Problematisch
bei jeder
Inszenierung,
wenn das
Publikum das
Stück nicht
kennt, den Text
nicht
beherrscht. So
jedenfalls zu
beobachten im
'Resi' in
München, dem
Bayerischen
Staatsschauspiel.
Es vereinfacht
natürlich die
Inszenierung,
wenn kaum einer
weiß, was
geboten werden
soll.
In München endet
das Stück mit
der Order des
Gerichtsrats
Walter:
Geschwind,
Herr Schreiber,
fort! Holt ihn
zurück!
(besonders
interessant -
und dies hier
nur beispielhaft
- der Drücker
auf dem
'zurüeck').
Die
nachfolgenden
Passagen sind
gestrichen:
Daß er nicht
Übel rettend
ärger mache.
Von seinem Amt
zwar ist er
suspendiert,
Und Euch bestell
ich, bis auf
weitere
Verfügung, hier
im Ort es zu
verwalten;
Doch sind die
Kassen richtig,
wie ich hoffe,
Zur Desertion
ihn zwingen will
ich nicht.
Fort! Tut mir
den Gefallen,
holt ihn wieder!
Licht ab.
Letzter
Auftritt
Die Vorigen ohne
Licht.
Frau
Marthe
Sagt doch,
gestrenger Herr,
wo find ich auch
Den Sitz in
Utrecht der
Regierung?
Walter
Weshalb, Frau
Marthe?
Frau
Marthe
empfindlich.
Hm! Weshalb? Ich
weiß nicht -
Soll hier dem
Kruge nicht sein
Recht geschehn?
Walter
Verzeiht mir!
Allerdings. Am
großen Markt,
Am Dienstag ist
und Freitag
Session.
Frau
Marthe
Gut! Auf die
Woche stell ich
dort mich ein.
Alle ab.
Ende
|
Es stellt sich
die Frage, warum
die Regisseurin,
die Dramaturgin,
der
geschäftsführende
Herr Direktor
oder gar Herr
Dorn den
Dorfrichter hier
schon, ohne
weitere
Begründung durch
den Gerichtsrat,
zurückholen
lässt.
Weil er alle so
schön am Text
entlang foppte
oder zum
Applaus?
Da die
Aufklärung
fehlt, das
Publikum keine
Ahnung hat -
fällt eben der
Vorhang und alle
Fragen offen.
Der
entscheidende
Endpunkt,
nämlich die von
Walter
zugelassene und
im Hinblick auf
die Örtlichkeit
und den
Zeitpunkt für
die mögliche
Fortführung des
Prozesses wegen
nicht erfolgter
Verurteilung des
Richters durch
das Dorfgericht
in Huisum,
entfällt.
Warum ?
Fiel der
Regisseurin
nichts mehr ein
- hatte sie
keine Zeit mehr
diese Zeilen
umzusetzen -
allein das
Durcheinander
beim Applaus
(eine Ordnung
gab es nicht,
alles wuselte
durcheinander)
lässt auf eines
der beiden
schließen.
Das Stück spielt
auf in die
Bühnen
eingelassenen
Bodenwellen -
vor Gericht und
auf See ist man
in Gottes Hand -
oder sollte es
in Verbindung zu
schneebedeckten
Ackerfurchen
beim 2. Aufzug
der Herzog'schen
Lohengrin-Inszenierung
gesehen werden?
Das Stück
beginnt mit
Schneegestöber,
in dem eine
männliche Figur
mit dem Rücken
zum Publikum
steht. Mit einer
weißen Masse ist
die Bühne
bedeckt, vom
Boden reichen
'Strippen' in
den Schnürboden,
Seiten und
Rückteil des
Bühnenraumes
sind mit
Plastikfolie
ausgehängt.
Eigentlich ist
hier schon alles
gesagt.
Dorfrichter Adam
musste "in den
Fichten
übernachten" -
vereinsamt lässt
er sich in Hemd
und Hose in das
Weiße sinken.
Der Vorhang
fällt.
Öffnet er sich
wieder, dann ist
aus dem
Bühnenboden eine
Fläche
herausgehoben.
Diese schwebt,
mit einer weißen
Masse bedeckt,
über der Szene.
Frei geworden
durch diese
Strippenzieherei
sind die schon
erwähnten
Ackerfurchen auf
denen ein mit
gelber Folie
bezogener Sessel
steht.
Da, Gerichtssaal
in Huisum.
|
Herausragend aus
dem Ensemble -
die Marthe Rull.
Was geifert Sie?
Nun ja, Frau
Marthe kam, und
geiferte, ...
Wie die
Darstellerin den
Abend mit dieser
Lautmalerei
durchhält, ist
phänomenal. Es
ist so auch dem
weniger
Kenntnisreichen
im Publikum
klar, dass es am
Vorabend der
Gerichtsverhandlung
ganz
offensichtlich
langanhaltend
laut im Zimmer
der Tochter Eve
zugegangen sein
muss, denn die
Stimme der Frau
Rull ist
derartig
angeschlagen,
oder es muss
eine
grassierende
Grippe dem Übel
zugrunde liegen.
Es wird sich
doch nicht um
mangelnde
Sprechtechnik
handeln?
Dass man den von
ihr
vorgetragenen
Kleist'schen
Text selten
versteht, hängt
natürlich mit
dem Pips im
Rachen zusammen,
den sie - statt
des Adam'schen
Perlhuhns - hat.
Kann da
überhaupt noch
ein Nudeln
helfen?
Wird davon
ausgegangen,
dass Töchter wie
die Mütter
werden, müsste
man dem Ruprecht
wünschen, er
bekäme die Eve
nicht.
Wie Frau Marthe
aufdreht und
einen derartigen
Besen als
Schwiegermutter,
eine alt
gewordene
Soubrette, ein
Reff - die
Götter mögen ihn
vor ihr bewahren
- darstellt,
ganz großartig
!!!
|
Eve, diese
Tochter, stellt
ihr Talent
besonders in der
aufklärenden
Rede über das
Eindringen des
Dorfrichters
Adam laut und
deutlich heraus,
mal nach vorne,
mal nach hinten
sich
präsentierend.
Mag sein, sie
hat sich doch an
bestimmter
Stelle verkühlt
als sie am Boden
sitzend, sich
den Schoß immer
wieder mit
'Schnee'
bedeckte. Oder
denkt sie an den
Ruprecht und
versucht, die
Wallungen
zurückzudrängen.
Sie hätte sich
das die Bühne
deckende Weiße,
die ganze
Unschuld
dokumentierend,
ja, wie hätte
sie das sonst
nutzen sollen.
Mit erhobener
Stimme trumpft
sie auf, die
Vorgänge in
ihrer Kammer
schildernd.
Erstaunlich, wie
man mit so wenig
so groß
rauskommen kann.
Solcher Art
innere Bewegung,
lässt die Qual
kaum erkennen,
zwischen Muter,
Richter und
Verlobtem zu
stehen.
|
Dem Schreiber
Licht -
hellhäutig,
blondhaarig,
ohne Arg,
niemand glaubt
ihm, dass er
hinterlistig
nach dem Posten
des Dorfrichters
gieren könnte
oder andere
Fehlleistungen
abzuleiten wären
Es ließe
Von Depositionen
sich und Zinsen
Zuletzt auch
eine Rede
ausarbeiten:
Wer wollte
solche Perioden
drehn?
Ein eifriger
Gerichtsbote
sagt seinen Text
auf - präzise,
an der richtigen
Stelle. Am Ende
sitzt er in dem
für ihn viel zu
großen
Richter-Sessel
und wird
eingeschneit. Er
merkt's wohl
kaum wie die
Kälte in ihm
hochsteigt und
ihn erstarrt.
Von Teuflischem
nicht eine Spur
- a nett's
Manderl halt.
|
Der Dorfrichter
kann es mit
jedem aufnehmen
- ob nun mit dem
Sohn des Bauern,
mit dem Tümpel
selber oder mit
dem Revisor, der
Klägerin Rull,
deren Tochter
Eve, dem
Schreiber - egal
wer, Adam behält
mit
wohlgeführter
Rede die Fäden
ist der Hand.
Die Wunde heut
und gestern die
Perücke.
Ich trug sie
weiß gepudert
auf dem Kopfe,
Und nahm sie mit
dem Hut, auf
Ehre, bloß,
Als ich ins Haus
trat, aus
Versehen ab.
Die Mägde
herrscht er an,
scheucht er
Scher dich
zum Satan, wo du
hingehörst!
In die
Registratur!
Wären es nicht
die
unglücklichen
Umstände, die
Wunden, die
verlorene
Perücke, mit
schneller
Sprache gibt er
deutlich vor,
wie die Sache zu
behandeln ist,
Geh, Margarete!
Gevatter
Küster soll mir
seine borgen;
In meine
hätt die Katze
heute morgen
Gejungt,
das Schwein! Sie
läge eingesäuet
Mir
unterm Bette da,
ich weiß nun
schon.
Alle seine
Bedenken -
Mir ahndet heut
nichts Guts,
Gevatter Licht.
aus dem eigenen
Traum in der
Nacht -
- Mir
träumt', es hätt
ein Kläger mich
ergriffen
Und schleppte
vor den
Richtstuhl mich;
und ich,
Ich säße
gleichwohl auf
dem Richtstuhl
dort,
Und schält' und
hunzt' und
schlingelte mich
herunter,
Und judiziert'
den Hals ins
Eisen mir.
Geradezu
jubelnd, alles
überspielend,
begrüßt er den
frierend
eintretenden
Gerichtsrat
Ei,
willkommen!
Willkommen,
gnäd'ger Herr,
in unserm
Huisum!
Wer konnte, du
gerechter Gott,
wer konnte
So freudigen
Besuches sich
gewärt'gen.
Kein Traum, der
heute früh Glock
achte noch
Zu solchem
Glücke sich
versteigen
durfte.
So
geht es fort und
fort und endlich
- ohne dass dem
Publikum klar
wird: jetzt hat
er's gemerkt,
die Schlinge um
den Hals zieht
sich zu - doch
mit einem
lapidar
dahingesprochenen
Verzeiht, Ihr
Herrn.
geht er durch
die Mitte, ohne
dass sich
Ruprecht ihn
noch schlagend
auf ihn stürzen
könnte, ab.
Warum dies?
Der Text:
Ruprecht schlägt
den Mantel.
Ratz! Das ist
eins. Und Ratz!
Und Ratz! Noch
eins.
Und noch eins!
In Ermangelung
des Buckels.
ist gestrichen.
|
Ganz entzückend,
die
blond-gelockten
Mägde, so stellt
man sie sich
vor, wie sie
melkend unter
einer Kuh hocken
und an deren
Zitzen oder,
wenn nicht
Euter, sonst
zeitweise
Herabhängendem
zutzeln.
Eigentlich soll
der Text nur von
einer gesprochen
werden, aber der
Frau Regisseurin
gefiel es
besser, wenn
beide anstimmen
Hier bin ich,
Herr Dorfrichter
-
Oder wie sie
polternd über
die
ackergefurchten
Bodenwellen
hereinstürmen
und unisono
verkünden
Gruß von Frau
Küsterin, Herr
Richter Adam;
Leider bekommen
die beiden sonst
kaum eine
Möglichkeit zur
Entfaltung im
Spiel. Wie
sinnvoll in der
Zollner-Inszenierung,
wenn sie da
saßen,
Kartoffeln
schälten oder
sich sonst
beschäftigten
und damit die
Szene belebten.
In München darf
eine von ihnen
eine Wurst,
eingewickelt in
ein Stück Papier
aus der
Registratur
herausholen.
Da herrscht doch
noch Ordnung
beim
Dorfrichter.
und somit bei
der einen
kümmerlichen
Wurst: von wegen
Kuhkäse,
Schinken,
Butter, Würste,
Flaschen
Aus der
Registratur
geschafft! Und
flink! -
|
Gerichtsrat
Walter, kein
honoriger, kein
seriöser, kein
distinguierter
Revisor, mehr
ein lockerer
Controller, der
auch schon mal
die Hand
aufhält, ein
Verfahren zu
beschleunigen
oder abzuwenden
Das
Obertribunal in
Utrecht will
Die Rechtspfleg
auf dem platten
Land verbessern,
Die mangelhaft
von mancher
Seite scheint,
Und strenge
Weisung hat der
Mißbrauch zu
erwarten.
Stutzend, da er
fünf Kassen
prüfen soll
Mit der
Inundations-Kollekten-Kasse!
Doch jetzo ist
der Rhein nicht
inundiert,
Und die
Kollekten gehn
mithin nicht
ein.
Doch
ganz schnell
geht er darüber
hinweg und fragt
- Sagt doch,
Ihr habt ja wohl
Gerichtstag
heut?
Die
Zwiegespräche
zwischen
Dorfrichter und
Gerichtsrat
laufen
weitgehend ohne
große
Gespreiztheiten,
flüssig,
man begegnet
sich auf
juristischer
Basis,
Steht im
Gesetzbuch
Nicht titulo,
ists quarto? -
oder quinto!
Wenn Krüge oder
sonst, was weiß
ich?
Von jungen
Bengeln sind
zerschlagen
worden,
So zeugen
Töchter ihren
Müttern nicht?
Selbst wenn man
sich verbal
aneinander
vorbei bewegt:
Da muß submiß
ich um
Verzeihung
bitten!
Wir haben hier,
mit Euerer
Erlaubnis,
Statuten,
eigentümliche,
in Huisum,
Nicht
aufgeschriebene,
muß ich gestehn,
doch durch
Bewährte
Tradition uns
überliefert.
|
Vater Tümpel und
Söhnchen
Ruprecht - der
Kleine hat seine
Probleme, nicht
mit großartigen
Rüpeleien nach
außen, sondern
mit sich.
Väterchen Veit
kümmert sich
rührend um ihn,
der Mantel wird
zugezogen, damit
nicht zuviel
kalte Luft an
den Kleinen
komme. Immer
wieder wird die
Mütze aufgesetzt
und
geradgerückt,
damit das
Jungchen sich
nicht verkühle
und gegen die
Unbill der Welt
geschützt ist.
Ruprecht kann
sich nicht
befreien
...... als
ich zum Vater
sage: Vater!
Ich will ein
bissel noch zur
Eve gehn.
Und
Vater Tümpel
gibt sein
Einverständnis,
»Na«, sagt er,
»lauf; bleibst
du auch
draußen?« sagt
er.
Nachdem Söhnchen
Gehorsam
zugesagt
mit:
Ja, meiner Seel,
sag ich, das ist
geschworen.
-
darf der Knabe
enteilen
»Na«, sagt er,
»lauf, um elfe
bist du hier.«
Wie
Ruprecht dann
bei seiner
Rechtfertigung
differenziert -
wie er die Rede
führt,
der
Zuschauer merkt
sofort, dass
hier in der
heimlichen
Hauptstadt
Staats-Theater
gespielt wird
und eben nicht
irgendwo in der
Provinz.
|
Und dann fängt
es an zu tauen,
der Schnee
schmilzt, das
Leben hat uns
wieder, alle
Krämpfe sind
vergessen - zwar
watet man jetzt
durch das Wasser
und von oben aus
dem Plafond
tröpfelt es.
Es ist zum
Jammern, dass
die schönen
Kostüme -
grau-schwärzlicher
Look, die Damen
mit offenen
Mänteln, im
Aufsprung lockt
drunter rot,
nass werden.
Nur Frau
Brigitte - die
Muhme - mit
Mummeltuch,
wohlverhüllt dem
Wetter trotzend.
Aber, was soll's
- das Eis ist ja
gebrochen.