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01. Mai 1874
1866 folgte Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen seinem Vater
auf 'dem Thron', da
dieser sich im deutsch-deutschen Krieg dieses Jahres auf die falsche
Seite gestellt hatte und nicht mehr weiter regieren durfte.
Herzog
Georg hatte die Vorliebe seines Vaters für die Künste übernommen und
verstärkte noch seinen Einfluss auf das Theater.
6000 Einwohner der Stadt Meiningen waren mit nur wenigen Vorstellungen
befriedigt, so dass der Herzog nach Möglichkeiten suchen musste, die
Kosten der Produktionen auf mehrere Veranstaltungen zu verteilen und
ging so mit seinen 'Meiningern' auf Tournee.
Am 1. Mai 1874 hob sich zum ersten Mal der Vorhang des
Friedrich-Wilhelmstädtischen, das spätere 'Deutsche Theater', für das
Ensemble aus der Thüringer Provinz, für Shakespeares 'Julius Cäsar'.
Regie, ein Ensemblespiel, Massenszenen - eine der großen Stärken der
'Meininger' - sowie die den Zeitgeschmack treffende detailgetreue
historisierende Ausstattung begeisterten die Berliner.
Der Durchbruch
war geschafft, die Tournee wurde um zwei auf sechs Wochen verlängert.
Insgesamt wurden 47 Vorstellungen gegeben. Bis 1887 folgten sieben
weitere Gastspiele. Die Berliner sahen 433 Aufführungen von 31
verschiedenen Inszenierungen. Schillers "Jungfrau von Orleans" (55
Vorstellungen) und "Julius Cäsar" (52) waren beim Publikum besonders
gefragt.
Berlin war das 'Tor nach Deutschland', Wien das 'Tor nach Europa'.
Auch nach der Auflösung des Deutschen Bundes blieb Wien das Zentrum des
deutschsprachigen Theaters. Auswärtige Ensembles - noch dazu aus der
deutschen Provinz - hatten beim Kaiser von Österreich kaum
Möglichkeiten, zu bestehen.
Die Meininger wagten dennoch den Schritt an die Donau und so wurde das
Wiener Gastspiel vom 25. September bis zum 31. Oktober1875 mit 'Julius
Cäsar', Schillers 'Fiesko' und Shakespeares 'Was ihr wollt' ein
großer Erfolg.
Es folgte eine 16-jährige Tourneetätigkeit mit 81 Gastspielen in 38
Städten Europas mit 2591 Aufführungen, darunter in London, Wien,
Stockholm, Moskau, Sankt Petersburg und Amsterdam.
Entscheidend für die Erfolge, die auf der Arbeit vor Ort vor dem ersten
Gastspiel von 1874 beruhten, war die konsequente Verfolgung
selbstauferlegter Regelungen.
Die Meininger Prinzipien
- Die Ideale der Kunst sind bei Theateraufführungen
historisch korrekt und so detailreich wie möglich
darzustellen.
- Die Theaterkunst soll zur Entwicklung des
Wertebewusstseins beitragen, auf eine stetige Kultivierung
des Menschen zielen und nicht vordergründig kommerziellen
Interessen dienen.
- Als reproduzierende Kultureinrichtung vollendet das
Theater die schöpferische Arbeit des Dramatikers. Diesem hat
der Darsteller zu dienen und das Virtuosentum ist zu
unterdrücken.
- Nur die dichterischen Urtexte sind maßgebend für die
Arbeit der Regisseure, Dramaturgen und Bühnenbildner. Der
Charakter des Stückes darf nicht verwischt werden.
- Zeitgemäßes Theater ist Regietheater, in dem der
Regisseur die Hauptverantwortung für die Aufführung trägt.
Er fasst das Literarische, Akustische und Visuelle zu einem
Gesamtkunstwerk zusammen.
- Alle am Theater beteiligten Künste werden bei den
Aufführungen durch einen einheitlichen Stil zusammengeführt.
Dieser Stil wird optisch durch die Ausstattung wie
Bühnenbild, Kostüme, Requisiten und Interieur augenfällig
gemacht.
- Ambitioniertes Theater basiert nicht auf der Leistung
eines Stars, sondern auf der des Ensembles. Rollenmonopole
sind abzulehnen, die Darsteller sollen universell einsetzbar
sein, auch für Statistenrollen.
- Einer Premiere geht eine intensive Probenphase
voraus, die so lange dauert, bis der sachlich
wirkungsvollste Ausdruck eines Stückes erreicht ist.
Rollentraining des Schauspielers und Ensembleproben bilden
hier die Grundlage.
- Massenszenen sollen ebenso individuell gestaltet und
präzise einstudiert werden wie Szenen mit einzelnen
Darstellern. Die Statisten sind in Gruppen aufzuteilen, die
von erfahrenen Schauspielern geführt werden.
- Beim Bühnenbild sind Symmetrie, Parallelität und
zentrale Perspektiven zu vermeiden. Mit der „Meininger
Kontrasttechnik“ wird eine umschlagende Stimmungslage
sichtbar gemacht, das „Meininger Zimmer“ sind praktikabel
eingerichtete Räume, und das „Meininger Braun“ mit seiner
warmen erdigen Tönung eignet sich besonders für
Bühnenbilder. Blasse Farben bei Dekorationen und Kostüme
sollen nur sehr dezent eingesetzt werden.
- Die Theaterfinanzierung ist die Pflicht der
Gesellschaft, künstlerischer und finanzieller Erfolg sind
ebenbürtig zu erreichen.
-
Das große Ideal der
Theaterkunst verlangt nach Würde und Festlichkeit und
schließt einen missionarischen Aspekt ein.
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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten
Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich
diese Besprechungen und Kommentare nicht als
Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach
meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und
Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
Grundgesetz, in Anspruch.
Dieter Hansing
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