Zitat
Über die Aufführung des »Tannhäuser«.
Eine Mittheilung an die Dirigenten und Darsteller dieser Oper.
Eine nicht geringe Anzahl von Theatern geht mit dem Vorhaben um, in
nächster Zeit meinen »Tannhäuser« zur Aufführung zu bringen. Dieser
unerwartete und von mir keinesweges veranlaßte Fall läßt mich zunächst
das Hinderliche des Umstandes, daß ich den Vorbereitungen zu den
beabsichtigten Aufführungen nicht persönlich beiwohnen kann, so stark
empfinden, daß ich eine Zeitlang sogar im Zweifel war, ob ich meine
Zustimmung zu jenen Unternehmungen für jetzt nicht gänzlich versagen
sollte. - Wenn das Werk des Künstlers erst da seiner wirklichen
Ausführung entgegengeht, wo es zur unmittelbaren Darstellung an die
Sinne vorbereitet wird; wenn demnach der dramatische Dichter oder
Musiker erst da seine entscheidende Wirksamkeit auszuüben beginnt, wo er
seine Absicht den künstlerischen Organen, die sie verwirklichen sollen,
zur innigsten Kenntniß zu bringen hat, um, von ihnen vollkommen
verstanden, die verständlichste Darstellung durch sie zu ermöglichen: so
ist nirgends diese letzte Wirksamkeit ihm unerläßlicher, als bei Werken,
bei deren Abfassung von der üblichen Darstellungsweise durch die einzig
vorhandenen künstlerischen Organe abgesehen, und für die ihnen nöthige
Darstellungsweise dagegen eine bisher noch ungewohnte und unausgebildete
Auffassung des Wesens des betreffenden Kunstgenre's in das Auge gefaßt
worden ist. Niemandem kann dieß klarer geworden sein als mir, und es
gehört zu den größten Peinigungen, die ich in neuerer Zeit empfinden
mußte, daß ich bei den stattgefundenen einzelnen Versuchen, meine
dramatischen Arbeiten aufzuführen, nicht zugegen sein konnte, um über
unendlich mannigfaltige Einzelnheiten, aus deren genauer Beachtung erst
eine durchaus richtige Auffassung des Ganzen von Seiten der
darstellenden Künstler möglich wird, mit den Betreffenden mich zu
verständigen.
Wenn nun überwiegende Gründe mir anriethen, dem Versuche weiterer
Aufführungen meiner früheren Werke nicht unbedingt hindernd
entgegenzutreten, so geschah dieß im Vertrauen darauf, daß es mir
gelingen werde, durch schriftliche Mittheilung an die betreffenden
Dirigenten und Darsteller die Unmöglichkeit mündlicher und persönlicher
Einwirkung nach Kräften auszugleichen. Die Zahl der Theater, die sich
mir für den »Tannhäuser« meldeten, hat sich aber kürzlich so ansehnlich
vermehrt, daß Privatmittheilungen an jeden einzelnen Dirigenten und
Darsteller mir zu einer ermüdenden Last werden müßten, und ich ergreife
daher den Ausweg der gegenwärtigen summarischen Mittheilung, die ich in
Form einer Broschüre zunächst an alle Diejenigen richte, deren
Verständnisse und gutem Willen ich mein Werk anzuvertrauen habe.
Die musikalischen Dirigenten unserer Theater haben sich fast durchgängig
gewöhnt, die Scene und die für sie zu treffenden Anordnungen gänzlich
ihrer Aufmerksamkeit entzogen sein zu lassen; dem entsprechend
beschränken sich unsere Regisseure einzig auf die Scene, mit völligem
Außerachtlassen des Orchesters. Aus diesem Übelstande ergiebt sich die
innere Zusammenhangslosigkeit und dramatische Unwirksamkeit unserer
Opernvorstellungen; in ihnen hat sich folgerichtig der Darsteller der
Beachtung irgend welches Zusammenhanges eines Ganzen entwöhnt, und in
seiner vereinsamten Stellung dem Publikum gegenüber bis dahin verbildet,
wo wir ihn jetzt als absoluten Opernsänger angelangt sehen. Betrachtet
der musikalische Dirigent das Orchester als eine Sache ganz für sich, so
kann er seinen Maaßstab für das Verständniß desselben nur den Werken der
absoluten Instrumentalmusik, der Symphonie, entnehmen, und Alles was von
den Formen dieses Genre's abweicht, muß ihm unverständlich bleiben. Das
von diesen Formen Abweichende ist aber gerade das, was in seiner
besonderen Form durch einen Handlungs- oder Gefühlsvorgang auf der Scene
bedingt wird, seine Erklärung somit nicht aus der absoluten
Instrumentalmusik, sondern eben nur aus jenem scenischen Vorgange finden
kann, und der Dirigent, der sich die genaue Beachtung desselben entgehen
läßt, wird daher in den betreffenden Stellen nur willkürliche
musikalische Züge erkennen, und durch seine willkürliche, rein
musikalische Deutung, in der Ausführung sie in Wahrheit auch dazu
machen: denn ihm fehlt das Maaß, nach welchem er genau wiederum die rein
musikalische Essenz jener Züge zur Darstellung zu bringen hat, er wird
somit im Zeitmaaß und Ausdruck sich - vergreifen. Dieser Erfolg genügt,
um wiederum den scenischen Dirigenten und Darsteller für das von ihnen
Darzustellende der Art zu beirren, daß sie, das Band des dramatischen
Zusammenhanges zwischen Scene und Orchester verlierend, und jeden
Zusammenhang endlich ganz aufgebend, sich ihrerseits nun zu
Willkürlichkeiten anderer Art in der Darstellung veranlaßt fühlen, die
in ihrer ganzen wunderlichen Übereinstimmung die stereotype Konvention
der modernen Operndarstellung ausmachen.
Es liegt auf der Hand, daß geistvolle dramatische Kompositionen auf
diese Weise bis zur vollsten Unkenntlichkeit verstümmelt werden müssen;
es ist aber auch ebenso gewiß, daß selbst die seichtesten moder-nen
italienischen Opern in der Darstellung außerordentlich gewinnen würden,
wenn dabei jener Zusammenhang, der selbst in diesen Opern (obgleich nur
in den groteskesten Zügen) noch vorhanden ist, zur Geltung käme. Ich
erkläre aber, daß eine dramatische Komposition wie mein »Tannhäuser«,
deren einzige Wirkungsmöglichkeit lediglich in jenem Zusammenhange
zwischen Scene und Musik beruht, geradesweges umgebracht wird, wenn das
von mir gerügte Verfahren der musikalischen und scenischen Dirigenten
bei der Darstellung seine Anwendung erhält. Ich ersuche daher die
musikalischen Dirigenten, deren Neigung oder Auftrag die Aufgabe zuwies,
mein Werk aufzuführen, die Partitur zunächst nicht anders zu lesen, als
mit der genauesten Beachtung der Dichtung und endlich der besonderen
zahlreichen Angaben für die scenische Darstellung. An ihm ist es dann,
wenn er die Nothwendigkeit einer sorgfältigen Behandlung der Scene
erkennt, den Regisseur von dem ganzen Umfange seiner Aufgabe in Kenntniß
zu setzen. Dieser wird seine Aufgabe nur sehr unvollständig aus dem
»Buche« allein begreifen lernen; würde dieß anders der Fall sein, so
müßte dieß nur beweisen, daß die Musik dazu unnöthig und überflüssig
war. Die meisten scenischen Angaben sind erst in der Partitur, an den
bezüglichen musikalischen Stellen enthalten, und diese hat daher der
Regisseur mit Hilfe des Ka-pellmeisters bis zum genauesten Innehaben
kennen zu lernen.
Die nächste Sorge des Regisseurs wird dann sein, sich mit dem
Dekorationsmaler in das bestimmteste Einvernehmen zu setzen. Auch dieser
geht gemeinhin vom musikalischen und scenischen Dirigenten gänzlich
getrennt zu Werke; ihm wird das »Buch« zur Einsicht gegeben, und in
diesem beachtet er weiter nichts, als was ihn scheinbar allein angeht,
nämlich die eingeklammerten, lediglich nur auf sein Werk bezüglichen
Stellen. Im Verlaufe meiner Mittheilung werde ich aber zeigen, wie
unerläßlich ein genaues Eingehen auch dieses mitwirkenden Faktors, auf
die innerlichsten Intentionen des ganzen Kunstwerkes ist, und wie
nothwendig ich darauf bestehen muß, daß er von vornherein zur
bestimmtesten Kenntniß jener Absichten gelange.
Für ihr Vernehmen mit den Darstellern habe ich den musikalischen
Dirigenten und den Regisseur zunächst darauf hinzuweisen, daß nicht eher
die sogenannten Gesangsproben beginnen dürfen, als bis zuvor die
Dichtung selbst in ihrem ganzen Umfange den Darstellern bekannt geworden
ist.Fu diesem Zwecke dürfen wir uns nicht damit begnügen, daß jedem der
Mitwirkenden das Buch zur Durchsicht zugesandt wird; wir beabsichtigen
ihrerseits keine kritische Kenntniß des Gegenstandes, sondern eine
leben-dige, künstlerische. Ich muß daher auf eine Zusammenkunft
sämmtlicher Darsteller, unter Leitung des Regisseurs und Beiwohnung des
Kapellmeisters, dringen, bei welcher die Dichtung auf die Weise, wie
dieß beim Schauspiel in Übung ist, von den einzelnen Darstellern aus
ihren Rollen laut gelesen wird; das Chorpersonal möge dieser Lesung
ebenfalls zugegen sein, und die Stellen des Chores sind von dem
Chordirektor selbst oder einem Chorführer vorzutragen. Hierbei ist nun
darauf zu achten, daß diese Lesung bereits mit vollem dramatischen
Ausdrucke stattzufinden hat, und wenn aus Mangel an Verständniß oder
Übung der richtige, dem Gegenstand als Dichtung genügende Ausdruck nicht
sobald zu erzielen ist, diese Probe so oft wiederholt wird, bis der
nöthige Ausdruck vermöge des Verständnisses der Situationen, sowie des
eigentlichen Organismus' der Handlung, gewonnen ist. Diese Forderung an
ein modernes Opernpersonal wird, wie sie in der That gänzlich ungewohnt
ist, als übertrieben, pedantisch und gewiß auch unnöthig betrachtet
werden: daß ich dieß zu fürchten habe, daraus erhellt aber eben das
Klägliche unserer Opernzustände. Unsere Sänger sind gewöhnt, sich mit
dem Wie des Vortrages zu befassen, ehe sie das Was desselben kennen
lernen, indem ste die Noten ihrer Gesangspartien sich am Klavier
einstudieren, und wenn dieß bis zum Auswendigwissen gelungen ist, in
einigen Thea-terproben, meist erst in der Generalprobe selbst, das
dramatische Zusammenspiel sich gerade so finden lassen, wie es die
Opernroutine und gewisse stabile Angaben des Regisseurs in Bezug auf
Kommen und Gehen mit sich bringen. Daß sie zuerst Darsteller
(Schauspieler) zu sein haben, und erst nach genügender Vorbereitung auf
ihre Wirksamkeit als solche mit dem gesteigerten musikalischen Ausdrucke
der Rede sich befassen dürfen, um nicht von vornherein den Zweck mit dem
Mittel zu verwechseln, dieß kann ihnen allerdings bei dem gegenwärtigen
Opernwesen gar nicht mehr einfallen. Ihre Gewohnheit mag auch den
Produkten der meisten Opernkomponisten gegenüber gerechtfertigt
erscheinen; nur muß ich erklären, daß mein Werk ein geradesweges
umgekehrtes Verfahren als das gewöhnliche für seine Darstellung
erfordert. Derjenige Sänger, der seine »Partie« nicht zuerst als
Schauspielrolle der Absicht des Dichters gemäß mit entsprechendem
Ausdrucke zu rezitiren im Stande ist, wird jedenfalls auch nicht
vermögend sein, sie der Absicht des Musikers gemäß zu singen, geschweige
denn überhaupt den Charakter darzustellen. Auf dieser meiner Behauptung
bestehe ich so fest, und auf die Erfüllung der Bedingung genügender
Leseproben halte ich so bestimmt, daß ich gegen diese Forderung
meinerseits wiederum den Wunsch, ja den Willen ausdrücke, daß, wenn
durch diese Leseproben nicht ein allseitiges Interesse an dem Gegenstand
und an dem Unternehmen seiner Darstellung unter den dabei Betheiligten
erweckt worden ist, mein Werk gänzlich bei Seite gelegt und seine
Aufführung unterlassen werde.
Von dem Ergebnisse der Leseproben mache ich somit je nach dem Geiste, in
dem ste abgehalten werden, den glücklichen Ausfall alles weiteren
Studiums abhängig. In ihnen haben sich Darsteller und Anordner der
Darstellung genau und erschöpfend über alles das zu verständigen, was
bei dem üblichen Verfahren erst in den letzten Theaterproben nothdürftig
berührt wird. Namentlich wird zunächst auch der musikalische Dirigent
für seine fernere Aufgabe einen neuen, wesentlich verstärkten
Gesichtspunkt gewonnen haben; er wird nun, durch den ersten sinnlichen
Eindruck des Ganzen, den ihm das Anhören einer ausdrucksvollen Lesung
verschaffte, geleitet, beim ferneren Einstudiren des rein musikalischen
Details mit der nöthigen Kenntniß der Absicht des Künstlers zu Werke
gehen, über die er ohne dem, auch bei dem redlichsten Eifer für das
Vorhaben, dennoch in mannigfachem Zweifel und Irrthum haften dürfte.
In Bezug auf das musikalische Studium mit den Sängern habe ich nun im
Allgemeinen folgende Bemerkungen mitzutheilen. In meiner Oper besteht
kein Unterschied zwischen sogenannten »deklamirten« und »gesungenen«
Phrasen, sondern meine Deklamation ist zugleich Gesang, und mein Gesang
Deklamation. Das bestimmte Aufhören des »Gesanges« und das bestimmte
Eintreten des sonst üblichen »Rezitatives«, wodurch in der Oper
gewöhnlich die Vortragsweise des Sängers in zwei ganz verschiedene Arten
getrennt wird, findet bei mir nicht statt. Das eigentliche italienische
Rezitativ, in welchem der Komponist die Rhythmik des Vortrages fast
gänzlich unausgeführt läßt und diese Ausführung dafür dem Gutdünken des
Sängers überweist, kenne ich gar nicht; sondern an den Stellen, wo die
Dichtung vom erregteren lyrischen Schwunge sich zur bloßen Kundgebung
gefühlvoller Rede herab senkt, habe ich mir nie das Recht vergeben, den
Vortrag ebenso genau wie in den lyrischen Gesangsstellen zu bestimmen.
Wer daher diese Stellen mit den gewohnten Rezitativen verwechselt, und
demzufolge die in ihnen angegebene Rhythmik willkürlich ändert und
umformt, der verunstaltet meine Musik ganz ebenso, wie wenn er meiner
lyrischen Melodie andere Noten und Harmonieen einfügen wollte. Da ich
mich durchgängig bemühte, in den hier gemeinten rezitativähnlichen
Stellen den Vortrag auch rhythmisch genau meiner Absicht des Ausdruckes
entsprechend zu bezeichnen, so ersuche ich demnach die Dirigenten und
Sänger, zunächst diese Stellen nach der bestimmten Geltung der Noten
scharf im Takte, und in einem dem Charakter der Rede entsprechenden
Zeitmaaße auszuführen. Bin ich nun so glücklich, die von mir bezeichnete
Vortragsweise von den Sängern als richtig empfunden zu sehen, und ist
diese sonach mit Bestimmtheit von ihnen aufgenommen worden, so dringe
ich dann endlich auf fast gänzliches Aufgeben der Strenge des
eigentlichen musikalischen Taktes, der bis dahin nur ein mechanisches
Hilfsmittel zur Verständigung zwischen Komponist und Sänger war, mit dem
vollkommenen Erreichen dieser Verständigung aber als ein verbrauchtes,
unnützes und ferner lästig gewordenes Werkzeug bei Seite zu werfen ist.
Der Sänger gebe von da ab, wo er meine Intentionen für den Vortrag bis
zum vollsten Mitwissen in sich aufgenommen hat, seiner natürlichen
Empfindung, ja selbst der physischen Nothwendigkeit des Athmens bei
erregtem Vortrage, durchaus freien Lauf, und je selbstschöpferischer er
durch vollste Freiheit des Gefühles werden kann, desto mehr wird er mich
zum freudigsten Danke verbinden. Der Dirigent hat dann nur dem Sänger zu
folgen, um das Band, das den Vortrag mit der Begleitung des Orchesters
verbindet, stets unzerrissen zu bewahren; es wird ihm dieß wiederum nur
möglich sein, wenn das Orchester selbst zur genauesten Mitkenntniß des
Gesangvortrages gebracht wird, was einerseits dadurch, daß in jede
Orchesterstimme die Gesangspartie und die Worte mit eingetra-gen sind,
andererseits aber nur durch genügend zahlreiche Proben vermittelt wird.
Das sicherste Zeichen dafür, daß dem Dirigenten die Lösung seiner
Aufgabe in diesem Bezuge vollkommen gelungen ist, würde sein, wenn
schließlich bei der Aufführung seine leitende Thätigkeit fast gar nicht
mehr äußerlich zu bemerken wäre. (Daß die hiermit von mir bezeichnete
Vortragsweise, dieses Höchste des Erreichbaren für den künstlerischen
Vortrag überhaupt, nicht zu verwechseln sei mit der sonst üblichen, nach
welcher der Dirigent dann am tauglichsten erfunden wird, wenn er seine
Intelligenz und praktische Geschicklichkeit einzig den willkürlichen
Launen unserer Primadonnen als behutsam nachschleichender Diener zu
Gebote stellt, habe ich wohl nicht erst zu erwähnen: hier ist er
nothgedrungener Bemäntler empörender Unschicklichkeiten, dort hingegen
mitschöpferischer Künstler.)
Ich wende mich von diesen allgemeinen Bemerkungen, mit denen ich die
Hauptrichtung für das Studium bezeichnete, jetzt zur Mittheilung
besonderer, auf die Spezialität des »Tannhäuser« bezüglicher Wünsche,
und behalte dabei zunächst noch die Wirksamkeit des musikalischen
Dirigenten im Auge.
Im Betracht gewisser ungünstiger Umstände für die Aufführung des
»Tannhäuser« sah ich mich seiner Zeit zu einigen Auslassungen gedrungen;
daß die meisten derselben nur Zugeständnisse in der äußersten Noth sein
konnten, Zugeständnisse, die in Wahrheit mit einem halben Aufgeben
meiner eigentlichen künstlerischen Absichten identisch waren, dieß
möchte ich den zukünftigen Dirigenten und Darstellern dieser Oper klar
machen, um sie davon zu überzeugen, daß, wenn sie von vornherein jene
Zugeständnisse als unbedingt nothwendig ansehen, zugleich das Aufgeben
meiner eigentlichen Absichten an entscheidenden Stellen von ihnen als
nothwendig angenommen wird. -
Sogleich in der Scene zwischen Tannhäuser und Venus im ersten Akte sah
ich mich in Dresden (in dem bezeichneten Sinne) genöthigt, für die
späteren Vorstellungen eine Auslassung vorzunehmen: ich strich den
zweiten Vers des Tannhäuserliedes und die ihm vorangehende Zwischenrede
der Venus. Keinesweges geschah dieß nun aus dem Grunde, daß diese
Stellen an sich als matt, ungefällig und unwirksam erschienen wären,
sondern der wahre Grund war dieser: die ganze Scene misglückte in der
Darstellung, vor Allem weil es nicht gelungen war, eine durchaus
geeignete Darstellerin für die schwierige Rolle der Venus zu finden; die
seltenen und ungewohnten Anforderungen für diese Rolle sollten selbst
von einer der größten Künstlerinnen unerfüllt bleiben, weil unter
unüberwindlichen Umständen die Unbefangen-heit für diese Aufgabe ihr
abgehen mußte. Somit blieb der Darstellung der ganzen Scene eine
Befangenheit eigen, die für die Darsteller, das Publikum und am meisten
für mich, endlich zur marternden Pein wurde. Diese Pein so kurz wie
möglich zu machen ließ ich mir daher angelegen sein, und kürzte
demzufolge die Scene durch Auslassung einer (wenn eben durchaus gekürzt
werden sollte) am ehesten wegzulassenden Stelle, die an und für sich von
der Beschaffenheit war, daß sie - ausgelassen - dem Hauptsänger eine
nicht unbedeutende Anstrengung ersparte. Aus keinem anderen Grunde
geschah diese Kürzung, und jeder fernere Anlaß zu ihrer Beibehaltung
fällt nun da hinweg, wo kein wirklicher Zweifel gegen den guten Ausfall
dieser Scene überhaupt aufzukommen hat. Was mir eben in Bezug auf diese
Scene in Dresden trotz der Mitwirkung einer größten Künstlerin nicht
glückte, gelang dagegen später vollkommen in Weimar, wo sich für die
Venus eine Darstellerin vorfand, die als Künstlerin überhaupt mit meiner
Dresdener sich gewiß durchaus nicht messen konnte, gerade aber für diese
Rolle so günstig disponirt war, daß sie, in vollster Unbefangenheit, mit
einer Wärme ihre Aufgabe löste, daß gerade diese in Dresden so peinliche
Scene hier den hinreißendsten Eindruck hervorbrachte. Unter solchem
Umstande wird die in Rede stehende Auslassung geradesweges zu einer
sinnlosen Ver-stümmelung, und das Urtheil darüber überlasse ich einem
Jeden, der sich die Mühe giebt, die Struktur der ganzen Scene, das
Wachsen der Stimmung und Situation aus ihren Anfängen bis zum vollen
Ausbruche, genau zu prüfen; er wird mir hoffentlich bezeugen, daß durch
jene Kürzung dem natürlichen Körper dieser Scene ein wesentlich nöthiges
organisches Glied entzogen wird; und nur da könnte ich somit in die
Auslassung von Neuem einstimmen, wo diese ungemein wichtige Scene von
vornherein in ihrer Wirkung aufgegeben werden müßte, wo ich also weit
eher dazu rathen möchte, die Aufführung der ganzen Oper aufzugeben.
Eine zweite Auslassung betrifft das Orchesternachspiel der Schlußscene
des ersten Aktes. Die gestrichene Stelle sollte sich auf einen
scenischen Vorgang (den freudigen Tumult des von allen Seiten die Bühne
erfüllenden Jagdtrosses) von der Lebhaftigkeit beziehen, wie ich ihn
selbst in Dresden nicht zur Ausführung gebracht sehen konnte: bei der
ungemeinen Steifheit und Befangenheit unserer gewöhnlichen
Theaterstatisten und Komparsen kam es nicht zu dem überwältigend
heiteren Eindrucke, den ich beabsichtigte, und der eine
wohlentsprechende Steigerung der auf die frischesten Lebensäußerungen
hingeleiteten Stimmung zu bieten haben sollte. Wo die hiermit
bezeichnete Wirkung ebenfalls nicht zu erzielen ist, wird daher auch die
Kürzung in der Musik beizubehalten sein; wo hingegen dem Regisseur durch
besondere Mitwirkung günstiger Umstände es ermöglicht werden sollte, den
vollen von mir beabsichtigten Eindruck auf der Scene hervorzubringen, da
ist mit der unverkürzten Ausführung des Nachspieles auch meine
ursprüngliche Absicht erst vollkommen verwirklicht, und diese war, durch
einen ganz entsprechenden Eindruck der Scene die mit dem Vorhergehenden
angeregte Stimmung auf ihre vollste Höhe zu bringen, - auf eine Höhe,
von der aus einzig eine ausgelassene kecke Stelle der Violinen im
Vorspiele des zweiten Aktes richtig verstanden werden kann.
Eine dritte Auslassung findet sich in den, den Theatern zugesandten
Partituren, in der großen Schlußscene des zweiten Aktes von Seite 326
bis 331 angegeben. Diese eingeklammerte Stelle enthält einen der
wichtigsten Momente des Drama's. In dem zunächst Vorhergehenden sprach
sich der Eindruck der opfermuthigen Kühnheit Elisabeth's, ihrer tief
ergreifenden und mächtig besänftigenden Fürbitte für den vervehmten
Geliebten auf Diejenigen aus, an die sie sich unmittelbar gewandt hatte
- den Fürsten, die Sänger und Ritter, die soeben noch Tannhäuser nach
dem Leben trachteten: Elisabeth und diese Umgebung, sowie ihr
beiderseitiges Verhältniß zu einander, nahmen unser volles Interesse
ein, und nur mittelbar bezog sich dieses wiederum auf Tannhäuser selbst.
Als dieses zuvörderst nöthige Interesse gesättigt, wendet sich unsere
Theilnahme endlich dem Hauptgegenstande der ganzen komplizirten
Situation, dem geächteten Venusritter wieder zu; Elisabeth mit allen
Übrigen wird nun zur Umgebung Desjenigen, über den unser nothwendiges
Gefühl insofern sich jetzt klar zu werden verlangt, als es gilt, des
Eindruckes der erschütternden Katastrophe auf den thätigsten Urheber
derselben zu voller Befriedigung inne zu werden. Tannhäuser ist, nachdem
er mit verzücktem Trotze dem Angriffe der Männer entgegengestanden,
endlich durch Elisabeth's Beginnen, den Ausdruck ihres Wortes, den Ton
ihrer Stimme und das Innewerden seines an ihr begangenen gräßlichen
Frevels auf das Schrecklichste ergriffen, im Ausbruche des zermalmenden
Gefühles furchtbarer Zerknirschung zusammengesunken, so von der Höhe
seiner zauberischen Entzückung in die grauenvolle Erkenntniß seiner
gegenwärtigen Lage hinabstürzend: wie bewußtlos lag er mit dem
Angesichte auf der Erde, während wir mit Ergriffenheit und Rührung der
Kundgebung des empfangenen Ausdruckes der Umgebung lauschten. Nun erhebt
Tannhäuser matt das bleiche, vom furchtbarsten Leiden gemarterte Haupt;
noch am Boden liegend, starr vor sich hinblickend, beginnt er mit
allmählich immer heftiger gesteigertem Ausdrucke in folgen dem Ergusse
seinem gepreßten Herzen Luft zu machen:
»Zum Heil den Sündigen zu führen,
die Gottgesandte nahte mir:
doch, ach! sie frevelnd zu berühren,
hob ich den Lästerblick zu ihr!
O du, hoch über diesen Erdengründen,
die mir den Engel meines Heils gesandt,
erbarm' dich mein, der ach! so tief in Sünden,
schmachvoll des Himmels Mittlerin verkannt!«
Diese Worte, mit dem ihnen verliehenen Ausdruck und in dieser Situation,
enthalten den Nerv der ganzen ferneren Tannhäuserexistenz, die Axe
seiner Erscheinung, und ohne den durch sie hier, an diesem Orte,
beabsichtigten Eindruck mit vollster Gewißheit empfangen zu haben, sind
wir gar nicht im Stande, ein weiteres Interesse an dem Helden des
Drama's zu bewahren. Wenn wir hier nicht endlich zum tiefsten Mitleiden
mit Tannhäuser gestimmt werden, ist das ganze übrige Drama ohne
Zusammenhang und Nothwendigkeit in seinem Verlaufe, und alle bis dahin
angeregten Erwartungen bleiben unbefriedigt; selbst die Erzählung
Tannhäuser's von seinen Leiden im dritten Akte kann uns nicht mehr für
den verlorenen Eindruck entschädigen, denn die volle beabsichtigte
Wirkung kann die Erzählung wiederum nur dann machen, wenn ste für unsere
Erinnerung sich auf diesen ersten, entscheidendsten Eindruck nur wieder
bezieht.
Was konnte mich nun bestimmen, eben diese Stelle von der zweiten
Aufführung in Dresden an auszulassen? Die Antwort hierauf dürfte leicht
die ganze Leidensgeschichte enthalten, die ich in meiner Stellung als
Dichter und Musiker unseren Opernzuständen gegenüber zu durchleben
hatte; doch will ich mich hier kurz fassen. Es konnte dem ersten
Darsteller des Tannhäuser, der in seiner Eigenschaft als vorzüglich
begabter Sänger immer noch nur die eigentliche »Oper« zu begreifen
vermochte, nicht gelingen, das Charakteristische einer Anforderung zu
fassen, die sich bei weitem mehr an seine Darstellungsgabe, als an sein
Gesangstalent richtete. Die hier betreffende Stelle wird, der Natur der
Situation gemäß, von allen auf der Scene anwesenden Sängern durch
flüsternden Gesang begleitet, der sich in einigen Momenten sogar bis zur
heftigen Unterbrechung des Motives Tannhäuser's durch drohende
Kundgebungen des verhaltenen Zornes anläßt: dieß gab der Stelle in den
Augen unserer Sänger den Anschein eines gewöhnlichen
Ensemblegesangstückes, in welchem kein Einzelner besonders
hervorzutreten sich gehalten glaubt. Der Hartnäckigkeit dieses Irrthumes
hatte ich es nun zu danken, daß der wirkliche Inhalt dieser Stelle, die
hervorspringende Kundgebung Tannhäuser's in der Aufführung fast gänzlich
verloren ging, und daher die ganze, in der Musik mit nöthiger Breite
dargestellte Situation nur den Charakter eines üblichen
Adagio-Ensemblestückes erhielt, wie wir dergleichen in den Opernfinale's
vor der Schlußstretta gewöhnlich zu hören bekommen. Als solcher
unterschiedslos sich dahinschleppender Adagiosatz mußte das Ganze dann
nothwendig zu gedehnt und ermüdend erscheinen, und als es sich, bei dem
hierüber empfundenen Misbehagen um Kürzungen handelte, mußte gerade mir
jene Stelle, da sie ihres eigentlichen Inhaltes in der Aufführung
beraubt worden war, als eine wahre widerliche Länge, d. i. Ode,
erscheinen. Jedem Einsichtsvollen gebe ich aber zu beurtheilen, welches
meine Stimmung gegen den äußerlichen Erfolg meines Werkes in Dresden
sein mußte, und ob mich eine zwanzigmalige Aufführung mit jedesmaligem »Herausruf«
des Autors für das nagende Bewußtsein entschädigen konnte, einen großen
Theil des empfangenen Beifalls doch nur einem Misverständnisse, oder
mindestens einem durchaus mangelhaften Verständnisse meiner eigentlichen
künstlerischen Absicht verdanken zu müssen! Soll in Zukunft meinen
Intentionen besser entsprochen und meine Absicht in Wahrheit
verwirklicht werden, so habe ich namentlich auf den richtigen Vortrag
der jetzt des Breiteren besprochenen, nun nicht mehr auszulassenden
Stelle zu dringen. Die Folge der Auslassung derselben und der
Nichtgeltendmachung ihres Inhaltes war damals, daß das Interesse für
Tannhäuser am Schlusse des zweiten Aktes gänzlich geschwunden war, und
einfach nur an seinen Gegensätzen und seiner Umgebung zu haften
vermochte, was allerdings meine eigentliche Absicht völlig vernichtete.
Diese Interesselosigkeit an ihm begegnete Tannhäuser nun im dritten Akte
der Art, daß man für sein ferneres Schicksal nur noch insofern
Theilnahme faßte, als davon das Schicksal Elisabeth's und selbst
Wolfram's, dieser beiden zu den eigentlichen Hauptpersonen gewordenen
abzuhängen schien: nur der wahrhaft bewundernswürdigen Tüchtigkeit und
Ausdauer des Sängers der Hauptrolle konnte es gelingen, durch den
äußerst klangvollen und energischen Vortrag der Erzählung der
Pilgerfahrt das Interesse für sich selbst mühsam wieder zu erwecken. An
die zukünftigen Darsteller des Tannhäuser ergeht daher meine Bitte, ein
höchstes Gewicht auf die besprochene Stelle zu legen; erst dann wird sie
aber seinem Vortrage gelungen sein, wenn er, eben während des Vortrages,
das volle Gefühl davon erhält, daß er in diesem Augenblicke die
dramatische wie musikalische Situation beherrsche, daß der Zuhörer
ausschließlich seiner Kundgebung lausche, und diese der Art sei, daß er
durch sie die tiefste Erschütterung verbreitet. Die Ausrüfe: »Ach,
erbarm' dich mein!« erfordern einen so durchdringenden Accent, daß er
als bloßer wohlgebildeter Sänger hier nicht auskommt; sondern die
höchste dramatische Kunst muß ihm die Energie des Schmerzes und der
Verzweiflung für einen Ausdruck ermöglichen, der aus den schauerlichsten
Tiefen eines furchtbar leidenden Herzens, wie ein Schrei nach Erlösung
hervorzubrechen scheinen muß. Der Dirigent hat darüber zu wachen, daß
dem Hanutsänger der angedeutete Erfolg durch allerdiskreteste Begleitung
der übrigen Sänger, sowie des Orchesters ermöglicht werde. -
Noch eine andere Auslassung sah ich mich veranlaßt in derselben
Schlußscene des zweiten Aktes zu bewerkstelligen, nämlich die der Stelle
von Seite 348 bis 356 der Partitur. Es geschah dieß aus ganz denselben
Gründen wie bei der soeben berührten Stelle, und war nur eine Konsequenz
der vorher nöthig gewordenen Auslassung; d. h. ich fühlte, daß das
Interesse für Tannhäuser in diesem Akte nun nicht mehr zu retten war.
Das Wesentliche dieser Stelle ist das sogleich vorherrschend werdende
Hinzutreten Elisabeth's und namentlich Tannhäuser's zu der bis dahin den
Hauptraum einnehmenden Umgebung, indem Elisabeth das nach Rom
hinweisende Thema der Männer in Weise eines brünstigen Gebetes für den
Geliebten aufnimmt, Tannhäuser aber in heftigen Ausrüfen thatendurstiger
Reue und Zerknirschung zu jenem Gesange sich er-geht, während die
übrigen Männer von Neuem sich zu Drohungen und Zornergießungen erhitzen.
Ob diese Stelle, die allerdings zur strengsten Konsequenz der Situation
gehört, für die zukünftigen Aufführungen beibehalten werden solle, dieß
will ich jedoch erst von dem Ausfall derselben in den Theaterproben
abhängig gemacht wissen; wenn sie schließlich nicht vollkommen gelingt,
d. h. wenn sie nicht auch durch die Lebhaftigkeit der Darstellung der
Umgebung eine wachsende Steigerung der Situation herbeiführt, oder wenn
namentlich der Sänger des Tannhäuser durch das Vorhergehende, und
besonders eben durch jene besprochene Stelle im Adagio, sich und sein
Organ zu stark angegriffen fühlen sollte, um diese noch mit vollster
Energie zu singen, so muß ich selbst dringend anrathen, hier die Kürzung
gelten zu lassen: denn nur durch die üppigste Kraft der Darstellung und
des Vortrages wäre hier die beabsichtigte Wirkung noch zu erzielen. Ich
muß mich für diesen Fall damit beruhigen, daß durch die ergreifende
Wirkung Tannhäuser's im Adagio die Hauptsache, die Hinleitung des
wichtigsten Interesses auf ihn, erreicht ist, und begnüge mich dann mit
der Wirkung, welche Tannhäuser vorzüglich durch den Moment seines
Abganges noch hervorzubringen hat. Auf diesen Moment wünschte ich die
Aufmerksamkeit des betreffenden Darstellers noch mit großem Nachdruck
gerichtet zu wissen. Die Män-ner, durch den Anblick des noch weilenden
Verhaßten von Neuem beleidigt und aufgereizt, sind im Begriff, ihren
Drohungen mit der Faust am Schwertgriffe Geltung zu geben; eine
ermahnende und schützende Gebärde Elisabeth's hält sie in dem durch sie
gewonnenen Geleise zurück: da plötzlich schallt aus dem Thale der Gesang
der jungen Pilger herauf, wie die Stimme der Versöhnung und Verheißung,
die nun, wie sie die Übrigen fesselt, auch Tannhäuser, aus dem Sturm
seiner wilden Reuewuth heraus, vernimmt. Ein jäher Strahl der Hoffnung
fällt wie ein Blitz vom Himmel in sein gemartertes Gemüth; Thränen des
unsäglichsten Wehes stürzen ihm aus den Augen; es reißt ihn mit
unwiderstehlicher Gewalt zu den Füßen Elisabeth's, zu der er den Blick
nicht aufzuschlagen wagt, aber deren Gewandessaum er mit heftiger
Inbrunst an seine Lippen drückt; hastig fährt er wieder auf, stößt den
Ruf: »nach Rom!« mit einem Ausdrucke, als ob in ihm alle jäh entzündete
Hoffnung eines neuen Lebens sich zusammendrängte, aus der Brust, und
stürzt mit rasend schnellem Schritte von der Bühne. Diese Aktion, die
mit der größten Schärfe im kürzesten Zeitraume ausgeführt werden muß,
ist von der entscheidendsten Wichtigkeit für den schließlichen Eindruck
des ganzen Aktes; und dieser Eindruck ist es, der unerläßlich nöthig
ist, um aus der Stimmung des Publikums den schwierigen dritten Akt
wie-derum nach seiner vollen Wirkung zu ermöglichen. -
Die große Instrumentaleinleitung zum dritten Akte erkläre ich in der
gekürzten Umarbeitung, nach welcher sie in der für die Theater
eingerichteten Partitur vorliegt, für giltig. Ich hatte mich bei der
ersten Abfassung dieses Stückes durch den von mir auszudrückenden
Gegenstand bis zu rezitativartigen Orchesterphrasen verleiten lassen,
von denen ich in der Aufführung fühlte, daß ihr Ausdruck wohl mir, der
ich das Phantasiebild des geschilderten Vorganges im Kopfe hatte, nicht
aber Anderen verständlich sein konnte. In der neuen Fassung muß ich
jedoch auf vollständige Ausführung dieses Tonstückes halten, da es mir
zur Befestigung der für das Folgende nöthigen Stimmung unerläßlich
dünkt.
Im Gebete der Elisabeth sah ich mich nach der ersten Vorstellung, aus
ähnlichen Rücksichten wie den zuvor angegebenen, genöthigt, eine
Auslassung vorzunehmen, und zwar die von Seite 396 bis 398 bezeichnete.
Daß hiermit die wichtigste Motivirung des Opfers und des Todes der
Elisabeth verloren ging, muß Jedem einleuchten, der Dichtung und Musik
hier genau prüft. Gewiß erfordert der Vortrag dieses vollständigen
Gebetes, wenn er das von aller musikalischen Figuration durchaus
entkleidete Tonstück nicht als eine gleichförmige Länge, sondern als
einen innig ergreifenden Erguß wirken lassen soll, einer Auffas-sung und
Hingebung an die Aufgabe, wie wir sie nur selten bei unseren verwöhnten
Opernsängerinnen antreffen dürften; hier läßt es sich mit der bloßen
musikalischen Ausbildung selbst des glücklichsten Gesangsorganes nicht
auskommen; durch keine Kunst des absolut musikalischen Vortrages wird
dieses Gebet interessant zu machen sein, sondern nur die Darstellerin
kann meiner Absicht genügen, welche die wunderbar schmerzliche Situation
der Elisabeth, vom ersten heftig erwachenden Keime ihrer Neigung zu
Tannhäuser, durch alle Phasen des Wachsthumes bis zum endlichen Erblühen
der todesduftigen Blume - wie sie in diesem Gebete aufgeht - mit den
feinsten Organen einer ächt weiblichen Empfindung nachzufühlen vermag.
Daß dann aber gerade die höchste Darstellungs- und namentlich auch
Gesangs kunst nur es möglich machen wird, diese Empfindung zur wirksamen
Mittheilung zu bringen, das werden die Sängerinnen erst gewahr werden,
die durch blendendste Künste es sonst wohl verstanden hatten, einen
empfindungslosen Haufen von Müssiggängern über ihre Langeweile zu
täuschen, vor der vorliegenden Aufgabe jedoch die Nutzlosigkeit und
Stümperhaftigkeit ihrer Gauklervortheile einsehen müssen. - Nur
anfängliche Unerfahrenheit meiner Dresdener Darstellerin war schuld, daß
ich mich zum Opfer der hier erwähnten Auslassung entschließen mußte; im
Verlaufe der weiteren Vorstellungen erhielt ich Grund, auf einen
glücklichen Ausfall des ganzen Gebetes hoffen zu dürfen, wenn ich es
wiederherstellen würde: eine andere Erfahrung hielt mich jedoch immer
davon ab, die ich, weil mir gerade hier das ganz am Orte dünkt, in Form
folgender Ermahnung an die Dirigenten und Darsteller meiner Oper
mittheilen muß. - Was wir für das charakteristische Gelingen einer
dramatischen Darstellung bei den ersten Aufführungen unterlassen, holt
sich nie bei den Wiederholungen nach. Der erste Eindruck der
Erscheinung, selbst wenn er ein fehlerhafter ist, setzt sich für das
Publikum wie für den Darsteller als etwas Gegebenes, Bestimmtes fest, an
dem jede Änderung, selbst zum Besseren, in der Folge immer als Störung
erscheint. Namentlich gewöhnen sich die Darsteller schnell daran, nach
einmal überstandener Sorge und Aufregung der ersten Aufführungen, ihre
Leistungen, wie sie sich nun einmal während dieses Gebärungsprozesses
festgestellt haben, für etwas Unumstößliches, Unberührbares anzusehen:
Schlaffheit und eintretende Gleichgiltigkeit thun endlich das Ihrige,
ein neues Befassen mit der so für gelöst gehaltenen Aufgabe unmöglich zu
machen. Deßhalb ersuche ich die Darsteller und Dirigenten, über Alles,
was ich ihnen hier zu beachten gebe, sich noch vor der ersten Aufführung
zu einigen; was sie zu leisten oder nicht zu leisten vermögen, muß sich
in den Theaterproben, wenn nicht schon eher, bestimmt herausstellen, und
ohne höchstes Notherforderniß möge man daher auch nicht sich zu
Auslassungen entscheiden, etwa mit der Vertröstung, in späteren
Aufführungen das Versäumte nachzuholen; denn dazu kommt es nicht. Ebenso
möge man aber auch durch ungenügenden Erfolg dieser oder jener Stelle in
der ersten Aufführung sich nicht sogleich veranlaßt fühlen, Auslassungen
vorzunehmen, sondern lieber Sorge tragen, daß der Erfolg in den nächsten
Vorstellungen nicht ausbleibe; denn wo ein organisch zusammenhängendes
Werk durch Ausscheidungen genießbar gemacht werden soll, giebt man sich
nur das Zeugniß der Unfähigkeit, und der hierdurch endlich scheinbar
ermöglichte Genuß ist jedenfalls nicht der Genuß des Werkes, wie es ist,
sondern einzig eine Selbsttäuschung, indem man das Werk für etwas
Anderes nimmt, als es ist.
Der eigentliche Triumph der Darstellerin der Elisabeth würde nun darin
bestehen, daß ste nicht nur das vollständige Gebet zur Wirkung brächte,
sondern diese Wirkung noch dahin festzuhalten wüßte, daß sie das ganze
pantomimische Nachspiel desselben unverkürzt durch ihre fesselnde
Darstellung ermöglichte. Ich weiß, daß dieß eine nicht minder schwierige
Aufgabe als der Gesangsvortrag des Gebetes selbst ist, und nur wenn die
Darstellerin der Wirkung dieses fei-erlichen Gebärdenspieles sich ganz
gewiß fühlt, will ich daher die vollständige Ausführung dieser Scene
gestattet wissen.
Was nun den veränderten Schluß der Oper betrifft, auf dessen
Beibehaltung ich streng dringe, so habe ich Diejenigen, die ihn - von
dem Eindrucke der Oper in der früheren Bearbeitung auf sie geleitet -
nicht billigen wollen, zunächst auf das zu verweisen, was ich soeben in
Bezug auf erste Vorstellungen und Wiederholungen sagte. Der
umgearbeitete Schluß verhält sich zu der ersten Abfassung wie die
Ausführung zur Skizze, und daß diese Ausführung noth that, empfand ich
dringend; daß ich sie noch bewerkstelligte, daraus kann aber Jeder
ersehen, daß ich nicht eigensinnig auf meinen ersten Entwürfen bestehe,
und daher, wenn ich auf die Ausführung von früher ausgelassenen Stellen
dringe, dieß nicht aus blinder Liebe zu meinen Werken geschieht. Bei der
ersten Abfassung hatte ich den Schluß schon vollkommen so im Sinne, wie
ich ihn in der zweiten Bearbeitung ausführte: nicht das Mindeste ist
hier in der Intention geändert, sondern diese ist nur eben deutlicher
verwirklicht. Ich baute aber zu sehr auf gewisse scenische Wirkungen,
die sich durch die Aufführung als unzureichend erwiesen: das bloße
Erglühen des Venusberges im fernsten Hintergrunde konnte den
beängstigenden, zur Entscheidung vorbereitenden Eindruck, den ich
beabsichtigte, nicht hervorbringen; noch minder vermochte die
Beleuchtung der Fenster der Wartburg mit dem fernen Grabgesange
(ebenfalls im allerweitesten Hintergrunde) den durch Elisabeth's Tod
eingetretenen entscheidenden Moment dem mit dem Gegenstande litterarisch
und künstlerisch unvertrauten, unbefangenen Zuschauer zur augenblicklich
deutlichen Kenntniß zu bringen. Die Erfahrungen hierüber waren für mich
so überzeugend peinlich, daß ich in dem Erfolge des Nichtverständnisses
dieser Situation meine dringende Veranlassung zur Umarbeitung der
Schlußscene finden mußte, die in nichts Anderem als darin zu bestehen
hatte, daß Venus selbst sichtbar und hörbar im annähernden Zauberspuke
erschien, und Tannhäuser schließlich an der Leiche der wirklichen, nicht
nur angedeuteten, Elisabeth sterbend niedersank. Wie nun der Erfolg
dieser Abänderung ein entschieden wirksamer auf das unbefangene Publikum
war, so begreife ich doch sehr wohl, daß demjenigen Kunstbetheiligten,
der sich mit der ersten Erscheinung bereits vertraut gemacht hatte - und
zwar dadurch, daß er vermöge genauer Kenntniß der Dichtung und der Musik
außerhalb der Darstellung die Anleitung zum Verständnisse der Situation
sich verschaffte -, diese Änderung störend erschien; ich begreife dieß
um so mehr, als die Darstellung des neuen Schlusses in Dresden nur sehr
mangelhaft bewerkstelligt werden konnte, da diese nur mit den aus dem
ersten Akte vorräthigen scenischen Mitteln, nicht aber durch nöthige
neue dekorative Herrichtungen auszuführen war, und da ferner (wie ich
bereits erwähnte) die Darstellung der Venus überhaupt zu den minder
gelungenen Partieen der dortigen Aufführung gehörte, somit das
Wiedererscheinen derselben an sich keinen vortheilhaften Eindruck machen
konnte. Ganz unhaltbar sind aber diese Gründe gegen die Giltigkeit des
neuen Schlusses, wenn es sich jetzt darum handelt, den Tannhäuser zum
ersten Male auf anderen Bühnen und bei ganz anderen Vorgängen
aufzuführen, und deßhalb kann ich ihnen nicht die mindeste
Berücksichtigung schenken.
Wenn ich mir hier die Besprechung dieser Schlußscene mit dem Regisseur
und namentlich dem Dekorationsmaler noch vorbehalte, so habe ich
zunächst noch dem musikalischen Dirigenten mitzutheilen, daß ich den in
der ersten Bearbeitung befindlichen Schlußgesang der jüngeren Pilger in
der zweiten Ausgabe auslassen zu müssen glaubte, weil er nach dem
Vorhergehenden leicht als eine Länge erscheinen kann, wenn er nicht
durch die reichsten Gesangskräfte einerseits, und durch eine ergreifende
Darstellung der Scene andererseits, an sich zu einer mächtigen Wirkung
gebracht werden kann. Der Gesang wird lediglich von Sopran- und
Altstimmen ausgeführt; diese müssen in großer Schönheit und numerischer
Stärke vorhanden sein, das Auftreten der Sänger muß so geschickt
bewerkstelligt werden, daß der Gesang, trotz des erst allmähligen
Auftretens des ganzen Chores, von Anfang an mit möglichster Fülle
eintritt, und endlich muß die Scene durch prachtvolles Erglühen des
Thales im Morgenrothe sehr wirkungsvoll hergerichtet werden können, wenn
der Dirigent sich veranlaßt fühlen soll, diesen vollständigen Schluß der
Oper ausführen zu lassen. Nur die größten und reichst ausgestatteten
Theater dürften jedoch über die nöthigen Mittel zu der bezeichneten
Wirkung verfügen können; diese aber würden meiner Absicht durch
Ermöglichung auch des Pilgergesanges, unter den angezeigten Bedingungen,
erst vollkommen entsprechen; denn allerdings schließt dieser Gesang mit
der Verkündigung des Wunders das Ganze, namentlich auch der Erzählung
Tannhäuser's von seinem Auftritte in Rom entsprechend, durchaus
befriedigend ab1.
Bevor ich mich nun in meinen Mittheilungen gänzlich vom musikalischen
Dirigenten abwende2, habe ich mit ihm noch einiges auf das Orchester
Bezügliche zu besprechen, und dieß betrifft zunächst den Vortrag der
Ouvertüre. - Das Thema, mit welchem dieses Tonstück beginnt, wird von
den vortragenden Blasinstrumenten sogleich richtig verstanden werden,
wenn der Dirigent darauf hält, daß von Allen auf dem richtigen
Melodieeinschnitte gleichmäßig zum Athmen abgesetzt wird; dieß trifft
jedesmal vor dem Auftakte zum guten Takt des Rhythmus, also zu dem
dritten, fünften, siebenten u. s. w. der Melodie. Nämlich so:
Um die hierdurch beabsichtigte Wirkung der Nachahmung eines auf Worten
gesungenen Chorvortrages zu gewinnen, bitte ich noch, im vierten und
zwölften Takte die Fagottstimmen dahin abzuändern, daß statt der
rhythmischen Note die Auflösung gesetzt werde. Wenn später die Posaunen
dasselbe Thema im Forte vortragen, gilt die bezeichnete Athemeintheilung
natürlich nicht, sondern um der nöthigen Stärke und Dauer des Tones
willen haben die Bläser so oft zu athmen, als sie dieß eben bedürfen. -
Die Fortissimostelle vom dritten Takte der Seite 5 bis zum zweiten Takte
der Seite 10 möge das begleitende Orchester (also alle Instrumente mit
Ausnahme der Posaunen, der Tuba und auch der Pauke) auf die Weise
vortragen, daß mit dem Niederschlage jedes Taktes ein volles Fortissimo
eintritt, das zweite und dritte Viertel jedoch mit abnehmender Stärke
gespielt wird. Also:
in gleichmäßiger Stärke. - Mit dem sechsten Takte der Seite 22 möge der
Dirigent die kurz zuvor etwas zu beschleunigende Bewegung um ein Weniges
zurückhalten, was jedoch keine auffallende Rückung des Zeitmaaßes
verursachen darf; die Stelle soll nur, wie durch den Vortrag selbst, so
auch durch das Zeitmaaß einen von den Früheren scharf abstechenden,
schmachtenden, ich möchte sagen: lechzenden Charakter im Ausdrucke
erhalten. Auf Seite 23, Takt 2, ist in der ersten Violine der Accent für
die erste Note hinwegzunehmen; ebenso soll auf Seite 24 im ersten Takte
das fp in allen Instrumenten zu einem einfachen p gemacht werden. Auf
Seite 25 ist das Zeitmaaß wieder etwas zu befeuern; nur hüte sich der
Dirigent, das mit Seite 26 eintretende Thema zu rasch spielen zu lassen:
bei allem Feuer, mit dem es vorgetragen werden muß, würde es durch ein
zu schnelles Tempo doch einen Charakter gewöhnlichen Leichtsinnes
gewinnen, den ich ihm durchaus fern wissen wollte. - Bei der Vertheilung
der Violinen in acht Partieen von Seite 34 an ist darauf zu sehen, daß
die sechs unteren Partieen gleichmäßig stark, die zwei oberen von Seite
35 an jedoch so besetzt seien, daß die zweite Partie stärker als die
erste ausfalle; für die erste kann selbst ein Vorspieler allein genügen,
während die zweite Partie zahlreicher als alle übrigen besetzt sein muß.
- Der Klarinettist irrt sich gewöhnlich über die Bindung im ersten Takte
der Seite 35, indem er die erste Note der Triole mit der voranstehenden
Dreivierteltaktnote verbindet: sie muß dagegen besonders angeschlagen
werden. Auf Seite 36 ist scharf darauf zu halten, daß die Klarinette vor
allen übrigen Instrumenten deutlich vernommen wird; namentlich darf auch
die erste Violinpartie sie nicht decken, und der Klarinettist muß sich
genau bewußt sein, daß er von dem ersten Eintritte auf dieser Seite an
bis zum fünften Takte der Seite 37 die hervorstechende Hauptpartie
übernimmt. - Eine ziemlich heftige Beschleunigung des Zeitmaaßes hat von
Seite 39 an stattzufinden, die erst mit dem fünften Takte auf Seite 41
abzunehmen und in das hier nöthige energische Tempo überzugehen hat. -
Vom dritten Takte der Seite 50 an halte der Dirigent auf eine
ununterbrochene Ausdauer der größten Stärke in allen Instrumenten; ein
Nachlassen in den nächsten acht Takten muß durchaus vermieden werden. -
Von größter Wichtigkeit für das Verständniß des ganzen Schlusses der
Ouvertüre ist es, daß von Seite 54 an die Violinen im äußersten Piano
spielen, so daß vor ihrer - gleichsam nur noch geflüsterten -
Wellenfigur das Thema der Blasinstrumente auf das Deutlichste vernommen
wird, welches von seinem Eintritte an, trotzdem es nicht eigentlich
stark gespielt werden darf, dennoch sogleich die Aufmerksamkeit des
Hörers mit Bestimmtheit fesseln muß. - Vom dritten Takte der Seite 66 an
hat der Dirigent das Zeitmaaß in regelmäßigem Fortschritte, aber mit
auffallender Wirkung, der Art zu beschleunigen, daß bei dem Eintritte
des Fortissimo auf Seite 68 die nöthige Steigerung der Bewegung gewonnen
ist, in welcher einzig das rhythmisch so stark vergrößerte Thema der
Posaunen, zur verständlichen Wahrnehmung in der Art gelangen kann, daß
die Noten derselben nicht als vereinzelte, unzusammenhängende Töne
erscheinen. - Ich habe endlich dem Dirigenten und dem Orchester wohl
nicht erst nöthig an das Herz zu legen, daß nur mit dem Aufwande der
äußersten Energie und Kraft die Wirkung des andauernden Fortissimo's in
der beabsichtigten Bedeutung erreicht werden kann. Die vier letzten
Takte sind, nach abermaliger Beschleunigung der sechs vorausgehenden,
bis zu einer feierlichen Breite des Zeitmaaßes zurückzuhalten. -
Über die »Tempi« des ganzen Werkes im Allgemeinen äußere ich mich hier
nur dahin, daß, wenn die beigefügten metronomischen Angaben den
Dirigenten und die Sänger allein über das Zeitmaaß aufklären sollen, es
um den Geist des Vorzutragenden jedenfalls sehr übel stehen muß; nur
dann werden Beide auch immer das richtige Zeitmaaß treffen, wenn das
Verständniß der dramatischen und musikalischen Situationen, durch eine
gewonnene lebhafte Sympathie mit denselben, sie das Zeitmaaß als etwas
sich ganz von selbst Verstehendes, ohne weiteres Suchen, finden läßt.
Was die Besetzung des Orchesters betrifft, so habe ich, da das Korps der
Blasinstrumente in dieser Oper die übliche Stärke guter deutscher
Orchester in nichts Wesentlichem überschreitet, nur auf Eines, und mir
allerdings sehr Wichtiges, aufmerksam zu machen: auf die erforderliche
nöthige Stärke der Streichinstrumente. Die deutschen Orchester sind
durchgängig zu schwach mit Streichinstrumenten besetzt, und über die
Gründe dieses Mangels an Feinfühligkeit für die wahrsten Bedürfnisse
eines guten Orchestervortrages ließe sich viel und für die Beurtheilung
deutscher Musikzustände Entscheidendes sagen, was hier aber gewiß zu
weit führen möchte. So viel ist sicher, daß die ihres Leichtsinnes wegen
bei uns so sehr verschrieenen Franzosen, ihre kleinsten Orchester besser
mit Streichinstrumenten besetzt halten, als wir dieß in Deutschland oft
bei ganz renommirten Orchestern antreffen. Ich habe nun bei der
In-strumentation des »Tannhäuser« mit so bestimmter Absicht ein
besonders stark besetztes Streichorchester im Auge gehabt, daß ich bei
allen Theatern durchweg auf eine Vermehrung der Streichinstrumente über
den gewöhnlichen Bestand dringen muß; und meine Forderungen hierfür
mögen einfach nach dem Maaßstabe bemessen werden, nach welchem ich
erkläre, daß ein Orchester, welches nicht mindestens vier gute
Bratschisten stellen kann, meine Musik nur verstümmelt zur Anhörung
bringen muß.
Für die Scene habe ich ungewohntere Anforderungen an die musikalische
Ausstattung gemacht. Wenn ich auf der möglichst genauen Beachtung meiner
Vorschriften in Bezug auf die Theatermusik bestehe, so berechtigt mich
dazu die Kenntniß des Umstandes, daß in allen bedeutenden Städten
Deutschlands stark und gut besetzte Musikkorps, namentlich dem Militär
angehörig, vorhanden sind, aus denen recht wohl das zum »Tannhäuser«
nöthige Theatermusikkorps kombinirt werden kann. Ich weiß ferner, daß
der Erfüllung meiner Forderung meist nur der, wie ich zugeben will,
leider oft sehr gerechtfertigte Sparsamkeitssinn der Theaterdirektionen
entgegen sein wird; den Direktionen muß ich aber sagen, daß sie sich von
der Aufführung meines »Tannhäuser« gar keinen Erfolg zu versprechen
haben, außer dann, wenn diese Vorstellung in jeder Hinsicht mit der
ausgewähltesten Sorgfalt vorbereitet wird, mit einer Sorgfalt, die
dieser Vorstellung den gewohnten Opernaufführungen gegenüber den
Charakter des Ungewöhnlichen giebt; und wie dieser Charakter durch die
Erscheinung des Ganzen nach allen Seiten hin sich zu rechtfertigen hat,
so muß dieß auch nach der Seite der äußeren Ausstattung hin geschehen,
für welche ich keinesweges Flitterprunk und blendende Gaukeleien,
sondern eben Verdrängung dieser schlechten Effektmittel durch eine
wirklich reiche und sinnig berechnete künstlerische Behandlung des
Ganzen wie des Details in Anspruch nehme.
Ich wende mich nun in Kürze noch an den Regisseur besonders, um ihm zu
Herzen zu führen, wie es aus der genauen Beachtung Dessen, was ich
bisher zunächst nur dem musikalischen Dirigenten mittheilte, sich selbst
einen Maaßstab für meine Anforderungen an den Charakter seiner
Mitwirksamkeit zu entnehmen habe. Alles auf die Darstellung Bezügliche
kann nur dann musikalischerseits gelingen, wenn die feinste Ausführung
des scenischen Details das Gelingen des dramatischen Ganzen überhaupt
ermöglicht. Die auf die Scene bezüglichen Bemerkungen in der Partitur,
auf die ich bereits zu Anfang den Regisseur mit Nachdruck hinwies, geben
ihm in den meisten Fällen genau meine Absicht zu verstehen; meine
umständlichen Andeutungen bei Gelegenheit der Besprechung einiger sonst
ausgelassenen Stellen können ihm klar machen, welches außerordentliche
Gewicht ich auf die bestimmteste Motivirung der Situationen durch die
dramatische Aktion lege, und aus ihnen möge ihm erhellen, von welchem
Werthe mir seine angelegentlichste Mitwirkung bei Anordnung auch der
leisesten scenischen Vorgänge ist. Ich ersuche daher den Regisseur
dringend, die leider üblich gewordenen Rücksichten gegen beliebte
Opernsänger, nach welchem diese fast nur mit dem musikalischen
Dirigenten zu verkehren hatten, durchaus fahren zu lassen. Glaubte man
bisher, mit Geringschätzung des Operngenre's überhaupt, einem Sänger
irgend welchen Unsinn in der Auffassung einer Situation durchgehen
lassen zu müssen, weil ein »Opernsänger nun einmal kein Schauspieler
sei, und weil man in die Oper nur gehe, um singen zu hören, nicht aber
auch 'spielen' zu sehen«, so erkläre ich, daß, bei Anwendung dieser
Nachsicht auch auf vorliegenden Fall, mein Werk schlechterdings verloren
sein muß. Das, was ich vom Darsteller verlange, wird allerdings nicht
durch bloßes Hineinreden auf ihn zu bewirken sein, und das ganze von mir
angegebene Verfahren beim Einstudiren, namentlich die Abhaltung von
Leseproben, zielt eben darauf hin, den Darsteller zum mitfühlenden und
mitwissenden, endlich aus seiner eigenen meine umständlichen Andeutungen
bei Gelegenheit der Besprechung einiger sonst ausgelassenen Stellen
können ihm klar machen, welches außerordentliche Gewicht ich auf die
bestimmteste Motivirung der Situationen durch die dramatische Aktion
lege, und aus ihnen möge ihm erhellen, von welchem Werthe mir seine
angelegentlichste Mitwirkung bei Anordnung auch der leisesten scenischen
Vorgänge ist. Ich ersuche daher den Regisseur dringend, die leider
üblich gewordenen Rücksichten gegen beliebte Opernsänger, nach welchem
diese fast nur mit dem musikalischen Dirigenten zu verkehren hatten,
durchaus fahren zu lassen. Glaubte man bisher, mit Geringschätzung des
Operngenre's überhaupt, einem Sänger irgend welchen Unsinn in der
Auffassung einer Situation durchgehen lassen zu müssen, weil ein
»Opernsänger nun einmal kein Schauspieler sei, und weil man in die Oper
nur gehe, um singen zu hören, nicht aber auch 'spielen' zu sehen«, so
erkläre ich, daß, bei Anwendung dieser Nachsicht auch auf vorliegenden
Fall, mein Werk schlechterdings verloren sein muß. Das, was ich vom
Darsteller verlange, wird allerdings nicht durch bloßes Hineinreden auf
ihn zu bewirken sein, und das ganze von mir angegebene Verfahren beim
Einstudiren, namentlich die Abhaltung von Leseproben, zielt eben darauf
hin, den Darsteller zum mitfühlenden und mitwissenden, endlich aus
seiner eigenen Überzeugung mitschaffenden Theilnehmer der Aufführung zu
machen: daß dieser Erfolg, bei der herrschenden Gewohnheit, nur aber
durch thätigste Mitwirkung des Regisseurs herbeigeführt werden kann, ist
ebenso gewiß.
So ersuche ich den scenischen Dirigenten, namentlich auch darauf zu
halten, daß die scenischen Vorgänge auf das Bestimmteste mit den sie
begleitenden Zügen des Orchesters zusammentreffen. Ost ist es mir
begegnet, daß ein scenischer Vorgang - eine Bewegung, ein bedeutsamer
Blick - dadurch der Aufmerksamkeit des Zuschauers verloren ging, daß er
entweder zu früh, oder zu spät, und jedenfalls nicht genau mit der, den
Zuschauer wiederum als Zuhörer bestimmenden, bezüglichen Stelle des
Orchesters im Tempo, oder auch in der Andauer übereinstimmte. Bei dieser
Unachtsamkeit schadet sich nicht nur der Darsteller für die Wirkung
seiner Aktion, sondern die betreffenden Züge des Orchesters verwirren
auch bei dieser Zusammenhangslosigkeit den Zuschauer der Art, daß er sie
für willkürliche Einfälle des Komponisten halten muß. Welche Reihe von
Mißverständnissen hieraus sich ergiebt, ist leicht einzusehen.
Ferner gebe ich dem Regisseur auf, darüber zu wachen, daß vom
darstellenden Personale die im »Tannhäuser« vorkommenden Aufzüge nicht
in der üblichen Marschmanier ausgeführt werden, wie sie in unseren
Opernvorstellungen so stereotyp geworden ist. Märsche in dem gewohnten
Sinne kommen in meinen letzten Opern gar nicht mehr vor, und wenn daher
der Einzug der Gäste in der Sängerhalle (Akt II Scene IV) so ausgeführt
wird, daß ein Chor- und Statistenpersonal paarweise aufmarschiert, den
beliebten Schlangenumzug auf der Bühne hält, dann aber in zwei
militärisch geordneten Reihen, in Erwartung der weiteren Operndinge,
sich den Koulissen entlang aufstellt, so bitte ich nur, daß man hierzu
auch irgend einen Marsch aus »Norma« oder »Belisar«, nicht aber meine
Musik im Orchester spielen lasse. Dagegen muß, wenn man für gut findet
meine Musik beizubehalten, der Einzug der Gäste in seiner Anordnung
durchaus dem wirklichen Leben, und zwar nach seinen edelsten und
freiesten Formen, nachgeahmt sein; fern sei jene peinliche
Regelmäßigkeit der sonst herkömmlichen Marschordnungen; je
mannigfaltiger und zwangloser die Gruppen der Eintretenden, als
gesonderte Familien- und Freundeskomplexe, vertheilt sind, desto
einnehmender wird die Wirkung des ganzen Einzuges sein. Jede der
anlangenden Ritter und Frauen werden vom Landgrafen und Elisabeth
freundlich und würdevoll begrüßt, wobei natürlich keine sichtbare
Nachahmung des Sprechens stattfinden darf, was unter allen Umständen in
einem musikalischen Drama streng verpönt zu sein hat. - Eine überaus
wichtige Aufgabe in diesem Sinne ist dann der ganze Verlauf des
Sängerkrieges, die zwanglose Gruppirung der Zuhörer, und namentlich die
Kundgebung ihrer wechselnden und wachsenden Theilnahme an dem
Hauptvorgange. Hier zeige sich der Regisseur in seiner vollen Kunst;
denn nur durch seine geistvollsten Anordnungen kann diese kombinirte
Scene zur rechten Wirkung gelangen.
Ähnlich hat er die Aufzüge der Pilger im ersten und dritten Akte zu
leiten: je freier und natürlicher hier die Gruppen wechselvoll vertheilt
sind, desto entsprechender wird meiner Absicht genügt. Über den Schluß
des ersten Aktes, wo (schon während der ganzen Scene, jedoch anfangs
unmerklich) die Bühne allmählich vom immer mehr sich verstärkenden
Jagdtrosse erfüllt wird, sowie vom Schlusse des dritten Aktes, wo ich
die Ausführung des Gesanges der jüngeren Pilger zum wesentlichen Theile
mit von den besonders geschickten Anordnungen der Scene abhängig
erklären mußte, glaube ich mich bereits zur Genüge geäußert zu haben.
Nur auf ein Wichtigstes habe ich schließlich den Regisseur noch
hinzuweisen: auf die Darstellung der ersten Scene der Oper, des - wenn
ich es so nennen darf - Tanzes im Venusberge. Daß es sich hier nicht um
einen Tanz, wie er in unseren Opern und Balleten üblich ist, handelt,
brauche ich wohl nicht erst zu bedeuten: der Balletmeister, dem man die
Zumuthung stellte, zu dieser Musik eine solche Tanzscene zu arrangiren,
würde uns bald eines Anderen belehren, und die Musik für durchaus
untauglich erklären. Was ich dagegen im Sinne habe, ist ein
Zusammenfassen alles Dessen, was irgend Tanz- und Pantomimenkunst zu
leisten vermag: ein verführerisch wildes und hinreißendes Chaos von
Gruppirungen und Bewegungen, vom weichsten Behagen, Schmachten und
Sehnen, bis zum trunkensten Ungestüm jauchzender Ausgelassenheit. Gewiß
ist die Aufgabe nicht leicht zu lösen, und die gewünschte chaotische
Wirkung hervorzubringen bedarf es ohne Zweifel der sorgfältigsten
künstlerischen Anordnung des feinsten Details. In der Partitur ist der
Verlauf dieser wilden scenischen Situation nach den wesentlichen Zügen
mit Bestimmtheit angegeben, und ich muß Denjenigen, der sich der
Herstellung dieser Scene unterzieht, dringend ersuchen, trotz aller
Freiheit der Erfindung, die ich ihm lasse, genau die angegebenen
Hauptmomente fest zu halten; ein öfteres Anhören der Musik, vom
Orchester vorgetragen, wird dem irgend Erfahrenen am besten die
Erfindungen zuführen, die er, um der Musik zu entsprechen, für die
Anordnung der Scene zu machen hat. -
Eben diese Scene setzt mich zunächst noch mit dem Dekorationsmaler in
Berührung, den ich hier durchgehends als mit dem Maschinisten vereint
mir vorstelle. Nur bei genauer Kenntniß des ganzen dichterischen
Gegenstandes, und nach einem sorgfältigen Vernehmen mit dem Regisseur,
und selbst dem Kapellmeister, über dessen Darstellung kann es dem
Dekorationsmaler und Maschinisten gelingen, die Bühne so herzurichten,
wie es erforderlich ist. Wie oft muß es dagegen, wenn dieses
Einverständniß versäumt ist, vorkommen, daß, nur der endlich nothwendig
gewordenen Benutzung des nach einseitiger Kenntniß des Gegenstandes
bestellten Werkes des Dekorationsmalers und Maschinisten zu lieb,
gewaltsame Entstellungen der eigentlichen Absicht vorgenommen werden
müssen!
Die Scene des Venusberges, die für ihre Konstruktion genau der bereits
hinter ihr aufgestellten Scene des Wartburgthales entsprechen muß (was
für die, beiden Scenen nöthigen Bergvorsprünge sehr gut stimmt), ist den
Hauptmomenten nach in der Partitur genügend angegeben. Schwierig ist
jedoch dann das Verhüllen der Scene in rosiges Gewölk, wodurch diese auf
einen engeren Raum zu beschränken ist: aller beabsichtigte Zauber würde
vernichtet werden, wenn dieß auf plumpe Weise durch Vorschieben und
Herabsenken einer massiven Wolkendekoration bewerkstelligt werden
sollte. In Dresden wurde die Verhüllung, nach sorgfältigen Proben, sehr
entsprechend und wirkungsvoll ausgeführt, durch allmähliches
Her-ablassen duftig gemalter Schleier, von denen mehrere nach und nach
hinter einander niedergesenkt wurden, so daß erst dann, als die Konture
der vorigen Scene ganz unkenntlich geworden waren, eine rosig gemalte
massive Leinwanddekoration hinter den Schleiern die Scene vollkommen
schloß. Eine genaue Berechnung des Tempo's, um der Übereinstimmung mit
der Musik willen, wurde beobachtet. - Die große Verwandlung geschieht
dann mit einem Male, indem, bei plötzlich eintretender Verfinsterung der
Bühne, die massive Wolkendekoration zunächst, und schnell darauf die
Schleier aufgezogen werden, worauf das sogleich lebhaft hervorbrechende
Licht die neue Scene, das Thal, mit heiterster Tageshelle beleuchtet.
Die Wirkung dieser Thaldekoration, die genau nach der Angabe der
Partitur herzustellen ist, muß nun so bewältigend frisch, heiter und
traulich sein, daß es dem Dichter und Musiker gestattet sein darf, die
Zuschauer eine geraume Weile ihrem Eindrucke zu überlassen.
Die Dekoration zum zweiten Akte, die Sängerhalle auf Wartburg
darstellend, war für Dresden von einem ausgezeichneten französischen
Künstler so vortrefflich hergestellt worden, daß ich jedem Theater nur
rathen kann, sich eine Zeichnung davon zu verschaffen, um nach ihr sie
anfertigen zu lassen. Auch die Einrichtung der Scene in Bezug auf die
Aufstellung der Sitzreihen der Zuhörer des Sängerkampfes, war dort so
glücklich getroffen, daß ich nur auf Benutzung der Angaben zu dringen
habe, die von dort her zu beziehen sein könnten.
Minder glücklich fiel in Dresden die Scene zum dritten Akte aus, weil
erst nach der Aufführung der Oper es klar wurde, daß für diesen Akt eine
besondere Dekoration hätte angefertigt werden müssen, wogegen ich zuvor
geglaubt hatte, wir würden mit der Benutzung der zweiten Hauptdekoration
des ersten Aktes hierfür ausreichen. Es erwies sich aber als unmöglich,
derselben Dekoration, welche zuvor auf die heiterste Wirkung als
Frühlingstagesstück berechnet war, durch noch so künstliche Anwendung
der Beleuchtung den, für den dritten Akt nöthigen, herbstabendlichen
Ausdruck zu geben. Vor allem war aber in ihr die zauberhafte Erscheinung
des Venusberges nicht wirksam darzustellen, so daß ich mich - wie
bereits erwähnt - für die zweite Bearbeitung damit begnügen mußte, die
Schleierdekoration des ersten Aktes, ziemlich unmotivirt, wieder
herabsinken zu lassen, wodurch die ganze Erscheinung der Venus viel zu
weit in den Vordergrund gerieth, und deßhalb die von fernher verlockende
Wirkung durchaus nicht hervorbrachte. Ich verpflichte daher die
Dekorationsmaler, denen jetzt die Herrichtung der Oper aufgetragen wird,
auf Beschaffung einer besonderen Dekoration für den dritten Akt zu
dringen, und diese dann so auszufüh-ren, daß sie die letzte Scene des
dritten Aktes im Tone des Herbstes und Abends gebe, mit genauer
Rücksichtnahme darauf, daß am Schlusse das Thal in glühende
Morgenrothbeleuchtung zu versetzen ist. - Für die spukhafte Erscheinung
des Venusberges möge dann ungefähr folgendes Verfahren stattfinden.
Zunächst sinken, an der in der Partitur angegebenen Stelle, bei stark
eingezogener Beleuchtung in der hinteren Hälfte der Bühne zwei Schleier
nach einander herab, so daß die Konture der Thaldekoration im
Hintergrunde völlig unkenntlich gemacht werden; sodann wird der, für
diese Scene transparent gemalte, ferne Venusberg in rosig glühende
Beleuchtung versetzt. Der erfinderische Sinn des Dekorationsmalers und
Maschinisten möge nun eine Herrichtung aufsuchen, durch welche die
Wirkung hervorgebracht wird, als ob der erglühende Venusberg sich nähere
und soweit ausdehne, daß er - als durchsichtig - tanzende Gestalten zu
fassen vermag, deren wirre Bewegungen dem Zuschauer deutlich werden
müssen; als die ganze hintere Bühne von dieser Erscheinung eingenommen
ist, wird dann Venus, auf einem Lager ausgestreckt, sichtbar. Die
Entfernung muß aber immer noch so weit erscheinen, als dieß irgend die
Größe wirklicher menschlicher Gestalten für die Täuschung erlaubt. Das
Verschwinden der Erscheinung wird dann durch schnelle Dämpfung und
endliches Verlöschen der, bis dahin immer lebhafter gewordenen, rosigen
Beleuchtung des Hintergrundes, somit durch momentan eintretende
gänzliche Nacht, während welcher der ganze zur Erscheinung des
Venusberges nöthige Apparat rasch zu entfernen ist, bewerkstelligt;
zunächst gewahrt man dann, beim Ertönen des Grabgesanges, durch die zwei
noch herabhängenden Schleier die Lichter und Fackeln des Leichenzuges,
der von der Höhe des Hintergrundes herabsteigt: langsam werden dann die
Schleier nach einander aufgezogen, und zugleich tritt überall allmählich
wachsende Beleuchtung des Tagesgrauens ein, welches schließlich - wie
bemerkt - in Morgenglühen überzugehen hat.
Der Dekorationsmaler möge nun einsehen, wie unendlich wichtig, ja einzig
ermöglichend, mir seine geistvollste Mitwirkung ist, und daß ich ihm
einen gewiß nicht wenig entscheidenden Antheil an dem Erfolge des
Ganzen, der nur durch augenblickliches klares Verständniß der
ungewöhnlichsten Situationen zu gewinnen ist, zuspreche. Nur aber ein
genaues, wirklich künstlerisches Eingehen seinerseits auf meine
innerlichsten Absichten kann diese Mitwirkung mir verschaffen.
Nach diesen ziemlich umständlichen Auseinandersetzungen wende ich mich
denn nun schließlich an die Darsteller im Besonderen. Nicht über das
Ein-zelne ihrer Leistungen kann ich mich jedoch mit ihnen zu besprechen
versuchen, denn um hierzu volle und geeignete Veranlassung zu gewinnen,
müßte ich nothwendig mit einem Jeden in persönlichen
Freundschaftsverkehr treten können. Ich muß mich daher auf Das
beschränkt halten, was ich über die nöthige Auffassung des Studiums im
Allgemeinen sagte, in der Hoffnung, daß auf dem bezeichneten Wege die
Darsteller ganz von selbst dazu gelangen, durch das Vertrautwerden mit
meinen Intentionen auch die Fähigkeit zu gewinnen, diesen Intentionen zu
entsprechen. In Allem, was ich zunächst an den musikalischen Dirigenten
richtete, sind aber bereits meine Forderungen an den Darsteller so stark
mit berührt worden, und namentlich fand ich bei der Besprechung
einzelner Stellen Gelegenheit, diese meine Forderungen so genau zu
motiviren, daß ich für die Darstellung im Allgemeinen nur noch darauf
aufmerksam zu machen hätte, wie ich meine Ansprüche in Bezug auf die
Auffassung jener einzelnen Stellen für jedes übrige Detail der
Darstellung gelten lassen muß. -
Doch halte ich für gut, über den Charakter der Hauptrollen mich noch
etwas näher zu äußern.
Die schwierigste Rolle ist unstreitig die des Tannhäuser selbst, und ich
muß eingestehen, daß sie überhaupt eine der schwierigsten Aufgaben für
die dramatische Darstellung sein dürfte. Als das mir Wesentlichste von
diesem Charakter bezeichne ich das stets unmittelbar thätige, bis zum
stärksten Maaße gesteigerte Erfülltsein von der Empfindung der
gegenwärtigen Situation, und den lebhaftesten Kontrast, der durch den
heftigen Wechsel der Situation sich in der Äußerung dieses Erfülltseins
zu erkennen giebt. Tannhäuser ist nie und nirgends etwas nur »ein
wenig«, sondern alles voll und ganz. Mit vollstem Entzücken hat er in
den Armen der Venus geschwelgt; mit dem bestimmtesten Gefühle von der
Nothwendigkeit seiner Losreißung von ihr zerbricht er, ohne im Mindesten
die Göttin der Liebe zu schmähen, die Bande, die ihn an sie fesselten.
Mit vollster Rückhaltslosigkeit giebt er sich dem überwältigenden
Eindrucke der wiederbetretenen heimischen Natur, der traulichen
Beschränktheit altgewohnter Empfindungen, endlich dem thränenreichen
Ausbruche eines kindlich religiösen Reuegefühles hin; der Ausruf:
»Allmächtiger, Dir sei Preis! groß sind die Wunder Deiner Gnade!« ist
der unwillkürliche Erguß einer Empfindung, die sein Herz bis auf die
innerste Wurzel mit unwiderstehlicher Gewalt einnimmt. So stark und
aufrichtig ist diese Empfindung und das gefühlte Bedürfniß der
Aussöhnung mit der Welt - doch der Welt im größesten und weitesten Sinne
-, daß er der Begegnung seiner früheren Genossen, und ihrer angebotenen
Versöhnung mit ihm, scheu und abstoßend ausweicht: nicht Rückkehr will
er, sondern Vordringen bis zu einem ebenso Großen und Erhabenen, als es
sein neu gewonnenes Gefühl von der Welt ist. Dieß Eine, Namenlose, was
jetzt einzig seiner Empfindung entsprechen kann, wird ihm dann plötzlich
mit dem Namen »Elisabeth« genannt: Vergangenheit und Zukunft strömt ihm
mit diesem Namen blitzesschnell wie in einen Feuerstrom zusammen, der,
während er die Liebe Elisabeth's zu ihm erfährt, zum leuchtenden Stern
eines neuen Lebens für ihn zusammenfließt. Ganz und gar von diesem nie
erfahrenen neuesten Eindrucke überwältigt, jauchzt er in wonnigster
Lebenslust auf, stürmt er der Geliebten entgegen. Wie ein ferner,
dumpfer Traum liegt alles Vergangene nur noch vor seiner Seele; kaum
weiß er sich seiner zu erinnern: nur Eines gewahrt er noch, ein reizend
holdes Weib, eine süße Jungfrau, die ihn liebt; und nur Eines erkennt er
in dieser Liebe, nur Eines erkennt er in ihrer Entgegnung, - brünstiges,
allverzehrendes Lebensfeuer. - Mit diesem Feuer, dieser Inbrunst, genoß
er einst die Liebe der Venus, und unwillkürlich muß er erfüllen, was er
ihr beim Abschiede frei gelobte: »gegen alle Welt fortan ihr muthiger
Streiter zu sein«. Diese Welt säumt nicht, ihn zum Streite
herauszufordern. In ihr, wo der Stolze an sich das Opfer vollbringt, was
die Schwäche von ihm fordert, findet der Mensch für sein Dasein nur
Berechtigung durch Aner-kennung der Nothwendigkeit einer unendlichen
Vermittelung seiner unwillkürlichen Empfindungen für ihre Kundgebung
durch den, alle Gestaltung beherrschenden Ausdruck der Sitte.
Tannhäuser, der nur des unmittelbarsten Ausdruckes seiner
aufrichtigsten, unwillkürlichsten Empfindungen mächtig ist, muß sich zu
dieser Welt im schroffsten Gegensatze finden, und seinem Gefühle muß
dieß so stark bewußt werden, daß er, um seiner Existenz willen, auf Tod
und Leben diesen seinen Gegensatz zu bekämpfen hat. Diese eine
Nothwendigkeit wird einzig nur noch von ihm empfunden, als es im
Sängerkriege zum offenen Kampfe kommt; um ihr zu genügen, vergißt er
Alles um sich her, jede Rücksicht läßt er fahren: und doch kämpft sein
Gefühl nur für seine Liebe zu Elisabeth, als er endlich hell und laut
sich als Ritter der Venus bekennt. Hier steht er auf der höchsten Höhe
seines lebensfreudigen Triebes, und nichts vermag ihn in der Erhabenheit
seiner Entzückung, mit der er einsam einer ganzen Welt trotzig
entgegensteht, zu erschüttern, als die einzige Erscheinung, die gerade
jetzt als gänzlich neu und nie noch wahrgenommen seine ganze Empfindung
urplötzlich einnimmt: das Weib, das sich aus Liebe für ihn opfert. - Aus
dem Übermaaße der Wonne, das er in Venus' Armen genoß, sehnte er sich
nach - Schmerz: diese tief menschliche Sehnsucht sollte ihn dem Weibe
zuführen, das nun mit ihm leidet, wogegen Venus sich nur mit ihm freute.
Sein Verlangen ist erfüllt, und fortan kann er nicht mehr leben ohne
ebenso überschwängliche Schmerzen, als zuvor seine Freuden
überschwänglich waren. Aber diese Schmerzen sind dennoch keine
gesuchten, willkürlich aufgenommenen; sondern mit unwiderstehlicher
Gewalt brachen ste durch das Mitgefühl in sein Herz ein, das nun mit der
ganzen Energie seines Wesens sie bis zur Selbstvernichtung nährt. Hier
nun äußert sich seine Liebe zu Elisabeth in dem ungeheuren Unterschiede
von seiner Liebe zu Venus: sie, deren Blick er nicht ertragen kann,
deren Wort ihm wie ein Schwert in die Brust dringt, sie muß er durch
furchtbarste Martern um die Marter ihrer Liebe zu ihm zu versöhnen
suchen, und wenn er diese Versöhnung im schmerzlichsten Todesaugenblicke
auch von Ferne nur ahnen dürfte. - Wo gäb' es nun ein Leiden, das er
nicht mit Luft ertrüge? Vor jener Welt, der er soeben noch als Todfeind
siegesjubelnd gegenüberstand, wirst er sich mit williger Inbrunst in den
Staub, um von ihren Füßen sich zertreten zu lassen. Nicht gleicht er so
den Pilgern, die um ihres eigenen Heiles willen sich gemächliche
Büßungen auferlegen: nur »um ihr die Thräne zu versüßen, die sie um den
Sünder geweint«, sucht er unter den schrecklichsten Qualen den Weg zu
seinem Heile, da dieses Heil in nichts Anderem bestehen kann, als jene
ihm geweinte Thräne versüßt zu wissen. Wir müssen ihm glauben, daß mit
solcher Inbrunst noch nie ein Pilger nach dem Heile verlangte; je
aufrichtiger und vollständiger aber seine Zerknirschung, sein Bußgefühl
und Heiligungsverlangen war, desto furchtbarer mußte ihn nun auch der
Ekel vor der Lüge und Herzlosigkeit übermannen, die sich ihm am Ziele
des Heilweges darstellten. Gerade bei der höchsten Wahrhaftigkeit seiner
Empfindung, die sich nicht auf ihn und sein besonderes Seelenheil,
sondern auf die Liebe zu einem anderen Wesen, somit auf dieß geliebte
Wesen selbst bezog, mußte endlich sein Haß gegen diese Welt, die aus
ihren Axen hätte gerathen müssen, wenn sie ihn und die Liebe
freisprechen wollte, in die hellsten Flammen aufschlagen, und diese
Flammen sind es, die als Gluthen der Verzweiflung sein Herz
durchbrennen. Als er von Rom wiederkehrt, ist es nur noch Grimm gegen
eine Welt, die ihm wegen der höchsten Aufrichtigkeit seiner Empfindungen
das Recht des Daseins abspricht; und nicht aus Sehnsucht nach Freude und
Luft sucht er wieder den Venusberg auf, sondern der Haß gegen jene Welt,
der er Hohn sprechen muß, die Verzweiflung treibt ihn dahin, um sich vor
dem Blicke seines »Engels« zu verbergen, dessen »Thräne zu versüßen« die
ganze Welt ihm nicht den Balsam bieten konnten. - So liebt er Elisabeth;
und diese Liebe ist es, die sie erwidert. Was die ganze sittliche Welt
nicht vermochte, das vermochte sie, indem sie der Welt zum Trotze den
Geliebten in ihr Gebet schloß, und in heiligem Wissen von der Kraft
ihres Todes, sterbend den Unseligen freisprach. Und sterbend dankt ihr
Tannhäuser für diese empfangene höchste Liebesgunst. An seiner Leiche
steht aber Keiner, der ihn nicht beneiden müßte; und Jeder, die ganze
Welt, Gott selbst - muß ihn selig sprechen. -
Ich erkläre nun, daß keinem, selbst nicht dem bedeutendsten Schauspieler
unserer und der vergangenen Zeiten, die Aufgabe einer vollkommenen
Darstellung des Tannhäuser, wie ich sie nach der voranstehenden
Charakteristik verlange, zu lösen gelingen kann, und antworte nun der
Frage, wie ich es für möglich halte, daß ein Opernsänger sie lösen
solle, einfach dahin, daß eben nur der Musik der Entwurf solch' einer
Aufgabe geboten werden durfte, und nur, eben durch die Musik, ein
dramatischer Sänger sie zu lösen im Stande sein kann. Wo der
Schauspieler in den Mitteln der Rezitation vergebens nach dem Ausdruck
suchen würde, der ihm einen solchen Charakter gelingen lassen sollte,
bietet sich dieser Ausdruck ganz von selbst in der Musik dem Sänger dar,
und von diesem verlange ich daher nur, daß er mit rückhaltsloser Wärme
auf die von mir ihm gebotene Aufgabe eingehe, um gewiß zu sein, daß er
sie auch lösen werde. - Nur muß ich namentlich vom Sänger des Tannhäuser
ein gänzliches Aufgeben und Vergessen seiner bisherigen Stellung als
Opernsänger verlangen; als solcher darf er gar nicht an die Möglichkeit
einer Lösung der gestellten Aufgabe denken. Besonders auf unseren
Tenorsängern haftet, vom Vortrage der gewöhnlichen Tenorpartieen her,
ein völliger Fluch, der sie uns gemeinhin nicht anders als unmännlich,
weichlich und vollständig energielos erscheinen läßt. Sie sind, unter
dem Einflusse und in Folge einer gewöhnlich geradezu verbrecherischen
Ausbildung ihres Stimmorganes, während der ganzen Dauer ihrer
theatralischen Laufbahn so ausschließlich daran gewöhnt, sich nur mit
den allerkleinlichsten Details der Gesangsmanier zu befassen und ihnen
einzig ihre Aufmerksamkeit zu widmen, daß sie auf der Bühne selten zu
etwas Anderem gelangen, als sich entweder zu sorgen, ob jenes G oder As
hübsch herauskommen werde, oder darüber sich zu freuen, daß das Gis oder
A gehörig »gesessen« hat. Neben diesen Sorgen und Freuden kennen sie
gewöhnlich nichts als Vergnügen am Putz, und das Bemühen, mit Putz und
Stimme zusammen nach Möglichkeit zu gefallen, vor Allem um einer höheren
Gage willen3. Ich gebe nun zu, daß ein bloßes Befassen mit einer
Aufgabe, wie die meines Tannhäuser's, schon hinreichen werde, den Sänger
über sich in Unruhe zu versetzen, und daß in Folge dieser Unruhe er sich
angelegen sein lassen werde, Verschiedenes in seiner Bühnengewohnheit zu
ändern; ich gehe sogar in meiner Voraussetzung so weit zu hoffen, daß,
wenn das Studium des Tannhäuser in der Weise geleitet wird, wie ich es
angegeben habe, eine Veränderung in den Gewohnheiten und Begriffen des
Sängers zu Gunsten der Aufgabe sich geltend machen werde, die ihn ganz
von selbst auf das Richtige und erforderliche hinleiten muß: nur dann
aber kann ich einen durchaus günstigen Erfolg seiner Bemühungen
erwarten, wenn diese Veränderungen zu einer vollständigen Revolution in
ihm und seiner bisherigen Auffassungs- und Darstellungsweise führt,
einer Revolution, bei welcher er sich bewußt wird, daß er für diese
Aufgabe etwas ganz und gar Anderes zu sein hat, als er sonst war, der
vollständige Gegensatz seines früheren Wesens. Er halte mir nicht
entgegen, daß ihm auch schon Aufgaben geboten worden seien, die an seine
Darstellungsgaben ungewöhnliche Anforderungen machten: ich kann ihm
nachweisen, daß er mit Dem, was er etwa bei den sogenannten dramatischen
Tenorpartieen der neueren Zeit sich aneignete, für den Tannhäuser ganz
sicher nicht auskommen würde, da ich ihm beweisen könnte, daß z. B. in
den Meyerbeer'schen Opern der von mir gerügte Charakter der modernen
Tenorsänger, bei der ganzen Anlage, für Mittel und Zweck mit höchster
Klugheit als unveränderlich berücksichtigt worden ist. Wer mir also, auf
seine bisherigen Erfolge in den genannten Opern gestützt, mit bloß
demselben Aufwande von Darstellungskunst, der dort genügte, um die Opern
allgemein aufgeführt und beliebt zu machen, den Tannhäuser darstellen
wollte, der würde gerade Das aus dieser Rolle machen, wovon sie das
volle Gegentheil ist. Er würde vor Allem im Tannhäuser nicht die Energie
seines Wesens begreifen, und ihn zu einem haltungslosen, hin und
herschwankenden, schwachen und unmännlichen Charakter machen, da für
einen oberflächlichen Hinblick die Verführung zu einer solchen falschen
Auffassungsweise, (die ihn dem »Robert der Teufel« etwa verwandt
erscheinen ließe) allerdings vorhanden sein dürfte. Nichts könnte aber
das ganze Drama unverständlicher machen und den Hauptcharakter mehr
entstellen, als wenn Tannhäuser schwach, oder gar ab und zu »gutmüthig«,
bürgerlich fromm, und höchstens als mit einigen lüderlichen Neigungen
behaftet, dargestellt würde. Dieß glaube ich mit der vorhergehenden
Charakterisirung seines Wesens dargethan zu haben; und da ich alles
Verständniß meines Werkes mir namentlich nur davon versprechen kann, daß
die Hauptrolle dieser Charakterisirung entsprechend aufgefaßt und
dargestellt werde, so möge der Sänger des Tannhäuser begreifen, welche
ungewöhnliche Anforderung ich an ihn stelle, zu welchem freudigen Danke
er mich aber auch verpflichten müsse, wenn er meine Absicht vollkommen
verwirklicht. Ich erkläre ihm unumwunden, daß eine durchaus glückliche
Darstellung des Tannhäuser das Höchste ist, was er in seiner Kunst
leisten kann. -
Nach dieser ausführlichen Besprechung mit dem Sänger des Tannhäuser habe
ich den Darstellern der übrigen Rollen wenig mehr zu sagen; denn alles
ihm Mitgetheilte betrifft in der Hauptsache sie Alle. Die schwierigsten
Aufgaben neben Tannhäuser fallen wohl den beiden Frauen, Venus und
Elisabeth, zu. Namentlich wird die Venus nur dann glücken, wenn bei
günstiger äußerer Disposition für diese Rolle, die Darstellerin vollen
Glauben an ihre Partie gewinnt, und dieser wird ihr dann kommen, wenn
sie es vermag, Venus in jeder ihrer Kundgebungen für vollkommen
berechtigt zu halten, für so berechtigt, daß sie nur dem Weibe weicht,
das aus Liebe sich opfert. Das Schwierige für die Elisabeth ist dagegen,
daß die Darstellerin den Eindruck der jugendlichsten und
jungfräulichsten Unbefangenheit macht, ohne zu verrathen, ein wie sehr
erfahrenes, seines weibliches Gefühl sie erst zur Lösung ihrer Aufgabe
fähig machen konnte. - Die übrigen Partieen der Männer sind minder
schwer, und selbst Wolfram, dessen Aufgabe ich durchaus nicht für
unbedingt leicht halten will, hat sich fast nur an die nächste Sympathie
des feinfühlenderen Theiles unseres Publikums zu wenden, um des Gewinnes
seiner Theilnahme sicher zu sein. Ihm hat die mindere Heftigkeit seines
unmittelbaren sinnlichen Lebenstriebes gestattet, die Eindrücke des
Lebens zum Gegenstande des sinnenden Gemüthes zu machen; er ist somit
vorzüglich Dichter und Künstler, wogegen Tannhäuser vor Allem Mensch
ist. Seine Stellung zu Elisabeth, die ihn ein schöner männlicher Stolz
so würdevoll ertragen läßt, wird nicht minder als sein endliches tiefes
Mitgefühl für den, von ihm allerdings nicht begriffenen Tannhäuser, ihn
zu einer der ansprechendsten Erscheinungen machen. Nur hüte sich der
Sänger dieser Partie, den Gesang sich so leicht vorzustellen, als es
oberflächlich den Anschein haben könnte: namentlich wird sein erster
Gesang im »Sängerkriege«, der die Entwickelungsgeschichte der ganzen
künstlerisch- menschlichen Lebensanschauung Wolfram's enthält, für den
Vortrag mit der feinfühligsten Sorgfalt und genauesten Erwägung des
dichterischen Gegenstandes von ihm durchdacht werden müssen, und der
größten Übung wird es bedürfen, das Organ zu dem nöthigen
mannigfaltigsten Ausdrucke zu stimmen, der einzig dem Stücke die
richtige Wirkung verschaffen kann. - Überhaupt möchte ich mich
schließlich noch ganz besonders von den »Darstellern« an die »Sänger«
wenden, wenn ich einerseits nicht zu ermüden fürchten müßte,
andererseits aber nicht annehmen dürfte, daß das bereits Gesagte
hinreichend sei, auch nach der Seite der Gesangskunst hin die Darsteller
über meine Wünsche aufzuklären. -
So will ich denn nun diese Mittheilung schließen, allerdings mit dem
traurigen Gefühle, nur sehr unvollkommen meinem Zwecke entsprochen zu
haben, nämlich: durch sie die mir verwehrte, und doch gerade von mir für
so nothwendig erachtete, mündliche und persönliche Mittheilung an alle
Betreffende zu ersetzen. Bei der tief von mir gefühlten Ungenügendheit
dieses von mir eingeschlagenen Ausweges, bleibt mir als Trost allein das
Vertrauen auf den guten Willen meiner künstlerischen Genossen übrig, auf
einen guten Willen, wie nie ein Künstler zur Ermöglichung seines
Kunstwerkes ihn mehr bedurfte, als ich in meiner gegenwärtigen Lage.
Mögen Alle, an die ich mich richtete, diese meine besondere Lage wohl
berücksichtigen, und namentlich auch der aus ihr nothwendig mir
erwachsenen Stimmung es beimessen, wenn ich hie und da mich vielleicht
zu besorgt, zu ängstlich oder wohl auch zu mistrauisch, streng und
scharf äußerte. - In Betracht der Ungewöhnlichkeit einer solchen
Mittheilung, wie der vorliegenden, muß ich mich wohl selbst auch darauf
gefaßt machen, daß sie von Vielen, an die sie gerichtet ist, gänzlich,
oder doch zum großen Theile, unbeachtet, vielleicht auch unverstanden
bleiben wird. Mit diesem Wissen kann ich daher sie nur für einen Versuch
ansehen, den ich in die Welt hinein werfe wie ein Loos, ungewiß ob es
gewinnt oder verliert. Wenn ich jedoch auch nur bei Wenigen und
Einzelnen vollkommen Das erreiche, was ich beabsichtige, so soll dieses
Gelungene mich für alles sonst Misglückte reichlich entschädigen; und
herzlich drücke ich den wackeren Künstlern im Voraus die Hand, die es
nicht verschmähten, mit mir sich näher und inniger zu befassen und zu
befreunden, als dieß für gewöhnlich in unserem heutigen
Kunstweltverkehre angetroffen wird.
[Sämtliche Schriften und Dichtungen: Fünfter Band, S.
212. Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und
Briefe, S. 2397
(vgl. Wagner-SuD Bd. 5, S. 123)]
Zitatende
|