Eine Theateragitation aus Anlass der Bewerbung der
Stadt Regensburg um den Titel 'Kulturhauptstadt Europas 2010'
Präsentiert von der Stadt Regensburg,
dem "Projekt Team Regensburg 2010"
und der Volksbühne
Eine Christoph-Schlingensief-Produktion
Regie: Hosea Dzingirai, Christoph Schlingensief,
Park Yung Min
Spezialgäste: Irm Hermann und Sepp Bierbichler
und Angela Jansen (ALS-Kranke)
Musik: Blaskapelle Menzl, Regensburg,
Arno Waschk und das Schöneberger Schönberg-Orchester
Als Repräsentant dieser Stadt dabei gewesen, wäre ich aufgestanden
und hätte die Aufführung verlassen. Was lässt sich ein Mensch
(Politiker) bloß alles gefallen, haben die Regensburger wirklich
einen Knacks? Ich kenne die Regensburger nicht, nur Regensburg - und
das lieben vor allem junge Leute, die dort ihr Studium absolviert
haben. Natürlich hat jede Stadt mehrere Gesichter - aber solch
negative Behandlung hat eigentlich keine westdeutsche Stadt
verdient.
Ich kann mir das nur so erklären: alle ostdeutschen Städte, also
ehemals DDR - waren zur Wende dermaßen verrottet, dass es
unbestritten eine Schande war - mittlerweile sind aber viele schon
sehr schön wieder saniert. Es muss sich also um ein sehr tief
sitzendes Minderwertigkeitsgefühl und um große Scham handeln, wenn
die sogenannten linken Künstler und Regisseure mit derart
geblendetem Blick auf Westdeutschland schauen. Sie scheinen -
symptomatisch - genauso gelähmt zu sein, bzw. in ihrem Blickwinkel
eingeengt, wie die ALS-kranke Frau!
Wer einen Künstler des Chaos wie Christoph Schlingensief als Macher
und Werbemanager verpflichtet, der sollte wissen, was ihn erwartet.
Kann sein, dass die Regensburger Rathausspatzen es vergessen haben,
von den Dächern zu pfeifen: Schlingensief macht stets und ständig
und mit geradezu agitatorischer Inbrunst eindeutige, politisch
unterlegte Anti-Propaganda. Und alle Regensburger, die eigens zu dem
zu einer „Psychogeografischen Analyse" verwursteten Werbe-Abend an
die Berliner Volksbühne angereist waren (sogar mit eigenem Bus!) -
vorab Oberbürgermeister Schaidinger -, mussten sich tapfer mit
anschauen, wie die Kulturgüter ihrer Stadt gnadenlos zerkocht
wurden.
Da blieb kein einziges Vitaminchen übrig.
Dass Künstler dazu neigen, nur ihre eigene Weltanschauung gelten zu
lassen, mag man akzeptieren oder nicht, aber dass sie sich als
absolute Kulturbanausen outen, die sich weder mit Kunstgeschichte,
noch mit Kunst, noch mit der Historie (Ausnahme: dem Dritten
Reich!!) beschäftigt haben, ist mehr als peinlich!
So entwirft Schlingensief zwischen bajuwarischem Blaskapellensound
und disharmonischer 12-Ton-Komposition eine wuselige Quatsch-Comedy
mit einem Stadt- und Gesellschaftsbild von Regensburg, das
überwiegend marode Gebäude, Billig-Einkaufsläden, Würstchenbuden und
Müllcontainer als kulturellen „Glanz und Gloria" anbietet.
Verschiedene Werbe- und Gewerbedamen erinnern sich stockend und
stotternd nebulös an irgendwelche Baudenkmäler – aber außer Rathaus
und Dom scheint da nichts gewesen zu sein.
Die Sängerknaben und die Vertreter der Kirche in Regensburg, die
sich bereits von einer vorherigen provokativen Kunstpräsentation
distanziert haben, erhalten natürlich auch ihren Platz in diesem
Gemüseabfall. Irgendjemand drischt mit einem Hammer dann und wann
auf einem Holzkreuz herum, und der Bischof stählt seine Muskeln, um
die Sängerknaben besser beherrschen zu können. So etwa, in dem Stil,
gut zwei Stunden lang. Endlich verkündet eine Kopie von Johannes
Heesters, Sohn der Stadt Regensburg und in jeder
Schlingensief-Inszenierung mit von der Partie, im Namen des Autors,
er wolle aus dem Projekt wegen Nichtachtung seiner künstlerischen
Ambitionen und Fähigkeiten aussteigen und dasselbe empfehle er
dieser durch und durch verspießten Stadt auch.
Keine Chance also für Regensburg als europäische Kulturhauptstadt
2010?!
„Im Wesentlichen nichts Neues" kommentierte dann auch gelassen ein
Herr im Foyer, als ein Reporter ihn nach der mäßig begeistert
aufgenommen Aufführung fragte, was er denn der Fürstin (Gloria von
Thurn und Taxis) berichten werde. Ein älterer Herr jedoch, wohl
übriggeblieben aus vergangenen heroischen Studententagen, erregte
sich dagegen fürchterlich: Die Satire (welche?) sei noch gar nicht
beendet, sie müsste eigentlich mit jeder neuen Aufführung
fortgeschrieben werden. Ob es weitere gibt, ist allerdings fraglich.
Aber etwas gibt es doch in dieser wie auch schon in einer vorherigen
Bühnen-Darbietung von Schlingensief, etwas, das zutiefst bewegt,
auch, wenn es mit Theater nichts am Hut hat: Inmitten der vorderen
Zuschauerreihen liegt eine ALS-kranke Frau auf ihrem Bett. Sie ist
völlig gelähmt und kann nur noch ihre Augenmuskeln bewegen. Mit
einem implantierten Laser in ihrem Auge steuert sie die Tastatur
eines Computers, der ihre Blickkontakte in Worte und Sätze umsetzt
und auf die großflächigen Monitore beidseitig der Bühne überträgt.
So beschreibt sie, was Autor und Regisseur ihr eingaben: Ihren
Zustand, den Verlauf der Krankheit, die Kürzung des Etats der
Regensburgers Universität, (Landesangelegenheit!) die einstige
Hitler-Begeisterung der Regensburger und die Bombenangriffe der
Alliierten.
Hernach singt die Bühnenmannschaft – atonal, versteht sich, ihr ein
Geburtstagsliedchen. Und die Kranke schreibt mit den Augen an die
Wand: Vielen Dank, Ihr Lieben!
Ein Bericht von unserer Berliner teleZeitung.tv-Korrespondentin
Angelika Cromme. |