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"Alles andere als gelassen war Festivalchefin Katharina Wagner als sie
am Dienstag die Bayreuther Festspiele absagen musste.
Die sollten dieses Jahr doch noch sensationeller eröffnen als sonst,
nämlich mit einem fast unbekannten 30 jährigen Regisseur, dem
Österreicher Valentin Schwarz, der gleich mal Wagners ganzen 'Ring'
inszenieren sollte. Immerhin vier abendfüllende Werke - 16 Stunden Oper.
Die Absage ist nun nicht nur ein herber Schlag für ihn und die
Welt-Wagner-Seele auch ein Desaster weit über diese Spielzeit hinaus.
Einschätzungen vom Musikjournalisten Axel Brüggemann und dem
Vorsitzenden der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, Georg Freiherr
von Waldenfels.
Bis zum Schluss hoffte man, dass die Bayreuther Festspiele doch noch
stattfinden werden, gerade in dem Jahr, in dem ein neuer 'Ring'
entstehen sollte.
Aber Bayreuth verstummt aus gutem Grund.
Axel Brüggemann:
„Bayreuth beginnt ja nicht am 25. Juli, wenn die Kanzlerin kommt.
Bayreuth beginnt jetzt, vor allem wenn der Ring des Nibelungen auf dem
Programm steht das sind vier Abende, die inszeniert werden müssen, die
geprobt werden müssen.
Jetzt müssten die Sänger aus Amerika aus Asien nach Bayreuth einfliegen,
das Orchester muss zusammensitzen und proben.
All das ist unter den aktuellen Bedingungen natürlich absolut unmöglich
und deshalb ist der Zeitplan einfach nicht einzuhalten bis zum 25. Juli
so etwas wie den 'Ring ' zu stemmen.“
Der Musikjournalist Axel Brüggemann kennt die heiligen Wagnerhallen, in
denen das Publikum dicht an dicht sitzt und das Orchester im tiefsten
und engsten Orchestergraben der Welt musiziert.
Der mystische Abgrund, der nach unten geht.
Wo 120 Musiker eng gedrängt aufeinander sitzen, also wo die Rotze aus
den Hörnern spritzt. Also, ich glaube, das alleine ist schon unglaublich
gefährlich, geschweige denn vom Publikum. 1200 Leute passen ins
Bayreuther Festspielhaus 1200 Leute, davon würde ich sagen sind 50% mit
Sicherheit über 70 Jahre alt, man stellt sich vor, da husten zwei Leute
in der Premiere, oder in der Götterdämmerung 6 Stunden lang.
Da haben wir dann zwei Wochen später die Nachricht, dass die Hälfte der
Wagnerianer aus der Welt ausgestorben sind.
Also das kann kein Politiker, das kann kein Intendant, das kann niemand
verantworten.“
Mit der ersten Absage der Festspiele seit 1951 ist auch ein Funken
Hoffnung zunichte gemacht, auf baldige Normalität im Kulturbetrieb.
Georg Freiherr von Waldenfels
„Der größte Verlust ist natürlich für einen Wagnerianer, da wird er die
neue Inszenierung des Ringes nicht erleben können in diesem Jahr auf die
sich ja viele gefreut haben
Und das gilt ja für das für das Drum-Herum in Bayreuth und für alle
anderen Aufführungen natürlich im gleichen Maße.
Aber es ist hinnehmbar, denk ich, wenn wir unter dem Gesichtspunkt von
Corona und dass hier in diesem Land und vor allem weltweit Leute eben
betroffen sind durch diese entsetzliche Viruskrankheit da wirkt jeder
andere Schaden, wenn wir den relativiert, nicht ganz so dramatisch.“
Der grüne Hügel verwaist wieso viele andere Spielstätten.
In der Not suchen Veranstalter und Künstler neue Wege. Sie streamen im
Netz, aber das ist kein Allheilmittel.
Axel Brüggemann:
„Man pilgert nach Bayreuth. Das dort Hingehen ist an sich schon Akt der
Oper, das Essen der Festspiel-Wurst gehört dazu, das Leiden, in dem man
eng sitzt in diesem Opernhaus, nicht wie auf dem Wohnzimmersessel. Das
alles kann man natürlich nicht virtuell imitieren.
Für viele Solisten macht das Engagement in Bayreuth den Großteil ihres
Jahreseinkommens aus. Das bricht nun Weg, für nicht wenige
existenzbedrohend.
Georg Freiherr von Waldenfels
„Wenn da dringend Hilfe notwendig ist, wird es auch entsprechend
formuliert werden und an die Gesellschafter auch herangetragen werden.
Das steht außer Frage, da hab ich eigentlich auch den Eindruck, dass die
Fürsorge für die Solisten und für die Künstler gerade der
Festspielleitung sehr deutlich gespürt wird.“
Axel Brüggemann:
„Ich glaube, dass wir nach Corona tatsächlich über komplett neue Wege
nachdenken werden und müssen, wie wir unsere Kunst und vor allen Dingen
unsere freien Künstler finanzieren und das bedingungslose Grundeinkommen
ist mit Sicherheit eine diskussionswürdige Alternative.“
Längst sind die Bayreuther Festspiele kein Familienunternehmen mehr.
Durch den diesjährigen Totalausfall werden sie auf weitere Staatshilfen
angewiesen sein. So einfach verschieben lassen sie sich nicht, zum einen
wegen der fehlenden Heizung im Festspielhaus, aber auch wegen
anderweitiger Verpflichtungen ihrer Stars.
Axel Brüggemann:
„Kulturbetriebe sind nicht nur nice-to-have.
Da ist nicht nur die Frage, ja findet die Oper statt, findet die Oper
nicht statt.
Bayreuth gerade in der Region wie Franken wird erleben, dass dieser
Sommer fatal für die Wirtschaft der Stadt sein wird und wir sollten uns
bewusst werden:
Kultur ist nicht nur Schönklang, sondern Kultur ist inzwischen auch ein
ganz erheblicher Wirtschaftsfaktor und wenn wir das mitnehmen aus der
Krise haben wir schon wieder viel gelernt.“
Die Absage der Bayreuther Festspiele bringt die anderen großen Festivals
unter Zugzwang.
Auch Sie werden wohl absagen müssen, mit für alle noch nicht absehbaren
Folgen."
Umschrift einer Mitteilung in Kulturzeit von 3sat am 3. April 2020
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Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten
Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich
diese Besprechungen und Kommentare nicht als
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meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und
Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
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in Anspruch.
Dieter Hansing
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