs der Jahre und des nahenden Endes brüllen sie, der Polizeichef der Oper, Scarpia, wird real, er brüllt nicht nur, er schreit.

Das Lied „Maréchal, nous voilà!“ (Marschall, hier sind wir!, inoffizielle Nationalhymne), ein Lied zu Ehren des Kollaborateurs Philippe Pétain, Staatschef in Vichy-Frankreich, lehnt sich stark an eine Melodie des polnisch-französischen Komponisten Casimir Oberfels an – 1945 als Jude in Ausschwitz zu Tode gekommen.

In den Vereinigten Staaten von Amerika war die Situation anders, ausnahmslos anders, abgesehen davon, dass der Krieg nicht auf US-amerikanischem Boden stattfand. Die USA kämpfte an zwei Fronten, im Pazifik und in Europa. Und die Unterhaltungsindustrie war wesentlich entwickelter, fortgeschrittener und florierender als in den europäischen Ländern. Dass das Land eine dritte innere Front hatte, die Segregation, und daher nach wie vor rassistisch war – und somit diskriminierend – sollte ebenso klar sein.

Die Kultur der Exilanten und Emigranten in den USA

Was zugleich klar war: Die Vereinigten Staaten profitierten wie niemand sonst von den tausenden Exilanten und Emigranten, die Europa, ausdrücklich Deutschland, verlassen wollten, verlassen hatten und verlassen mussten. Eine Sachlage darüber hinaus, die Deutschland entscheidende Teile jeglicher Kultur beraubte und entwendete – erfahrbar natürlich nach Ende des Krieges.

Künste im Exil und Liste bekannter deutschsprachiger Emigranten und Exilanten (1933–1945)
Autorentipp: Gehen Sie Liedern, gehen Sie Aufführungen, gehen Sie Namen nach

Sie werden kein Ende finden. Nur schlaflose Nächte. Orientieren Sie sich an der Musikaufstellung dieser `Langen Nacht´ (auch im Netzt), allesamt Originalaufnahmen, Schätze, manche Interpreten vergessen, manche präsent. Alle spielten in der Zeit von 1937 bis 1945 – und davor und danach – eine Rolle. Einige in dieser Zeit die Rolle ihres Lebens.

Die Ouvertüre zum Zweiten Weltkrieg

Das Probespiel bzw. die Ouvertüre zum Zweiten Weltkrieg begann 1935/36. Einerseits mit Mussolinis Invasion in Abessinien, dem heutigen Äthiopien, und andererseits damit, dass das Deutsche Reich und die Sowjetunion gewissermaßen stellvertretend im Spanischen Bürgerkrieg gegeneinander kämpften. Das Deutsche Reich ganz offen auf der Seite der Nationalisten, die zögerlich-zurückhaltende Sowjetunion auf der Seite der Republikaner. Musikalisch gesehen, so Patrick Bade in seinem Buch, war 1937 das entscheidende Jahr.

„Der Einmarsch der Italiener in Abessinien hatte neben diplomatischen auch unmittelbar musikalische Folgen, die, wenngleich sie damals trivial erscheinen mochten, im Zeitalter totalitärer Regime eine Warnung hätten sein müssen: Dass Kunst und Politik getrennt voneinander gesehen werden können, entpuppte sich als Fiktion.“

„Als Reaktion auf französische und britische Sanktionen gegen Italien weigerte sich der führende italienische Tenor Beniamino Gigli empört, in Großbritannien zu singen. Und die französische Oper Mignon wurde an der Mailänder Scala gegen Cileas von 1897 stammende Oper L’Arlesiana ausgetauscht, die sich nie richtig durchgesetzt hatte und auch noch nie an der Scala, dem führenden Premierenopernhaus Italiens, aufgeführt worden war. Man entschied sich aus pragmatischen Gründen für diese Oper, denn sie bot passende Rollen für die damals bereits für Mignon engagierten Künstler Tito Schipa und Gianna Pederzini. Der außerordentliche Erfolg der Aufführungen, beflügelt von patriotischem Eifer, ließ L’Arlesiana die ganze faschistische Zeit hindurch und auch noch einige Jahre danach zu einer Lieblingsoper des italienischen Publikums werden; und die wirklich schöne Tenorarie Lamento di Federico gehört heute noch zum Standardrepertoire lyrischer Tenöre.“

„Noch bedeutsamer war: Die britisch-französischen Sanktionen gegen Italien trieben Mussolini förmlich in Hitlers Arme und führten zu einer politischen Koalition zwischen den beiden Ländern mit den wichtigsten Operntraditionen. Mussolini besiegelte die Achse, als er das Ensemble der Scala im Juni 1937 als Botschafter des guten Willens nach München und Berlin schickte.
Die Scala wartete mit ihrer Bestbesetzung von damals auf: Beniamino Gigli, Gina Cigna, Ebe Stignani und Tancredo Pasero sangen in Verdis Requiem, Mafalda Favero und Giuseppe Lugo in La Bohème und noch einmal Gigli, Cigna, Stignani und Pasero in Aida. Dirigent war bei allen Aufführungen Toscaninis Nachfolger, der dämonisch brillante Victor de Sabata.“

Arletty – Die Garance in „Kinder des Olymp“.

Arletty, 1992 im Alter von 94 Jahren verstorben, war Fabrikarbeiterin, Stenotypistin, Mannequin, Revuetänzerin und Schauspielerin. Ihre berühmteste Rolle? Die der Garance in „Kinder des Olymp“. Mehr bei Wikipedia
„Les enfants du paradis“ (1945) Trailer 1 und Trailer 2

Da Arletty eine Liebesbeziehung und lange Freundschaft mit dem deutschen Luftwaffenoffizier und späteren Schriftsteller und Diplomaten Hans-Jürgen Soehring hatte, begann ihr Stern nach dem zweiten Weltkrieg zu sinken.

Soehring selbst, später immerhin Mitbegründer der Gruppe 47, wurde im besetzten Paris degradiert und an die Front geschickt. Die Brieffreundschaft mit Arletty hielt bis zu seinem Tod. Was hatte die mal gesagt? „Mein Herz schlägt französisch, aber mein Hintern ist international.“
Rezension zu: Klaus Harpprecht: „Arletty und ihr deutscher Offizier. Eine Liebe in Zeiten des Krieges“, S. Fischer Verlag, in: Büchermarkt, Deutschlandfunk, 8. Mai 2011

Klaus Harpprecht, Jahrgang 1927, schreibt über Arletty, die Schauspielerin seiner Jugend: „Die großen dunklen Augen, die am liebsten lachten und sich dennoch in Traurigkeiten verlieren konnten, die schimmernde Haut der Schultern und des Décolletés, das amüsierte Spiel ihrer Mundwinkel, wenn sie aus ihrer Loge die Freunde und Flirts aus den eigenen Jahren im Gewerbe der Schausteller beobachtete, die kleinen Gesten der Kameraderie, die gelassene Anmut, die natürliche Noblesse der Bewegungen dieser Courtisane hohen Ranges.“

Patrick Bade zur Recherche der Musikgeschichte des Zweiten Weltkrieg

„Ich möchte vorausschicken, dass es sich von den meisten anderen Büchern, die sich mit Musikgeschichte und dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen, darin unterscheidet, dass ich als Quelle vor allem Musikaufnahmen verwendet habe. Zu den erstaunlichen Errungenschaften unserer heutigen Zeit zählt für mich, dass ich nicht einmal mein Haus verlassen musste, um mir den Großteil dieser Tausenden von Aufnahmen, die in das Buch Eingang gefunden haben, anzuhören. Ich selbst sammle Musik seit über einem halben Jahrhundert: seit meine Großeltern ihre 78er-Schallplatten durch LPs ersetzten und mir ihre Sammlung schenkten. Viele der im Buch erwähnten Aufnahmen, darunter O my beloved father und viele andere beliebte Lieder, waren bereits Teil dieser Sammlung. Im Laufe der Jahre kamen Zehntausende von Schellack- und Vinylplatten sowie CDs zusammen, die Musik aus der Zeit enthalten, die ich in meinem Buch behandle.

Der Zweite Weltkrieg war tatsächlich auch ein Krieg der Ätherwellen. Unglaublich viele Aufnahmen, die in dieser Zeit entstanden, sind heute auf Platten oder CDs erhältlich, oft handelt es sich um illegale oder halb-legale Aufnahmen kleiner privater Unternehmen.

Ansonsten erwiesen sich Flohmärkte in ganz Europa als ergiebige Fundstätten von Druckerzeugnissen, ebenso wie der Pariser Laden La Galcante, in dessen unter der Rue de l’Arbre Sec gelegenen labyrinthartigen alten Kellergewölben und Gängen nahezu alle in den letzten zwei Jahrhunderten in Frankreich erschienenen Zeitungen und Zeitschriften zu finden sind. Als faszinierende Quelle von Abbildungen und häufig reichlich einseitigen und verzerrten Informationen, die ihrerseits gerade dadurch einen Eindruck der damaligen Stimmung vermittelten, erwiesen sich auch die »Nachrichten«- Magazine, die während des Krieges zu Propagandazwecken in ganz Europa verbreitet wurden.
Im ganzen Buch kommen immer wieder persönliche Zeugnisse vor. Dabei konnte ich mich auf die Erinnerung etlicher privater Gespräche stützen, zum Beispiel mit Arletty, Erna Berger, Hilde Zadek, Renée Doria, Kyra Vayne, Spoli Mills, Ernst Gombrich, Friedlinde Wagner und vor allem natürlich auf die Gespräche mit meinen Eltern. Beide arbeiteten für die britischen Streitkräfte, und in der Tat könnte man sagen, dass Hitler sie zusammengebracht hat.“

Erna Berger war eine deutsche Opern- und Konzertsängerin. Nachlesen bei Wikipedia. Ein Nachruf bei „Zeit Online“
- Erna Berger – Da Capo – Interview with August Everding 1986 bei Youtube
- Erna Berger „Frühlingsstimmen“ Strauss II bei Youtube
Hilde Zadek ist eine deutsch-österreichische Opern- und Liedsängerin. Wikipedia
In: Judentum in Österreich heute – 2009, Universität Wien

Gesang als Weg – Aus dem Leben der Kammersängerin Hilde Zadek bei Youtube
Hilde Zadek & Anton Dermota „Glück, das mir verblieb“ bei Youtube

Renée Doria, eine französische Opernsängerin, die in ihrer Ära in Frankreich als die bemerkenswerteste Koloratur-Sopranistin galt. Mehr bei Wikipedia (franz.) „Dis-moi que je suis belle“ bei Youtube

Kyra Vayne ist eine russische Opernsängerin gewesen, die während der Oktoberrevolution nach England geflohen war. Nachlesen bei Wikipedia - „Vissi d'arte“ Tosca bei Youtube

Spoli Mills ist die Tochter von Mischa Spoliansky, russisch-britischer Komponist von Revuen und Filmmusiken, der bis 1933 in Deutschland gearbeitet hatte, u.a. mit Max Reinhardt.

Mehr über Mischa Spoliansky
Mischa Spoliansky – Heute Nacht oder Nie [Tonight or Never] (1932) bei Youtube

Ernst Gombrich war ein britischer Kunsthistoriker österreichischer Herkunft.
Mehr bei Wikipedia - Gombrich Archive (engl.)

Und Friedelinde Wagner... Wie der Name schon sagt. Friedelinde Wagner war das zweite Kind von Siegfried und Winifred Wagner.

Mehr auch in: Wagners weiße Weste. Bayreuths Rebellin Friedelind


DAS Lied des Zweiten Weltkriegs: Lili Marleen

„Am 19. April 1941 während ihres triumphalen Eroberungszugs im Balkan besetzten die Deutschen den Rundfunksender in Belgrad, um von dort in das Kriegsgebiet rund ums Mittelmeer zu senden. Musikalische Unterhaltung war notwendig, um die Propaganda- und Nachrichtensendungen abzupuffern; aber nachdem alle Schallplatten mit unerwünschten jüdischen oder serbischen Anklängen aus dem Radioarchiv aussortiert waren, blieben gerade einmal 54 Schallplatten übrig. Ein Richard Kistenmacher wurde also auf die dringliche Mission nach Wien zum nächsten nazikontrollierten Sender geschickt, um Nachschub an Unterhaltungsmusik zu holen. In einer Kiste voller dort unerwünschter Platten fiel Kistenmacher auch Lale Andersens Lili Marleen in die Hände.

Am Anfang wurde die Aufnahme wegen Mangels an anderem Material stündlich zweimal oder noch öfter gespielt, aber nach kurzer Zeit konnte das Personal von Radio Belgrad das Lied nicht mehr hören und nahm es aus dem Programm. Zur allgemeinen Überraschung wurde der Sender danach von Protesten förmlich überschwemmt. In Nordafrika, bei den Männern von Rommels Afrikakorps, und in ganz Europa hatte Schultzes eingängige Melo- die eingeschlagen. Irgendwann wurde dann allabendlich vor den letzten Nachrichten um 22 Uhr damit der Sendeschluss angekündigt. Da hatte Lili Marleen schon längst die Grenzen zum Feindesland überwunden und erfreute sich auch bei den Truppen der britischen Achten Armee großer Beliebtheit."
„Jeden Abend um 21.55 Uhr kam es zwischen den verfeindeten deutschen und britischen Armeen, die in Hörentfernung voneinander ihre Lager hatten, deshalb zu einem kurzen Waffenstillstand. "
Goebbels konnte das Lied nicht ausstehen, er hielt es für „defätistisch“ und „stinkend wie eine Leiche.“
Unter den 197 in einer CD-Box versammelten, von Lili Marleen existierenden Versionen sind 75, die in den Kriegsjahren in allen erdenklichen Sprachen aufgenommen wurden: Englisch, Niederländisch, Bulgarisch, Tschechisch, Slowakisch, Ungarisch, Portugiesisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, Dänisch, Schwedisch und Finnisch und Japanisch. Und immer wieder mit textlichen Änderungen.

Suzy Solidor, französische Sängerin, androgyne Erscheinung, der sowohl zahlreiche Beziehungen zu bekannten Männern als auch zu Frauen nachgesagt wurden, mischt dem Lied eine ungeahnte sexuelle Konnotation bei...

Suzy Solidor – Lili Marleen bei Youtube

Da Frankreich eines der wenigen Länder ist, die von Lili Marleen unberührt bleibt, zahlt Solidor nach dem Krieg teuer für ihre Assoziation. Sie geht in die USA, kommt wieder, zieht sich an die Cote d´Azur zurück, macht einen privaten Club auf und wird Antiquitätenhändlerin.

Lucie Mannheims Version, Mannheim war 1933 nach England emigriert, Lucie Mannheims Version wird von der BBC für die deutschen Hörer ausgestrahlt und war eine der vielen mit propagandistischem Liedtext...

Lucie Mannheim – Lili Marleen bei Youtube

Als Lale Andersens Kontakte zu Schweizer Juden, insbesondere Rolf Liebermann, später Leiter der Hauptabteilung Musik des Norddeutschen Rundfunks und Intendant der Hamburgischen Staatsoper, öffentlich wurden, ließ Joseph Goebbels das Lied 1942 verbieten. Lale Andersens Name verschwand aus der Presse, sie wurde zensiert. Ihre Lebenserinnerungen heißen „Leben mit einem Lied“, sie stirbt 1972 in Wien.

Lale Andersen – Lili Marleen bei Youtube

Ohne Frage ist Lili Marleen DAS Lied des Zweiten Weltkriegs, in fast jedem Land. Warum? Das ist mysteriös, eine faszinierende Geschichte, denn das ist eigentlich ein Lied, das ohne jede Spur hätte verschwinden können, eine Serie von Unfällen.

Norbert Schulze, der Komponist von Lili Marleen

Norbert Schulze, der Komponist, der neben Lili Marleen und Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise Stücke wie Von Finnland bis zum Schwarzen Meer, das Lied der Panzergruppe Kleist, Panzer rollen in Afrika vor, Bomben auf Engelland und Veit Harlans Kolberg vertont hatte, stirbt 2002 in Bad Tölz, mit 91 Jahren.

Komponieren oder krepieren, hat er gesagt. „Da habe ich mich für das Erstere entschieden.“

Mehr über den Komponisten

Komponist Norbert Schultze über die Entstehung eines Propagandalieds bei Youtube „Den Teufel am Hintern geküßt“ – der erstaunliche Werdegang des Komponisten von Lili Marleen bei Youtube

Wilhelm Furtwängler und Beethovens Neunte in Paris

Das Programm zur Vorstellung von Beethovens Neunter während der Weltausstellung in Paris in der Salle Pleyel am 7. September 1937 um 21 Uhr enthält eine Verlautbarung von Walther Funk, dem Vizepräsidenten der »Reichskulturkammer«.

„Die internationale Ausstellung von 1937 gibt dem nationalsozialistischen Deutschland die Gelegenheit, der Welt einen Überblick über seine Leistungen und Errungenschaften und damit einen Eindruck des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens und der Geschehnisse im Reich Adolf Hitlers zu präsentieren. Das neue Deutschland zeigt sich im »deutschen Pavillon« mit unterschiedlichen Beispielen seiner künstlerischen, technischen und gesellschaftlichen Fortschritte. Die »Woche der deutschen Kunst« soll der Welt einen Eindruck davon vermitteln, wie es aus künstlerischer Sicht derzeit um Oper, Lieder, Tanz und Film bestellt ist. "

Ebenfalls in Paris, dieses Mal Théatre des Champs-Elysées, ebenfalls während der Weltausstellung: Wilhelm Furtwängler und die Berliner Philharmoniker sowie Bruno Walter und die Wiener Philharmoniker, die beiden besten Klangkörper der Welt und verpflichtet zu einem, wenn man so will, musikalischen Wettstreit.

Nach der erlesenen Vorstellung von Mozarts Requiem wurden innerhalb von Monaten die Mitwirkenden Elisabeth Schumann, Alexander Kipnis und Bruno Walter gezwungen, in die USA zu emigrieren. Drei von mindestens 1500 europäischen Musikern, die über den Atlantik geflüchtet waren, „wohl der größte Talenttransfer der Weltgeschichte“, wie der Autor Volker Hagedorn in einem Artikel über Bruno Walter schreibt.

„Und in einem Interview von 2009 sagt der holländische Dirigent Bernard Haitink, der im nazibesetzten Holland aufgewachsen war: „Das ist ein sehr gefährlicher und unangenehmer Gedanke, aber ich wäre niemals Dirigent geworden, wenn alle diese Katastrophen nicht passiert wären. Es hätte so viele begabtere Dirigenten als mich gegeben.“
Im Januar 1941 verfasste Bruno Walter, bereits in den USA, für die von Klaus Mann herausgegebene Zeitschrift „Decision- A Review of Free Culture“ einen Artikel mit dem Titel: »About war and music«, in dem er darlegte, wie wichtig Musik gerade in Kriegszeiten war:

„Ich wollte mir darüber klar werden, ob heute, da die Schlacht um Menschlichkeit geschlagen ist, die Musik die Bedeutung von früher behalten darf. Und ich begann zu verstehen, dass Musik keine Flucht vor weltlichen Dingen bedeutet; sie kann tatsächlich eine aktive Rolle dabei spielen [...], zu kultivieren, was unserem Leben Sinn gibt, was unsere Zukunft nach dem Krieg sicherstellt, was der höchste Dienst an einer guten Sache ist [...] die Stimme der Musik kann denen, die sie hören, eine Botschaft der Hoffnung übermitteln. Es ist heute die hohe Pflicht des Musikers, ohne zu beschönigen das Evangelium der Hoffnung über die ganze Menschheit zu verbreiten.

Echoes of France

„Eine der freudvollsten musikalischen Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkriegs ist die Schallplatte Echoes of France, die am 21. Januar 1946 in den Abbey-Road-Studios von EMI in London von den großartigen Jazzmusikern Django Reinhardt und Stéphane Grappelli mit dem neu zusammengestellten Hot Club of France aufgenommen wurde. Reinhardt und Grappelli waren durch den Krieg fast sechs Jahre getrennt worden. Als sie sich dann in den illustren Räumen des Athenaeum-Clubs wiedertrafen, war einem Zeugen zufolge das Erste, was sie taten, dass sie eine ekstatische Jazzversion der französischen Nationalhymne improvisierte. Ein paar Tage später wurde daraus in ihrer ersten gemeinsamen Aufnahme-Session seit der Niederlage Frankreichs im Jahr 1940 Echoes of France. Wie hätten sie ihre Freude über die Befreiung und das Ende sechs langer Kriegsjahre besser feiern können?“

Zwei Texte von Peter Wicke

Peter Wicke, 1951 in Zwickau geboren, ist Professor für Theorie und Geschichte der populären Musik und Direktor des Forschungszentrums populäre Musik am Seminar für Musikwissenschaft der Humboldt-Universität Berlin. Von ihm sind eine Vielzahl von Artikeln im In- und Ausland zu theoretischen, historischen und kulturpolitischen Problemen der populären Musik erschienen, die in mehr als fünfzehn Sprachen übersetzt wurden.

Populäre Musik im faschistischen Deutschland und Populäre Musik als theoretisches Konzept

LeMO, Deutsches Historisches Museum, Berlin zu Kunst und Kultur als Instrument der Macht

Die Nationalsozialisten vollzogen eine strenge Trennung zwischen der „wahren deutschen“ und der „entarteten“ Musik. Zu den als „zersetzend“ und „unerwünscht“ gebrandmarkten Komponisten zählten unter anderen Alban Berg (1885-1935), Hanns Eisler, Paul Dessau (1894-1979) und Ernst Krenek (1900-1991). Andere wie Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) und Giacomo Meyerbeer (1791-1864) wurden wegen ihrer jüdischen Herkunft abgelehnt.

Vor allem die Unterhaltungsmusik und der Tanzschlager erlebten im NS-Regime und im Zweiten Weltkrieg einen ungemeinen Aufschwung und Popularitätsschub. Die Rundfunkprogramme boten überwiegend diese Form der Musik, ausgerichtet auf den Geschmack eines Massenpublikums.
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Autor der Sendung: Knut Benzner. Die Sprecher waren Stephan Schad, Volker Hanisch, Michael Haffke und der Autor. Regie: Der Autor. Technik und Ton: Günter Arnold, Redaktion Dr. Monika Künzel.

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Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/eine-lange-nacht-ueber-musik-im-zweiten-weltkrieg-vor-der-104.html



Presseschau - Überschriften
 

 

 

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Eröffnung vor 200 Jahren in Wien

Das neu errichtete „Theater in der Josefstadt“ mit Beethoven als Dirigent

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Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/theater-wien-josefstadt-100.html

 

 

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Vor 100 Jahren uraufgeführt
„Trommeln in der Nacht " – Bertolt Brechts Durchbruch


Die Uraufführung von „Trommeln in der Nacht“ am 29. September 1922 an den Münchner Kammerspielen war das Theaterdebüt – und der Durchbruch des jungen Lyrikers und Dramatikers Bertolt Brecht. Er hätte lieber ein anderes Stück auf der Bühne gesehen.

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Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/bertolt-brecht-trommel-nacht-urauffuehrung-100.html

 

 

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Klassik: "Ich bin keine Königin"

Von Reinhard J. Brembeck

[…] Hat je ein Mann, und vom Timbre her ist er trotz seiner frappanten Höhe ganz zweifellos ein Mann, derart verspielt schier endlose Auszierungen ziseliert?

Bruno de Sá aber kann nicht nur Virtuoses begeisternd, in langsamen, sich in die Tiefen des Gefühls schraubenden Nummern ist er unschlagbar.

Da vergisst der Hörer vor Faszination das Atmen.
Bruno de Sá ist Sehnsucht, Leidenschaft und aufgewühlte Tiefe. Und natürlich bringt er auch das Bayreuther Publikum zum Jubeln. […]

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Quelle: https://www.sueddeutsche.de/kultur/bruno-de-sa-roma-travestita-1.5665005

 

 

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Schlesinger-Affäre
RBB entbindet Juristische Direktorin vom Dienst
Die Ermittlungen über mögliche Vetternwirtschaft und Verschwendung im Rundfunk Berlin-Brandenburg weiten sich auf Manager des aktuellen Vorstands aus. Auch die Juristische Direktorin Susann Lange muss nun Konsequenzen fürchten.

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Quelle: https://www.sueddeutsche.de/medien/rbb-skandal-ermittlung-susann-lange-1.5671106

 

 

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Energiekrise in den Kulturinstitutionen

Wenn es nur um ein paar heruntergefahrene Heizungen ginge. Aber der Kulturbetrieb als solcher scheint gefährdet. Droht in der Gaskrise am Ende eine Triage der Haushaltsmittel?
Von Peter Richter

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Quelle: https://www.sueddeutsche.de/thema/Theater

 

 

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Berliner "Ring": Ein Wunder

10. Oktober 2022, 15:06 Uhr

Anja Kampe lernt als Brünnhilde schmerzlich, das Richtige zu tun. Neben ihr Andreas Schager als Siegfried in der "Götterdämmerung".
(Foto: Monika Rittershaus)

Dirigent Christian Thielemann erschafft ein Klangparadies, die Solisten begeistern:
der neue "Ring" der Berliner Staatsoper.
Von Reinhard J. Brembeck

[…] Wotan, Michael Volle, ist als Patriarch überwältigend, hat immer auf Männer, Machos und Muskeln gesetzt. Frauen sind für ihn vor allem Sexobjekte, und vielleicht hat er deshalb seine Tochter Brünnhilde unterschätzt. Doch an der Berliner Staatsoper ist es die so humane wie lernfähige Brünnhilde der Anja Kampe, die die zerbröselnde Welt des Patriarchen abräumt und, ermutigt von ihrer alten Mutter Erda, ins Nichts der endlich einmal schwarzen und leeren Bühne aufbricht. In eine schöne neue Welt, in der die Männer weniger zu sagen haben werden, in der das Faustrecht nichts mehr zählt, sondern endlich einmal Hirn und Gefühle. Zwanzig Minuten lang feiern die Besucher, sie stehen alle sehr bald auf und bejubeln fast ohne Buhs die grandiosen Sänger und vor allen den Dirigenten Christian Thielemann. Schließlich kann kein Haus der Welt eine bessere Besetzung für Richard Wagners Weltumbruchsvierteiler "Der Ring des Nibelungen" aufbieten.

Nur der Regisseur Dmitri Tcherniakov wird lautstark abgestraft, vermutlich weil er Wagner als Feministen avant la lettre beweist und konsequent die allzu menschliche Misere eines Familien-Hightech-Unternehmens erzählt, das wegen seines unfähig größenwahnsinnigen Chefs zugrunde geht. […]
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Quelle: https://www.sueddeutsche.de/thema/Theater

 

 

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Krise des Theaters: Ein Stück aus dem Tollhaus

Kammerspiele, Volksbühne und Co.:
Wie Theater sich angesichts halbleerer Häuser in Egoshooter-Phrasen flüchten.

Von Peter Laudenbach
Es ist meistens sicher gut gemeint, was sich derzeit auf vielen Theaterbühnen abspielt. Gratis Ideologiekritik, dekonstruierte Geschlechterrollen und, logo, Klagegesänge über den Neoliberalismus.
[…]
Schwierig wird es, wenn die Bühnen sich mit dem gängigen Diskursvokabular aus den Seminarräumen der cultural studies gegen die uneingeweihten Normalos aus der lästigen Außenwelt abschotten. Hier wird dann der Sprachstil zum Distinktionsspiel. Botschaft: Wir wollen unter uns bleiben. Wenn es ganz unangenehm kommt, darf das Publikum auch noch weltanschauliche Belehrungsgewitter über sich ergehen lassen. Die Radical-Chic-Phrasen und Identity-Politics-Textbausteine funktionieren als Signalreize, die vor allem die Zugehörigkeit zu den Hipster-Abteilungen des Bühnenbetriebs demonstrieren. Wer nicht dazugehört, reagiert eher mit genervtem Achselzucken auf die Insiderei.
[…]
Dabei wird unter anderem übersehen, dass der Hauptzweck des Theaterbetriebs nicht angenehme Tage der künstlerisch Beschäftigten sind, sondern, das Leben ist hart: Aufführungen. Das Desinteresse an den Besuchern aus der Welt da draußen nimmt die großzügige deutsche Theaterfinanzierung dabei als pure Selbstverständlichkeit. In Wirklichkeit ist sie ein Glücksfall und ein enormes Privileg.

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Quelle: https://www.sueddeutsche.de/kultur/theater-kammerspiele-nora-leer-publikum-weg-krise-intendant-1.5664159

 

 

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Neumeier sagt Bolschoi-Gastspiel in Hamburger ab

Hamburgs Ballettintendant John Neumeier hat das geplante Gastspiel vom Ballett des russischen Bolschoi-Theaters bei den 48. Hamburger Ballett-Tagen abgesagt. Stattdessen zeige das Hamburg Ballett am 27. und 28. Juni Neumeiers Ballett „Nijinsky“ mit Gaststar Olga Smirnowa, teilte das Hamburg Ballett am mit. Angesichts der anhaltenden politischen Eiszeit wolle er auf das Gastspiel des Bolschoi-Theaters verzichten, sagte der 83jährige Neumeier laut Mitteilung.

Hamburgs Ballettchef feiert in dieser Saison sein 50-jähriges Dienstjubiläum bei der Compagnie. Krönender Abschluss seiner letzten Spielzeit sind die vierwöchigen Ballett-Tage. […]

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Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/neumeier-sagt-bolschoi-gastspiel-in-hamburger-ab-100.html

 

 

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Energiekrise:
Mit Kaltwasser auf den Toiletten ist es nicht getan

29. August 2022, 15:20 Uhr
Auch auf Museen, Theater, Opernhäuser kommt eine Energiedebatte zu. Wie sie sich darauf vorbereiten - und wie das besser gelingen könnte.

Von Peter Laudenbach
[…]
Der jüngste Appell der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die Kultureinrichtungen sollten "Energie einsparen", ohne ihre "Funktionsfähigkeit zu gefährden", zielt genau in diese Richtung. Roths Binse ist sicher nicht falsch, aber ziemlich hilflos. Um nicht zu sagen: Heiße Luft. Mit ungeheizten Treppenhäusern, dem abgeschraubten Warmwasser-Hahn auf den Toiletten, etwas kühleren Büros und der Bitte, nach Feierabend das Licht auszumachen, dürfte es jedenfalls nicht getan sein.

Wenn es richtig hart kommt, sind ihre Ökobilanz und die steigenden Energiekosten noch nicht einmal die drängendsten Probleme der Theater, Konzerthäuser, Opern und Museen. Wie ernst es für sie werden könnte, ahnt man, wenn man hört, dass einzelne Kultureinrichtungen schon über Notfallpläne nachdenken, falls ihnen im Winter nicht genug Energie zur Verfügung stehen sollte: Lieber wochen- oder tageweise schließen, den ganzen Betrieb oder nur einen Teil lahmlegen? […]
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Quelle: https://www.sueddeutsche.de/kultur/kultur-energie-theater-museen-1.5647164

 

 

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Antisemit und Genie Richard Wagner
Das jüdische Publikum hat sich nicht mit Zwergen identifiziert


Nachdem seine Karriere in Paris gescheitet war, kehrte Richard Wagner nach Dresden zurück und wandte sich dem Deutschtum zu.
© picture alliance / dpa / Jan Woitas Klatt, Thomas · 29. April 2022, 19:07 Uhr


Richard Wagner ist für viele jüdische Menschen ein rotes Tuch. Er hat Judenhass geschürt und dem erstarkendem Antisemitismus Vorschub geleistet. Färbt sich das auf sein musikalisches Werk ab? Die jüdischen Stimmen sind nicht einheitlich.

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Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/richard-wagner-genie-und-judenhasser-dlf-kultur-98294360-100.html

 

 

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Film „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“

Wohl dosierte Respektlosigkeit

Das Bayreuther Festspielhaus zieht jedes Jahr viele Besucher an.
© picture alliance / Alexander Schuhman

Von Tobias Krone · 28.10.2021

 

Wagner-Kenner Axel Brüggemann bietet in seiner Doku einen Blick hinter die Kulissen der Bayreuther Festspiele und will auf einen Schlag auch noch den Wagner-Kult dekonstruieren. Das ist zu viel gewollt für einen Film, der sich aber dennoch lohnt.

Aus der Sendung Tonart

Es ist ein Kuriosum – das Erbe Richard Wagners und Bayreuth, in dem man sich Sommer für Sommer schwitzend und fechelnd dem Opernwerk des Komponisten hingibt. Der Journalist und Wagner-Kenner Axel Brüggemann bringt nun einen Dokumentarfilm über den Wagner-Mythos in der fränkischen Mittelstadt in die Kinos. „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“ zeigt die Menschen, die diesen Mythos in der ganzen Welt zelebrieren.

Um Brüggemanns filmisches Vorhaben zu beschreiben, muss man wahrscheinlich mit dem Metzgerehepaar Rauch beginnen: In ihrem Familienbetrieb versorgen die Rauchs das gemeine Bayreuth mit Aufschnitt, im Sommer vermieten sie Zimmer an Festspielmitarbeiter – und präsentieren im Film auf der heimischen Eckbank eine ebenso handfeste wie poetische Beziehung zu ihrem Wagner.

„Wie die Musik ankommt, wissen Sie, die kommt so wie… wie ein Wasser angeflossen und sie erholt sich immer wieder…“, erklärt der Mann.

„Die erholt sich ned…“

„Und kommt immer wieder, und baut sich die Musik dann einfach nach oben auf. Ich meine, der…

„Hör auf, hör auf…“

Richard Wagner und Wurst

Brüggemann stellt solche Originale einem großen Wagner-Kenner wie dem US-Kritiker Alex Ross gegenüber, um dem Mythos Bayreuth näher zu kommen: Und er tut das mit wohldosierter Respektlosigkeit. Mehr als einmal in diesem Dokumentarfilm gerät Wurst ins Bild als eine Art kulinarischer Orgelpunkt des Fränkischen. Der Grundtenor: Wer Wagner liebt, darf sich vor dem Deutschen nicht ekeln.

„In Salzburg wohnen Sie im Blattgold und im Fränkischen, in Bayreuth, wohnen Sie in furnierter Eiche – so ist das halt, ne?“, sagt Filmemacher Brüggemann. Der Wagner-Glanz soll dem Profanen standhalten, das Brüggemann überall mit neckischem Kamerafokus zu entblößen sucht.

Egal, ob das biedere Bayreuth oder die Wagnerianerinnen und Wagnerianer, die der Regisseur auf der ganzen Welt besucht – meistens gibt es da eine arrivierte Schrulligkeit bei dem oft ergrauten Wagner-Fan – sei es der ehemalige Ministerpräsident Lettlands, der als Präsident der örtlichen Wagner-Gesellschaft im gealterten Anzug durch das baufällige Wagner-Konzerthaus führt; oder sei es der japanische Geschäftsmann, der den vierstündigen Parsifal für eine Kindervorstellung in Tokyo auf eine Stunde eindampfte, um damit der Aufmerksamkeitsspanne der Smartphone-Generation gerecht zu werden.

Warum lieben Juden, Christen und Moslems Wagner?

Axel Brüggemann formuliert seine Leitfragen durch den Film so: „Wir wissen, Wagner war ein sehr unsympathischer Mensch, Wagner war ein Antisemit, Wagner will uns betören und berauschen. Warum lassen wir das mit uns geschehen von so einem Typen? Warum lieben Juden, Christen und Moslems Wagner?“

Es ist wirklich faszinierend, wohin Brüggemanns Film überall hinreist – in die New Yorker Vorstadt, wo Laien den ersten, rein mit Schwarzen besetzten Ring vor einer Kirche aufführten, ins Emirat Abu Dhabi, nach Tel Aviv und so weiter.

Journalist und Wagner-Kenner Alexander Brüggemann hat Regie geführt bei „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“© Katharina Schiffl

Gerade die Beziehung von Juden zu Wagner ist schwierig: Wagner hatte Juden in einem Aufsatz eine musikalische Unfähigkeit attestiert und damit einen wichtigen kulturpolitischen Grundpfeiler des Nationalsozialismus gesetzt.

Diesen Antisemitismus diskutiert Brüggemanns Film ausführlich – mit dem israelischen Rechtsanwalt und Wagner-Fan Jonathan Livny, Sohn emigrierter Juden, der bis heute gegen die Widerstände in seiner Heimat kämpft; und auch mit den US-amerikanischen Regisseuren Yuval Sharon und Barrie Kosky, die sich am Wagner-Werk abarbeiten.

Erklären und Dekonstruieren

Dazwischen besucht Brüggemann unnützerweise den Grünen Hügel im Winter, um den Nachtwächter des Opernhauses zu besuchen. Der setze ganz andere Prioritäten: „Für den ist der wichtigste Raum des Festspielhauses der Heizraum. Weil da kann es brennen.“

Eine Art Gralshüter des Bayreuther Winterschlafs. Nette Idee. Doch in diesem Anspruch, Wagner sowohl zu dekonstruieren als auch komplett zu erklären, droht die Doku dann in eine schlichte Fernsehreportage zu kippen.

Erstmals ein Kamera-Team im Orchestergraben

Doch der Film lohnt sich trotzdem: Zum ersten Mal bekam ein Kamera-Team Einblick in den sogenannten mystischen Abgrund: den stickigen Orchestergraben, der in Bayreuth unter der Bühne liegt. Hier steht Christian Thielemann kurzärmlig vor seinem schwitzenden Orchester. „Kurze Streicher, sonst ist es ganz gut. Und auch da noch sparen. Drei, vier…“, zählt der Dirigent.

Die im Film zu hörende, fast brutale Dominanz der Blechbläser in der Probe – sie ist im Orchestergraben nötig, damit oben im Saal die Tonmischung stimmt. Per Telefon gibt ein Assistent Anweisungen nach unten.

„Wer hier das erste Mal in dem Graben dirigiert und diese Klangmassen mitkriegt, die einen hier fast erschlagen, und wer weiß, wie wenig man da von oben hört – da brauche ich Leute, denen ich vertraue. Ich müsste eigentlich mein Ohr abschrauben und müsste es oben reinlegen, aber das geht ja nicht.“ Daher der Assistent.

Thielemann am Telefon

Und es ist ein großes Vergnügen, Thielemann im Film dabei zuzusehen, wie er die Lautstärke der Instrumentengruppen mittels Telefonhörer und seiner Mimik tuned – ein echter Moment. Hier kommt der Wagnersche Wahnsinn in seiner sinnlichen Dimension zur vollen Entfaltung.
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Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/film-wagner-bayreuth-und-der-rest-der-welt-wohl-dosierte-100.html

 

 

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Bühnen-Werkstatistik 2020/21: Jetzt ist es amtlich

31. Juli 2022, 18:48 Uhr

Zu den meist gespielten Stücken zählt Ferdinand von Schirachs Diskusionsdrama "Gott", in dem es um Sterbehilfe geht.
Drastischer Besucherrückgang und digitaler Boom: Die Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins zur Spielzeit 2020/21 fasst die coronabedingte Lage der Theater in Zahlen.

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Quelle: https://www.sueddeutsche.de/kultur/theater-corona-besucherrueckgang-statistik-1.5631071

 

 

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[…]
Theater aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben dem Deutschen Bühnenverein für die Werkstatistik 2020/21 ihre Daten gemeldet

Die Deutsche Bühne, das monatlich vom Bühnenverein herausgegebene Theatermagazin, hat diese Angaben in Aufführungslisten, Diagrammen und Tabellen aufgearbeitet und in seinem Juli-Heft mit einem Themenschwerpunkt begleitet. In einem Interview mit Claudia Schmitz, der neuen Geschäftsführerin des Bühnenvereins, sagt diese mit Blick auf den Ukraine-Krieg: "Wir sind noch weit von einem Neustart entfernt. Alle teilen das Bewusstsein, dass wir aus einer schwierigen Situation in eine neue schwierige Lage kommen, von der wir die Details noch gar nicht kennen. Die gerade explodierenden Energiepreise betreffen auch die Theater. Gleichzeitig sprechen wir mit den Gewerkschaften über die notwendige Erhöhung von Mindestgagen. Eigentlich erhöht sich der Druck derzeit von allen Seiten. Und das wird eine große Herausforderung."

Die komplette Werkstatistik "Wer spielte was?" kann unter werkstatistik@die-deutsche-buehne.de kostenpflichtig bestellt werden.
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Quelle: https://www.sueddeutsche.de/kultur/theater-corona-besucherrueckgang-statistik-1.5631071

 



Skandal beim Öffentlich-rechtlichen Rundfunk

 

 

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Schlesinger-Affäre
RBB-Rundfunkratsvorsitzende von Kirchbach zurückgetreten

Die Vorsitzende des RBB-Rundfunkrats, von Kirchbach, legt ihr Amt mit sofortiger Wirkung nieder. Das teilte die 67-Jährige in einer Erklärung mit. Darin heißt es, mit dem Rücktritt wolle sie einen Beitrag zum Neuanfang des Rundfunk Berlin Brandenburg leisten. In der aktuellen Debatte um den RBB und das öffentlich-rechtliche System solle es nicht um Personen gehen, sondern um die Sache.

Von Kirchbach betonte, dazu gehöre die selbstkritische Betrachtung der Arbeit des Gremiums in der Vergangenheit. Diese Diskussion noch mit angestoßen zu haben, sei ihr wichtig. Sie sei aber nicht bereit, ihre berufliche Integrität als Pfarrerin und Seelsorgerin in Frage stellen zu lassen.

Stellvertretender Vorsitzender übernimmt

Damit gibt es nun eine weitere personelle Konsequenz in der Affäre um Vorwürfe der Vetternwirtschaft gegen die abberufene Intendantin Schlesinger. Von Kirchbach stand dem Rundfunkrat seit Januar 2013 vor und war seit 2007 Mitglied des Gremiums, das sie ebenfalls mit sofortiger Wirkung verlässt. Entsandt wurde sie von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Die Amtsgeschäfte übernimmt vorerst der stellvertretende Rundfunkratsvorsitzende, Pienkny.

Unterdessen planen Ausschüsse des Brandenburger Landtags und des Berliner Abgeordnetenhauses eine gemeinsame Anhörung der Senderspitze beim Rundfunk Berlin Brandenburg. Gegen Schlesinger gibt es derweil neue Vorwürfe. Das Online-Medium „Business Insider“ berichtet unter Berufung auf Buchungsunterlagen, dass vermeintlich ausgeschiedene RBB-Mitarbeiter weiterhin Gehalt bezögen. Es wurden mehrere Fälle aufgelistet, darunter einer an der Spitze der Werbetochter RBB Media.

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Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/rbb-rundfunkratsvorsitzende-von-kirchbach-zurueckgetreten-100.html

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Kommentar zur RBB-Affäre

Flachere Hierarchien sind notwendig

Nach der Offenlegung neuer Details im Zusammenhang mit der Affäre beim RBB zeige sich, dass es dem Sender an Kontrollmechanismen fehle, kommentiert Sebastian Engelbrecht. Auch alle anderen Sender müssten dringend über ihre Strukturen nachdenken.

Ein Kommentar von Sebastian Engelbrecht | 21.10.2022

Der RBB-Skandal ist ein Anlass, über die Verfasstheit der öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland nachzudenken. Das betrifft insbesondere das Amt des Intendanten. Es ist allzu deutlich geworden, dass der Intendantin oder dem Intendanten in den Staatsverträgen und Satzungen eine Machtfülle zukommt, die dem Sender und auch ihm selbst unter Umständen nicht gut bekommt.

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Quelle:
https://www.deutschlandfunk.de/kommentar-rbb-affaere-rundfunk-100.html



Kalenderblätter

Heute

Bei Putin sollte alles in vier bis fünf Wochen erledigt sein.

Beginnend am 24. Februar 2022 sollte die Ukraine mit ihrer Armee bis Herbst 2022 besiegt werden und der von Putin festgestellte in der Ukraine angeblich grassierende Faschismus der Vergangenheit angehören.
 

 

 

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Der CDU-Politiker Dr. Wolfgang Schäuble sieht angesichts des Ukrainekriegs den Frieden in ganz Europa bedroht. Beim Vorgehen des russischen Präsidenten Wladimir Putin sieht er eine „erschreckende Parallele“ zu Adolf Hitler.  
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Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/schaeuble-zieht-parallelen-zwischen-putin-und-hitler-18024454.html

 

Vor achtzig Jahren

Bei Hitler sollte alles in vier bis fünf Monaten erledigt sein.
Beginnend am 22. Juni 1941 sollte die Sowjetunion mit ihrer Roten Armee im Herbst 1941 besiegt sein und der Bolschewismus der Vergangenheit angehören.
Es kam anders:

 

 

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Damals am 18. August 1941

Totale Fehleinschätzung

Am 3. Juli 1941 hatte Generalstabschef Halder in seinem Tagebuch vermerkt, es sei wohl nicht zu viel gesagt, wenn er behaupte, dass der Feldzug gegen Russland innerhalb von 14 Tagen gewonnen werde.

Bekanntermaßen dauerte er bis zum 8. Mai 1945, weil Politik und Militär die Situation im Sowjetreich völlig falsch einschätzten.

Am 15. Juni 1941, also sieben Tage vor dem Überfall, stellte Goebbels fest, dass der Feldzug in Griechenland Menschen und Material stark mitgenommen habe und deswegen das 'Unternehmen Barbarossa' nicht - wie geplant - schon im Mai begonnen werden konnte.

Er vermerkte, Russland habe wohl 180 bis 200 Divisionen zur Verfügung, das entspreche dem, was das 'Deutsche Reich' aufstellen könne, aber die Militärtechnik der Sowjets sei schlechter und man müsse sich somit keine Sorgen machen.

'Der Führer' schätze die Länge der Aktion auf vier Monate Dauer, er selber meine, es ginge schneller, Russland niederzuringen.

Am 22. Juli 1941 hatte das OKW die Lage im Osten so beurteilt, dass die Durchbruchsoperationen der deutschen Wehrmacht und ihrer Verbündeten die sowjetische Verteidigungsfront in zusammenhanglose Gruppen zerrissen habe, so dass eine einheitliche Führung des Feindes nicht mehr zu erkennen sei

Tags darauf, dem 23. Juli, begannen russische Truppen starke Gegenangriffe gegen die Flanken und Flügel der Heeresgruppe Mitte bei Smolensk

Daraufhin entschied Hitler, man solle in die Verteidigungsposition übergehen, womit der entscheidende Vorstoß in der Mitte angehalten wurde.

Die Führung des 'Reichs' musste erkennen, dass sie die militärischen Schwierigkeiten beim Kampf gegen Russland in dem Umfange nicht vorausgesehen hatte.

Es sei in den vergangen Wochen im Juli und jetzt bis in die Mitte August 1941 manchmal sehr kritisch gewesen, da man die sowjetische Stoßkraft und die Ausrüstung der Armee gänzlich unterschätzt habe.

'Der Führer' habe gemeint, die Russen hätte nur 5.000 Panzer zur Verfügung, während es in Wirklichkeit 20.000 gewesen seien.

Bei den Flugzeugen war es ähnlich, 10.000 hatte man geschätzt, jedoch 20.000 hätten den Russen zur Verfügung gestanden.

Es sei aber gut gewesen, diese Erkenntnisse nicht zur Verfügung gehabt zu haben, sonst wäre man unter Umständen vom Entschluss, einen 'Präventivkrieg' zu führen, abgekommen.

Zum Monatsende des August wollte man nach Süden vorstoßen, um Odessa in den folgenden Tagen zu nehmen und damit die ganze Westukraine in seinen Besitz zu bringen.

Im Norden hoffte man, schneller, als man es im Moment für möglich halte, vorzustoßen, wobei man Petersburg und Kiew nicht mit Waffengewalt nehmen wollte, sondern auszuhungern trachtete.

Es ist erstaunlich, mit welchem Leichtsinn der Krieg mit Russland begonnen wurde, als habe es keine Möglichkeiten zu klimatologischen und geographischen Studien, wann beginnt die Regenzeit, wann ist mit Frösten zu rechnen, wie sind die Straßen-, Wege- und Flächenverhältnisse, gegeben.

Wenn man dann auch noch das Potential des Gegners so gravierend unterschätzt, dann muss ein solches Unternehmen zum Desaster führen.
Zitatende
Quelle: https://www.telezeitung-online.de/
Damals_am_18._August_1941_Thema_des_Tages_'Fehleinschaetzung'.htm

Nach diesem Winter 1941 / 1942 hatte die deutsche Wehrmacht Mühe, die Folgen des eigenen Unvermögens und der Aggressivität der Russen nach dem 5. Dezember 1941 mit deren Attacken zu überwinden.
Die Rote Armee war dann bis zum Frühjahr 1942 auf weiten Strecken der Front eingebrochen und hatte große Teile des eigenglich besetzten Geländes zurückerobert. Nur die im Frühjahr 1942 einsetzende Regen- und Tauperiode machte es Nazi-Deutschland möglich, die Front bis Ende März 1942 zu stabilisieren.

In diesem Zeitraum – vom Juni 1941 bis März 1942 - hatte die Wehrmacht 1.1 Millionen Mann, ca. 90 Prozent aller Panzer und 50 Prozent aller Flugzeuge verloren.

Es war nun kaum möglich, beim Personal aufzufüllen, denn man war ja auch mit Besatzungsproblemen konfrontiert, war man doch in Norwegen, Dänemark, in die Benelux-Staaten, in Frankreich, in Jugoslawien, in Polen eingedrungen und hatte selbst ab Frühjahr 1941 eine Front in Nordafrika eröffnet um – wie auch in Griechenland – Mussolini, dem Duce, zu helfen. Damit war eine Großzahl von Männern im Einsatz, die besetzen Gebiete alleine schon: zu verwalten.

Die Wehrmacht versuchte Soldaten auszuheben, indem man Rekruten und Männer aus der Wirtschaft - nur mangelhaft ausgebildet - an die Front schickte.

Am 5. April 1942 wurde die Weisung 41 für das Unternehmen Blau – ab 30. Juni 1942 Unternehmen Braunschweig – erlassen:

 

 

 

Zitat
Führerhauptquartier, den 5.4.1942

Der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht

OKW/WFSt Nr. 5 5616/42 g. K. Chefs.

Geheime Kommandosache
Chefsache
Nur durch Offizier

14 Ausfertigungen
3. Ausfertigung
Weisung Nr. 41 für die Kriegführung

Die Winterschlacht in Russland geht ihrem Ende zu. Durch die überragende Tapferkeit und den opferfreudigen Einsatz der Soldaten der Ostfront ist ein Abwehrerfolg von größtem Ausmaß für die deutschen Waffen errungen.

Der Feind hat schwerste Verluste an Menschen und Material erlitten. In dem Bestreben, scheinbare Anfangserfolge auszunutzen, hat er auch die Masse seiner für spätere Operationen bestimmten Reserven in diesem Winter weitgehend verbraucht.

Sobald Wetter- und Geländeverhältnisse die Voraussetzungen dazu bieten, muß nunmehr die Überlegenheit der deutschen Führung und Truppe das Gesetz des Handelns wieder an sich reißen, um dem Feinde ihren Willen aufzuzwingen.

Das Ziel ist, die den Sowjets noch verbliebene lebendige Wehrkraft endgültig zu vernichten und ihnen die wichtigsten kriegswirtschaftlichen Kraftquellen so weit als möglich zu entziehen.
Hierzu werden alle verfügbaren Kräfte der deutschen Wehrmacht und die der Verbündeten herangezogen. Dabei muß aber gewährleistet sein, daß die besetzten Gebiete im Westen und Norden Europas, insbesondere die Küsten, unter allen Umständen gesichert bleiben.

Zitatende
Quelle: http://prussia.online/Data/Book/hi/hitlers-weisungen-fur-die-kriegfuhrung-1939-1945/ Hitlers%20Weisungen%20fuer%20die%20Kriegfuehrung%201939-1945%20(1962),%20OCR.pdf

Mit der nachfolgend zitierten Weisung Nr. 45 erteilte Hitler den Befehl, Stalingrad und den Kaukasus gleichzeitig anzugreifen.

 

 

Zitat
Führerhauptquartier, den 23. 7. 42
Der Führer
OKW/WFSt/Op.
Nr. 5 51288/42 g.K. Chefs.

Geheime Kommandosache - Chefsache!
Nur durch Offizier!
6 Ausfertigungen
3. Ausfertigung

Weisung Nr. 45 für die Kriegführung

Die Fortsetzung der Operation »Braunschweig«

I.) In einem Feldzug von wenig mehr als drei Wochen sind die von mir dem Südflügel der Ostfront gesteckten weiten Ziele im wesentlichen erreicht worden. Nur schwächeren feindlichen Kräften der Armeen Timoschenkos ist es gelungen, sich der Umfassung zu entziehen und das südliche Don Ufer zu erreichen. Mit ihrer Verstärkung aus dem Kaukasusgebiet ist zu rechnen.
Die Versammlung einer weiteren feindlichen Kräftegruppe im Raum um Stalingrad, das der Gegner voraussichtlich zäh verteidigen wird, ist im Gange
.

Zitatende

Quelle: http://prussia.online/Data/Book/hi/hitlers-weisungen-fur-die-kriegfuhrung-1939-1945/Hitlers%20Weisungen%20fuer%20die%20Kriegfuehrung%201939-1945%20(1962),%20OCR.pdf

Hiermit wurde die Front um ein weiteres Mal überdehnt. Eine Länge von 4.000 Km konnte die Luftwaffe nicht mehr bezwingen. Die Folge war, dass Munition fehlte und der Treibstoff zur Neige ging.

Unter diesen - bereits vorher - erschwerten Bedingungen begann General Paulus am 19. August 1942 den Angriff auf Stalingrad.

Während des Sommers 1942 rückten die deutschen Truppen an der Ostfront weiter nach Osten vor und zum November 1942 hatte General Paulus 90 Prozent der Stadt im direkten Häuser- und Straßenkampf, die voller russischer Zivilisten war, da Stalin deren Evakuierung verboten hatte, eingenommen. Seine Truppen hatten sich bei diesen Nahkämpfen allerdings auf 25 Prozent der Gesamtstärke reduziert.

Gleichzeitig liefen an der Ostfront die Vorbereitungen zu einer russischen Großoffensive, für die Stalin eine Streitmacht von einer Million Mann zusammengezogen hatte. Mit der ‘Operation Uranus‘, die am 19. November 1942 begann, schloss Russland binnen vier Tagen 250.000 deutsche und rumänische Soldaten in einem Kessel ein. Infolgedessen war der rechte Flügel der italienischen 8. Armee am mittleren Don ungedeckt und wurde ab 16. Dezember in der Operation ‘Kleiner-Saturn‘ von der Roten Armee zerschlagen. Es folgte ein ungeordneter Rückzug der Reste der italienischen Armee zum unteren Donez. Der noch intakte linke Flügel der Italiener (Alpinikorps) musste darauf einen verlustreichen Rückzug durch die russische Steppe nach Westen führen und wurde bis Ende Januar 1943 völlig vernichtet.

Hitler verbot einen Ausbruch aus dem Stalingrader Kessel, der in den Anfangstagen der Umzingelung noch möglich gewesen wäre. Er vertraute auf die Versicherungen des ‘Reichsjägermeisters‘ Göring, der die Truppe aus der Luft versorgen wollte, bis ein Entsatzversuch der eilig unter dem Befehl von Erich von Manstein zusammengestellten Heeresgruppe Don - bei dem sich Panzerverbände von Generaloberst Hermann Hoth befanden und die sich Stalingrad auf 48 Kilometer näherten – die Flucht aus dem Kessel möglich würde. Aufgrund des sowjetischen Widerstands wurde dieser Versuch aber nach neun Tagen abgebrochen.

Damit überließ man die Truppe ihrem Schicksal, versorgte sie mit Munition und Nahrung durch das, was die Luftwaffe mit ihren geringen Mitteln - kaum noch Landemöglichkeiten, kein Nachtanken – damit geringe Zuladung mit Verletzten ermöglichen konnte.

Die tägliche Lebensmittelration der ausgehungerten Eingeschlossenen betrug zu diesem Zeitpunkt zwei Schnitten Brot und ein wenig Tee, gelegentlich eine dünne Suppe. Erste Todesfälle wegen Erschöpfung und Unterernährung traten ab Mitte Dezember auf. Der russische Winter mit unter minus 40 Grad forderte ebenfalls Tausende Opfer unter den nur unzulänglich gegen die eisigen Temperaturen ausgerüsteten Wehrmachtssoldaten. Bis zum 18. Januar 1943 mussten die deutschen Truppen sämtliche Verteidigungslinien aufgeben und sich vollständig in das Stadtgebiet von Stalingrad zurückziehen, wo sie in zwei Teilkessel gespalten wurden.


Der noch von Hitler zum Generalfeldmarschall beförderte Paulus kapitulierte am 31. Januar 1943 mit seinen ihm verbliebenen Einheiten im südlichen Kessel. Zwei Tage später ergaben sich auch die ausgezehrten Truppen im Nordkessel der Stadt, das einem Trümmerfeld glich. Etwa 150.000 deutsche Soldaten waren im Kessel den Kämpfen, der Kälte oder dem Hunger zum Opfer gefallen. Rund 91.000 Mann gerieten in sowjetische Kriegsgefangenschaft, aus der vielleicht 6.000 Überlebende bis 1956 nach Deutschland zurückkehrten. Auf sowjetischer Seite waren vermutlich mehr als 400.000 Soldaten ums Leben gekommen.

Dieses Fiasko wirkte sich auch innenpolitisch im Reich verheerend aus, der Glaube an den ‘Führer‘, den genialen Feldherrn, schwand.

Bombenterror und Mangelwirtschaft belasteten die Bevölkerung.

 

 

Zitat
1. Mai 1942 - Das Wetter ist jetzt wieder sehr kühl geworden. Es will immer noch nicht richtig Frühling werden.
Das ist für unsere Ernteaussichten geradezu katastrophal. Was uns fehlt, das ist ein warmer Regen und darauf Sonnenschein. Statt dessen regnet es nicht und scheint die Sonne nicht. Es ist manchmal zum Verzweifeln.
[…]
20. Mai 1942 - Große Sorgen macht uns die Ernährungslage. Nach einem Bericht des Ernährungsministeriums ist der Saatenstand außerordentlich schlecht. Es wird im kommenden Herbst vor allem an dem nötigen Brotgetreide fehlen, so dass wir dann vermutlich gezwungen sind, die Brotrationen wiederum erklecklich herunterzusetzen. Das ist für die breiten Massen die empfindlichste Kürzung. Es wäre zu wünschen, dass wir dann wenigstens Kartoffeln im Überfluss haben; aber wenn das saumäßige Wetter weiter anhält, dann kann davon auch keine Rede sein. Was das Brot betrifft, so werden wir nicht darum herumkommen, in großen Mengen Gerste beizumischen. Das wird außerdem auch noch die Qualität und die Nahrhaftigkeit des Brotes wesentlich heruntersetzen. Kurz und gut wir stehen hier vor einem Problem gegen das menschliche Intelligenz und Organisationsgabe machtlos sind. Man schaut jeden Tag mit Angst und Bangen zum Himmel, ob er in der richtigen Dosierung Regen fallen und die Sonne scheinen lässt. Wir sind schon in der Tat ein armes Volk, und es ist nur unserem Fleiß und unserer Intelligenz zuzuschreiben, dass wir als Nation überhaupt noch existieren.

Zitatende

Quelle: Reuth, Ralph Georg – Goebbels Tagebücher – Piper 192 – Seite 1789-1794

Hinzu kamen die schlechten Berichte von den Fronten, so dass der Reichspropagandaminister sich bemühen musste, die Stimmung im Volk zu besänftigen. Hunderte von Filmen wurden gedreht und zur Vorführung gebracht – auch auf dem Land, wo es keine Kinos gab. Dort fuhren Vorführwagen von Dorf zu Dorf, um auch hier die Bewohner von den Qualen des Krieges abzulenken.

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_w%C3%A4hrend_der_Zeit_des_Nationalsozialismus_im_Deutschen_Reich_uraufgef%C3%BChrten_deutschen_Spielfilme


Die Theater zeigten ihr Repertoire an Schwänken, Lustspielen, Operetten, die Konzerthäuser waren geöffnet und mitten im Kriegsgeschehen spielten Truppen von Sängern und Schauspielern, die von der Organisation KdF engagiert, an die Fronten geschickt wurden.

 

Foto: Hitler und Goebbels im Filmstudio der UFA in Berlin,
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6138875

Grundsätzlich stand jetzt nicht politische Belehrung und Historienfilme wie ‘Der Choral von Leuthen‘ mit Otto Gebühr, Olga Tschechowa und Veit Harlan auf dem Programm der zu produzierenden Filme.
Unterhaltung stand im Vordergrund, nicht der aufwändig gedrehte Propagandafilm, sondern die leichte Zerstreuung wie der Film ‘Die große Liebe‘ mit Zarah Leander, Viktor Staal, Grethe Weiser, Paul Hörbiger, der zum größten kommerziellen Erfolg wurde.

Der Rundfunk war für Goebbels das wichtigste Medium, auf die Bevölkerung einwirken zu können. Ob Sondermeldungen aus dem Führerhauptquartier oder Übertragungen der Ansprachen des Führers aus dem Sportpalast in Berlin oder sonstigen Veranstaltungsstätten, aus einem zentralen Veranstaltungsraum konnte er in alle Gaue wortreich und unmittelbar Einfluss nehmen.

Hierbei half ihm ein bereits seit 1933 im Verkauf befindliches Radio.

Der Volksempfänger war ein Rundfunkgerät, das von Otto Griessing bei der Firma Seibt im Auftrag von Joseph Goebbels entwickelt wurde.

 



Foto: https://brandenburg.museum-digital.de/object/7085

 

Auf der 10. Großen Deutschen Funkausstellung in Berlin stellte man das Gerät mit dem Modell VE301 im August 1933 vor.

Die Typenbezeichnung 301 sollte Erinnerungen an den 30. 1. 1933, dem Tag der Machtübernahmen durch die Nazis wecken.

Das Gehäuse des VE301 bestand aus Bakelit, einem duroplastischen Kunststoff, einem Phenoplast auf der Basis von Phenol und Formaldehyd, der 1905 von dem belgischen Chemiker Leo Hendrik Baekeland entwickelt und nach ihm benannt wurde.

Der Entwurf für das Gerät stammte von Walter Maria Kersting, Professor für Industriedesign in Köln und später in Düsseldorf.

Der vorgeschriebene Preis der Version für den Betrieb am Stromnetz betrug 76 Reichsmark was 300 Euro entsprach.
65 Reichsmark kostete eine batteriebetriebene Version.
Bereits am ersten Tag der Vorstellung auf der Funkausstellung wurden 100.000 Geräte verkauft. Im Jahr 33 lag die Produktion bei 650.000 Geräten, 1943 waren es über 840.000 Stück.

Der Volksempfänger war das einzige Produkt aus einer Reihe von Propagandaprojekten wie dem KdF-Wagen, dem Deutschen Einheits-Fernseh-Empfänger E 1, dem Volkskühlschrank oder der Volkswohnung, das in die Serienfertigung gelangte und auch in nennenswerter Stückzahl produziert wurde.

Mit dem Volksempfänger sollte es jeder Familie möglich sein, Rundfunk zu hören, um so für die nationalsozialistische Propaganda erreichbar zu sein.

 

 

Zitat
Schlacht um Stalingrad
Duell zweier Diktatoren

Als im Sommer 1942 die Schlacht um Stalingrad begann, sei der Krieg für das Deutsche Reich bereits verloren gewesen, sagte der Historiker Sönke Neitzel im Dlf.
Adolf Hitler habe die nach Josef Stalin benannte Stadt unbedingt einnehmen wollen.

Heinemann, Christoph | 20. August 2022, 08:15 Uhr
Inbegriff für Kriegsgräuel und Wendepunkt des II. Weltkrieges – Zum Beginn der Schlacht um Stalingrad vor 80 Jahren – Interview mit Sönke Neitzel, Militärhistoriker an der Universität Potsdam

Sprecher:
A
m 23. August 1942, begann die Schlacht von Stalingrad.
Auch diejenigen, die sich kaum in der Geschichte von Hitlers Angriffskrieg auskennen, haben diesen Namen schon einmal gehört.
Infolge der Gegenoffensive der Roten Armee im November wurden rund 300.000 Soldaten der Wehrmacht und ihrer Verbündeten eingekesselt. Stalingrad steht auch für die entfesselte Kriegsführung. Die deutsche Luftwaffe warf ungefähr 1.000.000 Bomben auf die Stadt ab und 700.000 Menschen kamen im Verlauf der Kämpfe in Stalingrad ums Leben.
Viele Soldaten der Wehrmacht und ihrer italienischen und rumänischen Verbündeten verhungerten, da die Luftwaffe, die von Hermann Göring großspurig zugesagte Versorgung aus der Luft mit 500 Tonnen pro Tag nicht ein einziges Mal erfüllen konnte.
Die Tagesrationen umfassten am Schluss rund 2 Scheiben Brot im russischen Winter.
Hitlers Kriegsführung war auch eine Geschichte gewaltiger Fehlplanungen.
Rund 110.000 Soldaten gerieten in Kriegsgefangenschaft, nur wenige von ihnen kehrten in die Heimat zurück.
Für die derjenigen, die es dann gerade überlebt hatten, waren lebenslang gezeichnet, körperlich oder psychisch.
Wir haben vor dieser Sendung den Historiker Professor Sönke Neitzel erreicht. Er lehrt Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt am Historischen Institut der Universität Potsdam.
Erste Frage: Welche strategische Bedeutung spielte Stalingrad in Hitlers Angriffskrieg?

Neitzel:
Eigentlich hatte Stalingrad eine sehr geringe Bedeutung. Diese ‘Operation blau‘ also der Angriff der Deutschen 1942 im Sommer galt ja eigentlich zunächst dem Kaukasus, so den Erdölquellen im Kaukasus und Stalingrad nur so eine Art Nebenoperation, weil dort die Wolga abgeschnitten werden sollte.
Die Wolga war die wichtigste Lebensader in der Sowjetunion für den Transport von Gütern, Öl usw. Und erst als diese Offensive lief, hat Hitler sich dann immer mehr sich Richtung Stalingrad orientiert und wurde Stalingrad immer mehr zu einer Obsession. Weil das eben die Stadt Stalins war. Also, es ist interessant, wie ein Diktator immer mehr Einfluss gewinnt auf die Operationsführung und einen Schwerpunkt verlegt und damit eigentlich ja ein Stück weit dafür verantwortlich ist, die eigene Armee in den Untergang zu führen.

Sprecher:
1942 hatte Nazi Deutschland 3 Jahre, Sowjetrussland 1 Jahr Krieg geführt.
Über welche Ressourcen verfügten beide Seiten zu Beginn der Schlacht von Stalingrad?

Neitzel:
Also die Deutschen hatten diesen Krieg in der Sowjetunion zum Beginn der Schlacht von Stalingrad bereits verloren und zwar eigentlich seit einem Jahr verloren. Der deutsche Kriegsplan war im Spätsommer 1941 gescheitert, schnell der Roten Armee das Rückgrat zu brechen und dann nur noch nach Osten zu marschieren.
Und die Deutschen hatten sich dann im Laufe des Jahres 1941 eigentlich zu Tode gesiegt, denn sie hatten erhebliche Verluste und so war zwar halt die öffentliche Wahrnehmung so: Man stand tief in Russland und die Wehrmacht eine erfolgreiche Armee usw. Und alle Welt - auch die Neutralen -glaubten, man würde ihr 1942 den Todesstoß geben.
In Realiter sah das ganz anders aus. Die Kräfte der Wehrmacht waren begrenzt und man konnte eigentlich nur noch ein Drittel der Divisionen, die an der Ostfront standen, wirklich noch angriffsfähig machen.
Die Rote Armee hatte 1942 auch gewaltige Verluste. Die Rote Armee des Jahres 1941 die gab es nicht mehr, aber die Rote Armee hatte eben erhebliche Reserven. Und es begannen sich auch stückweise die Waffenlieferung auszuwirken, die der Amerikaner und vor allen Dingen auch der Briten, auch perspektivisch. Also es war so eine Art Pattsituation -würde ich mal sagen

Sprecher:
Wie haben beide Seiten den jeweiligen Gegner eingeschätzt? Was wusste man von der jeweils anderen Seite?

Neitzel:
Gerade Hitler hat die Rote Armee nach wie vor massiv unterschätzt, denn er glaubte zeitweise - auch im Verlauf dieser Operation Richtung Stalingrad - die Russen seien geschlagen und schlug da so seine Phantomkesselschlachten. Und auch die Sowjets hatten noch einen sehr hohen Respekt. Man hat dann diesen Gegenangriff vorbereitet, um zu versuchen, die deutsche Offensive zu stoppen und dann zum Gegenangriff überzugehen, aber ob das gelingen würde, das war noch Zukunftsmusik.

Sprecher:
Mit Blick auf die Schlacht in der Stadt, über welche Erfahrungen verfügten eigentlich beide Seiten im Häuserkampf.

Neitzel:
Also der Häuserkampf war nicht die Spezialität, weder von der Roten Armee noch von der Wehrmacht. Man hat das schon seit 1941 gesehen, zum Beispiel gab es solche Kämpfe. So viele große Städte gibt es in der Sowjetunion jedoch nicht. Um Kiew wurde nicht gekämpft, um Leningrad auch nicht, um Charkow nur kurz und so waren die großen Städte eigentlich schon genannt, so dass diese Erfahrung, die beide dann in Stalingrad machten, für beide Seiten eigentlich eine völlig neue war, beinahe eine völlig neue.

Sprecher:
Rund 600.000 Menschen lebten ja in Stalingrad noch als die Schlacht begann.
Wieso durften diese Zivilisten die Stadt nicht verlassen?

Neitzel:
Das ist eigentlich etwas Typisches für die Kriegsführung Stalins, das hatten wir auch ähnlich in Leningrad, die Leningrade Bevölkerung, die nicht evakuiert werden durfte vor der Einschließung. Also das ist ein psychologisches Element: Stalin wollte die Stadt, die seinen Namen trug, unbedingt halten und verteidigen und auch die Bevölkerung in die Verteidigungsanstrengungen einbeziehen, zum Bau von Stellungen Festungen und es ging Stalin natürlich dann überhaupt nicht um die Bewahrung von Menschenleben, also das spielte für ihn in dieser Zeit überhaupt keine Rolle, sodass man immer sagen muss, es ist eben der Krieg zweier Diktatoren. Ich sage immer etwas provokant, Stalin hat den deutschen Vormarsch in dem Blut der eigenen Leute erstickt. Wenn man die hohen Verlustzahlen auch der Zivilisten sieht, dann liegt das natürlich an den deutschen Verbrechen, aber es liegt eben auch an der Art und Weise wie er dann Krieg geführt hat mit seinen eigenen Leuten.

Sprecher:
Seit 22.11.1942 war die sechste Armee eingekesselt. Wieso hat Hitler diese 6. Armee nicht gerettet, als es noch möglich war

Neitzel:
Ja, da gibt es viele Gründe dafür. Zunächst gibt es ja einen operativen Grund, dass man sagte, wenn die sechste Armee ausbricht, dann besteht die Gefahr, dass der gesamte Südflügel zusammenbricht, weil diese sechste Armee hat auch wieder Kräfte der Roten Armee gebunden und man musste Zeit gewinnen, um die Kräfte aus dem Kaukasus zurückzuziehen. Und dann gibt es auch so ein psychologisches Element: wie schätze ich eigentlich die Lage ein. Schätze ich die Lage wirklich so katastrophal ein oder sage ich, naja ich hau die wieder raus und ich kann eine Frontlinie auch wiederherstellen mit einem Gegenangriff.
Heute sind wir schlauer. Aber der damalige Erfahrungshorizont war der Winter 41/42 der Kessel von Demjansk, wo über hunderttausend Wehrmachtssoldaten eingekesselt wurden und die sind dann nach etlichen Wochen wieder entsetzt worden und wurden dann aus der Luft versorgt und Hitler glaubte dann aber mit dem Versprechen von Göring, dass es möglich sei, die Stellung zu halten und eigentlich in einem Gegenangriff die Frontlinien wiederherzustellen.

Sprecher:
Das Ende der sechsten Armee war ja absehbar. Wieso haben Hitlers Generale nicht aufbegehrt?

Neitzel:
Ja, das ist ganz interessant. Im Mikrokosmos, also der erfolgreichste wäre wahrscheinlich gewesen, wenn sie unmittelbar nach der Einkesselung ausgebrochen wären und das hätte allerdings die Initiative von General Paulus erfordert.
Es gab ja Generale, die dafür waren. So der General Seydlitz zum Beispiel, aber die Wehrmacht war natürlich wie jede Armee eine hierarchische Organisation und wenn der Oberbefehlshaber aber nicht mitmacht, dann funktioniert das nicht.
Und Paulus war nicht der Mann, der in einem historischen Moment nach vorne geht und Verantwortung übernimmt. Also ich würde nicht sagen, dass das jetzt ein Spezifikum der Wehrmacht oder der NS-Diktatur war, es sind die hierarchischen Organisationen und diese Größe, in der Krise den eigenen Entschluss zu fassen, selbstständig zu handeln, sich außerhalb der Organisation zu stellen, also, wenn wir jetzt mal 50 Jahre deutsche oder europäische Militärgeschichte durchleuchten, werden Sie wenige Beispiele finden.

Sprecher:
Sie sagten eben Professor Neitzel, dass der Russlandfeldzug 1942 bereits verloren war. Bildete Stalingrad einen von vielen Wendepunkten oder den einen, entscheidenden Wendepunkt in Hitlers Angriffskrieg.

Neitzel:
Für die militärische Kriegsführung war es gar kein Wendepunkt, weil der Krieg war bereits verloren und er war verloren, da die deutsche Angriffsplanung auf die Sowjetunion scheiterte im Spätsommer, im Frühherbst 1941 und das ist - meines Erachtens - die eigentliche Kriegswende, weil danach ist es strategisch Ende für die Deutschen.
Aber was Stalingrad war, ist eine psychologische Kriegswende. Also der Krieg war verloren, aber das ist weder von den Deutschen, noch von den Neutralen zum Beispiel so wahrgenommen worden damals und Stalingrad ist dann in der Wahrnehmung der Deutschen auch der Bürger der Sowjetunion, der Neutralen usw. als ein Wendepunkt interpretiert worden. Zum ersten Mal gelang es der Roten Armee die Deutschen zurückzuschlagen und sie einzukesseln. Da kam was zu Ende. Das ist ein Wendepunkt für die Wahrnehmung, wenn man die
Geschichte hinter der Geschichte betrachtet, ist der Krieg für die Deutschen, musste ja von den Alliierten gewonnen werden, aber die Alliierten hatten - glaube ich - den entscheidenden Schritt im Herbst 1942 getan.

Sprecher:
Wofür steht Stalingrad militärgeschichtlich?

Neitzel:
Also man kann sich ja fragen, warum ist das so ein besonderer Punkt. Ich meine, es kamen Millionen von Soldaten zu Tode in diesem Kriege, das kann es ja nicht sein, dass dort Menschen starben und Hunderttausende starben. Ich glaube, es ist das Extrem der deutschen Soldatenerfahrung, also auch für Deutschland diese Aufladung, denn in Stalingrad haben wir die Häuserkämpfe, wir haben dann die Einkesselung und in der Einkesselung haben wir dann auch dieses Sterben der Soldaten - fast alle Soldaten der 6. Armee kommen ja um - und wir haben Bedingungen, die bis hin zum Kannibalismus gehen und das ist dann wirklich ein besonderer Erfahrungsraum für die deutschen Soldaten, weswegen Stalingrad dann auch natürlich mythisch so aufgeladen ist. Die hohen Verluste, aber die ganz besondere Kriegserfahrungen, die die deutschen Soldaten da machen. Ich glaube, in der sowjetischen Erzählung ist das ein bisschen anders. Da geht es einfach um das Ende vom Anfang, um die erfolgreiche Gegenoffensive, um ein Symbol des eigenen Sieges. Aber für die Deutschen ist es dann diese Erfahrung in der Winterwüste von Stalingrad.

Sprecher:
Wie haben die Nazis die Bevölkerung über die Niederlage ins Bild gesetzt?

Neitzel:
Also es wurde natürlich propagandistisch überhöht, wie sollte man auch mit einem solchen Rückschlag umgehen. verheimlichen konnte man ihn nicht, zumindest nicht völlig, also musste man das natürlich zu einem Heldennarrativ, zu einem Opfertum - wie einst an den Thermopylen die Spartaner sich opferten, so die sechste Armee für die Größe Deutschlands.

Also in diesem Narrativ, das an sich auch sachlogisch ist für die NS-Ideologie. Man ist nicht nur tapfer, sondern man opfert sich eben auch für das größere Ganze und in dieser Erzählung konnte man Stalingrad einfügen.
Ansonsten, über die Details, war ziemlich wenig zu erfahren, Stalingrad mit der Einschließung war sofort aus der Wochenschau verschwunden. Es gibt also keine Bilder, es gibt auch keine Bilder von einer landenden Ju 52 zum Beispiel. Und man hat auch letztlich geleugnet, dass es Überlebende gibt. Es tauchten dann auf Umwegen Briefe von deutschen Gefangenen der 6. Armee auf und es hat zu einem riesigen Aufruhr der Bevölkerung gesorgt, weil die Deutschen meinten, dass ihre Angehörigen noch leben.

Goebbels hat das alles unterdrückt.
Es gibt keine deutschen Überlebenden, macht euch klar, es gibt nur Leben und Sterben. Man hat versucht, das alles runterzudrücken und das alles in einem Heldenepos, in einem sozialdarwinistischen Sinne sozusagen zu interpretieren.

Sprecher:
Welche Rolle könnte Stalingrad heute für die deutsch-russischen Beziehungen spielen, wenn Russland nicht gerade einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führen würde?

Neitzel:
Ich glaube, um das Potenzial von Stalingrad zu erkennen, muss man in die 1990er Jahre zurückgehen und als junger Hospitant der Redaktion Zeitgeschichte vom ZDF war ich da so ein bisschen mit dabei, als das ZDF und das russische Fernsehen - Guido Knopp damals - ‘Der verdammte Krieg‘ gedreht hat. Eine Sendestaffel über den deutsch-sowjetischen Krieg, die gleichzeitig im gleichen Text, gleichen Bildern in Deutschland und im russischen Fernsehen ausgestrahlt wurde und damals gab es für diese Dokumentation auch Begegnungen von Zeitzeugen in Stalingrad, an dem Ort der Gefechte und da konnte man den Begriff der Versöhnung sehen. Der Versöhnung der Veteranen über den Gräbern ihrer gefallenen Kameraden. Stalingrad ist halt von anderer Symbolhaftigkeit als Babyn Ja oder die Schoah, die Konzentrationslager, Vernichtungslager usw. Steht also sozusagen eher für das Schicksal der Soldaten und den Angriffskrieg.
Die Deutschen hatten dort nichts zu suchen, aber die Versöhnung darüber, auch und dass es dann möglich war, einen deutschen Soldatenfriedhof dort aufzubauen. Das wäre ein Zeichen die Möglichkeit das Schicksal der Soldaten in den Blick zu nehmen. Wer waren die Rotarmisten, die gekämpft haben und man sich damit wieder kritisch befasst, um zu einer Versöhnung zu finden. Das wäre eigentlich die Möglichkeit. Das ist natürlich jetzt heute nicht mehr möglich, Stalingrad hat eine ganz andere Bedeutung. Die Geschichte des großen vaterländischen Krieges andere Bedeutungen so wird eingefügt werden Heldenepos, womit wir jetzt relativ wenig anfangen können und es geht eben nicht nur um Versöhnung. Also es ist ein Potential und meines Erachtens ist es gerade Anfang der 1990 er Jahre auch genutzt worden.

Sprecher:
Der Historiker Professor Sönke Neitzel von der Universität Potsdam über den Beginn der Schlacht von Stalingrad im August 1942.
Das Gespräch haben wir gestern aufgezeichnet
.

Zitatende
Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/80-jahre-schlacht-von-stalingrad-interview-soenke-neitzel-militaerhistoriker-dlf-1e1b967d-100.html

 

 

Zitat
„Für Hitler gab es nur: Sieg oder Tod“

Im Interview mit G/GESCHICHTE erklärt Militärhistoriker Sönke Neitzel, warum der Zweite Weltkrieg lange vor Stalingrad verloren war, aber die Wehrmacht auch nach der dortigen Niederlage weiter an ihre Überlegenheit glaubte.

Sönke Neitzel hat den deutschlandweit einzigen Lehrstuhl für Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Gewalt am Historischen Institut der Universität Potsdam inne. Zuvor lehrte er unter anderem an der University of Glasgow und der London School of Economics. | Foto: Kai Bublitz Fotoproduktion

Interview: Dirk Liesemer

G/GESCHICHTE: Die Schlacht bei Stalingrad gilt heute als der Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs. Wurde das damals von den Soldaten auch so erlebt – und ist diese Sichtweise überhaupt korrekt?
Sönke Neitzel: Nein, denn die Rede vom Wendepunkt deutet an, dass Hitler zuvor eine Chance hatte, den Krieg zu gewinnen. Das war mit dem Eintritt der USA im Dezember 1941 nicht mehr möglich. Und zuvor war schon Hitlers Kriegsplan einer schnellen Eroberung der Sowjetunion gescheitert – nicht erst vor Moskau, sondern bereits im August 1941. Damit war im Prinzip Game over. Dass Stalingrad oft als Wendepunkt bezeichnet wird, hat mit der Symbolwirkung der Stadt und der Schlacht zu tun. Denn hier wurde erstmals eine deutsche Armee von der Roten Armee eingekesselt und vernichtet. Mit der Niederlage von Stalingrad änderte sich jedoch die Wahrnehmung: Nur Tage danach proklamierte NS-Propagandaminister Joseph Goebbels den „totalen Krieg“. Aber Wahrnehmung und Realität sind eben zweierlei. Stalingrad war eine psychologische Kriegswende, aber der Krieg war schon lange zuvor verloren.

Wie ist das Scheitern der Wehrmacht, die ja als sehr professionell galt, in Stalingrad zu erklären?
Hitler unterschätzte die Rote Armee massiv, weshalb die Wehrmacht für das „Unternehmen Blau“ viel zu wenig Kräfte erhielt. Ursprünglich war die Stadt nur ein Nebenziel auf dem Weg zum Kaukasus. Beim Angriff auf Stalingrad waren die deutschen Kräfte dann völlig überfordert, zumal Hitler etliche Kampfverbände an andere Fronten verlegte. Im Grunde war früh klar, dass die Deutschen die Rote Armee im Südabschnitt nicht schlagen konnten. Zudem hatte die Rote Armee militärisch mittlerweile dazugelernt und wusste aufgrund eines Zwischenfalls sogar den genauen Angriffstermin auf die Stadt. Die Deutschen erkannten dann zwar den sowjetischen Truppenaufmarsch nördlich von Stalingrad, nicht aber südlich der Stadt. General Gehlen, der Leiter der Abteilung „Fremde Heere Ost“, tappte wie so oft ahnungslos im Dunkeln. Letztlich sind die Deutschen überrascht worden. Anfangs war wahrscheinlich noch ein Ausbruch aus dem Kessel möglich, aber der wurde dann von Hitler untersagt. Dass die Niederlage am Ende so verlaufen ist, lag an den Fehlern der Deutschen und den Leistungen der Roten Armee.

Truppen der Waffen-SS-Division rücken in die südrussische Steppenlandschaft vor, Sommer 1942. | Foto: Wikimedia/Bundesarchiv, Bild 101I-217-0494-34 / Geller / CC-BY-SA 3.0

„Jeder vernünftige Mensch hätte sehen müssen,
dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war“

Hitler erließ ein Kapitulationsverbot für die 6. Armee. War das einfach nur Wahnsinn oder verfolgte er damit ein rationales Kalkül?

Beides, man muss zunächst die militärische Logik verstehen: Nachdem die Rote Armee die 6. Armee eingekesselt hatte, drohte der gesamte deutsche Südflügel an der Ostfront aus den Angeln gehoben zu werden.

Mit dem Befehl zum Weiterkämpfen erkauften sich die Deutschen einige Zeit. Denn damit waren erhebliche Kräfte der Roten Armee gebunden. Die Wehrmacht konnte ihre Kräfte aus dem Kaukasus zurückziehen und im Februar/März 43 sogar die Ostfront stabilisieren.

Es gab also durchaus ein militärisches Kalkül, wobei zu diskutieren ist, ob eine um etwas früher vollzogene Kapitulation der 6. Armee nicht viele Menschenleben gerettet hätte.

Unzählige gingen nämlich nun völlig ausgehungert in sowjetische Gefangenschaft. Eine solche Kapitulation hätte die militärische Lage wohl auch nicht sehr verändert. Zugleich steht das Kapitulationsverbot für die NS-Ideologie. In Hitlers Vorstellung musste man bis zur letzten Patrone kämpfen und durfte keinesfalls in Gefangenschaft gehen. Ihm imponierten alle Einheiten, die bis zum letzten Mann kämpften.

Deswegen mochte er auch die Marine, deren Schiffe ja oft mit Mann und Maus untergingen. Für Hitler gab es nur: Sieg oder Tod.

Sowjetische Soldaten im völlig zerstörten Zentrum von Stalingrad, Februar 1943. |
Foto: Wikimedia/RIA Novosti archive, image #602161/Zelma/CC-BY-SA 3.0

Wie lernfähig war die Führung der Wehrmacht? Anders gefragt: Wurde die Niederlage nüchtern analysiert und wurden – aus rein militärischer Sicht – nachvollziehbare Schlüsse gezogen?
Nein, die Lernfähigkeit war sehr begrenzt. Man konnte die Lage schon deshalb nicht in Ruhe analysieren, weil die offensichtlichen Schlussfolgerungen nicht möglich waren: nämlich ein Ende des Krieges. Jeder vernünftige Mensch hätte sehen müssen, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Selbst die Idee, einen Oberbefehlshaber für die Ostfront zu berufen, der alles koordinieren sollte, wurde von Hitler abgebügelt. Er hat alles verhindert, was auf eine diplomatische Lösung hinausgelaufen wäre. Auch die eigenen Nachrichtendienste sind von ihm behindert worden. Selbst die Japaner haben die Deutschen aufgefordert, sich mit Moskau auf einen Waffenstillstand zu einigen. Für Hitler gab es nur eine Strategie: Weitermachen! Dabei glaubten selbst notorische Optimisten wie Generalfeldmarschall Erich von Manstein, allenfalls noch ein Patt an der Ostfront erkämpfen zu können. Aber was wäre damit erreicht worden? Von seinem Ordonnanz-Offizier Alexander Stahlberg soll Manstein gefragt worden sein: Aber Herr Feldmarschall, wenn wir ein Patt haben, was dann? Sollten sich dann Hitler und Stalin friedlich auf ein Unentschieden einigen? Das war alles unrealistisch.

Deutsche Gefangene bei Stalingrad auf dem Marsch ins Kriegsgefangenenlager, Februar 1943. | Foto: Wikimedia/Bundesarchiv, Bild 183-E0406-0022-010 / CC-BY-SA 3.0

Trotz der Niederlage in Stalingrad wurde in der Wehrmacht weiter der Glaube an die eigene Überlegenheit gepflegt. Wie ist das zu erklären?
Die Ideologie mag eine Rolle gespielt haben, aber viel wichtiger waren die soziale Praxis und die Erlebnisse der Soldaten. Neben den SS-Truppen sahen sich vor allem die Panzerverbände weiterhin der Roten Armee überlegen. Schließlich hatten sie auch immer wieder sowjetische Angriffe aufhalten können, selbst wenn die Front insgesamt zurückweichen musste. Ihre individuellen Erfahrungen prägten die Diskurse in der Wehrmacht. Hier zählte weniger, was Generäle der Infanterie von sich gaben, sondern die Erzählungen von Panzerkommandeuren wie Hermann Balck. Und dessen Sicht war stark von der ja tatsächlich vorhandenen Überlegenheit seiner Truppen geprägt. Zugleich fehlte diesen Leuten natürlich ein Blick auf die gesamte Ostfront. Niederlagen hat man dann oft auf die Infanterie geschoben, die nicht mehr kämpfen wolle.

Welche Bedeutung hatte der Sieg für die sowjetischen Soldaten?
Es war ein sehr blutig erkaufter Sieg, aber er war psychologisch von immenser Bedeutung. Schon die Gegenoffensive vor Moskau von Dezember 41 bis Februar 42 war ein Erfolg für die Rote Armee gewesen, aber sie hatte dabei mehr Soldaten verloren als die Wehrmacht. Und ihre Angriffe waren oft noch sehr dilettantisch durchgeführt worden. Aber das änderte sich ab Sommer 42, als Stalin seine Generäle machen ließ, allen voran Georgi Schukow: Sie lernte nun rasch auch höchst komplexe Operationen durchzuführen. Die Einkesselung bei Stalingrad ist dafür nur ein Beispiel. Die Rote Armee beherrschte zunehmend den Bewegungskrieg sowie sogenannte Durchbruchsschlachten. Als sie die vermeintlich unbesiegbare Wehrmacht in Stalingrad geschlagen hatte, war das nicht nur extrem förderlich für das Selbstbewusstsein. Der Roten Armee war fortan klar: Wir können die Deutschen aus dem Land drängen. Offen war nur: zu welchem Preis?

„Stalingrad hat sich als Chiffre eines grausamen Krieges ins kollektive Gedächtnis eingefressen“

In Stalingrad verlor Stalins Armee eine halbe Million Soldaten. Wird dieser Toten in Russland heute angemessen gedacht? Oder wird das Gedenken instrumentalisiert?
Beim Gedenken geht es in der Regel nicht um eine differenzierte Analyse, sondern um ein bestimmtes, vorgezeichnetes Bild. Geschichte dient, gerade in Russland, zur Untermauerung des nationalen Selbstbewusstseins. Man sucht sich positive Dinge heraus, um Heldenerzählungen zu schaffen. Ziel ist die nationale Selbststabilisierung. Deshalb wird dort an solchen Gedenktagen auch nicht über dilettantische Armeeführer gesprochen, nicht über die riesigen Opfer, nicht über all die vermeintlichen Deserteure, die man an die Wand gestellt hat, und natürlich auch nicht über die zuweilen menschenverachtende Kriegsführung gegenüber den eigenen Soldaten. Nicht einmal mehr Stalin wird noch offen kritisiert. Zwar gibt es auch bei uns Themen, die weniger diskutiert werden, aber den liberalen, differenzierten Umgang mit der eigenen Geschichte, der in Russland noch in den 1990er-Jahren gepflegt wurde, den gibt es dort heute nicht mehr.

… wie jüngst am Verbotsverfahren gegen die Menschenrechtsorganisation „Memorial“ deutlich wurde.
Genau, das ist das beste Beispiel.

Welche Rolle spielt Stalingrad in der Erinnerungskultur der Bundeswehr?
Im Grunde keine andere als in der Bevölkerung. Beim Krieg denken die Deutschen an Auschwitz und Stalingrad. Für Soldaten ist Stalingrad das extremste Erlebnis, das sie sich für einen Einsatz vorstellen können: Häuserkampf, Hunger, Kannibalismus, das Sterben in der Eiswüste.
Stalingrad hat sich als Chiffre eines grausamen Krieges ins kollektive Gedächtnis eingefressen.

Zitatende
Quelle:
https://www.g-geschichte.de/uebergreifend/interview-neitzel/

 

 

Zitat
3. Februar 1943
Der Kampf um Stalingrad ist zu Ende

Ihrem Fahneneid bis zum letzten Atemzug getreu, ist die sechste Armee unter der vorbildlichen Führung des Generalfeldmarschalls Paulus der Übermacht des Feindes und der Ungunst der Verhältnisse erlegen. Ihr Schicksal wird von einer Flakdivision der deutschen Luftwaffe, zwei rumänischen Divisionen und einem kroatischen Regiment geteilt, die in treuer Waffenbrüderschaft mit den Kameraden des deutschen Heeres ihre Pflicht bis zum Äußersten getan haben.

Zitatende
Quelle: Die Wehrmachtsberichte 1939 – 1945, Gesellschaft für Literatur und Bildung, Köln 1989, Seite 435

Goebbels fühlte sich als Reichspropagandaminister berufen, hier für Hitler in die Bresche zu springen und am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast - mit Übertragung durch alle deutschen Rundfunkanstalten - das Volk aufzufordern, an den Endsieg zu glauben und den totalen Krieg zu fordern und ihn einzugehen.

 

 

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'Die Sportpalastrede'

Gustaf Gründgens war nicht zu erreichen.
Während der Reichspropagandaminister seine 'Totale-Krieg-Rede' im Berliner Sportpalast hielt, ließ sich GG von seinem Chauffeur durch Berlin fahren.

Eigentlich sollte GG mit dabei sein - wie alle Größen im Staat: Politik, Kunst und all die anderen, die Goebbels als Repräsentanten des Reiches ansprach.

Nachdem die Anwesenden benannt wurden, stellte der Reichspropagandaminister ihnen – quasi als Stellvertreter des Volkes – zehn rhetorische Fragen zum Vorhandensein der Kampfesbereitschaft, die vom Publikum erwartungsgemäß jeweils mit einem lauten „Ja“ beantwortet wurden. Die Fragen begannen zum Teil mit angeblichen Behauptungen der Engländer oder der Formel „Ich frage euch“, in Kurzform hießen sie:

-          „Glaubt ihr mit dem Führer und mit uns an den endgültigen, totalen Sieg der deutschen Waffen? […] unter Aufnahme auch der schwersten persönlichen Belastungen […]“
 

-          „Die Engländer behaupten, das deutsche Volk sei des Kampfes müde. […] Seid ihr bereit […] diesen Kampf […] fortzusetzen, bis der Sieg in unseren Händen ist?“
 

-          „Die Engländer behaupten, das deutsche Volk hat keine Lust mehr, sich der überhand nehmenden Kriegsarbeit […] zu unterziehen. […] Seid ihr […] entschlossen […] das Letzte für den Sieg herzugeben?“
 

-          „Die Engländer behaupten, das deutsche Volk wehrt sich gegen die totalen Kriegsmaßnahmen der Regierung. Es will nicht den totalen Krieg, sagen die Engländer, sondern die Kapitulation. Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstellen können?“
„Die Engländer behaupten, das deutsche Volk hat sein Vertrauen zum Führer verloren. […] Vertraut ihr dem Führer?“
 

-          „Seid Ihr von nun an bereit, Eure ganze Kraft einzusetzen […], die Menschen und Waffen zur Verfügung zu stellen […], um den Bolschewismus zu besiegen?“
 

-          „Gelobt ihr mit heiligem Eid der Front, dass die Heimat mit starker, unerschütterlicher Moral hinter der Front steht und ihr alles geben wird, was sie zum Siege nötig hat?“
-
          „Wollt ihr, […] dass die Frau [...] überall da, wo es nur möglich ist, einspringt, um Männer für die Front frei zu machen?“
 

-          „Billigt ihr […] die radikalsten Maßnahmen gegen einen kleinen Kreis von Drückebergern und Schiebern […]? Seid ihr damit einverstanden, dass, wer sich am Kriege vergeht, den Kopf verliert?“
 

-          „Wollt ihr, dass […] gerade im Kriege gleiche Rechte und gleiche Pflichten vorherrschen […]?“

Besonders das frenetisch zustimmende Geschrei als Antwort auf die Frage nach dem totalen Krieg ist als prägendes Bild in die Geschichte eingegangen.
Am Tag der Sportpalastrede legten Hans und Sophie Scholl in der Münchner Universität das sechste Flugblatt der Weißen Rose aus, das mit einem Körner-Zitat aus einem patriotischen Lied der Befreiungskriege endete:
„Frisch auf mein Volk, die Flammenzeichen rauchen!“
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Quelle:
https://telezeitung-online.de/Thema_des_Tages_18._Februar_2020_'Sportpalast'.htm

 

 

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Symposium-Band „Wagner und der Nationalsozialismus“

Bayreuth in und nach der NS-Zeit –
und wie das zusammenhängt

Die Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele im Jahr 1944.
Nach Kriegsende wurde der Festspielbetrieb 1951 wieder aufgenommen. © picture-alliance / dpa
Rainer Pöllmann im Gespräch mit Oliver Schwesig · 26.07.2018

Die Bayreuther Festspiele haben im vergangenen Jahr ein Symposium zum Thema „Wagner und der Nationalsozialismus“ abgehalten. Es wurde Zeit, findet Musikredakteur Rainer Pöllmann. Nun erscheint die Dokumentation: eine anspruchsvolle und spannende Lektüre

Aus der Sendung Tonart

Oliver Schwesig: Es ist nach wie vor das wichtigste Ereignis für die Wagner-Fans, jedes Jahr die Bayreuther Festspiele. Gestern ging es los mit dem „Lohengrin“. Und wir haben ja auch vor ein paar Tagen, vielleicht erinnern Sie sich, schon über die erste Uraufführung einer ganz neuen Oper in Bayreuth seit 1882 berichtet, die Uraufführung von Klaus Langs „Der vergessene Hochzeiter“. Es gibt auch ein Rahmenprogramm im Rahmen der Bayreuther Festspiele, und zu dem gehört die Reihe „Diskurs Bayreuth“. Diese Reihe lief 2017 zum ersten Mal mit Konzerten und einem Symposium. Das Thema im letzten Jahr war unter anderem das immer wieder heiß diskutierte Thema „Wagner und der Nationalsozialismus“, und die Dokumentation dieses Symposiums erscheint nun in diesem Jahr als Buch, soll im August in den Läden sein. Rainer Pöllmann hatte die Gelegenheit, dieses Buch schon mal vorab zu Gesicht zu bekommen, und mit ihm will ich jetzt darüber reden. Hallo, Rainer Pöllmann!

Rainer Pöllmann: Hallo!

Schwesig: Zwei große Themenkomplexe gibt es in diesem Band. Welche sind das?

Pöllmann: Das ist zum einen tatsächlich Richard Wagner und der Nationalsozialismus in der Zeit des Nationalsozialismus, und zum anderen Richard Wagner beziehungsweise die Bayreuther Festspiele in der Nachkriegszeit. Beides hängt natürlich miteinander zusammen, und insofern sind das die zwei großen Kapitel dieses Buches, aber schon innig miteinander verwoben.


Bayreuth und Richard Wagner in der Nachkriegszeit

Schwesig: Das sind ja jetzt zwei Komplexe, die mittlerweile ausgiebig schon aufgearbeitet wurden. Gibt es denn da trotzdem neue Erkenntnisse?

Pöllmann: Ja, man kann in der Tat sagen, dass da schon Massen von Forschungsergebnissen dazu vorliegen. Aber immer wieder gibt es natürlich neue Akzentsetzungen. Ich muss gestehen, dass beim großen Kapitel „Wagner und der Nationalsozialismus“, also der ersten Abteilung dieses Buches, die schien mir thematisch ein bisschen diffus, wenngleich perspektivenreich. Da geht es um Thomas Mann und Wagner. Da geht es um Wagner als Schriftsteller und, das fand ich ganz interessant, die allmähliche Verschiebung der Begriffe in seinen Texten. Er hat nie einen Begriff zurückgenommen, noch nicht einmal den Begriff der „Vernichtung“ des Judentums. Aber er hat im Lauf seiner schriftstellerischen Karriere manche Begriffe dann einfach so flüssig verändert, dass sie am Schluss was ganz anderes bedeuten als am Anfang. Und vor allem habe ich aus diesem Buch gelernt, seine Autobiografie „Mein Leben“ sollte man nicht im Mindesten als faktisch nehmen, sondern wirklich als eine gefakte Autobiografie zur Darstellung des eigenen höheren Ruhms natürlich. Und immer wieder natürlich in diesem Zusammenhang die neu zu stellende Frage nach Wagners Antisemitismus, die aber so ganz einfach eben trotzdem nicht zu beantworten ist.

Der für mich spannendere Teil war dann eigentlich der über Bayreuth und Richard Wagner in der Nachkriegszeit. Da gibt es „Bayreuth und die Alte Musik“ zum Beispiel. Die Parallelität von Händel-Renaissance und Neu-Bayreuth, also dem entnazifizierten Bayreuth ab 1951, und wie sehr das miteinander zusammenhängt. Dass zum Beispiel in Bayreuth 1951 der Vorschlag kam, europäische Musikwochen unter dem Motto „Europäische Verständigung“ mit alter Musik zu machen, also eine Parallelaktion zur Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele, eine Form der Wiedergutmachung der Stadt Bayreuth hinsichtlich „der Belastungen, die sich in Folge der Verquickung der Wagner-Festspiele mit den letzten politischen Ereignissen ergeben“. Und so eine Wortwahl Anfang der 50er-Jahre über den Nazi-Terror, die muss man sich wirklich – auf der Zunge zergehen lassen, wollte ich sagen, aber genau das natürlich nicht. Es ist das Verschweigen, es ist das Drumherumreden um das, was gerade eben erst passiert ist.

Und für mich besonders interessant auch, „Bayreuth und die Neue Musik“. Man fragt sich eigentlich, was haben die miteinander zu tun. Ein Artikel beschäftigt sich mit Bayreuth und Darmstadt, und ich dachte, was hat das Festival für Neue Musik mit Bayreuth zu tun? Doch etwas mehr, als ich ursprünglich dachte, in der Form von Pierre Boulez zum Beispiel, der 1967 den Parsifal dirigiert hat.

Und in gewisser Weise kann man die Bestrebungen von Neu-Bayreuth, von diesem entideologisierten Bayreuth dann schon auch in eine Beziehung setzen zu dem, was im Bereich der zeitgenössischen Avantgarde in Darmstadt getrieben wurde. Das sind überraschende Einblicke, die ich eigentlich immer wieder sehr spannend fand.
 

Neuer Blick auf Wieland Wagner

Schwesig: Ein solches Symposium über Bayreuth in der NS-Zeit, ein Zentrum der Nazi-Ideologie, 1951 dann Neu-Bayreuth. Sie hatten es erwähnt: die Entrümpelung durch Wieland Wagner, aber keine wirkliche Aufarbeitung. Wie selbstkritisch, wie unabhängig ist denn so ein Symposium? Katharina Wagner hat es mit herausgegeben, da hängen alle irgendwie mit drin. Wie distanziert geht man denn da um mit diesem Thema?

Pöllmann: Es hängen veranstalterisch oder personell in der Tat alle mit drin. Und ich kann mir vorstellen, dass es schon ganz schön schwierig ist, in dieser Gemengelage ein solches wissenschaftliches Symposium zu veranstalten. Nichtsdestotrotz, es ist eine Veranstaltung der Bayreuther Festspiele zum ersten Mal, die das eben selbst machen und nicht nur sich als Objekt der Forschung mehr oder minder unwillig bereitstellen, sondern eben selbst da was machen, und Marie-Luise Maintz, die in diesem Jahr auch die Leiterin dieses Symposiums ist, hat da wirklich in völliger Unabhängigkeit arbeiten können und eine sehr gute Auswahl von Referenten und von einem Themenspektrum zusammengestellt. Das finde ich schon sehr bemerkenswert.
Überraschend war für mich, wenn man über die Bayreuther Gemengelage redet, wie kritisch inzwischen doch die Biografie und die Rolle von Wieland Wagner gesehen wird. Wieland Wagner war für lange Zeit der Gute, der Retter, der Gründer von Neu-Bayreuth, der den Nazi-Krempel rausgeschmissen hat, der Maßstab setzen will, abstrakte Inszenierungen gemacht hat, ein Genie. Dagegen dann immer Wolfgang Wagner als so der fränkische Pragmatiker.
Und immer klarer wird aber eben doch auch, dass Wieland Wagner in der Tat der Lieblingswagner von Adolf Hitler war, dass er der prädestinierte Leiter der Bayreuther Festspiele auch vom Naziregime her war. Und er wird in diesem Band dann schon auch sehr umstandslos als Karrierist zu Nazizeiten geschildert, dessen großes Glück eigentlich war, dass er nicht noch während des Krieges die Bayreuther Festspiele übernommen hat, sondern erst nachher, dann sozusagen die Scherben aufkehren durfte und konnte.
Also dieser Wandel in der Sicht auf Wieland Wagner ist nicht ganz neu, aber ist doch in diesem Band sehr stark.


Atemberaubende Tour d'Horizon

Schwesig: Interessant. So eine Sammlung von Symposiumsbeiträgen ist ja zunächst erst mal eine wissenschaftliche Abhandlung, ein wissenschaftliches Buch, und ich entnehme jetzt, Rainer Pöllmann, Sie als Fachmann haben da eine Menge interessante Sachen gefunden. Aber für wen ist dann so ein Buch geschrieben? Wirklich nur für die Wagner-Enthusiasten, oder kann ich als Nicht-Wagnerianer da trotzdem auch noch was Spannendes rausziehen?

Pöllmann: Ein gewisses Interesse an Richard Wagner und der Oper im 19. und 20. Jahrhundert oder auch an Zeitgeschichte sollte man natürlich mitbringen. Und oft genug sind ja gerade die Wagner-Enthusiasten auch die, die, ob berufshalber oder privat die Fachleute sind. Es ist ein Aufsatzband, der schon manches voraussetzt, der auch oft genug seine Erkenntnisse in lakonischen Nebensätzen versteckt. Oft genug ging es mir da so, dass ich da wirklich dachte, huch, was ist denn da jetzt in einem Satz zusammengefasst. Es ergibt manchmal eine atemberaubende Tour d'Horizon.

Da wird für das Jahr 1967 zum Beispiel, Boulez in Bayreuth, der 400. Geburtstag Claudio Monteverdis, der Beginn der historischen Aufführungspraxis zumindest als das Musikleben prägende Praxis, und die politische Revolte des Jahres ‘67, kurzgeschlossen in einem einzigen Satz. Das macht einen manchmal ein bisschen schwindelig, aber es ist natürlich auch das Schöne, dass in diesem Symposionsbericht – Symposien können furchtbar langweilig sein. Und ich war nicht dort bei diesem Symposion, aber so, wie sich mir dieser Symposionsbericht jetzt in seiner Schriftform darstellt, scheint es wirklich eine sehr muntere Angelegenheit gewesen zu sein. Und diese Erkenntnisse und das Zusammendenken von ganz disparaten Erkenntnissen, das ist wirklich eine Qualität dieses Bandes.


Kein Anzeichen für einen Schlussstrich

Schwesig: Vielleicht noch ganz kurz zum Schluss: Wagner und der Nationalsozialismus – es ist ja durchaus begrüßenswert, dass sich die Festspiele diesem Kapitel nach wie vor immer noch stellen. Wenn man diesen Band jetzt betrachtet, ist das für die Festspielmacher ein Anlass, darüber in Zukunft weiter zu diskutieren, eine Basis für weitere Diskussionen – oder hat das jetzt so ein bisschen den Charakter: Okay, wir würden dieses unbequeme Thema jetzt auch gerne langsam mal zu den Akten legen? Was für einen Eindruck haben Sie?

Pöllmann: Für einen Schlussstrich sehe ich jetzt keine Anzeichen. Es war hohe Zeit, dass Bayreuth als Institution selbst sich diesem Thema endlich, endlich, endlich mal gestellt hat. Und sie werden das sicher auch weiter tun – vielleicht nicht als Dauerbeschäftigung. Aber dass es damit jetzt auch gut sein soll, dafür gibt es keine Anzeichen.

Schwesig: „Sündenfall der Künste? Richard Wagner, der Nationalsozialismus und die Folgen“, so heißt ein neues Buch mit einer Sammlung von Symposiumsbeiträgen zu diesem Thema. Herausgegeben von Katharina Wagner, Holger von Berg und Marie-Luise Maintz im Bärenreiter-Verlag erschienen, 220 Seiten dick. Ab Mitte August, wie gesagt, ist der Band dann erhältlich. Rainer Pöllmann informierte. Vielen herzlichen Dank!
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Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/symposium-band-wagner-und-der-nationalsozialismus-bayreuth-100.html

Die Bayreuther Festspiele

 

 

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Offene Zukunft

07.09.2022 von Bernhard Neuhoff, Tobias Stosiek

Die Festspiele sind vorbei, Ruhe kehrt auf dem Grünen Hügel aber nicht ein: Georg von Waldenfels, Chef des Verwaltungsrats, spricht sich ausdrücklich für Christian Thielemann aus, dessen Verhältnis zu Katharina Wagner als schwierig gilt.

Und dann ist da noch diese Sache mit den Brillen. Bahnt sich in Bayreuth ein Machtkampf an?


Georg von Waldenfels, Chef des Verwaltungsrats und Vorsitzender des Vereins der Freunde der Bayreuther Festspiele | Bildquelle: BR

Diplomatisch sind fast alle Antworten, die Georg von Waldenfels im Gespräch mit BR-KLASSIK gibt. Nur einmal wird er sehr deutlich. Nämlich als es um die Vermutung geht, dass er nicht glücklich ist mit der Distanz, die zwischen Katharina Wagner und Christian Thielemann herrscht. "Da haben Sie recht, ja!"

Waldenfels ist vor allem Musikfan

Dass Waldenfels, der ja nicht nur Chef des Verwaltungsrats ist, sondern auch Vorsitzender des einflussreichen Freundeskreises, ein Bewunderer von Christian Thielemann ist, ist nichts neues. Das wiederholt er auch gegenüber BR-KLASSIK. Er sei nun mal in erster Linie ein Musikfan. Auch wenn er den diesjährigen "Ring" von Valentin Schwarz ausdrücklich nicht als Flop bezeichnen möchte - dem Szenischen steht er offensichtlich skeptischer gegenüber.

Mit dieser Haltung ist er in Bayreuth sicher nicht allein. Festspielleiterin Katharina Wagner steht allerdings für etwas anderes: für Regietheater, für szenische Experimente. Und dafür, dass Thielemann im nächsten Sommer Bayreuth fern bleiben wird. Wie Waldenfels das sieht? "Das ist eine Entscheidung von Katharina Wagner", so der Verwaltungsratschef salomonisch. Schließlich sei Wagner für die künstlerischen Belange zuständig.

VR-Brillen: Mischt sich der Verwaltungsrat in künstlerische Belange ein?

Doch gerade in diesem Punkt scheint es Kompetenzstreitigkeiten zu geben. Nach Berichten der WELT hat Waldenfels die Finanzierung von etwa 500 VR-Brillen gestoppt, die für die 3D-Inszenierung des "Parsifal" im kommenden Jahr benötigt werden. Um künstlerische Fragen gehe es hier jedoch gar nicht, betont Waldenfels gegenüber BR-KLASSIK. "Die Finanzierung muss gesichert sein. Und solang die nicht gesichert ist, können wir als Gesellschaft nicht sagen: Wir sind dafür." Einen Konflikt sieht Waldenfels hier nicht.
Ewig wird sich diese Zurückhaltung nicht durchhalten lassen. Spätestens im Herbst des kommenden Jahres muss eine Entscheidung her. Wagners Vertrag läuft nur noch bis 2025. Ob es mit der Komponisten-Urenkelin weitergeht, ist offen. Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat bereits verkündet, dass es aus ihrer Sicht nicht zwingend sei, dass ein Familienmitglied den Chefposten am Grünen Hügel bekleide.

"Alles offen": Waldenfels zur Zukunft von Katharina Wagner

Das sieht Waldenfels anders. Es habe schon "einen großen Charme", dass die Wagnerfamilie in Bayreuth noch immer eine so große Rolle spiele. Darüber hinaus habe Katharina in den letzten Jahren bewiesen, dass sie den Job ausfülle. Also ein deutliches Pro für eine Verlängerung von Wagner? Ein klares Bekenntnis zur momentanen Festspielleiterin kommt dem Verwaltungsratschef dann doch nicht über die Lippen. Es sei "alles offen", sagt er. Das dürfte die Diskussionen nicht gerade einbremsen.

Sendung: "Allegro" am 7. September ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Quelle: https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/bayreuther-festspiele-machtkampf-waldenfels-wagner-thielemann-100.html

 

 

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Wenn man Freunde hat,
braucht man keine Feinde mehr

Stand: 05.09.2022 | Lesedauer: 2 Minuten

Von Manuel Brug

Feuilletonmitarbeiter

Der Grüne Hügel kommt nicht zur Ruhe. Zum Ende der Spielzeit wächst der Druck auf Katharina Wagner, die Chefin der Bayreuther Festspiele. Besonders eine Fraktion macht ihr das Leben schwer.

Wird 2026, zum 150. Geburtstag der Bayreuther Festspiele, diesem einzigartigen Komponistenfestival, erstmals eine Person ohne den Familiennamen Wagner auf dem Leiterthron sitzen? Es könnte sein. Denn gegenwärtig wird Katharina Wagner, deren Vertrag bis 2025 läuft, das Prinzipalinnenleben wieder richtig schwer gemacht.

Die einen fordern ihre Abberufung, weil sie den aktuellen „Ring“ für misslungen halten. Als ob das, selbst wenn es so wäre, ein Kriterium ist. Das Theater ist einer der sehr wenigen Orte, wo Experimentieren noch erlaubt ist und Scheitern zum Prozess gehört.

Die anderen, die Thielemann-Fraktion, sind verschnupft, weil ihr Dirigierheld nach mehr als zwei Jahrzehnten vorerst den Hügel verlässt – dafür dirigieren künftig Semyon Bychkov, Pablo Heras-Casado und Natalie Stutzmann. Und mit Thielemann wird bereits über eine Rückkehr 2025 geredet.

Götterdonnerwetter. Im Pool, auf der Bühne, überall

Veröffentlicht am 04.08.2022 | Lesedauer: 116 Minuten
Von
Peter Huth
Quelle: Martin Lengemann/WELT

Es ist vorbei. Wie erwartet mit hysterischen Buhs für Valentin Schwarz. Aber auch mit Bravos. Wie auch von unserem Autor Peter Huth, der eine Woche von den Bayreuther Festspielen berichtet. Ein Liveticker für alle Bayreuth-Fans – und solche, die es werden wollen.
 

Das größte Problem in Bayreuth ist gegenwärtig die zögerliche Politik. Kulturministerin Claudia Roth hat von ihrer Vorgängerin Monika Grütters ein Problem geerbt, dass diese zwar schon benannt, aber nicht mehr gelöst hat. Die Verwaltungsstruktur der Festspiele ist völlig unzeitgemäß. Die Festspielleiterin nämlich ist der Spielball gleich vierer Parteien: Bundesrepublik Deutschland, Freistaat Bayern, Stadt Bayreuth und Gesellschaft der Freunde von Bayreuth.

Besonders problematisch sind inzwischen die „Freunde“ in Gestalt ihres 77-jährigen Vorsitzenden Georg von Waldenfels, Bayerns Ex-Finanzminister. Die geben zwar verhältnismäßig wenig, mischen sich aber massiv in künstlerische Dinge ein.

So ließ Waldenfels gerade mitteilen, Christian Thielemann sei „glänzend“ und „es müsse ohnehin viel mehr um die Musik gehen als um die Regie. Wie die Musik wahrgenommen wird, ist aus meiner Sicht wichtiger als das, was auf der Bühne passiert.“ Man könnte so etwas auch eine Unverschämtheit nennen.

Wie man hört, blockieren die Freunde gegenwärtig auch den Kauf von 3D-Brillen für den neuen „Parsifal“ 2023, die längst vom Verwaltungsdirektor abgesegnet sind. Und Katharina Wagners Nervenkostüm, die lange viel hat an sich abperlen lassen, ist dünner geworden.

Da wäre also Claudia Roth gefragt. Statt „Diversität“ und „junge Zuschauer“ einzufordern (für die erstmal die Geldgeber die Kartenpreise senken müssten) sollte sie lieber dafür sorgen, dass einzig der Bund und Bayern in Bayreuth neben der Leiterin das sagen haben.
Zitatende
Quelle: https://www.welt.de/kultur/article240807401/Bayreuther-Festspiele-Wenn-man-Freunde-hat-braucht-man-keine-Feinde-mehr.html



Nach den Bayreuther Festspielen ist vor den Bayreuther Festspielen

 

 

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Deutschlandfunk Kultur Fazit
Streit um Lohengrin in Bayreuth

Darf Gottfried kein Führer mehr sein?

05:48 Minuten

Richard Wagner (1813-1883) gilt als Antisemit, dessen Gesangstexte zu verändern und Worte wie „Heil“ oder „Führer“ umzubenennen sei „nicht zielführend“, meint Kritiker Fuchs. © imago images / Eberhard Thonfeld
Jörn Florian Fuchs im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 07.09.2022

Wegen einer Textänderung gibt es Streit zwischen der Intendantin der Bayreuther Festspiele, Katharina Wagner, und dem Dirigenten Christian Thielemann. Der besteht auf einer werkgetreuen Umsetzung des Lohengrin, Wagner will strittige Wörter streichen.

Aus der Sendung Fazit

Statt „Führer“ soll der Solist Klaus Florian Vogt als Lohengrin in Bayreuth besser „Schützer“ singen. Den Begriff „Führer“ könne man nicht mehr verwenden, argumentiert die Intendantin der Bayreuther Festspiele, Katharina Wagner,.

Der Dirigent Christian Thielemann sieht das anders:
Er möchte das Stück librettogetreu umgesetzt haben. Da habe Thielemann recht, findet Musikkritiker und Wagner-Experte Jörn Florian Fuchs.


„Eine Textveränderung ist nicht zielführe
nd“

Denn der Kontext sei entscheidend. In der strittigen Passage gehe es darum, dass ein Heerführer angerufen werde: „Es geht um Gottfried, also eine Erlöserfigur am Ende des Stücks – eine wirklich positiv besetzte Figur.“

In anderen Passagen von Richard Wagners Oper „Lohengrin“ werde viel von „Heil“ gesungen, so Fuchs. Nach Katharina Wagners Logik müsste auch dieser Text umgeschrieben werden, wie auch die Schlussansprache in der „Meistersinger“-Oper, da gehe es nationalistisch zu.

„Man muss sich inszenatorisch bei den Problemen der Stücke dazu verhalten, aber jetzt an den Texten in der Form alles zu verändern, ist nicht zielführend.“


Kampf um künftigen Einfluss

Der Streit sei durchaus auch Teil eines Machtkampfes zwischen der Intendantin Wagner und dem ehemaligen Musikdirektor der Festspiele, Christian Thielemann. Denn durch ihr Betreiben sei der Dirigent in den kommenden zwei Jahren bei den Festspielen nicht vorgesehen.

Doch auch die Zukunft von Katharina Wagner sei ungewiss in Bayreuth. Die einflussreiche Gesellschaft der Freunde von Bayreuth sei – wie Thielemann mit seiner großen Fangemeinde – eher konservativ, schätze eher weniger große Regieexperimente.

Wagners Plan für 2026, den „Ring des Nibelungen“ neu zu disponieren, sei dagegen abgelehnt worden, so Fuchs. Ihr sei gesagt worden: „Nein, also so schnell geht das nicht, da warten wir erst mal ab, ob der Vertrag verlängert wird.“

Jörn Florian Fuchs im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 07.09.2022

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Sprecherin:

Nach den Bayreuther Festspielen ist vor den Bayreuther Festspielen.
Während der Neue Ring des Nibelungen für heftige Diskussionen sorgte, folgt nun eine Debatte, die die Zukunft von Katharina Wagner als Intendantin berührt und aktuell flammt ein Streit zwischen ihr und Dirigent Christian Thielemann auf.
Gegen Ende des Lohengrin heißt es:
Seht, da den Herrscher von Brabant
zum Führer sei er euch ernannt


Katharina Wagner findet das Wort ‘Führer‘ unpassend und möchte es ersetzen.
Christian Thielemann hält davon gar nichts.
Wir haben Florian Fuchs: Sie sind Dauerbesucher der Festspiele und auch die Animositäten auf dem grünen Hügel sind ihnen vertraut. Was ist da los?

Fuchs:
Ja, in der Tat war es so, dass Klaus Florian Vogt, der Sänger des Lohengrin, in der Generalprobe eben ‘Führer‘ gesungen hat und dann gab es eine Intervention im Sommer von Katharina Wagner, er solle ‘Schützer‘ singen und das ist natürlich eine Diskussion jetzt, die ein weites Feld eröffnet, denn der Kontext bei dem Ganzen ist natürlich das Entscheidende.
Es geht darum, dass ein Heerführer angerufen wird und dass es um Gottfried geht, also um eine Erlöserfigur am Ende des Stückes, also eine wirklich positiv besetzte Figur und Katharina Wagner argumentiert eben, man könne den Begriff ‘Führer‘ aber in Bayreuth nicht verwenden und das sieht nun der Dirigent Christian Thielemann anders. Er möchte das Stück librettogetreu einfach umgesetzt haben und ich finde, um das gleich vorwegzunehmen, dass Thielemann in diesen Punkt vollständig recht hat.

Der Kollege Alexander Dick von der Badischen Zeitung hatte in einem Kommentar sehr schön gesagt: Naja im Lohengrin wird ganz viel Heil gesungen, das müsste man dann als ‘high‘ zum Beispiel umkonnotieren und dieses Problem haben wir in vielen Stücken. Bei der Schlussansprache in den Meistersingern von Hans Sachs, da gehts nationalistisch zu, also man muss sich inszenatorisch bei den Problemen der Stücke dazu verhalten, aber jetzt an den Texten in der Form alles zu verändern, das ist - denke ich - nicht zielführend.

Sprecherin:
Dann ist dieser Streit vielleicht Ausdruck des gespannten Verhältnisses zwischen Katharina Wagner und dem ehemaligen Musikdirektor Christian Thielemann.
In 3 Jahren läuft der Vertrag von Katharina Wagner aus. Man hört, dass die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, die zum Machtgefüge am grünen Hügel gehören eher skeptisch ist. wie stehen denn derzeit die Chancen für eine Verlängerung ihrer Intendanz?

Fuchs:

Es ist wohl wirklich ein Machtkampf. Im Moment ist Katharina Wagner zweifellos angezählt. Sie wollte auch einen neuen ‘Ring des Nibelungen‘ für 2026 jetzt schon disponieren und da wurde ihr gesagt:
„Nein, nein!
So schnell geht das nicht, da warten wir erst mal ab, ob der Vertrag verlängert wird.“

Die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth ist eher konservativ, sie ist auf der Seite von Christian Thielemann, der jetzt auch niemand ist, der die großen Regieexperimente schätzt -also das ist ganz klar. Auf der anderen Seite ist aber durch die Taktik und den Versuch von Katharina Wagner den Christian Thielemann im Grunde genommen ganz aus Bayreuth zu entfernen – er ist die nächsten zwei Jahren dort nicht da - ist es natürlich schon sehr, sehr problematisch weil Thielemann auch zu recht was die Musik betrifft die Umsetzung eine große Fangemeinde hat und so kann man durchaus sagen, sind es zwei Lager, die da aufeinandertreffen und die Gesellschaft der Freunde ist eben sehr einflussreich, das ist ja auch der Punkt, warum es jetzt geht, dass jetzt die Frage gestellt wird, wie zukünftig die Mehrheits- und Machtverhältnisse sind.

Es sind vier verschiedene Organisationen, vier Teile, die in Bayreuth mitreden. Das ist der Freistaat Bayern, das ist die Stadt Bayreuth.

Dazu gehört eben auch die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth und die machen jetzt eben sehr deutlich, sagen sehr deutlich, wie sie eine Ausrichtung haben möchten, nämlich eher etwas konservativer und ja vielleicht auch etwas konzentrierter, denn es gab doch einige künstlerische Probleme - auch aus meiner Sicht auf mehreren Ebenen - auch was die Sänger Besetzung betrifft, nicht nur in diesem Jahr, auch in den letzten Jahren - und da ist es so viel Musik drin im Moment.

Sprecherin:
Was steht denn Herr Fuchs aus ihrer Sicht als Musikkritiker an was ist jetzt geboten?

Fuchs:
Ich glaube, dass man tatsächlich hinter den Kulissen jetzt mal nach Alternativen schaut.
Es gibt ja immer noch diese Idee, dass unbedingt ein oder eine Wagner die Festspiele führen muss und könnte es ja auch sein, dass Katharina Wagner selber sagt:

„Nein ich mache nicht weiter nach 2025“ und dann hat sich die Frage mit der Familie eigentlich erledigt.
Es gibt zwar einen Sohn von Eva Wagner-Pasquier, Antoine Wagner.

Eva Wagner Pasquier, die Halbschwester von Katharina Wagner, die war ja auch schon mal Co-Intendantin am Hügel, aber das ist eher so ein Medienkünstler, der kommt eigentlich nicht in Frage.
Und ansonsten bleibt eine Lösung nur außerhalb der Familie und ich finde, dass das ein Ein-Drittel-Jahresjob ist, dieses Festival - wenn man das mit anderen Häusern Institutionen Festspielen vergleicht - so dass es durchaus denkbar wäre, vielleicht dass ein Regisseur, eine Regisseurin in Verbindung mit ‘nem Dirigenten / Dirigentin vielleicht in der Form dieses Festival leitet und eben nicht exklusiv das ganze Jahr nur für ein Festival, das ein paar Wochen im Sommer läuft zur Verfügung steht - also das ist vielleicht eine Idee die auch ein bisschen frischen Wind hinein bringt.

Aber, ob das auch der Freistaat Bayern akzeptiert, vielleicht Wagner Festspiele ohne Wagner? Na dann mach ich mal ein großes Fragezeichen hinter.
Also es bleibt spannend, aber eine Lösung muss gefunden werden im Herbst oder allerspätestens Anfang kommenden Jahres.

Sprecherin:
Ja, Florian Fuchs im sogenannten Führerstreit, ausgelöst von Katharina Wagners Wunsch, das Wort ‘Führer‘ aus dem Lohengrinlibretto zu streichen und durch ein zeitgemäßes ‘Schützer‘ zu ersetzen und zur Zukunft der Intendantin Katharina Wagner in Bayreuth.
Besten Dank für ihre Einschätzungen.

Fuchs:
Sehr gerne!

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Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/bayreuther-festspiel-streit-wagner-thielemann-100.html

 

 

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MITTELBAYERISCHE
31. August 2022 16:21 Uhr

Auf dem Grünen Hügel von Bayreuth geht eine bemerkenswerte Opernsaison zu Ende. Und so drängend wie nie stellt sich die Frage: Muss es bald ohne ein Familienmitglied der Wagners an der Spitze weitergehen?


Britta Schultejans und Gerd Roth, dpa

Der Vorhang zu und fast alle Fragen offen in Bayreuth.

Bayreuth. Es ist eine bemerkenswerte Saison, die auf dem Grünen Hügel zu Ende geht: Sexismusvorwürfe hatten den Start der Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth überschattet, Corona-Fälle im Team wirbelten die Pläne immer wieder durcheinander - und der neue „Ring des Nibelungen“ sorgte für Diskussionen, um es mal vorsichtig auszudrücken.

„Es war vor allem eine sehr anstrengende Spielzeit. Wir hatten über 100 Corona-Fälle und es grenzt an ein Wunder, dass wir wirklich jeden Tag spielen konnten. Das war ein Puzzlespiel“, sagt Festspiel-Chefin Katharina Wagner der Deutschen Presse-Agentur.

Seit Bekanntwerden der Sexismus-Vorwürfe habe sich noch niemand gemeldet. „Und wir wissen auch nicht, gegen wen sich die Vorwürfe gerichtet haben“, sagt Wagner. Konsequenzen gezogen hat sie trotzdem: Die Festspiele wollen einen „Verhaltenskodex“ in alle Arbeitsverträge aufnehmen. Außerdem soll es im Herbst Antidiskriminierungs-Workshops geben. „Wir überlegen, eine Whistleblower-Stelle einzurichten, an die man sich vertrauensvoll wenden kann“, sagt Wagner, die trotz aller Widrigkeiten von einer erfolgreichen Saison spricht.

50 000 Zuschauer hatten die Festspiele seit ihrem Start am 25. Juli und waren damit nach Angaben Wagners „bis auf ein paar Restkarten für die Konzerte“ ausverkauft - keine Selbstverständlichkeit in Post-Corona-Zeiten, in denen viele Theater und Opernhäuser immer noch darauf warten, dass das Publikum zurückkehrt.


Es gab Proteststürme gegen Valentin Schwarz

Restlos begeistert war dieses Publikum allerdings nicht. Nach den vier „Ring“-Opern, die in diesem Jahr der junge Österreicher Valentin Schwarz neu auf die Bühne gebracht hat, erschütterten - zumindest in der Premierenwoche - wahre Proteststürme das Festspielhaus. Katharina Wagner sagt dazu: „Warten wir mal ab, wie sich das noch entwickelt. Schon im zweiten und dritten „Ring“-Zyklus waren die Reaktionen deutlich anders, viele begeistert.“
Solche Proteststürme seien ohnehin nichts Ungewöhnliches in Bayreuth. Insgesamt, so sagt Wagner aber, sei „der Umgangston schon rougher geworden“. Das gelte aber nicht nur für Bayreuth und auch nicht nur für die Oper, sondern generell. „Debatten werden inzwischen ja teilweise in der Gesellschaft ganz anders und sehr viel unsachlicher geführt als noch vor ein paar Jahren.“


Verlängert Katharina Wagner ihren Vertrag?

Eine Debatte - mal sachlich, mal weniger - wird auch immer wieder um Wagner selbst geführt. Unumstritten war sie nie, seit sie die Leitung der Festspiele 2008 als Nachfolgerin ihres Vaters Wolfgang Wagner übernommen hat - zunächst gemeinsam mit ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier, seit 2015 allein. Und wie es nach 2025, wenn der Vertrag mit der Urenkelin von Richard Wagner ausläuft, weitergeht, ist unklar. Klar dürfte allerdings sein: Wenn Wagner geht, dürfte es das Ende der Komponistenfamilie an der Spitze der Festspiele sein. Kein anderes Familienmitglied meldet derzeit Interesse an.
Der Chef des Bayreuther Verwaltungsrates, Georg von Waldenfels, sagt, die Gespräche dazu sollten 2023 beginnen. „Wir werden uns da im kommenden Jahr unterhalten“, sagt auch Wagner - und stellt Bedingungen: „Eine Verlängerung mache ich davon abhängig, dass sich gewisse Strukturen ändern müssen. Dabei geht es um die Gesellschafter-Struktur und besonders auch um die Finanzen. Wir brauchen ein tragfähiges und langfristiges Konzept und vor allem eine professionelle Sponsoren- und Marketing-Abteilung.“
Derzeit sind es vor allem die Mäzene der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, die sich um Spenden kümmern. Waldenfels steht auch ihnen vor. Er berichtet vom Unmut vieler „Freunde“ über den neuen „Ring“ und schwärmt von einem „glänzenden Christian Thielemann“, den man unbedingt langfristig an die Festspiele binden müsse. Eigentlich, so sagt er, müsse es doch ohnehin viel mehr um die Musik gehen in Bayreuth als um die Regie. „Wie die Musik wahrgenommen wird, ist aus meiner Sicht wichtiger als das, was auf der Bühne passiert.“
Von der Festspielleitung erwarte er eine „Vision“. „Wie geht es weiter in den nächsten fünf Jahren? In welche Richtung soll sich Bayreuth entwickeln?“ Es stelle sich auch die Frage: „Was kann die Festspielleitung noch intensiver schultern?“


Es wird einen 3D-„Parsifal“ geben

Dabei hat Katharina Wagner in den vergangenen Jahren eigentlich recht deutlich gemacht, wofür sie steht. Sie hat jungen Regisseuren eine Chance gegeben - bei Tobias Kratzer und seinem „Tannhäuser“ mit großem, bei Schwarz nun eher mit mäßigem Erfolg - und dabei gezeigt, dass ihr vor allem das am Herzen liegt, was man früher Regietheater nannte: kreative, innovative und diskussionswürdige Auseinandersetzungen mit dem Werk ihres Urgroßvaters Richard Wagner (1813-1883).

Sie hat für das kommende Jahr einen 3D-„Parsifal“ mit Augmented Reality angekündigt und versucht inzwischen auch, das Festival, das da auf seinem Hügel immer etwas entrückt von der Bayreuther Realität stattzufinden scheint, weiter hineinzuziehen in die Stadt mit Kinoübertragungen und Open-Air-Konzerten, die es auch im kommenden Jahr wieder geben soll. Die jährlich neu inszenierte Kinderoper gilt schon seit Jahren als Erfolgsprojekt.

Die Frage ist nun, ob die Gesellschafter der Festspiele, zu denen neben den „Freunden“ der Bund, der Freistaat Bayern und die Stadt Bayreuth gehören, diesen Weg mitgehen oder sich doch eher für den eher klassischen, Waldenfels’schen entscheiden.

Das Publikum in Bayreuth soll jünger werden

„Es gibt auf dem Grünen Hügel wirklich sehr viel Reformbedarf“, sagte Kulturstaatsministerin Claudia Roth der Deutschen Presse-Agentur. Sie will einfachere Strukturen und ein jüngeres Publikum. Das Bayreuther Publikum sei „kein Abbild unserer vielfältigen, bunten Gesellschaft“, sagt die Grünen-Politikerin. „Auch junge Menschen sind deutlich unterrepräsentiert.“ Sie sieht „ganz klar Nachholbedarf“.
Vor Beginn der Festspiele hatte Wagner mitgeteilt, dass sie in den kommenden Jahren auch einige Pläne außerhalb der Festspiele hat: Sie inszeniert einen „Macbeth“ in Asien und einen „Parsifal“ in Riga. In Barcelona wartet seit Beginn der Corona-Pandemie noch ihr „Lohengrin“ auf seine Premiere.

Die Pläne wirken wie ein Zeichen: 
Wagner braucht die Festspiele nicht. Aber brauchen die Festspiele eine(n) Wagner? Roths Antwort auf die Frage, ob auch künftig ein Nachfahre Richard Wagners die Festspiele leite solle, lautet: „Es gibt hier keine rituelle Pflicht.“

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Quelle: https://www.mittelbayerische.de/kultur-nachrichten/turbulente-saison-bei-den-bayreuther-festspiele-21853-art2150637.html

‘Lohengrin‘ in Lübeck

 

Foto: https://www.theaterluebeck.de/produktionen/lohengrin_2022-23.htm

 

 

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Die Lübecker Lohengrin-Inszenierung dieses Jahres verwendet – und das ist jetzt ja an fast allen Operntheatern der Fall –zwar noch Wagners Texte und seine Musik, verändert aber ansonsten die Handlungen und schafft, vom Bühnenbild und der Regie her, andere Werke, die mit dem Ursprungswerk des Komponisten nichts mehr gemeinsam haben. Manche Inszenierungen gehen in ihrer Darstellungsweise so weit, dass dadurch dem Stück regelrecht die Würde entzogen wird.
Das ist der wahre Grund, warum die Nachfrage nach Opernkarten so sehr zurückgeht. Außerdem: Unsere Jugend lernt die herrlichen Werke – auch der anderen Komponisten - nicht kennen.

Wie neuerdings fast in jedem Falle, gönnt man dem Besucher nicht den Hörgenuss des Vorspiels. Meist schon zu Anfang des Stückes (hier nach ca. 3 Minuten) wird der Vorhang aufgezogen und allermeist irgendeine erfundene Geschichte erzählt, die a) der Handlung zuwiderläuft, b) mit der Musik des Vorspiels nicht das Geringste zu tun hat und c) den Zuschauer um den musikalischen Genuss des Vorspiels bringt.

So auch in diesem Falle: Gezeigt wird, dass Ortrud den Bruder Elsas ermordet und die Leiche verschwinden lässt. Außer, dass das Vorspiel gestört wird, wird vom Komponisten an keiner Stelle der Handlung (weder im Text noch im Bühnenbild) diese Ermordung durch Ortrud erwähnt.

König Heinrich, der Vogler (in der realen deutschen Geschichte als Heinrich I. bekannt), wird durch das ganze Stück hindurch als „ein vertrottelter Alter“ dargestellt, von dem nicht all zu viel zu erwarten ist. Zum Beginn des zweiten Bildes des dritten Aktes (also nach der wohl durchzechten Hochzeitsfeier Elsas und Lohengrins) sitzt er schwankend und gestikulierend ohne Hose auf einem Stuhl und lässt sich vom Heerrufer die Hose wieder anziehen. Entwürdigend!

Die vier Edelknaben sind Hippimädchen, die wild über die Szene wirbeln, keine Verrenkung scheuen und offensichtlich im Stück keine Funktion haben.

Der Zweikampf zwischen Lohengrin und Telramund, den Wagner ja vom Orchester plastisch schildern lässt, findet nicht statt. Telramund fällt plötzlich um und Lohengrin eilt herbei, hält sein Schwert über ihn und meint: „Durch Kampfes Sieg ist jetzt Dein Leben mein, ich schenk es Dir, ........“

Zum Schluss des Brautgemachs (gleich nachdem Lohengrin den eingedrungenen Telramund getötet hat, wird der Zwischenvorhang herabgelassen, der damit Lohengrin und Elsa (beide sind zuvor schnell zum vorderen Bühnenrand geeilt) von der weiterlaufenden Szene abtrennt.
Lohengrins Worte an die vier brabantischen Edlen „tragt den Erschlag`nen vor des Königs Gericht“ ..... und seine Aufforderung an die Brautjungfern, „sie (Elsa) vor den König zu geleiten, schmückt Elsa meine süße Frau ..... „ teilt er hilflos vor dem Zwischenvorhang stehend, dem Publikum oder auch dem Orchester mit.

Ein völliger Blackout des Regisseurs Anthony Pilavachi, der in Lübeck schon seit 1997 insgesamt 20 Inszenierungen abgeliefert hat, viele in der gleichen Art wie jetzt den Lohengrin.

Das, was „Wagner und seinen Werken“ in Bayreuth und - wie hier – jetzt in Lübeck seit vielen Jahren und zunehmend häufiger – „angetan wird“, passiert allerorts und auch mit Bühnenwerken anderer Komponisten. Man kann und darf dazu nicht schweigen.

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Quelle: Heribert Bludau - Malente

 

 

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Theater Lübeck
Kommentar zum dortigen Lohengrin


Nachdem ich die zweite Vorstellung dieser Inszenierung selbst erlebt habe, meine Kontakte zum Lübecker Musiktheater genutzt, und mir einen imaginären Fragenkatalog erstellt habe, stelle ich fest, dass auch hier „nur mit Wasser gekocht“ wird. Natürlich, auch hier wird mangelndes Zuschauerinteresse beklagt. Selbstverständlich, eine Teilschuld haben die Nachwirkungen der Corona-Pandemie. Aber auch die Auswahl der neu ins Programm genommenen Stücke und der Inszenierungsstil spielen eine große Rolle. Reine Regie“-Theater-Inszenierungen werden nur von einigen bejubelt und nur von wenigen, die noch nie das Original der verunstalteten Werke erlebt haben als gut befunden, - Aktion – man hat was erlebt – Jubel und Buhrufe, aber nie das tiefe Verstehen der Werke unserer großen Opernkomponisten.


Bleiben wir mal beim Lohengrin.
Gewiss gibt es auch im Theater Lübeck Fachleute, die z.B. das Fehlen eines gesonderten Bühnenbildes für den I. Akt und das zweite Bild des III. Aktes bedauern. Das jedoch ist offensichtlich dem Geldmangel geschuldet. Obwohl gerade dieses Bild mit nur wenigen stilistischen Mitteln hätte geschaffen werden können.


Der Regisseur ist mit dem festen Vorsatz erschienen, dass im 10. Jahrhundert spielende Stück ins Mittelalter zu transformieren. Warum macht er so etwas, wenn er nichts davon versteht, wenn er gar nicht gewillt ist, Wagners (so herrlich konstruierte) Oper so zu inszenieren, wie sie geschrieben und komponiert wurde. Lohengrin ist eine ernste Oper, durchaus mit Jubelszenen ausgestattet, es ist aber keine Mitwirkung von Hippimädchen vorgesehen, der König ist auch kein Karten-Spieler und er wird auch auf Lohengrin und Elsas Hochzeitsfeier nicht seine Beherrschung soweit verloren haben, dass ihm am anderen Morgen in Gegenwart seiner Soldaten der Heerrufer wieder die Hose hochziehen muss. Diese Dinge stehen alle nicht im Stück, sie wären vermutlich auch im Mittelalter nicht passiert und Hippimädchen gab es im 15./16. Jahrhundert auch noch nicht. Dem Vernehmen nach wurden bei den Proben auch keine Einwände oder Vorschläge der hausinternen Dramaturgie berücksichtigt.


Ganz krass (das sehen auch hausinterne Mitarbeiter so) ist die Szene zum Schluss des Brautgemaches misslungen, als nach Telramunds Tötung Lohengrin und Elsa mittels Zwischenvorhang von der weiterlaufenden Szene getrennt werden und sie ihren Text ins Publikum singen müssen, nur um hinter dem Zwischenvorhang bereits zum zweiten Bild umbauen zu können.


Insgesamt stell sich die Frage, ob die Verantwortlichen in der Lübecker Oper sich der Tatsache bewusst sind, dass es für einen guten Regisseur ein Leichtes sein müsste, aus der Musik heraus zu inszenieren, liegt die Dramaturgie des Stückes doch in der Orchestermusik und in der Motivwahl begründet. Zugegeben: Bei der Besetzungswahl hat es ein Theater heute nicht leicht, oft werden genau die geeigneten, besetzten Sänger krank.
Überprüfter, geeigneter Ersatz ist schwer zu finden, auch hier ist die Qualität wieder eine Geldfrage.


Stellt sich noch die Frage nach dem Verständnis dafür, dass auch die Musiktheater einen Bildungsauftrag zu erfüllen haben. Unsere Generation soll doch die Werte (und bei den Werken unserer großen Opernkomponisten wie Wagner, Verdi, Mozart, Puccini oder Strauss - um nur einige zu nennen) handelt es sich doch zweifellos um große kulturelle Werte, weitergeben, erklären, die junge Generation dafür begeistern. Und wir selbst wollen doch nicht nur ins Theater gehen um festzustellen, dass diese Inszenierung, die uns gerade geboten wurde, schon wieder einmal eine restlos misslungene Interpretation ist. Dafür sind die Eintrittskarten zu teuer und mir meine Freizeit zu schade. So denken die enttäuschten Zuschauer und bleiben öfter zu Hause.


Die Regisseure müssen hingegen lernen, dass der Zuschauer nicht umerzogen werden will, wenn er erkannt hat, dass das, was er liebt und für gut befunden hat, ihm in schlechter Qualität – nur anders verpackt – untergejubelt wird.


Man nennt mir auch öfter den Begriff „zeitgerecht“. Wir hätten gerne diese oder jene Oper in einer zeitgerechten Inszenierung gesehen. Der Begriff „zeitgerecht“ ist schwer zu definieren. Nach meiner Ansicht stelle ich mir darunter vor, dass das Bühnenbild stilisiert, d.h. “streng und vereinfacht, vielleicht sogar schmucklos“ erscheint, wobei den Farben, dem Licht und den Kostümen eine große Bedeutung zufällt. Ein Hinweis: Wieland Wagner hat auch stilisiert, vereinfacht, aber er ist in jeder Sekunde ganz streng in der Handlung geblieben. Er hat keine Ablenkungen gesucht oder eine Nebenhandlung akzeptiert.
Darüber kann doch nachgedacht werden. Oder?

Liebe Intendanten, Operndirektoren, Regisseure, kommt bitte endlich zur
Vernunft. Ihr müsst konstant Diener am Werke großer Meister werden, um
nicht eines Tages als ihre Totengräber in die Geschichte einzugehen.

Heribert A. Bludau, Malente
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Oberster Rechnungshof ermahnt BR

Prüfer fordern Sparmaßnahmen und kritisieren externe Beratung

München. Der Bayerische Rundfunk (BR) muss nach Ansicht des Obersten Rechnungshofes (ORH) im Freistaat dringend zusätzlich sparen. „Trotz der bisherigen Sparmaßnahmen werden die finanziellen Reserven des BR bis Ende 2024 weitgehend aufgebraucht sein“, warnte der ORH am Freitag in München. Bayerns höchste Finanzprüfer rügten zudem, dass die ARD-Anstalt beim Einsatz externer Berater vielfach gegen eigene Regeln zur Vergabe von Aufträgen verstoße.

Die steigenden Gehaltskosten und besonders die hohen Verpflichtungen für Pensionen belasten den BR schon seit längerem immer mehr. Darauf wies auch der ORH bei der Vorlage seines Prüfungsberichts hin: „Die weiterhin steigenden Pensionslasten werden den BR noch lange vor erhebliche Herausforderungen stellen und seine finanzielle Handlungsfähigkeit einschränken.“ Die Deckungslücke werde sich hier tendenziell weiter erhöhen. Ende 2020 lag sie bei 465 Millionen Euro. Die BR-Gehälter stiegen dem ORH zufolge in den vergangenen Jahren vor allem durch Tariferhöhungen und die Festanstellung zuvor freier Mitarbeiter, die geklagt hatten. Zwar bescheinigten die Kontrolleure dem Sender, dass die Zahl der tatsächlich besetzten Stellen in den betrachteten Jahren zwischen 2016 und 2020 leicht auf 3140 gesunken sei. Der Abbau müsse aber konsequent fortgeführt werden und sich auch in der weiteren Planung widerspiegeln. Überall sei zudem weiter zu prüfen, „wie sich Strukturen nachhaltig verschlanken lassen“.

Ein Sprecher des Senders sagte auf Anfrage, der BR habe seine Altersversorgung grundlegend reformiert und zum Jahr 2017 auf ein rein beitragsfinanziertes System umgestellt. „Darüber hinaus baut der BR seit 2016 konsequent Personal ab.“ Beides führe zu einer Absenkung der Pensionslasten. Diese seien „nicht durch eine Erhöhung der Pensionen, sondern durch einen anhaltenden Verfall der Kapitalmarktzinsen geprägt“ – wie auch bei anderen Unternehmen mit betrieblicher Altersversorgung, betonte der Sprecher. „Der BR wird das Ende der Beitragsperiode 2024 mit einem ausgeglichenen Ergebnis abschließen, trotz corona- und inflationsbedingter Mehraufwendungen.“

Der BR wies zudem darauf hin, dass die Bezüge der Intendantin und von zwei neu eingetretenen Direktoren seit 2021 abgesenkt und sogenannte Aufwandspauschalen abgeschafft worden seien. Medienmanager Helmut Markwort, der für die FDP im Landtag und auch selbst als Kontrolleur im BR-Rundfunkrat sitzt, kritisierte dagegen, die im ORH-Bericht angeführten Sparmaßnahmen bezögen sich vor allem auf untere Gehälter. „Oben wird wenig getan.“ Für Aufträge an externe Berater forderte der Rechnungshof, dass Mängel „umgehend unterbunden werden“. Von den 74 dem ORH vom Sender gemeldeten Beratungsleistungen im Gesamtwert von 3,4 Millionen Euro vergab der BR demnach mehr als die Hälfte (42) „freihändig, ohne Vergleichsangebote einzuholen“. Die ARD-Anstalt solle zudem den Erfolg der Beratungen systematisch kontrollieren. Markwort rügte, dass der Sender trotz einer hohen Mitarbeiterzahl überhaupt so viele externe Aufträge vergebe – und auf diese Weise.

Der öffentlich-rechtliche Sender selbst räumte im Bericht zu den Rügen bei Beratungsaufträgen ein: „Der BR stimmt hinsichtlich zahlreicher Feststellungen mit dem ORH überein.“ Der Sender-Sprecher sagte zudem, der BR habe inzwischen die interne Begründung, Dokumentation und anschließende Überprüfung nachgeschärft.

Die ORH-Prüfung findet alle paar Jahre statt. Der Bericht steht nicht im direkten Zusammenhang mit aktueller öffentlicher Kritik rund um die ARD-Finanzen – ausgelöst durch Vorwürfe der Vetternwirtschaft beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Die dort fristlos entlassene Intendantin Patricia Schlesinger weist die Anschuldigungen zurück.

Der im Internet veröffentlichte ORH-Bericht liefert auf knapp 130 Seiten viele Angaben auch zu den Gehältern der Top-Etage beim BR um Intendantin Katja Wildermuth, zum Fuhrpark des Senders und den Ausgaben für die Studios vor allem Bayern und Berlin. Als Folge der RBB-Affäre hat auch der BR zuletzt mehr Informationen als bisher zur eigenen Ausgabepraxis veröffentlicht – etwa zu den Dienstwagen.

Der ORH hatte schon bei der vergangenen Prüfung 2018 eine Reihe der Mängel festgestellt. Der BR finanziert sich wie alle ARD-Anstalten überwiegend aus dem Rundfunkbeitrag mit Einnahmen von rund 925 Millionen Euro im letzten Prüfungsjahr 2020. Aktuell liegt der Beitrag pro Haushalt bei monatlich 18,36 Euro.
dpa

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Quelle: https://epaper.mittelbayerische.de//webreader-v3/index.html#/477745/12

Zuschrift

 

 

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25 Jahre Gottlob-Frick-Gesellschaft

Coronabedingt mit zweijähriger Verspätung beging die Gottlob-Frick-Gesellschaft mit Sitz in Ölbronn vom 15. und 16. Oktober ihr 25jähriges Bestehen.  Ziel der Gesellschaft ist es nicht allein, die Erinnerung an den aus Ölbronn stammenden Gottlob Frick, den schwärzesten Bass, wachzuhalten, sondern vor allem auch, den sängerischen Nachwuchs zu fördern. Die Liste derer, die während oder kurz nach dem Studium hierher eingeladen wurden und später eine große Karriere gemacht haben, ist lang, darunter Christa Mayer, Georg Zeppenfeld und Günther Groissböck. In diesem Jahr war der erst 23jährige Lukas Lemke eingeladen. Aus Regensburg stammend studiert er Gesang in Wien und singt auch schon im Chor der dortigen Staatsoper. Er präsentierte den Monolog des Morosus aus der Oper „Die schweigsame Frau“ von Richard Straus: „Wie schön ist doch die Musik, aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist!“ Anders als Morosus bedauerte das Publikum, und darin insbesondere auch die vielen prominenten Vertreter dieses Stimmfachs, das Ende dieser musikalischen Visitenkarte, denn trotz seiner Jugend war seine Stimme schon so ausgreift, dass man sicher war, hier einen der künftig ganz Großen zu hören!

Diesem gelungenen Auftakt folgten die unausweichlichen Grußworte, die in Vertretung des Schirmherrn, des baden-württembergischen Innenministers Thomas Strobel, vom diensthöchsten Beamten seines Hauses verlesen wurden, dann aber doch mit einer unerwarteten Aufheiterung gekrönt wurden: Herr Ministerialdirigent hatte zu Ende gelesen, faltete seinen Text und sprach Worte des Abschieds frei und ohne Manuskript und verlor sich prompt: Gotthilf? Gottlieb? Gottlob!

Als Festredner konnte in diesem Jahr Herr Prof. Gerd Uecker gewonnen werden, den langjährigen Intendanten der Semperoper Dresden. Er erinnerte daran, dass eine Pflege der Tradition nur gelingen kann, wenn man auch den Blick nach vorn richtet und die Jugend erreicht. Ganz im Sinne Gustav Mahlers, dem zugeschrieben wird: „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Entfachung des Feuers!“

Im Mittelpunkt des Festaktes steht traditionell die Verleihung der Goldmedaille, die in diesem Jahr an das Heilbronner Sinfonie Orchester verliehen wurde, das schon von Gottlob Frick als „sein“ Orchester angesehen und gern zu Arienprogrammen mitgenommen wurde und das von Anfang an für die musikalische Umrahmung sowohl des Festakts als auch des nachfolgenden Opernkonzerts sorgte.  Das Orchester bedankte sich mit der Ouvertüre zu „Leichte Kavallerie“ von Franz von Suppè und erinnerte damit zugleich an seine eigene Geschichte, denn die Anfänge entstammen einer Militärkapelle.

Unter dem Titel „Große Oper!“ präsentierten Raffaela Lintl (Sopran), Ilker Arcayürek (Tenor) und Wilhelm Schwinghammer (Bass) einen großen Querschnitt beliebter Melodien von Mozart, Weber, Nicolai, Wagner und Verdi. Während die Herren dank Stimme und Bühnenpräsens das Publikum gleich für sich zu gewinnen wussten, tat sich Frau Lintl anfangs schwer, was vielleicht auch ihrer Stückauswahl geschuldet war. Nach Pamina/Zauberflöte und Agathe/Freischütz fand sie erst in der Hallenarie aus Tannhäuser zu Tonsicherheit und Souveränität. Das offizielle Programm endete mit dem Duett Kezal/Hans aus der „verkauften Braut“ als Reminiszenz an Gottlob Frick. Dieser hatte bei einem seiner Konzertprogramme Fritz Wunderlich im Publikum erspäht und spontan mit ihm eben dieses Duett zum Besten gegeben. Ein Mitschnitt dieser spontanen Begegnung ist vor einiger Zeit auf CD herausgekommen: Gottlob Frick – Der schwärzeste Bass, 4 CDs zu 20,00 €, zu erwerben über die Gottlob-Frick-Gesellschaft oder im Fachhandel.

Zur Matinee am 16.10.2022 gab der Ehrenpräsident Hans. A. Hey zunächst einen Abriss über die Highlights der vergangenen 25 Jahre, coronabedingt als Einspringer, aber wer hätte profunder hierüber berichten können? Die Musik durfte bei dieser Matinee natürlich nicht fehlen und so waren nach dem Motto „Erkennen Sie die Melodie“ nicht Stücke, sondern Bassisten zu erraten oder zu erkennen. Das Podium war prominent besetzt mit Ks Cornelius Hartmann, Ks Robert Holl, Ks Harald Stamm und Reinhard Hagen, die jeweils gebeten worden waren, ihre eigene Lieblingsaufnahme mitzubringen. Neben Anekdoten erfuhr man, warum Bässe die Partie des Pogner fürchten und eher nicht den Wotan singen. Aus dem Publikum äußerte sich Ks Wolfgang Schöne dazu, weil er wenigsten den Wanderer/Siegfried gesungen hatte, allerdings erstmals im zarten Alter von 60 Jahren! Zu dieser Diskussion konnte Ks Oskar Hillebrandt, der wahrscheinlich den Wotan-Rekord innehat, nur schmunzeln.

2024 jährt sich zum 30. Mal der Todestag von Gottlob Frick. Unermüdlich hat die nach ihm benannte Gesellschaft dazu beigetragen, dass dieser große Sänger auch den jungen Musikern bekannt ist. Dies soll auch so bleiben und mit dem Versprechen, im nächsten Jahr wieder zusammen zu kommen, endete das diesjährige Künstlertreffen in Ölbronn.

Chemnitz, den 25.10.2022 - Matthias Ries-Wolff

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Bildungsnotstand in Deutschland

 

 



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Nach einer neuen Bildungsstudie haben sich die Viertklässler bei den Leistungen in den Fächern Deutsch und Mathematik deutschlandweit verschlechtert.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG fordert eine gemeinsame Anstrengung der Länder: „Eine Verständigung auf verpflichtende Sprachstandserhebungen im Kindergartenalter, auf einheitliche Sozialindizes in allen 16 Ländern, auf eine Förderung der Schwachen. Statt eines Talentschulen-Programms nach Ampelvorstellungen wäre jetzt eine gezielte und verpflichtende Förderung der Risikoschüler wichtiger“, moniert die F.A.Z.

Die LUDWIGSBURGER KREISZEITUNG merkt an: „In fast allen Ländern hat es immer wieder zum Teil erhebliche Veränderungen in den Schulstrukturen gegeben. Auch das hat dazu geführt, dass die Leistungen der Schüler nicht besser, sondern schlechter geworden sind. Was sich nicht unbedingt an den Zeugnissen ablesen lässt. Um die Gemüter von Schülern und Eltern zu beruhigen, wurde etwa das Abitur ‚billiger‘ gemacht. Kein Wunder, dass viele Länder eine bessere Vergleichbarkeit ablehnen. Wenn sie ihren Schülern etwas Gutes tun wollen, sollte endlich Schluss sein mit Experimenten.
Es muss mehr Geld ins Bildungssystem“, postuliert die LUDWIGSBURGER KREISZEITUNG.

Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm meint: „Angesichts des desolaten Gesamtbilds scheint es ratsam, vor allem zu versuchen, den Anteil der völlig Abgehängten zu verringern. Einen solchen Bildungsniedergang, wie er hier seit zehn Jahren zu beobachten ist, hält keine Volkswirtschaft auf Dauer aus.“

„Wie sollen Lernlücken geschlossen, wie soll Versäumtes nachgeholt werden, wenn das nötige Personal fehlt?“, fragt sich der KÖLNER STADT-ANZEIGER. „Was sich hier zeigt, hat schon in den Kitas mit mangelnder frühkindlicher Bildung begonnen, und es wird sich in die weiteren Schulformen und darüber hinaus fortschleppen: Wie soll Deutschland dringend benötigte Fachkräfte ausbilden, wenn es bereits in der vierten Klasse an elementaren Fähigkeiten hapert?

Die Katastrophe ist längst da, es ist Zeit, dass die Politik sich von ihr aufwecken lässt“, warnt der KÖLNER STADT-ANZEIGER.

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Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/die-presseschau-aus-deutschen-zeitungen-6670.html

Nachtrag

 

 

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»Das absolute Minimum ist nicht genug!«

·    5. März 2022

·    In der Stadt

40 Menschen werden zu Beginn der nächsten Spielzeit das Theater Regensburg verlassen. Der neue Intendant soll dabei laut Betroffenen rücksichtslos vorgegangen sein. Die Kritik gilt neben ihm auch den Strukturen an Theatern und der kommenden Schauspielleitung. Die Lautschrift traf zwei Künstler:innen aus dem aktuellen Ensemble zum Gespräch.

von Moritz Müllender und Julian Tassev

»Nur weil ich die Macht habe, mein Haus in Brand zu setzen, muss ich das nicht unbedingt machen.« Zelal Kapçık sitzt nach vorne gebeugt auf einem ausgeblichenen, breiten Ledersessel. Sie ist Schauspielerin von Beruf und aus Leidenschaft. Im Sessel neben ihr sitzt der Tänzer Tommaso Quartani. Er hat für die Kunst sein Heimatland Italien verlassen. Beide gehören zu den etwa 40 von (laut Pressesprecherin) insgesamt 189 Beschäftigten im künstlerischen Bereich, für die die aktuelle Spielzeit die letzte am Theater Regensburg sein wird. Für das Gespräch haben wir die beiden in Quartanis WG-Zimmer getroffen.

Die neue Intendanz – das ist die Leitung des Theaters – hat das Recht zu entscheiden, wer bleibt und wer gehen muss. Dafür muss diese lediglich – vor der offiziellen Nicht-Verlängerung – die Betroffenen in einer Anhörung auf ihr Recht hinweisen. Die beschäftigten Künstler:innen erhalten nur kurz-befristete Verträge. Daher wird von Nicht-Verlängerungen gesprochen und nicht etwa von Kündigungen. In Regensburg heißt der neue Intendant, beginnend mit der Spielzeit 22/23, Sebastian Ritschel. Ein geschmeidiger Einstand war es für ihn wohl nicht. 

»Wir wurden nie wirklich ernst genommen, egal wie viel wir geschrien haben.« Ein langer Ohrring baumelt an Quartanis linkem Ohr, während er spricht. Die 23-jährige Kapçık nickt. Dass das Vorgehen beim Intendanzwechsel legal ist, bestreiten die beiden Kolleg:innen nicht. Dennoch werfen sie Ritschel einiges vor. Die Legalität des Prozesses sei keine Rechtfertigung für das konkrete Verhalten. Die Vorwürfe gelten dabei nicht allein Ritschel.

Dieser gibt sich auf Anfrage der Lautschrift äußerst diplomatisch: »Selbstverständlich versuchen wir, Entscheidungen im Konsens zu treffen: So haben wir wunderbare Vorsprechen und Vorstellungsgespräche im Gremium durchgeführt und die anschließenden Diskussionen haben gezeigt, dass wir einen großen gemeinsamen Nenner haben«, schreibt der neue Intendant auf die Frage, wie es um die Hierarchien und das geforderte Mitspracherecht der Künstler:innen steht. Generell funktioniere ein Haus von der Größe Regensburgs aber nur mit »klaren Regeln und Ausrichtungen.« Ritschel selbst habe »ein gutes Gefühl für die zukünftige Zusammenarbeit im Haus«. 

Noch zeitgemäß?

Grundsätzliche Kritik gilt neben den steilen Hierarchien am Theater vor allem der Allmacht der Intendant:innen – meist Intendanten –, die durch den sogenannten »Nichtverlängerungsgrund Intendantenwechsel« eine ganze Belegschaft auswechseln können. Das Ensemble-Netzwerk fordert eine Abschaffung dieser Regelung. Das Netzwerk setzt sich in ganz Deutschland für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Mitsprache für Künstler:innen an Theatern ein. »Wenn es neuen Trainer:innen in der Fußball-Bundesliga zugemutet werden kann, mit der bestehenden Mannschaft zu arbeiten, dann gilt das wohl auch für neue Intendant:innen«. Dass Leitende das Personal auswechseln, sei verständlich. Es brauche dann aber eine höhere Abfindung und soziale Belange müssten berücksichtigt werden. Personen in Führungspositionen sollten sich ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen, über deren Existenz sie entscheiden, bewusst sein und sie nicht mit dem Verweis auf die Kunstfreiheit negieren. Auch die Gewerkschaft der Beschäftigten an Theatern, die Bühnengenossenschaft, stellt auf Lautschrift-Anfrage zur Debatte, inwieweit die Nichtverlängerung aufgrund des Intendanzwechsels »​​zeitgemäß« sei.

Intendant in der Kritik

Die Beschäftigten am Theater Regensburg kritisieren neben den strukturellen Problemen auch die konkrete Umsetzung des Intendanzwechsels. In einer Stellungnahme verlangen sie vor allem bessere Kommunikation. »Unser Problem ist, dass Herr Ritschel nur das getan hat, was juristisch korrekt ist. Von einer Theaterleitung erwarten wir mehr.«

Ritschel äußert sich auch hierzu: »Ich selbst habe mich seit der Bekanntgabe im Oktober 2020 für eine klare Linie der Gleichbehandlung aller künstlerischen Mitarbeitenden entschieden.« Er schreibt, er und sein Team konnten »sämtliche Darsteller:innen – trotz der pandemischen Situation – in mehreren Bühnen-Situationen sehen und erleben«. Zudem habe es zwei – speziellen Regeln unterliegende – Arbeitsproben gegeben. Er möchte aber auch klarstellen: »Sämtliche Verträge der künstlerisch Beschäftigten sind gemäß des NV-Bühne (Anmerkung der Redaktion: Normalvertrag-Bühne, unter dem die aktuellen Regelungen laufen) befristet. […] Die Bestimmungen dieses Vertragsverhältnisses sind allen Künstler:innen bekannt.«  


Tommaso Quartani in seinem Element als Teil des Tanz-Ensembles in »Juke Box Heroes«, einem Tanzabend unter Regie von Chefchoreograph Georg Reischl. Nach Ende der Spielzeit weiß er nicht, ob Tanzen weiterhin seine Karriere sein wird. © Gerhard W.H. Schmidt

Im Oktober 2020 wurde Ritschels Name als kommender Intendant veröffentlicht. Danach war für fast ein Jahr komplette Funkstille, berichten Tommaso Quartani und Zelal Kapçık. Im Sommer soll Ritschel dann die ersten Vorstellungen besichtigt und sie ohne ein Wort wieder verlassen haben. »Wenigstens einen Dank für die Vorstellung« hätte sich Quartani gewünscht. Die Beschäftigten hätten so gut wie nichts über das künstlerische Konzept oder die neuen Leitungen für die Abteilungen, wie Tanz, Schauspiel oder Musiktheater, erfahren. Nach den verpflichtenden Anhörungen kamen dann Briefe für die Ausgedienten. Diejenigen, die blieben, hatten zu diesem Zeitpunkt kaum Anhaltspunkte, auf was sie sich einließen. »​​Sie mussten die sprichwörtliche Katze im Sack kaufen«, so Kapçık. Nur der neue Leiter des Tanz-Ensembles, Wagner Moreira, besuchte die Tänzer:innen bei einer Probe, nachdem diese Druck gemacht hatten. Das sei laut Quartani »​​das einzig Positive an der Geschichte«, auch wenn es sich nach »zu wenig und zu spät« für ihn angefühlt habe. Zwei Tage nach der Probe erhielt der 28-jährige Italiener seine Nicht-Verlängerung.
 

Schauspielleitung mitverantwortlich?

Beim Schauspiel lief es für Zelal Kapçık kaum besser. Die neue Leitung Antje Thoms wurde erst im November 2021 bekannt gegeben. Bis dahin wussten die Beschäftigten, die eine Verlängerung angeboten bekommen haben, nicht einmal, wer ihre Abteilung übernehmen würde. Entscheiden, ob sie bleiben oder gehen, mussten sie jedoch bis Ende Oktober. Antje Thoms kommt dabei eine besondere Rolle zu, denn sie engagiert sich im Netzwerk-Regie – eine Schwesterorganisation des Ensemble-Netzwerks – für mehr Solidarität an Theatern. Dass sie nun am Theater Regensburg die Schauspielleitung übernimmt und sich nicht öffentlich zu der Kritik positioniert, ist für Kapçık schwer nachvollziehbar. Genau so, wie Thoms auch im öffentlichen Statement des Ensemble-Netzwerks nicht erwähnt worden sei. Kapçık halte Antje Thoms für mitverantwortlich und warte nach wie vor auf ein Statement oder eine Entschuldigung. 

Auf Lautschrift-Anfrage teilt Antje Thoms mit, dass sie »einige der Kritikpunkte am Verfahren nachvollziehen« könne. Bis zu ihrer offiziellen Ernennung am 23. November fiele die Art und Weise des Übergangs jedoch nicht in ihren Verantwortungsbereich. »Nicht leichtfertig« hätten sie und Ritschel über Nichtverlängerungen entschieden. Sie habe »jede:n Schauspieler:in in Vorstellungen gesehen; eine Kollegin, die wegen der Pandemie nicht sichtbar war, hatte eine Arbeitsprobe«. Über soziale Komponenten sei sie auch informiert worden. Thoms verspricht für die zukünftige Zusammenarbeit »Mitsprache, Beteiligung, Transparenz und Respekt«. Die neue Schauspielleitung weist darauf hin, dass über 50 Prozent im Schauspielbereich blieben, das sei »wesentlich mehr als üblich«. Nichtverlängerungen seien laut Thoms jedoch auch nötig, um Platz für Anfänger:innen und mehr Diversität zu schaffen. Dabei sei »klar, dass es zum einen zeitgemäße, juristische Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit für künftige Leitungen braucht, welche die geforderte Transparenz und Kommunikation ermöglichen. Zum anderen müssen Veränderungen am NV-Bühne vorgenommen werden, z. B. was Abfindungen, Vertragslaufzeiten, Schutz für Anfänger:innen und Regeln für das Nichtverlängerungs-Prozedere bei Intendanzwechseln angeht«. Auf die Frage, ob sie sich zum Verfahren positioniert habe, führt Thoms interne Gespräche mit dem designierten Leitungsteam, Ensemble-Netzwerk und Netzwerk-Regie an. Die verbleibenden Schauspieler:innen habe sie, nach Bekanntgabe ihrer Position, direkt kontaktiert. Zelal Kapçık ist keine von ihnen. 

Die Darstellung Zelal Kapçıks rückt die Bleibequote von über 50 Prozent, die Thoms nennt, in ein anderes Licht. Unter den Schauspieler:innen, die am Theater Regensburg bleiben, seien zwei vertraglich unkündbar. Von insgesamt 15 Personen haben die künftigen Vorgesetzten also nur bei 13 über einen Verbleib entscheiden können. Von diesen 13 seien sieben nicht verlängert worden – bleiben also sechs. Von den Beschäftigten, über die entschieden wurde, wären demnach also über 50 Prozent gekündigt worden. 


Zelal Kapçık hier als Kriemhild in Julia Prechsls Version von Friedrich Hebbels Trauerspiel »Die Nibelungen«. Wohin es die junge Schauspielerin nun verschlägt, steht noch in den Sternen. © Martin Sigmund

Das Gespräch mit den Darsteller:innen fand vor den Anfragen an die Leitungspersonen in spe statt. Dennoch greifen Quartani und Kapçık einige Punkte, die Ritschel und Thoms in ihren Statements anführen, bereits im Interview auf. So sei ihnen etwa bewusst, dass ein Theater auch Platz für neue Künstler:innen schaffen müsse. Das bestreiten sie nicht. Auch sie hätten ihre Stellen auf diese Weise bekommen. Zelal Kapçık weist aber darauf hin, wie frustrierend sie es findet, dass sich Personen in Führungspositionen – die das vom Ensemble kritisierte Verhalten zeigen – immer wieder mit Verweis auf das System aus der Affäre ziehen und die Verantwortung wegschieben würden. Genau das System gehöre eben verändert. Gerade von einer Personalie wie Antje Thoms habe sie mehr erwartet.

Ungewisse Zukunft

Zurück also im WG-Zimmer, irgendwo in Regensburg. Die beiden Künstler:innen, die während des gesamten Gesprächs kein einziges Mal aus ihrer Kaffeetasse trinken, hätten sich vor allem eine transparentere Kommunikation gewünscht und sie fragen sich, warum es Entlassungen in dieser Zahl gebraucht hat – besonders in einer Pandemie. Auch die Bühnengenossenschaft ist besorgt: »​​Der Verlust eines Arbeitsplatzes in der jetzigen Situation kann das Ende einer künstlerischen Laufbahn bedeuten.« Für sie bleibt fraglich, ob der neue Intendant sein Recht, insbesondere inmitten einer Pandemie, in diesem Umfang hätte ausnutzen müssen. »Das ist natürlich eine Machtdemonstration«, sagt Kapçık. »Wir sind nicht bloß austauschbare Zahnrädchen, wir sind die Menschen, die das Theater ausmachen«, ergänzt Quartani neben ihr. 

Besonders frustrierend ist für beide die Annahme einiger, dass ihnen die Unsicherheit, mit der sie leben müssen, nichts ausmache. Dass Künstler:innen immer frischen Wind um die Nase bräuchten. Es bedeute immer wieder, Beziehungen neu aufzubauen, nur um sie wieder zu verlieren. Zukunftsplanung sei kaum möglich. »Man darf das nicht romantisieren, es ist ein brutaler Prozess.« Die Schauspielerin Zelal Kapçık verschränkt ihre Finger vor ihren übereinander geschlagenen Beinen. »Als junge, angehende Kunstschaffende könnte ich von diesem ganzen Prozess erschüttert sein, ich könnte natürlich ebenfalls meine Kompetenzen hinterfragen, was ich auch gemacht habe. Es benötigt viel Stärke, zu sagen, es ist nichts Persönliches – nicht an den eigenen Kompetenzen zu zweifeln.« Für beide ist fraglich, ob sie überhaupt innerhalb der aktuellen Strukturen wieder an einem Theater arbeiten wollen. Tommaso Quartani überlegt sogar, komplett umzuschulen. »Für Menschen wie mich, die jahrelang darauf hinarbeiten, aus einem Land, in dem es weniger Möglichkeiten für Künstler:innen gibt, an ein Theater zu kommen, ist das etwas Großes. Und dann siehst du, wie all die Arbeit, die Zeit und die Kunst, die du investiert hast, missachtet wird … Es erschüttert meinen Glauben an das, was ich als Künstler tue.«

Moritz Müllender (25) studiert soziale Arbeit und hat im Theater Regensburg schon einige Vorstellungen sehen dürfen. Nach der Recherche wird er mit neuem Auge auf die Künstler:innen, für die regelmäßig so viel auf dem Spiel steht, schauen. 

 

Julian Tassev (27) studiert Medienwissenschaft und ist mit Theater- und Opernbesuchen aufgewachsen. In den letzten Jahren hat er etwas Interesse an dieser wundervollen Welt eingebüßt, aber dieser Artikel hat dieses definitiv neu entfacht. 

Zitatende

Quelle: https://www.lautschrift.org/2022/03/05/das-absolute-minimum-ist-nicht-genug/


Herunterbrechen

Kleine Geister können Größe nicht ertragen!

Daher unterstützen die kleinen Geister in den Intendanzen und Agenturen, dazu viele Journalisten, in deren Köpfen statt Hirn ein Fähnlein im Winde weht, die heutige modische Tendenz, die großen Werke großer Schöpfer auf unsere Zeit und in ein mieses Proletarierniveau herunterzubrechen.

Allerdings haben die ehemaligen Proletarier durch Fleiß und gute Ideen längst ihr mieses Niveau verlassen und sind angesehene Bürger geworden. Zurück blieb eine Schicht von Typen, denen die Schnapsflasche wichtiger ist als der Gebrauch von Werkzeug. Verhängnisvoll ist auch das Herunterbrechen der schulischen Anforderungen, um möglichst vielen das Abitur – mit möglichst guter Abschlussnote durch Abwählen unbeliebter Stoffe - ein Universitätsstudium zu ermöglichen.


Qualitätsbewusste, lebenserfahrene Lehrer werden von Vätern ungeeigneter Schüler mit Messer oder Rechtsanwalt bedroht und geben schließlich auf.

Unqualifizierte Abiturienten, danach Studienabbrecher, wissen nicht wohin mit sich, aber da sie ja das Schwadronieren gelernt haben, werden Sie wohl bei den ‘Spaziergängern‘ auf öffentlichen Plätzen willkommen sein.

Toleranz - von lateinisch tolerare / dulden - sollte auch da Grenzen haben, wo sie Schaden durch Gleichgültigkeit anrichtet.
Toleranz wurde uns ab 1945 eingebläut, weil die Deutschen einem Diktator, der genial inszeniert wurde, nachgelaufen sind. Der Duce in Italien, Francisco Franco in Spanien, Donald Trump in Amerika - wer am lautesten schreit und mit vagen Versprechen Sehnsüchte weckt, dem rennt das Volk die ‘misera plebs‘ nach. ‘Panem et circenses‘ hieß das damals. Heute haben wir Currywurst und Pop.

Viele Staaten sind auf diese Weise groß geworden, haben eine Weile geblüht, bis sie durch eigene Dekadenz und einen Ansturm von außen, untergegangen sind.
Wilde Reiterhorden, wie die Hunnen, brauchen wir nicht mehr zu fürchten, denn inzwischen sind die Waffen sowohl subtiler als auch brutaler geworden. Leise und stetig verfolgt der heutige Kaiser von China seinen Plan - Seidenstraße genannt - zur Weltherrschaft und wir in Europa sind so dumm ihm unsere Patente, weil er um ein paar Cent billiger produziert, zu überlassen.

Unsere allerchristlichste Pfarrerstochter und ehemalige Kanzlerin fiel - wie viele von uns - auf den fein dosierten Krokodil- Charme des jungen Putin herein, ohne zu bemerken, welche Machtgier in diesem Geheimdienstzögling lebt.

Solange ich denken kann, hat mich der Aufstieg und das Ende von Diktatoren interessiert, denn sie sind die krasseste Ausprägung von Männlichkeit.

Da gab es in den Jahren 12 - 41 nach Christus den Gaius Julius Caesar Germanicus, der seit dem Jahre 37 römischer Kaiser war, äußerst beliebt bei den Truppen, die ihn zärtlich ‘Stiefelchen‘ = ‘Caligula‘ nannten, der sich als er Macht bekam, zum Gewaltherrscher entwickelte, bis er von seinen Prätorianern ermordet wurde.
Das sollte zu denken geben!

Da gab es 1530 bis 1584 den Iwan, der 1533 im Alter von 3 Jahren auf den Thron kam. Als sein Vater Großfürst Wassili starb, führte seine Mutter bis zu ihrem plötzlichen Tod 1538 die Regentschaft. Mächtige Bojarenfamilien stritten nun um die Macht, bis der junge Iwan den Sieger, Fürst Schujski gefangen nehmen, in Tierhäute einnähen und von Hunden zerfleischen ließ. Die heutigen Methoden sind zwar nicht so grob, aber Enteignung und Arbeitslager und Gift sind auch recht wirkungsvoll.

Jede Diktatur hat auch ihre willfährigen Denker und Mitläufer, dazu den Segen der jeweiligen Geistlichkeit.
Adolf Hitler hatte seinen Joseph Goebbels und Wladimir Putin hat seinen Philosophieprofessor Alexander Dugin. Dieser beeinflusst besonders den stets missgelaunten Außenminister Sergej Lawrow, der ja nicht unrecht hat, wenn er die Orientierungslosigkeit und den Werteverfall des Westens feststellt.

Sie berufen sich auf das Werk Oswald Spenglers (1880 – 1936), das 1922 erschien, als Jahrhundertwerk gilt und geradezu unerschöpflich ist.

Er schrieb:


Zitat

Die Schicksalsfrage für wirklich vorhandene und nicht in den Köpfen entworfene Staaten ist aber nicht die ihrer idealen Aufgabe und Gliederung, sondern die ihrer inneren Autorität die auf die Dauer nicht durch materielle Mittel aufrechterhalten wird, sondern durch das Vertrauen selbst der Gegner auf ihre Leistungsfähigkeit.

Die entscheidenden Probleme liegen nicht in der Ausarbeitung von Verfassungen, sondern in der Organisation einer gut arbeiteten Regierung; nicht in der Verteilung politischer Rechte nach ‘gerechten‘ Grundsätzen, die in der Regel nichts sind als die Vorstellung welche ein Stand sich von seinen berechtigten Ansprüchen macht, sondern im arbeitenden Takt des Ganzen - arbeiten wieder im Sportsinne verstanden: die Arbeit der Muskeln und Sehnen im gestreckten Galopp eines Pferdes, das sich dem Ziel nähert - in jenem Takt - der starke Begabungen von uns selbst in seinen Bann zieht; und endlich nicht in einer weltfremden Moral, sondern in der Beständigkeit, Sicherheit und Überlegenheit der politischen Führung.

Zitatende
Quelle: Spengler, Oswald – ‘Der Untergang des Abendlandes‘ – DTV 1972 – Seite 1015

 


Erda aber sagt in der vierten Szene von Wagners ‘Rheingold‘: “Alles, was ist, endet!“ Und so ist es auch. Auch das Leben der grausamsten Diktatoren endet. Keiner von ihnen wurde wie heute die Symbolfigur Queen Elizabeth II. von Millionen Menschen betrauert, obwohl sie keine Macht hatte, nur durch ihre freundliche Anwesenheit heilsam wirkte.

Iwan, der Schreckliche schlägt bei einer Auseinandersetzung seinen Sohn mit einem eisenbeschlagenen Stock so hart, dass dieser 5 Tage später stirbt. Von Reue geplagt irrt der Zar nächtelang schreiend durch die Säle des Kreml, ergreift die günstige Gelegenheit seine Schwiegertochter zu vergewaltigen, erholt sich wieder, bis er nach einer Prophezeiung seines Astrologen am 18. März 1584 bei einem Schachspiel tot zusammenbricht.

Nach Anarchie, Hungersnot und Bürgerkrieg wählen 1613 die wichtigsten Würdenträger den Sechzehnjährigen Michael Romanov zum neuen Zaren. Er ist der Begründer der Dynastie, die Russland bis 1917, bis zu ihrem Tod durch Erschießen durch die Bolschewiki, beherrschte.

Der Kreml wo Präsident Wladimir Putin heute durch die Gold strotzenden Türen schreitet, wo die Raffgardinen wallen, ist eigentlich ein ziemlich vergifteter Ort. Drum sitzt er auch am Ende des langen, langen, weißen Tisches, damit kein gewählter westlicher Staatsmann wie Emmanuel Macron ihn mit einer Stichwaffe erreichen könnte, aber die tapferen Ukrainer ihm heftig Widerstand entgegensetzen.

Einige Diktatoren haben wir, die jetzt Lebenden, kommen und verenden sehen. Vor unserer Haustür in Rumänien gab es einen Schuster - übrigens ein Notwendiges ehrenwertes Handwerk, wenn er bei seinen Leisten bleibt - Nicolae Ceaușescu, 1918 – 1989, der früh der kommunistischen Partei beitrat, im Gefängnis die Schliche der Parteiarbeit erlernte, Abgeordneter, Landwirtschaftsminister, Verteidigungsminister, Politbüromitglied und schließlich Staatsoberhaupt wird. Er übernimmt alle wichtigen Ämter in Militär, Wirtschaft, Stadt und Verwaltung, wird ‘Conducator‘ genannt und verfällt dem Allmachtswahn. Ohne dass eine entsprechende Infrastruktur vorhanden ist, befiehlt er dem Agrarland den Ausbau der Schwer- und Erdölindustrie. Die Folgen sind Landflucht, Hungersnot und Energiemangel. Nach einem äußerst brutalen Bürgerkrieg wird er und seine einflussreiche Ehefrau Elena verhaftet und gleich nach der Urteilsverkündung des Urteils wegen des Todes von 60.000 Menschen, des Ruins der rumänischen Wirtschaft und der Unterschlagung von einer Milliarde US Dollar durch Maschinengewehrsalven hingerichtet.

Nigeria hatte seinen Sani Abacha, 1948 – 1998, der das Land trotz reicher Erdölvorkommen in bitterster Armut und Arbeitslosigkeit hinterließ. Aber, wie es scheint, werden sich die Chinesen sich schon kümmern.

In Nordkorea gibt es die Sippe Kim Sung I, II und III, die die Welt mit dem Besitz von Atomwaffen erpresst und das eigene Volk mit unvorstellbarer List und Gewalt gleichschaltet.

Russland hatte seinen Josef Dschugaschwili, genannt Stalin, der das Bürgertum, den Adel, die Bauern und Unternehmer enteignete und nur durch Terror den katastrophalen Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion und des Lebensstandards unterdrücken konnte. Sein Ziel war der Sieg des Kommunismus über den Westen. Seine Terrormethoden, dies zu erreichen, waren so teuflisch, dass sie nicht zu beschreiben sind. Aber viele Väter und Großväter, aber auch Vertriebene und vergewaltigte Frauen verschließen sie in ihrem Gedächtnis und schweigen.
(Zitiert nach: ‘Diktatoren – Tosa Verlag, Wien, 2000)

Wir schlagen uns am Theater mit den kleinen Diktatoren und leider auch Diktatorinnen herum, die in ihrer staatlichen subventionierten Machtfülle, unsere über Jahrhunderte geliebte und sorgsam gepflegte Kunst der Oper und des Schauspiels so verzerren, dass Szene, Musik, Text und die Intentionen der Schöpfer dieser großartigen Werke zur billigen Unterhaltung heruntergebrochen werden.
Da sich Politiker - gleich welcher Partei - für das Randthema Kultur nicht interessieren wollen, weil sie sich hinter der Demarche ‘Die Kunst ist frei‘ verschanzen können, dümpeln die meisten Aufführungen an großen wie an kleinen Theatern - selbst bei Festspielen wie Bayreuth – in den meisten Fällen zu Lasten des Steuerzahlers unter Missachtung des Bildungsauftrages auf dem Niveau des Entertainments, zur Gaudi des Publikums und zur Freude der Theaterleiter, denn Gelächter, auf die Schenkel klopfende Zuschauer und kreischender Applaus – meist an den verkehrten Textstellen – bedeuten ja Erfolg.

Schlussbemerkung

Plan und Wirklichkeit


Wer sich die Mühe macht, das Fächerangebot der Gymnasien zu betrachten findet bei sehr vielen Schulen ‘Darstellendes Spiel‘ im Angebot.

Wer dann dazu den Lehrplan und die Prüfungsanforderungen laut Beschluss der Kultusministerkonferenz studiert, ist erstaunt wie hoch die Ansprüche an Kenntnis des Werkes, Analyse und Interpretation sind:


Präambel

Der Unterricht im sprachlich literarisch künstlerischen Aufgabenfeld führt zum Verständnis künstlerischer Formen menschlicher Möglichkeiten und soziokulturelle Zusammen-hänge im Rahmen dieses Aufgabenfeldes hat das Fach Darstellendes Spiel den besonderen Auftrag einer grund-legenden Bildung in den darstellenden Künsten das Fach Darstellendes Spiel auf grundlegenden Anforderungen des Niveau soll dabei:

in grundlegende Sachverhalte und Strukturen sowie
   Geschichte und Theorie des Faches einführen,
seine wesentlichen Arbeitsmethoden vermitteln und
   reflektieren,
Zusammenhänge innerhalb des Faches und über
   seine Grenzen hinaus erkennbar machen
 

 Dieser Text der Präambel umreißt präzise die Zielsetzung der Arbeit an theatralen Texten, das heißt die historische Einordnung des Werkes seine Struktur sein Aufbau die Geschichte seiner Aufführungen dem widerspricht natürlich das, was modisches Regisseurstheater auf unseren Bühnen bietet: Krampfhaftes herunterbrechen auf unsere Zeit zwecks Darstellung eigener Probleme soll das die Funktion des Theaters sein. Darüber gibt die Prüfungsanordnung klar Auskunft:

 

Schülerinnen und Schüler reflektieren die soziokulturelle Funktion des Theaters sie verfügen über exemplarische Kenntnisse einiger für das Theater der Gegenwart relevanter Aspekte der Theaterkultur Theorie und Geschichte die aus den folgenden Themenbereichen ausgewählt werden können und in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den jeweiligen Spielprojekten stehen.

Bezüge zur eigenen Lebenswelt individuell zum
   Beispiel das eigene Ich, Familie, Schule, Freunde
gesellschaftlich, z.B. Staat, Arbeitswelt, Konfliktfelder
   wie Gewalt, Umwelt
interkulturell, z.B. multikulturelle Gesellschaft,
   Globalisierung, fremde Kulturkreise

Theater in der Kultur der Gegenwart z.B. in Bezug auf
Formenvielfalt Schauspiel Oper Tanz Theater
   Performance Kleinkunst Mischformen etc.
Postdramatische Theaterformen.


Bedeutende Theaterautoren und -autorinnen und ihre
   Werke aus verschiedenen Epochen,
   insbesondere solche, welche die Entwicklung des Theaters
   der Gegenwart geprägt haben.

   Reflexion auf dem Hintergrund
    eigener Projekte
    der Spielplangestaltung eines spezifischen Theaters der
       Gegenwart
     ihres Stellenwertes innerhalb der Geschichte des
       Theaters

„Klassische Moderne“ (Überwindung klassischer
    Dramenkonzeptionen, gesellschaftsrelevantes, politisches
    Theater, veränderte Rolle des Schauspielers und des
    Zuschauers, Einfluss auf zeitgenössische Regiestile u.a.)

  Theater in theoretischen und konzeptionellen Kontexten
    in Bezug  auf
    - Schauspieltheorien z.B. Stanislawski, Straßberg.


 

Letzteres hat für die Zuschauer erhebliche Schwierigkeiten gebracht, denn die Schauspieler sollen sich ja nicht mehr im Sinne ihrer Rolle verändern, sondern immer so sie selbst sein so wie Herr Müller und Frau Meier privat reden und sich bewegen.

Das ist die zurzeit angeforderte Authentizität!

Wir hören also auf der Bühne und im Fernsehen unverständliches Genuschel und sehen schlaksige, private Bewegungen, die zu den Rollen heutiger Jugend passen.

Die Werke großer früherer Dichter werden so bis zur Unkenntlichkeit auf unsere Zeit ‘heruntergebrochen‘, damit der Regisseur seinen Spaß hat, wie es ihm gelingt alles ins Absurde zu verkehren.

Schon in der Schauspielschule wird darauf hingearbeitet, weil wie auf Nachfrage von einer Schauspiellehrerin erläutert wurde, die Intendanten das so und eben keine verständliche Sprache wollen, die durch präzise Artikulation auch noch in der 25. Reihe des Parketts oder in der 7. Reihe des dritten Rangs klar und deutlich verstanden werden kann.

Dem Literaturfreund bleibt also nur das heimische Sofa, auf dem er bequem seinen Shakespeare, Schiller, Kleist, Hauptmann usw. liest oder selber spricht - ein wunderbares Erlebnis.
Den Opernfreunden bleibt bald auch nichts anderes übrig, als die Noten zur Hand zu nehmen, eine CD zu hören und Bühne und Kostüme sowie die Aktionen auf der Szene in der Fantasie zu erleben.
Wozu also noch ins Theater gehen?

Und wie passt es denn zusammen, wenn auf Seite 39 der Prüfungsordnung für das Fach ‘Darstellendes Spiel‘ für ein anschließendes Gespräch gefordert wird:

 


Erläutern Sie ihre Strategie zur Aufgabenlösung
Erläutern Sie die von ihnen beabsichtigte Wirkung
Begründen sie ihre Entscheidungen
   in Bezug auf die Strukturierung der Handlung
   in Bezug auf die Konturierung der Figuren
   in Bezug auf die sprachliche Gestaltung des Dialogs,
   in Bezug auf die theatralischen Mittel.


 

 


Im Theater sehen wir aber die Figuren in ihr Gegenteil verfälscht:

Götter in Unterwäsche
 

Otello als debiler Trottel, Desdemona als stöckelnde Nutte mit zwei – wohl unehelichen – Kindern
 

Scarpia als in der Kindheit vom Mesner verführtes Blondengelein
 

Tosca als dümmliches Schulmädchen mit Plastikrucksack
 

Gerade der Leibeigenschaft entgangene Bauern, die nach der neuen Textfassung von Alexander von Schlippe müde von der Feldarbeit im Onegin singen:
   „es Schmerzen meine schnellen Füße vom vielen Gehn
   es Schmerzen meine Hände von der Arbeit“,
in den Salon der Herrschaft hurtigen Schenkels hereinströmen, mit
Stroh um sich schmeißen, das dann ein Schar Statistinnen wieder
zusammenkehrt
 

die Aida im Einheitsbühnenbild, dem Vorzimmer von Herrn Mielke in der Stasizentrale in der Berliner Normannenstraße
 

der Steuermann, der in der Schlussszene das liebende Paar im Holländer – Senta mit umgehängten Engelsflügeln – auf den Pappkartons einer Ventilatorenfabrik fotografiert
 

usw.

 


Falls junge Zuschauer im Opernhaus sind, meinen die, es müsste so sein und so freuen sie sich an - wenn auch sinnloser – Äcksch’n! Äcksch’n! Äcksch’n!

Die Abschlussprüfung jedoch erwartet von Schülern als Bewertungskriterien der Präsentation:

- das Verhältnis der Lösung zur gestellten Aufgabe
- die Erkennbarkeit eines Gesamtkonzeptes
- die Wahl und Verwendung theatraler Mittel und Techniken
- die individuellen Darstellenden die individuellen darstellerischen Leistungen in Be
   zug auf Rollengestaltung.

Also kann man Theaterfreunden nur empfehlen, sich Aufführungen von höchst engagierten Amateurtheatern und gut durchdachte Schulaufführungen anzusehen.

ML Gilles

Das Wort des Jahres:

 

 

Zitat
„Der Schaden ist bereits irreparabel, und zwar für alle Beteiligten. Ausgerechnet in der deutschen Schicksalsfrage – der Versorgung von Europas größter Industrienation mit bezahlbarer Energie – hat sich die Koalition als tief zerstritten erwiesen. Dafür trägt der Kanzler die Hauptverantwortung:

Obwohl von Woche zu Woche deutlicher erkennbar wurde, wie sehr sich Grüne und FDP in der Frage des Weiterbetriebs der Atommeiler verkeilten,  
m e r k e l t e
 Scholz vor sich hin, statt mit Verweis auf seine Richtlinien-kompetenz früh einen Kompromiss zu erzwingen.

Der SPD-Kanzler muss den übernächsten Winter ebenso fürchten wie den kommenden: Der nächste Strom-Blackout ist dann sein Blackout“, prophezeit der MÜNCHNER MERKUR.

Zitatende



Nds. Staatstheater Hannover GmbH
 




Zitat
BRING YOUR FRIENDS
Zitatende
 
Quelle: https://staatstheater-hannover.de/de_DE/start-staatstheater

 



Zitatende

... ob dumme Puten, freche Geißen
oder fette Säue!

Impressum

… erscheint als nichtkommerzielles Rundschreiben,
herausgegeben von

Bürgerinitiative-Opernintendanz –
Fehrsweg 2 –
30655 Hannover

info@bi-opernintendanz.de – www.bi-opernintendanz.de


Verteilung:
Direktversand an ausgewählte Leserschaft u.a.
Mitglieder der
Bürgerinitiative-Opernintendanz - http://bi-opernintendanz.de/
Niedersächsischer Landesrechnungshof,
Niedersächsische Landesregierung,
Aufsichtsrat der Nds. Staatstheater Hannover GmbH,
Politische Parteien im Nds. Landtag,
Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover,
Bund der Steuerzahler,
Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten,
Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger,
Deutscher Bühnenverein,
Richard-Wagner-Vereine,
Feuilletons von Tageszeitungen,
Pressestellen von Theatern im deutschsprachigen Raum

RA Frank Wahner, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Hannover
RA Markus von Hohenhau, Fachanwalt für IT-Recht, Regensburg
RA Prof. Dr. Ernst Fricke, Fachanwalt für Bühnenrecht, München/Landshut

Wir verstehen diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen, sondern als Hinweis auf - nach unserer Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes. Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire. Hierfür nehmen wir den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Wir benutzen Informationen, hauptsächlich aus eigenen Unterlagen vom Regionalfernsehen Regensburg, telezeitung-online.de und aus dem Internet u.a. den Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Museums, der Preußen-Chronik, Wikipedia u.ä..
Diese Texte werden paraphrasiert wiedergegeben oder als Zitate kenntlich gemacht.
Fotos wurden Buch- und CD-Einbänden entnommen. Beiträge aus der Rubrik ‘Musiktheater‘ wurden als Zitate aus dem Hermes Handlexikon übernommen.
Leserbriefe stellen die Meinung des jeweiligen Verfassers dar.

Gender-Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichten wir auf Differenzierung und geschlechtsneutrale Formulierung. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

                                                                                                  
                                                                                                                      


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