Kurz nachgefragt'Betrug
auch hier?'
Den Tristan zu dirigieren ist für einen
Kapellmeister wie die Teilnahme an Olympischen Spielen für einen
Sportler.
Im frisch renovierten Hildesheimer Theater, wo fleißige Handwerker noch
kurz vor der Vorstellung an Türen schraubten, fand dieses Ereignis vor
vollem Haus und einem bekannt wohlmeinenden Publikum statt.
Auch schwillt die Intendanten-Brust voll Stolz, dieses schwierige Werk
seinem Publikum in seinem Haus - wie auch anderenorts in
Regensburg
oder in
Landshut
oder in
Braunschweig
zu präsentieren, um ihm die Reise nach Bayreuth zu ersparen, wo die
Herrscherin: ‘Katharina, die Grobe‘ nur noch höchst zweifelhafte
Experimente auf die Festspielbühne bringt.
Ich selbst kenne das Stück sehr genau, da ich in verschiedenen
Inszenierungen großartigen Isolden als Brangäne zur Seite stand.
Deshalb drängte sich mir bei der Hildesheimer Inszenierung immer wieder
die Frage nach dem ‘Warum?‘ auf, die sich nur mit Tristans oft zitiertem
Satz
„Das kann ich dir nicht sagen!“
beantworten lässt.
Warum stehen Tristan und Isolde in ihrer Unterdeck-Kabine gleich am
Anfang des ersten Aktes heftig knutschend neben ihrem zerwühlten Bett.
Screenshot:
https://www.tfn-online.de/
© T. Behind - Photografics
Ist es demnach doch
schon zum Vollzug gekommen, die Sache ist in Hildesheim doch schon
gleich nach Aufgehen des Vorhangs gelaufen. Also kann man sich das
langwierige Stück von hier ab sparen.
Ein von mir darob befragter Wagner-Freund meinte mit väterlicher Güte:
„aber sie haben doch ein schlechtes
Gewissen!“
Wie goldig!
Warum reist Isolde über die kalte stürmische Irische See im
schulterfreien Brautkleid dessen Corsage unvorteilhaft schwappt?
„Das kann ich dir nicht sagen!“
Warum findet der zweite Akt - statt in einem Garten mit hohen Bäumen vor
dem Gemach Isoldes - in einer miesen Hafenkneipe statt?
Screenshot:
https://www.tfn-online.de/
© T. Behind – Photografics
Kommt demnächst
'Das Mädchen aus dem goldenen Westen‘, wo Minis Pub gebraucht, wird im
Theater Hildesheim?
„Das kann ich dir nicht sagen!“
Warum liegen im dritten Akt in Kareol in der Bretagne neben dreckigem
Strandgut und dem aus Brechts 'Mutter Courage' offensichtlich
übriggebliebenem Handkarren Leuchtbuchstaben herum, die keinen Sinn
ergeben?
„Das kann ich dir nicht sagen!“
Warum hüpft der junge Seemann während Tristans erschütternden
Fieber-Fantasien dauernd penetrant umher und führt sein sportlich
niedliches Körperchen vor?
„Das kann ich dir nicht sagen!“
Screenshot:
https://www.tfn-online.de/
© T. Behind - Photografics
Nun gut, das Stück geht zu Ende.
Das Publikum jubelt pflichtschuldigst, denn der tapfere Tenor hat
überlebt.
Die Isolde möchte ich demnächst mal als Rosalinde wiedersehen.
Der Dirigent gehört nun zu den Eingeweihten, der Intendant ist voll
Selbstgefühl.
Was will man noch?
„Das kann ich dir nicht sagen!“
Frage an die Allgemeinheit:
Wollen die Theater sich endgültig selbst abschaffen?
Kommentar aus dem Publikum:
„Das kann ich dir sagen!
Das wollen die zwar nicht, aber die sind auf dem besten Wege!“
Wie meinte ein
Oberbürgermeister einer mittleren Großstadt in Deutschland:
'Wenn
es einer Gemeinde finanziell schlechter geht, die Steuergelder nicht
mehr so fließen - wie bisher - dann muss bei den Theatern eben
eingespart werden. Und da fällt auch dann eine ganze Sparte weg oder das
Haus mit eigenem Ensemble wird geschlossen und auf Gastbetrieb
umgestellt.'
Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten
Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich
diese Besprechungen und Kommentare nicht als
Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach
meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und
Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
Grundgesetz, in Anspruch.
Dieter Hansing
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