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04.01.2010 - dradio.de

 


Damals in Regensburg

21.11.2004

'Was gestrichen ist,
kann nicht durchfallen
'

 

 
  21.11.04
     

Einführungsveranstaltung zum

'Der Raub der Sabinerinnen'

Theater Regensburg

     

In einer Matinee des Schauspiels gab - neben der von Doris Dubiel, Peter Heeg und Martin Hofer gelesenen Korrespondenz zwischen den beiden Autoren Franz und Paul von Schönthan - Michael Bleiziffer (nachfolgend MB) - Einblicke in die Ansätze seiner Inszenierung des Schwanks 'Der Raub der Sabinerinnen'.

Das Theater Regensburg präsentiert das Stück - nach der 'Orestie' - als zweite Produktion des Schauspiels zum Jubiläumsjahr 1804 - 2004.

Auch 'Der Raub der Sabinerinnen' bedürfe einer ganz konkreten Konzeption, das bedeute, dass MB - gleich um welches Stück es sich handele - sich auf zwei Bereiche konzentriere, nämlich die inhaltliche Aussage und die formale Umsetzung dieser Inhalte.

Durch den Umgang mit den Stoffen wie z.B. 'Faust I' und 'Faust II' oder 'Orestie' oder dem kommenden 'Peer Gynt' sei das Ensemble gewohnt, Texte zu entschlüsseln, die Metaphorik dieser Texte zu entdecken und dementsprechend szenisch umzusetzen.

In diesem Stück gäbe es, rein inhaltlich gesehen, nichts zu entdecken. In diesem Sinne müsse man nichts entschlüsseln. Es sei ein Stück, "das man einfach machen muss."

Machen muss bedeutet, dass ganz bestimmte handwerkliche Voraussetzungen – vermutet MB ganz stark – notwendig seien, um diesen ganzen Wirrwarr so hinzubekommen, dass das Publikum dann später Hintergründe entdecken und sich auch dabei amüsieren könne.

Er habe - wahrscheinlich eingefärbt von Stoffen der klassischen Weltliteratur - festgestellt, dass 'der Raub' keine oberflächliche Angelegenheit sei. Die Kollegen schmunzelten, wenn er über Konfliktsituation spreche bei diesem Stück. Für ihn sei es hier das Aufeinanderprallen zweier Welten, es sei zum Einen: die ordentliche bürgerliche Welt, "bei der zumindest scheinbar alles in Ordnung ist, mit ganz kleinen Ausnahmen", und dann komme diese Theaterwelt dazu, "die das Ganze durcheinander würfelt."

"Das heißt also, die Konfliktsituation besteht darin, dass hier eine Ordnung mit Chaos konfrontiert wird," in dem sie aufeinanderprallen. Und komischerweise und das findet MB fast genial an dem Text, merke man, "dass diese beiden Welten sich gegenseitig einfärben."

Das bedeute, die Ordnung beginne chaotisch zu werden und es gäbe Bereiche in Striese's Theaterchaos, die eine Tendenz nach Ordnung hätten. Hier werde auch deutlich, dass diese Menschen – um mit Faust zu sprechen – "sich nicht zurücklehnen und den Herrgott ’nen guten Mann sein lassen, sondern dass sie Sehnsüchte in sich tragen."

Inhaltlich gesehen, "wenn man nicht nur einmal, sondern etwas genauer hinguckt," könne man sehr schnell feststellen, dass die Autoren geradezu komplexe Charaktere geschaffen haben. Es sei ja meistens so, dass bei einem Schwank oder einer etwas oberflächlicheren Komödie, die Menschen die da auftreten, sehr eindimensional konzipiert waren, von den Autoren. "Das ist hier nicht so."

Also, er habe den Eindruck gehabt, dass bei dem Versuch, diese Menschen zu erfassen oder diese Menschen an uns ranzuholen, in der Erwartung, was wollen wir heute dem Publikum und den Darstellern erzählen, mit diesem Stück, dass man also Kriterien brauche, die man wahrscheinlich bei einem
Anton Tschechov auch braucht. Nur natürlich geht’s dort in andere Bereiche rein, in seelische Bereiche hier - glaubt er - "sind die seelischen ein bissl ausgespart."

Zur formalen Umsetzung.
MB habe zwischendrin immer große Lust, Komödien zu inszenieren oder sich mit Komödien zu beschäftigen. "Das bedeutet, meistens – oder vielleicht für Leute die nicht vom Theater kommen – dass sie denken, na gut, die Schauspieler kommen auf die Probe und machen irgend a Gaudi und dann ist das komisch. Dem ist nicht so." Diese Menschen, die da vorkommen oder auftreten, die haben alle Probleme. Striese habe das Problem, dass er Publikum braucht, seine Schauspieler finanzieren muss, seine Wandertruppe finanzieren muss und Golwitz habe Probleme, "dass die Frau jetzt auf Kur ist, die Finanzen etwas ausgehen und das Leben sowieso, dieses bürgerliche Leben sowieso ein Stück weit langweilig geworden ist, also die Menschen haben alle Sehnsüchte, sind ausgestattet mit Sehnsüchten und haben mitunter sogar existentielle Probleme."

Und er habe hier wieder einmal die Erfahrung gemacht, "dass eine Komödie zu inszenieren – im Formalen jetzt – im formalen Bereich – mit zum Schwierigsten gehört, was wir im Theater machen," weil – es passieren ganz merkwürdige Dinge. Jemand weint auf der Bühne und das Publikum muss lachen. "Das sind Dinge, die man nur erklären kann mit der Aussage von Becket: Nichts ist komischer als das Elend anderer."

"Das heißt, wir haben – formal gesehen - nie gesagt, jetzt machen wir eine Komödie oder hier gibt’s 'nen Lacher oder sonst was, sondern wir waren die ganze Zeit bestrebt, so authentisch wie nur irgend möglich, diese Charaktere zu zeichnen und die Konfliktsituation so zuzuspitzen, um sie der Begegnung dieser Welten entsprechend eben anzugleichen."

Trotzdem sei es so, dass es nicht immer vorkomme, dass man während den Proben so viel lache – "wie wir das jetzt auch getan haben." Er dürfe vielleicht "ein bissl aus dem Nähkästchen plaudern: Es gibt ja in jeder Probenzeit ganz bestimmt Phasen und ich habe diesmal wieder die Erfahrung gemacht – jetzt schon zum x-ten Male allerdings, aber trotzdem wieder neu erleben dürfen, dass die Erfindungsphase, also die Phase, in der sozusagen, die Charaktere auf der einen Seite, die Situation auf der anderen Seite, aber dann eben die Einfälle erfunden werden, die in der Wirkung eben komisch sein sollen, das hat mir ganz besonders Spaß gemacht."

Man sei jetzt in einer Phase der Probenzeit, "in der wir das Stück durchlaufen lassen können und ich habe gestern – gerade gestern Vormittag – eine sehr, sehr schöne Probe erlebt, und zwar – es war zum ersten Mal niemand im Zuschauerraum, außer mir und einer Hospitantin, und plötzlich habe ich die Beobachtung gemacht, dass die Schauspieler anfingen, miteinander zu spielen, ohne Druck, irgendjemandem etwas demonstrieren zu müssen. Und das war sozusagen der schönste Durchlauf. Das hat mir auf der anderen Seite wiederum erzählt, dass Schauspier gerade bei Komödien in dem Augenblick, wo Leute drinnen sind, haben sie die Tendenz, ein bisschen mehr Energie zu geben, vielleicht da und dort zu viel Energie zu geben, oder vielleicht unterbewusst – weil das sind ja Profis und die wissen das ganz genau – aber unbewusst auf eine Pointe setzen und komischerweise ist es dann meistens keine Pointe."

Die Wahrheit bei einer Komödie sei, dass die Schauspieler "diese Welten sinnlich machen müssen, ihre Gefühle, ihre Haltungen, wir reden ja nicht von Zuständen wie bei 'Orestie' oder 'Faust' oder 'Iphigenie' oder sonst was, also ihre Haltung ihre Befindlichkeiten, so authentisch hinbekommen und unabhängig," ob das Publikum lacht oder nicht lacht, "müssen sie diese Welten erstellen."

Man habe sich geeinigt, dass man das nicht nach heute hole, das Stück, "dass wir aber auf keinen Fall in irgendeiner Weise historisierend" versuchen, Bühnenbild und Kostüme so zu zeigen.

"Das bedeutet, im Klartext oder die Entscheidung hat folgenden Hintergrund, dass ich der Meinung bin, dass man dieses Stück heute am besten genießen kann, wenn man es mit einer gewissen Distanz betrachtet."

Diese Distanz sei zeitlich gegeben, die Autoren schlügen vor, das Stück spiele 1904, "das finde ich deshalb so schön, weil wir heuer 200 Jahre Theater Regensburg feiern, 1804 das Stück, 1904 und wir zeigen es Ihnen heute 2004. Ja, und unsere Aufführung soll auch am 7. September stattfinden. Das darf ich ja verraten."
So glaube er, bei den Autoren komme der 8. vor, das wurde einfach auf den 7. gelegt, weil das noch ein bissl besser passe.

Das heißt man werde versuchen, sich zeitlich einzuordnen, ohne dass man historisierend werde. Die Kostüme seien aus der Zeit, aber halt nicht so üppig, man habe das alles etwas schlanker gemacht und sozusagen die Zeichen dieser Zeit gesetzt. Aber es sei ihm sehr viel daran gelegen gewesen, dass man dieses Stück nicht verbiege im Sinne und "jetzt lassen wir die Leute in Jeans auftreten oder so" er fände das total daneben und nur vordergründig und erzähle überhaupt nichts.
Er glaube, diese Welt zeige sich so wie sie ist, und man könne heute - über Assoziationen - vielleicht mit dem einen oder anderen etwas anfangen.
Die Problematik dieser Konfliktsituation, nämlich Ordnung und Chaos sei etwas sehr zeitloses. Und dieses Aufeinanderprallen spiele halt in diesem Stück in einer bestimmten Zeit und diese Zeit wolle man auch erhalten.

Man habe sich gefragt: Was ist das denn eigentlich für ein Theater, was Striese da betreibt und auf der einen Seite sei MB der Meinung handele es sich bei der Striese-Truppe um ein Ensemble, das schon ein Anliegen habe, ein künstlerisches Anliegen habe. Auf der anderen Seite gebe es aber so viele aberwitzige Einfälle und so Situationen, dass man fast den Eindruck bekommen könnte, und den habe er jetzt immer mehr, dass es sich dabei um "eine Schmiere" handele.

Zur Figur des Theaterdirektors Striese bemerkt MB, dieser sei ein Sachse und Martin Hofer sei nun alles andere als ein Sachse. Man habe sich natürlich Gedanken gemacht, wie gehe man damit um. Martin Hofer habe sich unendlich ins Zeug gelegt, und habe versucht, sich das zum Teil anzueignen, natürlich wolle man nicht, das das ausschließlich jetzt auf Sächsisch komme.
MB denke, der Striese sei ein Mensch, der seinen Dialekt nicht losgeworden sei. Das mache ja auch ein Stück weit in der Wirkung 'die Komödiantik' dieser Figur aus. Darüber hinaus lerne man aber ein Ensemble kennen – wenn man so wolle – vertreten durch Striese, durch Herrn Sterneck und Strieses Frau, die aber nicht auftrete.
Wenn M.B. einen Wunsch haben dürfte an dieses ganze Ensemble, würde er gerne diese Frau Striese kennen lernen wollen, denn die ist ja die heimliche Intendantin dieses Ensembles sozusagen und scheint offensichtlich mit einer schier unbändigen Phantasie ausgestattet zu sein – und das arme Theater von dem Striese ja auch spricht, "da zeigt sich noch einmal, dass nicht nur Geld gutes Theater ausmacht, sondern Phantasie in der Regel ja doch vieles, sehr vieles ersetzen kann, am Theater."

DH
(nach einem AB-Stenogramm )

 
 

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Dieter Hansing