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nachdem das Festival im Vorjahr wegen Covid 19
abgesagt werden musste. Man begann mit einer Neuinszenierung des
„Fliegenden Holländer“, und was vor allem im Vorfeld
kommentiert wurde, war die Tatsache, dass zum ersten Mal seit Gründung
der Festspiele im Jahre 1876 eine Frau am Pult des Bayreuther
Festspielorchesters stehen würde, als handelte es sich um eine andere
Spezies, die nun einmal die musikalische Leitung in die ungewohnten
Hände nehmen würde. Meines Erachtens wäre der Sache der langsam, aber
sicher und durchaus verdient, als Operndirigentinnen an großen Häusern
aufkommenden Damen besser geholfen gewesen, wenn dieser Umstand
unaufgeregter kolportiert worden wäre. Schließlich hebt auch die
Lufthansa nicht bei jedem Flug die Tatsache hervor, dass eine Frau am
Steuer sitzt, für einige Fluggäste immer noch eine Überraschung.
Oksana Lyniv, ehemalige GMD in
Graz, um es gleich vorwegzusagen, machte ihr Debut im nicht ganz leicht
zu beherrschenden „Mystischen Abgrund“ mit dem Bayreuther
Festspielorchester sehr gut, soweit man das auf der Basis eines
streams sagen kann. In jedem Falle stimmten die Tempi, wurden
dramatische Akzente passend und einnehmend gesetzt sowie die Sänger
stets gut geführt. Ein sicher beachtlicher Einstand!
Georg Zeppenfeld mit seiner
Mannschaft.
Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Aber es gab ja auch noch einen
Regisseur, und der heißt Dmitri Tscherniakov,
eine Weile mal für den neuen Bayreuther „Ring“ im Gespräch, der ja nun
2022 kommen soll und von Valentin Schwarz in der Rekordzeit von etwa
neun Monaten (!) mit allen vier Teilen schon fertiggestellt wurde! Und
was uns der gute Tscherniakov mit Unterstützung seiner Dramaturgin
Tatiana Werestchagina gestern Abend im stream
und im Festspielhaus servierte, hat relativ wenig, wenn überhaupt etwas
mit Wagners „Fliegendem Holländer“ zu tun, erst recht, wenn man die sehr
persönliche Genesis dieses Frühwerkes des Bayreuther Meisters und
Heinrich Heines Aufzeichnungen aus den Memoiren des Herrn von
Schnabelewopski bedenkt. Daraus ergibt sich gewissermaßen zwangsläufig
das Postulat, die im wahrsten Sinne des Wortes elementare Rolle der hier
ganz wesentlichen Elemente, nämlich Wind, Wellen und Meer, die zudem
klar hörbar aus Wagners Musik zu uns sprechen, auf irgendeine Weise
dramaturgisch einzubinden und nach Möglichkeit auch optisch umzusetzen.
Das ist zugegebenerweise nicht ganz leicht, wenn es überzeugend sein
soll.
Bedeutende Regisseure haben sich
dieser Aufgabe immer wieder mit Erfolg gestellt. Wenn man an die
Bedeutung des ihm so wichtigen Mythos in Wagners Oeuvre glaubt, bzw. sie
überhaupt zur Kenntnis nimmt und damit an den Komponisten glaubt, dann
sollte man sich dieser Aufgabe stellen, erst recht in Bayreuth. Dass
dies hier nicht geschehen würde, war schon an der Einblendung zu
erkennen, dass der Holländer nach sieben Jahren nun nach Hause
(eigentlich ja Holland!) kam, er also Einwohner des norwegischen
Sandvikes ist – was die der ganzen Oper zugrunde liegende Idee des vom
Teufel verfluchten und deshalb so unnahbaren und umherirrenden Ahasvers
der Meere auf den Kopf stellt! Also stattdessen schon der nette
Schwiegersohn von nebenan? Der Mikrokosmos des neuen Bayreuther
„Holländer“ war damit auch formell vorgezeichnet. Immerhin wiesen die
Kostüme von Elena Zaytseva darauf hin, dass sich
das Ganze in Norwegen zuträgt. Besonders schön die Norweger-Pullover der
Herren!
Natürlich ist es da viel leichter,
das Stück in die Plakativität des heutigen Alltags zu verlegen, ja
regelrecht in die Gegenwart zu zerren und es damit nahezu total gegen
Wagners Text und Musik zu inszenieren. Aber beides scheint für
Tscherniakov wohl keine Rolle bei seiner Interpretation des Holländer zu
spielen, der alle sieben Jahre an Land geht und das schon seit längerer
Zeit (300 Jahre?). Es geht gleich beim Vorspiel schon mal damit los,
dass ein Mann mit einer Frau gleich nach der ersten Umarmung – natürlich
bei Vollbekleidung – an einer Häuserwand kopuliert und diese sich zwei
Minuten später im ersten Stock eines Hauses wohl deswegen aufhängt. Sie
hatte offenbar ein Kind, der arme Knabe kommt fassungslos hinzu. Mit
etwas Phantasie könnte man das als einen der vorherigen Versuche des
Holländers deuten, ein treues Mädel zu seiner Erlösung zu gewinnen.
Seine großzügigen Worte im Finale der Oper lassen aber auf andere,
durchaus rücksichtsvollere Vorgehensweisen schließen, auch wenn die
Damen dabei immer ihr junges Leben ließen. Mit der Musik des Vorspiels
hatte das indes nichts zu tun. Wie gern würde man doch endlich mal
wieder ein Vorspiel ohne so aufdringliche Bebilderung erleben, um seine
ganze musikalische Größe und Besonderheit zu genießen. Nicht umsonst
sind es Stücke, die auch konzertant aufgeführt werden. Die
Augenbedeckung bei Langstreckenflügen der Lufthansa aus der business
class ist eine Option…
Dann geht es aber gleich hinein in
die auch nach der Döner-Bude der „Götterdämmerung“ von Frank Castorf
kaum noch überraschende Kneipe in Sandvike, in der sich Daland mit den
norwegischen Matrosen auf den immer beliebter werdenden Plastikstühlen,
die man in vielen Arztpraxen sieht, bereits beim Bier vergnügt und der
Holländer schon von Beginn an als stummer Gast mit am Tisch sitzt.
Krachend bricht der wackelige Campingtisch des Steuermanns bei dessen an
sich ohne Lärmbelästigung gut klingenden Lieds zusammen. Der Holländer
steckt sich eine Zigarette an, nachdem er den Wirt – der übrigens
verblüffend Frank Castorf gleicht – gebeten hat, den fünf Männern am
Tisch eine Runde Bier auf seine Kosten auszugeben, als Ersatz für das
(nur noch musikalisch wahrnehmbare) Eintreffen des Holländerschiffs.
Die Männer beäugen ihn während des
Monologs immer verwunderter, der Tisch des Steuermanns bricht erneut
krachend zusammen. Gegen Ende des Monologs verlangt der Holländer die
Rechnung und zahlt mit US$-Noten großzügig gleich im Anschluss. So geht
es munter weiter, wobei man sich wundern muss, in welchem Ausmaß Daland
und Holländer („…und meine Heimat find‘ ich nie…“) von Dingen
singen, die nicht im Entferntesten zu sehen, zu vermuten oder zu ahnen
sind. Der Text wird zur Farce, die Musik zur Begleitung ohne Bezug zum
Geschehen. Das erinnert mich durchaus an die Idee von Frank Castorf,
seinen „Ring“ „gegen die Musik zu inszenieren“ und so zu einem
ungewohnten Effekt zu kommen, um dann zu sehen, wie das Publikum damit
zurecht kommt. Dass dies nicht von Erfolg gekrönt war, abgesehen vom
singulären Dirigat von Kirill Petrenko und den zum Teil wirklich
genialen Bühnenbildern von Aleksander Denic, war nachhaltig zu erkennen.
Auch im 2. Akt darf nichts so sein,
wie es sein sollte oder wenigstens könnte. Nachdem ein paar Häuser des
biederen Sandviker Zentrums mit Kirche (bewegliches Einheitsbühnenbild
ebenfalls Dmitri Tscherniakov) etwas verschoben
worden sind, setzen sich die Mädchen auf stoffbespannten Campingstühlen
mit Notenbüchern um Mary herum und singen unter ihrer Anleitung ihr
berühmtes Lied. Nun kommt allerdings die starke Phase der Senta, die
Tscherniakov in der Tat beeindruckend als revoltierendes Mädchen
darstellt, das von der Idee des Holländers besessen ist und sich
eigentlich auch immer wieder emanzipatorisch gibt, obwohl das wiederum
mit den dramaturgisch vorgegebenen Unterwerfungsgesten gegenüber dem
Holländer unvereinbar erscheint. Wir erleben ein kleinbürgerliches
Abendessen des alternden Pärchens Daland und Mary mit dem Holländer und
Senta in einer Art Wintergarten. Es wird Suppe gereicht bei
Kerzenschein! Im Laufe des Essens wird allein Mary klar, dass das nicht
gut ausgehen kann. Sie wird den Holländer am Ende mit der Flinte
erschießen, nachdem der zuvor schon mit seiner Pistole die norwegischen
Matrosen vertrieben hat. Und da offenbart sich dann Senta mit einem
ekstatischen Gelächter. Es war wohl auch für sie von Anfang an eine
Null-Nummer, aber das konnte man bei der Ballade und den intensiven
Szenen mit Erik vorher noch nicht wissen…
John
Lundgren, Asmik Grigorian.
Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele
Die Bayreuth-Debutantin Asmik Grigorian, in
Salzburg eine großartige Salome und Chrysothemis, interpretierte die
Senta mit enormer Emphase und überzeugender Intensität in ihrer
Auseinandersetzung mit Erik und dem Holländer. Ihr kräftiger und zu
beeindruckender Attacke fähiger Sopran vermag alle Facetten der Rolle
auszuleuchten. Nur gegen Ende wurden verständlicherweise leichte
Ermüdungserscheinungen hörbar. Der Bayreuth-erfahrene John
Lundgren spielte einen souveränen Holländer mit kräftigem
Heldenbariton, weshalb ihm die Rolle auch mehr liegt als der Wotan. Sein
Monolog war – wenn man die konstruierten Störungen außer Acht lässt –
einer der Höhepunkte des Abends. Georg Zeppenfeld
war wie immer ein mit profundem Bass ausdrucksstark auftretender Daland.
Eric Cutler sang einen kraftvollen Erik, der auf
Potential im heldischen Fach hinweist. Marina Prudenskaya,
eine der besten Erdas der letzten Jahre, war eine gebieterische Mary mit
vollem Mezzo. Attilio Glaser sang den szenisch
arg behinderten Steuermann anmutig. Der von Eberhard
Friedrich geleitete Bayreuther Festspielchor,
dessen Sänger von außerhalb des Festspielhauses sangen, war wie immer
ein Glanzpunkt der Aufführung.
Im Musikalischen gibt es also wie so
oft in Bayreuth nichts auszusetzen. Was die Inszenierung angeht, so
reiht sie sich scheinbar nahtlos in die Serie von Wagner-Produktionen
ein, die seit kurzem an großen Häusern in einer ganz ähnlichen Ästhetik
daherkommen und zu erheblichen Teilen weitgehend von mythischen oder
wenigstens tiefergründigen und für das Wagnersche Oeuvre typischen
Facetten abstrahieren. Ich meine damit den Wiener „Parsifal“ von
Kirill Semjonowitsch Serebrennikow und die
Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ beim Festival d’Aix en
Provence Anfang Juli 2021 von Simon Stone. Gerade bei letzterer
finden sich, ähnlich wie in diesem neuen „Holländer“, nahezu groteske
Abweichungen von der Intention des Komponisten und zerren das Stück in
eine Realität die – zumal im 3. Aufzug – kaum noch nachvollziehbar ist.
Wenn das der Weg der künftigen
Wagner-Rezeption wird, möchte ich nicht dafür die Hand ins Feuer legen,
dass damit langfristig nachhaltiger Publikumszuspruch zu erreichen ist,
der bei aller erwünschten Freiheit der künstlerischen Interpretation
großer Werke der Opernliteratur ja auch eine gewisse und nicht
vernachlässigbare (auch wirtschaftliche) Größe im Überlebenskampf der
Kunstform Oper ist. Das gilt nun besonders nach der ihrem Ende
entgegengehenden Pandemie und den damit möglicherweise verbundenen
knapper werdenden Subventionen. Mit solchen Inszenierungen entfernt man
sich immer weiter vom Wagnerschen Gesamtkunstwerk, einer einstmals
bahnbrechenden Konzeption einer neuen Form des Musikdramas des
Komponisten. Man lässt seine Musikdramen und Opern dann immer mehr als
gefälliges – und manchmal auch relativ preisgünstiges – Theater mit
teilweise beliebiger musikalischer Begleitung erscheinen. Statt
Musiktheater also Theater mit Musik! Es ist zu hoffen, dass Text und
Musik irgendwann wieder die ihnen vom Schöpfer zugedachten und folglich
zustehenden Rollen in der Wagner-Rezeption erhalten werden. Das dann
auch zeitgemäß verständlich und überzeugend zu bringen, ist das Werk
wirklich großer Regisseure, die das Handwerk kennen, für die Musik
Verständnis aufbringen und nicht unbedingt immer gleich einen „großen“
Namen haben müssen. Götz Friedrich,
Harry Kupfer und andere haben
vorgemacht, wie das geht!
Klaus Billand
Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
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Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
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Dieter Hansing
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