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04.01.2010 - dradio.de

 


Damals in Regensburg

29.05.2005

Theater Regensburg


"Im Exil schreibt man in besonderer Weise"

 

 

Einführung 'Mutter Courage'

 
     

29.05.05

 

Mutter Courage’ ist der erste Brecht, den der Regisseur und Schauspieler Hanfried Schüttler, früher Intendant am Landestheater Kreis Wesel und Schauspieldirektor in Würzburg, inszeniert. Vor dem Engagement als Regisseur durch den Theaterdirektor Weil nach Regensburg, habe er als Verhältnis zu Brecht „gar keins“ gehabt.

Man kenne es, Brecht sei doch ziemlich dröge, langweilig, man müsse nachdenken und er mache keinen Spaß.

Geändert habe sich dies für ihn erst durch die Beschäftigung mit Aussagen von Hans Mayer und Hans Eisler, die sich als ausgefeilte Dialektiker mit Vergnügen über Brecht äußerten, so dass Schüttler zu der Erkenntnis kam, es müsse ja doch noch etwas anderes an Brecht sein, als nur das 'Nachdenken'.
Aufschlussreich war ein Seminar, dass Strassberg in Bochum hielt. Er berichtete, Brecht habe in der Emigration bei ihm auf den Proben gesessen und zugehört, was Strassberg ausführte: Wie spielt man Brecht?

Findet man eine theoretische Haltung, aus der heraus man sich äußert oder äußert sich die Haltung der Figur über das konkrete Handeln?

Beispiel 'Heilige Johanna': ausschenken der Suppe. Im Topf ein Gewicht, so dass sich über das Ausgießen der Suppe, über das vorsichtige Neigen des schweren Topfes der Wert der Suppe und auch das Verhalten der Figur mit spielerischem Spaß und für den Zuschauer auch das Denken über die Rolle erschloss.

In der Regensburger Inszenierung werde auf Aktualisierungen wie auch auf historische Genauigkeit verzichtet. Das Bühnenbild dokumentiere eine künstliche Welt, die auf die Idee des Konflikts verweise wie auch der Wagen der Courage auf der Regensburger Bühne wie Falschgeld - also kaum dazugehörig - stehe.

Die Handlung werde - Spieldauer ca. 2 ¼ Stunden - verknappt, um das Dilemma zu verdeutlichen, in dem jeder auch heute steckt, befände er sich in einer ähnlichen Situation, auf der einen Seite, sich seine private Sphäre auch im Krieg zu bewahren, die Kinder vor Schaden zu schützen und auf der anderen Seite, Geschäfte zu machen, um zu überleben, aber auch Gewinne darüber hinaus zu erzielen.

Die Widersprüche in der Rolle der Courage dokumentierten sich in einer Aussage Brechts: "die Courage ist Geschäftsfrau, weil sie Mutter ist und kann nicht Mutter sein, weil sie Geschäftsfrau ist." Immer wieder gelinge ihr vieles, durch ihre Tüchtigkeit und ihre Bereitwilligkeit, sich den Situationen anzupassen, opfere aber darüber ihre Kinder.

Für Brecht sei das Mitmachen an einem Krieg kritikwürdig, Einverständnis sei zu verurteilen, die Tüchtigkeit der Courage solle als zerstörend gezeigt werden, weil sie auf Kosten der Mütterlichkeit erkauft sei.
Letztlich gerate jeder und zu jeder Zeit – wie auch die Courage - unter die Räder einer kämpferischen Auseinandersetzung unter Waffen.

Für die Szenerie bedürfe es also in keiner Form einer konkreten Darstellung des dreißigjährigen Krieges, da das Thema zeitlos sei.

Brecht setze im Stück seiner Prosa Lieder entgegen, um daraus eine dialektische Spannung zu entwickeln. War dies früher etwas Neues, so hat sich das Publikum heute an diese Verfremdungseffekte gewöhnt, kommen sie doch in jedem Boulevard-Stück vor. Somit folgt ein heutiges Publikum problemloser der Handlung, als es noch vor 70 Jahren möglich war. Schüttler will die Darbietung der Lieder aus der szenischen Befindlichkeit der Figuren entwickeln, sie stünden nicht wie früher isoliert neben den gesprochenen Texten, würden damit zum Bestandteil der Überlebensstrategie der einzelnen Figuren. Dadurch gewänne das Stück an Tempo, so dass der Zuschauer es mit größerem Spaß erfassen könne.

Dies umso mehr, als Brecht ein unglaublich großartiger Pointenschreiber - wie sein Lehrer Karl Valentin - gewesen sei. Schüttler hofft, dass die sich ergebende Komik dem Zuschauer - auch über die kleinen Figuren wie die des Kochs oder die des Feldpredigers – dadurch vermittle, dass die Darsteller natürlich wirkten, auch wenn sie sich einer Kunstsprache bedienten.

Als Brecht für die Berliner Aufführung die Sprache krasser gestaltete, um die Courage unsympathischer zu machen, damit das Publikum auf die Courage mit Zorn reagiere, hielt ihm Hans Mayer entgegen, Brecht werde dies nie schaffen, weil die Courage schon drei Stunden auf der Bühne stehe und damit allein das Publikum schon gewonnen habe.

Allerdings vermittele sich dem Publikum der Eindruck, die Courage habe – wenn sie mit ihrem Planwagen allein und ohne Kinder weiterziehe – im Laufe des Abends und damit ihres Lebens nichts gelernt.

Der Zuschauer in Regensburg wird Doris Dubiel als Courage sehen. Aber wer sind die anderen?

Dass Regensburgs Theaterleitung eine derartige Geheimniskrämerei um Besetzungen macht, ist ausgesprochen abonnentenfeindlich.

 

DH

   
 
 
 

 

 

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Dieter Hansing