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14. Oktober 1920
Mit Erwin Piscator begann eine Demontage der Klassiker, die von Herbert Ihring
als 'Klassikertod' bezeichnet wurde. Schon Piscator versuchte durch
Aktualisierung, z.B. Schillers 'Räuber' an das proletarische Publikum
der Volksbühne in Berlin heranzuführen.
Er nahm einen Wechsel in der Auslegung der Rollen vor, Spiegelberg war
nicht mehr der Bösewicht schlechthin, sondern der 'Held' einer neuen
Zeit, der sich nicht von eigenem Ehrgeiz oder Familientümelei
beeinflussen lässt, sondern als Mann des Verstandes in einer
Trotzki-Maske auftritt. Die Mitgliedschaft Piscators in der KPD wirkte
sich aus.
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Damals wurde auch der Leitung der Volksbühne klar, dass sich das
Piscator-Theater aus einer überparteilichen Position wegzubewegen drohte
- Piscator blieb nur, sein eigenes Theater am Nollendorfplatz
aufmachen, um derartigen Zwängen entgehen zu können. Doch schon 1928
meldete er allerdings Konkurs an, Nachfolgeprojekte scheiterten
ebenfalls 'mangels finanzieller Masse'.
Dies nun anders als heute, wo den Stücken irgendetwas übergestülpt wird,
was mit der Idee des Autors und seinem Werk nichts zu tun hat, oder
durch Weglassen von Rollen - siehe
Ostermeiers Schaubühne in Berlin, bei
der in 'Kabale' der Hofmarschall von Kalb dem Rotstift zum Opfer fällt
oder am Deutschen
Theater der Ferdinand kopfüber-kopfunter die Wände beklettert, um dem
Publikum durch zirzensische Mätzchen irgendetwas Außergewöhnliches zu
bieten. Schiller allein reicht denen nicht.
Die Leute im Zuschauerraum nehmen es in Unkenntnis der Werke hin und
juchzen vor Vergnügen.
Es wäre zu empfehlen, z.B. Wagners Urenkelin Subventionen zu
entziehen. So müsste sie sich ihr Publikum suchen, das sich dann
unter anderem Baumgartens 'Tannhäuser oder die Kläranlage in
Oberfranken' wie auch 'Lohengrin oder der Rattenfänger von
Bayreuth' auf eigene Kosten, ohne staatliche Unterstützung,
antut.
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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten
Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich
diese Besprechungen und Kommentare nicht als
Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach
meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes
und
Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
Grundgesetz,
in Anspruch.
Dieter Hansing
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