Zur Meinungsfreiheit westlicher Gesellschaften zählt das Recht zur missverständlichen Überzeichnung.
   
04.01.2010 - dradio.de

 


Damals in Bayreuth:

Tannhäuser

 

Bayreuth 20.08.05

'Geliebter, komm!
 Sieh dort die Grotte ...'


 ... eindringlich verführerisch bemüht sich
Judit Nemeth diese Passage der Venus wiederzugeben. Hier kann sie zurücknehmen und ihrem Tannhäuser deutlich machen, 'ich kann wirklich singen und komme an der Stelle gut mit der Partie der Venus zurecht, aber auch für mich ist ein hohes H, ein hohes H'. Das Beschwören:
'Ich lass dich nicht! Du darfst nicht von mir ziehen! Weh dir, Verräter! Undankbarer! Ich lass dich nicht. Du darfst nicht von mir ziehen!'

Dies alles in für einen Mezzo unbequemer hoher Lage. Leider nun auch noch mit vollem Orchester, das 'full power' von der Sängerin erfordert. Dies ist ja nun nicht die einzige schwere Stelle in der Partie.
Bedenkt man das gemeine
'Willkommen, ungetreuer Mann'

aus dem Stand im dritten Akt nach mehr als zwei Stunden Pause. Ähnlich dem
'Fahr heim' der Ortrud im dritten Akt Lohengrin. Es ist meist eine Quälerei für den Zuhörer, als auch für die Sängerin. Werden diese Rollen zu früh, zu häufig gesungen, sind die Folgen bald in mehr oder weniger heftigen Schauklern zu hören. Dann geht wieder eine Karriere zu Ende.
Und so hört es sich bei der Übertragung im Radio auch an. Unbestechlich sind Mikrophone. In der Vorstellung sieht der Hörer und ist von Details beim Singen weitgehend abgelenkt durch die wunderbar schmeichelnde Akustik des Bayreuther Festspielhauses.

Das Publikum sieht die Bühne nach Aufgehen des Vorhangs, sieht unmittelbar am Orchestergraben, neben einer weißen unbenutzten, eine kleine rot-lackierte Spielfläche, drauf der umgefallene Torso einer männlichen Statue - auf diesen setzt Venus sich und behauptete dazu:
'auf dem weichsten Pfühle'.

Herumliegende Blätter, seien es nun Dichtungen des Minnisängers Tannhäuser oder Noten, es lässt sich aus der Tiefe des Zuschauerraumes nicht klar feststellen. Unmittelbar dahinter Ausschnitte wie Passepartouts - Sägearbeiten in Platten hintereinander gehängt mit etwa 3 Metern Abstand, darin magere Tänzerinnen - drei an der Zahl - sich gymnastisch betätigen.
Venus in einem eng-anliegenden roten Samtkleide - 'so wäre ich nicht rausgegangen' - ihre körperlichen Tatbestände - bedingt wohl durch gemütliches Beisammensein nach den Vorstellungen - voll zur Geltung bringend. Wie schön würde doch ein Seidenchiffongewand auch eine üppige Sängerin kleiden.
Sie hadert mit Tannhäuser, dieser in etwas Undefinierbares gewandet, wegen seines 'laß mich ziehn'. Zur Unterstützung ihrer Verführungskünste treten wieder die drei Gestalten auf, die man aus der Zauberflöte entlehnt zu sehen glaubt. 'Erster KNABE: Doch seht, Verzweiflung quält Paminen! Zweiter KNABE, Dritter KNABE: Wo ist sie denn? Erster KNABE: Sie ist von Sinnen!'

Dass Tannhäuser in dieser Inszenierung hiernach Venus fliehen will, ist plausibel, denn auch für den Zuschauer ist nachvollziehbar, hier spielt sich keine Erotik ab. Es gibt zwar ein paar seinerseitige Busengrapschereien, aber das war's dann auch und so meint der Sänger abschließend, dass sein Heil in Maria ruhe.

Es ist unverständlich, dass der Franzose
Philippe Arlaud als Regisseur und Bühnenbildner nicht mehr als dies kümmerliche Gemache als Verführung zustande bringt. Man kann nur davon ausgehen, dass hinter der Szene sich mehr abgespielt hat, so dass eine Bußwallfahrt nach Rom für Tannhäuser notwendig wird. Und im Mittelalter war's doch wohl so.
Mit der Absage an Frau Venus fahren die Passepartouts nach oben, die Venus-Spielfläche hebt sich in die Lüfte und entschwindet mitsamt Frau Nemet nach oben-hinten. Aufregender dieser Szenenwechsel als der ganze Venus-Auftritt.
Gezeigt wird nach der Verwandlung ein grottenähnlicher Raum mit Blumen und Moosen am Boden und an auch an der Decke derselben. In diesem verkündet
Robin Johannsen als junger Hirt, à cappella, dass der Mai da sei. Eine gerade junge Stimme, ob ausbaufähig, lässt sich nur schwer sagen.

Eine Jagd des Landgrafen von Thüringen geht als ein gesellschaftliches Ereignis zu Ende. Es stellt sich allerdings die Frage, was im Mai noch als Wild erlegt werden darf.
Hochherrschaftliche Damen treten in schmucken Jagdkostümen und dazu passenden Hütchen auf und begrüßen die aus dem Dickicht des hinteren Bühnenraumes auftretenden Jäger. Beute wurde gemacht, einige Schwäne oder Gänse hat man geschossen, die so starr in den Händen des Jagdvolkes liegen, als seien sie bereits mitsamt Gefieder bei minus 40 Grad schockgefrostet worden. Kein Flügel klappt hin und her, kein Hals wackelt beim Tragen durch die Mannen. Requisite, aber schlechte. Gleiches gilt für den über die Bühne getragenen Hirsch. Auch hier Totenstarre. Völlig unrealistisch also. Aber das war in Bezug auf den Hirsch schon 1972 beim Tannhäuser von 'Jötze' Friedrich so.

Inzwischen hat 'Der große Zauberer'
Roman Trekel als Wolfram die Bühne betreten. Er tut einen Schritt, er hebt oder neigt oder wendet den Kopf, er atmet, er lebt das, was die Rolle vorgibt - überzeugend, er spielt perfekt professionell. Noch hat er nichts von sich gegeben und schon beherrscht er subtilst die Szene. Dann kommen die ersten Töne:
'Oh, fraget nicht! Ist dies des Hochmuts Miene?' - Gegrüßt sei uns, du kühner Sänger ...'

- dabei ist er der kühne Sänger, der das Publikum in seinen Bann zieht. Dieses Timbre, die Führung der Töne, abgedeckt, ohne künstlich gedeckelt zu wirken, in jeder Lage der gleiche Klang, ob hoch, ob tief. Ein Meister des Ausdrucksvollen - in jeder Hinsicht.
Noch ist bei Roman Trekel nicht zu hören, dass der Sänger nicht nur zu Hause still auf seinem Sofa sitzt. Sein Heerrufer, Figaro-Graf , Pelleas in Reihe können sich bemerkbar machen. Er hat allerdings eine exzellente Technik, die eine fokussierte Tongebung - man hört den Oberbau mit Nase, Rachen, Kiefer mitschwingen - ermöglicht. Sehr schön die vom Dirigenten des Abends und vom Sänger dann auch gestalteten Passagen beim Abendstern und vorher beim
'Wohl wusst ich hier sie im Gebet zu finden...'.

Dagegen den Sänger fordernd das
'Dir hohe Liebe töne begeisternd mein Gesang ...'.

Das Häufige, zu häufig neben den anderen Verpflichtungen, führt zur Abnutzung. Ganz entsetzlich, anzuhören: Andreas Schmidt als Kurwenal in diesem Jahr in Bayreuth. Eine kranke Stimme, die nicht mehr zeigt, wie wunderbar der Sänger einem Fischer- Dieskau gleich phrasieren konnte.
Und diese Rolle wird Roman Trekel im nächsten Jahr an der Lindenoper singen! Muss das sein? Warum wollen Sänger in die falsche Klasse. Der Kurwenal ist ein Haudrauf in der Schwergewichtsklasse.
Besser Weltmeister im Mittelgewicht, als krank im Schwergewicht.

Der zweite Akt in einem hohen Raum, ringsum terrassenförmig gegliedert, für den Chor eine ideale Präsentationsmöglichkeit. Die Damen und Herren dieses meisterhaft von Eberhard Friedrich geführten Klangkörpers beteiligen sich in phantasievollen Kostümen und Masken durch intensives Spiel am Geschehen auf der Mittelbühne unter ihnen. Dass der Dirigent dem Chor vor dem letzten
'Heil' bei
'Landgraf Hermann,
'Heil'

Zeit zum tiefen Durchatmen durch eine Generalpause lässt, wird vom Publikum interessiert aufgenommen. Vielleicht möchten einige ein 'Heil' - Christian Thielemann am Ende Vorstellung bei den standing ovations rufen.

Ausdruckslos der Landgraf von
Guido Jentjens - a kloans Manderl, kein herrschaftlicher Führer - auch das Kostüm bringt nicht die erhoffte Wirkung, der Gang gemütlich, keine Attitüde.
Später am Abend wird auch deutlich, dass die hohen Töne ihm Mühe bereiten, sie klingen ohne Kern, wattig, gerufen. So ist er auch kaum ein Poger in früheren Jahren gewesen.
Wer führte ihn nach Bayreuth? Ja, wer wohl!
Dass Guido Jentjens durch den Regisseur Philippe Arlaud nun bei der Umbesetzung der Rolle des Landgrafen für den zweiten Akt vorgegeben wird, er solle sich auf Wolfram konzentrieren, ihn protegieren und diesen für seine Nichte Elisabeth gewinnen, den wieder aufgetauchten Tannhäuser dagegen im Spiel ignorieren, passt nun gar nicht zum Text, den Richard Wagner sich ausgedacht hat. Lässt er doch Landgraf Hermann sagen:
'O bleib! Bei uns sollst du verweilen, wir lassen dich nicht von uns gehn!'

Später solle sich der Landgraf den Grüßen des Tannhäuser verweigern, deutlich machen, dass Elisabeth sich endlich für Wolfram entscheidet, außerdem sei er es satt, dass die Elisabeth den ganzen Tag weint. Dass sich diese für die Rettung und Erlösung des Tannhäuser entscheidet, überrascht den Landgrafen, aber sie ist so stark in ihrem Willen, dass der Landgraf mit seinen machtpolitischen Überlegungen scheitert.
Und da liegt Herrn Jentjens richtig - in der Resignation. Gut dass er am Ende der Vorstellung nicht mehr zum Soloapplaus erscheint - es würde sehr deutlich in den Abstufungen, dass es so doll nicht ist.

Voller Saft und Kraft, dank eines gut gefüllten Orchestergrabens mit präzise spielenden 'Solisten', leitet
Christian Thielemann mit großem Einfühlungsvermögen die Vorstellung. Immerhin kann er auf eine solide Ausbildung zurückgreifen, hat er als Korrepetitor lange mit Sängern gearbeitet und weiß, wann, wie geatmet werden muss.
Dass er dann doch so zulegt, mag daran liegen, dass es bei Bruckner nicht darauf ankommt und Rücksicht auf Sänger nicht genommen werden muss. Dass verleitet natürlich.

Auch Frauenstimmen sind gefährdet, aber
Ricarda Merbeth kommt von der hohen Lage. Ihre Elisabeth hat also auch das Ende der Hallenarie - ohne Schärfe - im Griff. Die Ensembles überstrahlt sie mühelos, das Gebet im dritten Akt könnte verinnerlichter klingen, sollte nicht so entschieden das Publikum ereichen.

Heldisch,
Stephen Gould als Tannhäuser - er könnte das Werk am gleichen Abend auch noch einmal singen - keine Ermüdung zu hören. Die Strophen im ersten Akt, die 'Erbarm dich mein'-Rufe im zweiten Akt kraftvoll, - singt er, zeigt sich sein sattes Timbre, das auch im Stemmen weitgehend nicht verloren geht. Durchgehende Bögen klingen allerdings anders. Im dritten Aufzug steigert er den Ausdruck durch gesprochene Text-Passagen,
'zurück von mir'
oder angeschobene Töne
'bist du denn nicht mein Feind',

sie verfehlen nicht - das Publikum ist begeistert.

Nicht ohne Kommentar dürfen die vom Bühnenbild vorgegebenen Abgänge des Chores in der Mitte der Bühne bleiben. Hier sind wieder die außerordentlichen technischen Möglichkeiten der Bayreuther Bühne ausgestellt. Unmerklich für den Zuschauer öffnet sich der Bühnenboden und die Damen und Herren des einzigartigen Bayreuther Chores können in die Unterbühne pilgern.
Dass diese Technik nicht für den Auftritt der Venus im dritten Akt - wieder in dem grottenähnlichen Raum wie nach der Verwandlung im ersten Akt - genutzt wird, enttäuscht. Madame kommt bedächtigen Schrittes im gleichen unvorteilhaften roten Kleid den gleichen Weg aus dem Hintergrund der Bühne, den auch Chor und Wolfram nehmen - mühsam verschwindet sie nach dem über 6 Schläge gehaltenen hohen B beim
'Weh! Mir verloren!'

in der Versenkung, in der Bühnenmitte. Da hatte der aufmerksame Zuschauer mehr erwartet, denkt man an die rasante Verwandlung im ersten Akt.

Ceterum censeo: gemessen an dem Elend, das sonst Scharlatane in Bayreuth aufgekochen dürfen, eine hörens- und auch wegen
Arnold Bezuyen als 'Heinrich der Schreiber', John Wegner's 'Biterolf', Clemens Bieber's 'Walter' und Samuel Youn's 'Reinmar' sehenswerte Vorstellung.

DH


 

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Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
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Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing