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04.01.2010 - dradio.de

 


Damals in Regensburg

19. Juli 2003

Schlosshof Thurn und Taxis

 

 
  Carl Orff

'Die Bernauerin'

"Nieder mit der Bernauerin" - ruft das Volk, von einem Mönch aufgestachelt. Deutlich wird, wie es einem Dogmatiker gelingt, Unruhe zu stiften. Die Kirche reißt die Regie an sich und bestimmt plötzlich den Gang der Handlung. Wohl dem, der nicht aus lauter Langeweile in der Pause das Weite gesucht hatte, dann wäre ihm diese aufschlussreiche Szene nicht vergönnt gewesen.

Peter Weiß war als Mönch der Einzige, der durch sein schauspielerisches Können und die Behandlung der Sprache dem Stück eine dramatische Entwicklung ermöglichte. Alle anderen mehr oder weniger  Prominenten auf der Bühne sagten ihren Text auf, so gut sie ihn halt auswendig gelernt hatten und und dann abliefern konnten. Da die Souffleuse immer dabei war und auch sicherheitshalber immer mit abging, konnte nicht viel passieren.

Es geschah auch grundsätzlich nichts, denn
Ernö Weil gelang es - auch auf dem breiten Proszenium - jede große Geste, jeden dramatischen Aufschwung zu vermeiden, wodurch zum Beispiel gewährleistet ist, dass Abstürze über das Balkongeländer von der 50 qm großen Nudelbrettbühne nicht vorkamen.
 
Die Bewegungsabläufe beschränkten sich bei Ernö Weil daher auf den Auftritt und von der Szene, den Abgang 'durch die Mitte.'

Atemlose Spannung machte sich breit und erwartet wurde der jederzeit mögliche Auftritt von Erich H. als der Chor in weißen Hemden rote Fähnchen im Takt schwenkend, so die Verbindung zu einem SED Parteitag herstellte.

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Großartig auch wie doch dieser so gänzlich neue Einfall des Auftritts einer Gruppe von Minidarstellern - durch das Publikum hindurch - einer Produktion das Tüpfelchen auf das 'I' setzt.

Dass nach diesem Abend ansonsten der Konsum von 'Phanodorm' oder anderer Barbiturate gering sein würde, mag die ortsansässigen Pharmazeuten betrüblich gestimmt haben, lag aber entscheidend an der Beschallung, die eine direkte Zuordnung der vernommenen Sprache zu dem jeweiligen Darsteller verhinderte. Dadurch entstand ein Textbrei - ein in einschlägigen Kreisen als sogenanntes 'Volksgemurmel' bezeichnetes Phänomen.

Dass die Tonanlage ausgerechnet bei dem den Abend alles entscheidenden Auftritt Ihrer Durchlaucht, der Fürstin von Thurn und Taxis ihr Tun unterbrach und Mariae Gloria so die Red' verschlug, führte dazu, dass sich Ihre Durchlaucht beim zweiten Auftritt als Ansagerin nicht auf die Beschallungsanlage verließ, sondern heftig und regelrecht gekonnt auf der Stütze sprach, dass man Ihre Durchlaucht auch ohne Verstärker sehr deutlich in der vorletzten Reihe hatte vernehmen können.

Auch verzichtete der Einrichter der Szene - Ernö Weil - darauf hinzuweisen, dass auch die Bayerische Sprache über Konsonanten verfügt, die tunlichst präzise zu benutzen sind, um dem Text den nötigen Biss und damit Verständlichkeit zu geben. Die Artikulation und der noch eingeschaltete Microport reichten aber aus, um dem Publikum sehr deutlich die Meinung von Christine Neubauer als Bernauerin über die Bühnenstufen mit so was wie "... diese Scheißtreppe..." darzulegen, was das Publikum, plötzlich aus der Lethargie gerissen, mit heftigem Applaus quittierte.

Ansonsten buhten oder pfiffen die Völkerscharen auch schon mal, als die Honoratioren - wir hier oben, ihr da unten - nach der endlosen Pause sorgsam gemächlich herbeigeschlendert kamen, betont lässig die vorderen Sitze einnahmen, so den Fortgang des Textvortrages hinauszögerten, allerdings hierdurch zur Erhöhung der Spannung und zu einem "... macht hin, dass's gar wird ..." beitrugen.

Eindrucksvoll die musikalische Leitung durch Christian Kroll. Der erfahrene Kirchenmusiker führte den großen Chor aus Regensburger Kantorei und den der Universität Regensburg sowie das Philharmonische Orchester Regensburg mit Bedacht durch die Orff'sche Komposition.

Ilona Vöckel und Michael Suttner, zwei der aus dem Ensemble des Theater Regensburg vorzeigbaren SängerInnen entledigten sich ihrer solistischen Aufgaben mit Verve, wobei nicht unerwähnt bleiben darf, dass Frau Vöckel - auch ohne den Besuch - will sagen sehr wohl trotz des Meisterkurses bei Charlotte Lehmann - richtig singen kann. Sie trug intelligent mit und ohne Vibrato vor und gab der Partie so Farbe. Georg Schießl gelang wieder das bei ihm so bewunderte Falsettieren.

Trotz Schloss, Illumination desselben, sonst nicht zugänglichem Park kam die freudevolle Erinnerung an die Jahre zurückliegende Inszenierung von Horst Alexander Stelter auf, dass die Orff'sche Bernauerin ihren Rahmen wie den intimen Thon- Dittmer-Hof braucht.

Aber egal, endlich war man mal hinter dem Zaun, der sonst das Schloss abschirmt und das waren einem doch die hohen Eintrittspreise - selbst auf den rückwärtigsten Sitzen - wert.

Nun noch José Cura und Lucia Aliberti.

Lass seh'n, und vor allem:

lass hören.

(Dieter Hansing)
 

 
 

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Dieter Hansing