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Aus einem Announcement
des Staatstheaters Kassel
Fhttp://www.staatstheater-kassel.de/stueck_detail.asp?nr=1089
100 Jahre Richard-Wagner-Verband Kassel
'
'Der fliegende Holländer'
Musikalische Leitung: Patrik Ringborg
Inszenierung: Lorenzo Fioroni
»Traft ihr das Schiff im Meere an, blutrot
die Segel, schwarz der Mast? Auf hohem Bord
der bleiche Mann, des Schiffes Herr wacht
ohne Rast.« So heißt es in der von Senta
gesungenen Ballade im FLIEGENDEN HOLLÄNDER.
Jenem Holländer, der zum Herumirren auf den
Weltmeeren verdammt ist und den nur eines
retten kann: die ewige Treue einer liebenden
Frau.
Richard Wagner gibt für die Dichtung seiner
Oper DER FLIEGENDE HOLLÄNDER, die 1843 in
Dresden uraufgeführt wurde, zwei Quellen an:
Eine Sage, wie er sie »aus dem Munde der
Matrosen bestätigt erhielt«, und Heinrich
Heines originelle Interpretation dieser Sage
in einem Teil seines »Salons«. Den Ursprung
des Werkes enthüllt uns Wagner
folgendermaßen: »Dies war der fliegende
Holländer, der mir aus den Sümpfen und
Fluten meines Lebens so wiederholt und mit
unwiderstehlicher Anziehungskraft
auftauchte; das war das erste Volksgedicht,
das mir tief in das Herz eindrang, und mich
als künstlerischen Menschen zu seiner
Dichtung und Gestaltung im Kunstwerke
mahnte.«
Auch wenn DER FLIEGENDE HOLLÄNDER noch als
romantische Oper gilt, so sah Charles
Baudelaire im 19. Jahrhundert in ihm schon
ein Werk der Zukunft angelegt, in dem wir
einer »vortrefflichen Methode des Aufbaus
und einem Geist der Ordnung und Gliederung
begegnen, die an die Architektur der
griechischen Tragödie erinnern.«
Es ist ein Drama, dessen Ouvertüre nach
Baudelaire »tief und schauerlich wie der
Ozean, der Wind und die Finsternis zugleich
ist. Das Allerverborgenste im menschlichen
Herzen drückt diese Musik aus mit Tönen
süßester Lieblichkeit bis zum schrillsten
Dröhnen.«
Dieses Wagner-Drama zeichnen vier Topoi aus:
die Todessehnsucht, die Opferbereitschaft
der Frauen, der Liebestod und schließlich
die Erlösung. Am Ende entsteigen den Fluten
die verklärten Gestalten Sentas und des
Holländers. – »Er hält sie umschlungen«,
lautet Wagners letzte Regieanweisung; »die
Sehnsucht nach Ruhe aus den Stürmen des
Lebens« wird somit eingelöst.
Besetzung
Mario Klein (Daland)
Astrid Weber (Senta, seine Tochter)
Jörg Dürmüller (Erik, ein Jäger)
Inna Kalinina /
Anja Lang (Mary, Sentas Freundin)
Johannes An /
Young-Hoon Heo (Der Steuermann Dalands)
Stefan Adam (Der Holländer)
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'Der
fliegende Holländer' oder
'Who is Who in the Navy'
Das freie Assoziieren kennt
man aus der Psychoanalyse oder als Gesellschaftsspiel, um eine
Person zu erraten.
Deshalb fragten sich die achtzehn Musikfreunde des
Richard-Wagner-Verbandes Hannover nach äußerst zwiespältigen
Erfahrungen in Freiburg, Würzburg und vor allem nach den
Scheußlichkeiten in Essen:
"Was ist dem Regieteam in Kassel denn jetzt bloß zum 'Holländer'
eingefallen?"
Während der stürmisch, aber unverhetzt und farbenreich-detailliert vorgetragenen Ouvertüre belehren auf den
Vorhang projizierte Texte den Zuschauer - bei Brecht ist das legitim
- und dokumentieren die Belesenheit der Dramaturgie, während der
Musikfreund es eigentlich vorzieht dem Orchester unter der
sympathischen und aufmerksamen Leitung von Patrik Ringborg
zuzuhören.
Die Bühne von Cordelia Matthes zeigt eine hell-graue
Felsenlandschaft mit einem Steinbogen in Richtung Meer, aus diesem
'Teufelsloch' brachte eine heftige Bö mit Tunneleffekt Dalands
Schiff sieben Meilen vor dem Heimathafen vom Kurs ab.
Rechts ein spitzer Kletterfelsen, daneben ein Gang Richtung Land.
Kapitän und Schiffseigner Daland, der elegante Geschäftsmann - eine
Freude für Auge und Ohr, hat den Sprung von seinem Kreuzfahrtschiff,
ohne nass zu werden geschafft. Dagegen schlurfen dann seine
Passagiere, die das Abschiedsdinner hastig in ihrer Abendgarderobe
verlassen mussten, zerzaust und vor Wasser triefend, einige mit
Rettungswesten auf die rettenden Felsen. Die Paillettenkleider der
Damen - wohl noch aus der letzte 'Lustigen Witwe' - glitzern durch
den reichlich wabernden Nebel, Young-Hoon Heo, gibt Flaggensignale,
singt kraftvoll sein Lied vom Südwind, Senta, die unter den
Passagieren war, spielt mit ihrer Digitalkamera, hantiert dann mit
ihrem Koffer, diesem überstrapazierten Symbol der 'Unbehaustheit'
und verschwindet mit Papa Daland hinter einem Felsen.
Der Steuermann und die erschöpften Passagiere schlafen ein, in den
Trompeten und Hörnern ertönt das Quart-Quint-Holländer-Motiv,
Bratschen und Celli brummeln übellaunige Sextolen und
eine schmuddelige, rothaarige Männergestalt mit bekleckertem,
blassgrünen Pullover über dem ansehnlichen Genießerbauch schleicht
heran. Es könnte 'Falstaff' sein, der dem Waschkorb und der Themse
entsteigt! Aber nein - es ist 'Der fliegende Holländer' und alle
Vorfreuden der ZuschauerInnen auf einen attraktiven, dämonischen
Heldenbariton sind dahin. |
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Warum nur, Frau Kostümbildnerin Sabine Blickenstorfer? das ist umso
trauriger, als Stefan Adam kultiviert mit schlank geführter Stimme,
das Timbre mit gutem Vokalausgleich bis in die hohe Lage - das
gefürchtete F bei 'ihr Welten' und das massive E beim Schluss 'nimm
mich auf' - singt und dabei auch gut textverständlich ist.
Warum nimmt der Regisseur Lorenzo Fioroni der Titelfigur die Chance
als 'lonesome hero' die Seefahrer und die Frauen zu beunruhigen, hat
doch sein Lehrmeister Götz Friedrich ihm gewiss geraten, erst einmal
den Text sorgfältig zu lesen?
Als Unappetitlicher durch die Welt zu trotteln, hat kein
Heldenbariton verdient!
Das prächtig von Mario Klein und Stefan Adam gesungene Duett Daland
/ Holländer erfreut dann auch unsere Ohren und dankbar nimmt man zur
Kenntnis, dass Daland nie in das Klischee des plumpen Verhökeres der
Tochter verfällt, sondern ganz wacher Geschäftsmann bleibt.
Als Opfer der Finanzkrise nimmt er trotzdem gierig, statt der von
Richard Wagner vorgeschlagenen Realwerte - Goldschätze, Perlen,
Edelsteine - faule Papiere an und muss sie später resigniert ins
Wasser streuen.
Der Wind hat sich gedreht, der Steuermann meldet es, aber jetzt
stellt das Einheitsbühnenbild von Cordelia Matthes dem logischen
Ablauf ein Bein und man fragt sich: 'Who is Who in the Navy?'
Passagiere, Offiziere, Stewards, Mannschaft von Daland, Mannschaft
des Holländers, Dorfbewohner?
Also, dann: auf in den ehemals zweiten Aufzug oder 'Wenn Frauen
spinnen'!
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Einen geeigneten Partner für sich und die Nachkommen zu ergattern,
strengen sich menschliche und tierische Weibchen gehörig an.
Auf den Turnierplätzen der Hirsche und Pfauen, am Arbeitsplatz, am
Swimmingpool, auf Parties präsentieren sie ihre Vorzüge. In Richard
Wagners 19. Jahrhundert waren hausfrauliche Fähigkeiten und in der
Mittel- und Ober-Schicht ein wenig Bildung gefragt.
Das heutige Girly ist vor allem ’body-gebuildet’ und so erscheint
Senta ja auch im Mini-Pailettenkleidchen drahtig und durchtrainiert
in Gestalt der kampferprobten Astrid Weber, die in allen Lebenslagen
technisch perfekt singen kann.
Den exzellent klingenden Frauenchor des Staatstheaters Kassel
präsentiert Regisseur Lorenzo Fioroni als Fitness-Truppe, angefeuert
von der Trainerin Mary.
Schwärmerisch herzt Senta ein Buch mit dem Portrait des Holländers
als sei es ein Poster der Jungs von ’Tokio-Hotel’ und singt am
Felsen kraxelnd wie auch bäuchlings darauf liegend, tadellos,
strahlend die Ballade.
Ina Kalinina mit Traumfigur und echter runder Altstimme provoziert
spinnend-wippend aber so sehr die Männer, dass sie später aufgehängt
am Seil baumeln muss. Mord oder Selbstmord? Ein Fall für den
’Tatort’.
Senta will weder spinnen noch strechen, sie fotografiert sich in
gequälten Posen und als ihr Handspiegel zerbricht und sie sich mit
einer Scherbe verletzen will, hält ein adretter junger Mann, ihr
Verlobter Erik, sie davon ab. Er ist unter all den Irren dieser
Inszenierung der einzig Bodenständige. Jörg Dürrmeier singt den Erik
mit schönem Legato, ein leichter, heller Tenor, der sich mit der
extrem hohen Lage der Partie nicht plagen muss.
Würde er statt des hellen Knödels des späten Peter Schreier, sich
den makellosen Fritz Wunderlich zum Vorbild nehmen, wäre das Zuhören
noch angenehmer. Eriks Traumerzählung atmosphärisch vom
Staatsorchester mit allen instrumentalen Finessen begleitet, bringt
atemlose Stille in den Saal.
Senta phantasiert sich das Ziel ihres Erlösungswahns herbei, Erik
stellt fest:
"Sie ist dahin!"
Daland hat Holz von der Seitenbühne geholt, der Holländer,
der bei den Pfadfindern gut aufgepasst hat, drillt ein Stöckchen, entzündet es und verbindet sich in einer finsteren Feuerzeremonie mit
Senta.
Sie setzen sich an einen Hochzeitstisch, zwei Autisten,
jeder für sich in seinem Wahn gefangen.
Das Volk, von Hunger, sexuellem Überdruck und Inselkoller befallen,
streift alle Zivilisation ab, schleppt einen erlegten Auerochsen
herbei, frisst rohes Fleisch, beschmiert sich mit Dreck und Blut,
fällt über die Frauen her, der Steuermann, der anfangs mit der
Pistole fuchtelte, leitet vom Kletterfelsen den Hexensabbat.
Dazu steuern Chöre, Orchester und Tontechnik volle Phonstärke bei;
Richard Wagner hat für Menschen in Extremsituationen eine wahrhaft
wüste Musik geschrieben, die in einem fff-Akkord endet, verhallt und
im Tamtam pianissimo verzischt.
Das Volk versinkt in der Untermaschinerie, Erik versucht an
gemeinsame Erlebnisse anzuknüpfen, bietet stimmlichen Schmelz und
Richard Wagners mit Mordenten geschmückte Kadenz auf, aber Senta ist
nicht mehr auf dieser Welt.
Der Holländer zeigt Photos der zahllosen Frauen, die seiner fixen
Idee von der Treue bis in den Tod zum Opfer fielen, ’Erik 'funkt'
mit Spiegelsignalen SOS an ein vorbeifahrendes Schiff, mit hoher
Konzentration schwingt sich der Heldenbariton
von Stefan Adam auf das hohe F - 'Fahr hin, mein Heil', Astrid Weber
aktiviert sportlich ihre Kräfte für 'sein Gebot' und ’treu dir' auf A
und H und bricht zusammen.
Eriks Hilferufe haben Erfolg!
Einige frisch gewaschene und gebügelte weiße Uniformen betreten die
Bühne, Senta greift nach einem feschen Offizier - er könnte Leutnant
Linkerton sein und in der verebbenden Musik Richard Wagners eröffnet
sich zart ein:
’Fortsetzung folgt.’ |
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Die Musikfreunde erlebten eine spannende Geschichte mit intelligenter Personenführung und überraschenden Details.
Wie aber
ergeht es dem jungen Menschen, der den 'Fliegenden Holländer' noch
nie gesehen hat?
Das hundertjährige Bestehen des Richard Wagner Verbandes Kassel
wurde mit einem prächtigen Konzert höchst lebendig gefeiert und aus
den Reden der Vorsitzenden, der Politiker und des erfreulich
engagierten Intendanten hörte jeder heraus, wie bereichernd die
Beschäftigung mit dem Werk Richard Wagners trotz aller Widersprüche
ist.
Die Mitglieder der Richard Wagner Verbände sind Vorbilder für
ehrenamtliche Kulturpolitik!
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