Zur Meinungsfreiheit westlicher Gesellschaften 
zählt das Recht zur missverständlichen Überzeichnung.
   
04.01.2010 - dradio.de

 

 

 


Thema des Tages



'Drei Schwestern'

 

... am 31. Januar 1901 uraufgeführt
 
Anton Tschechow zeigt in seinem Schauspiel Figuren mit ihren eigenen Problemen im Zusammenspiel miteinander, ohne einen zentralen dramatischen Konflikt zu thematisieren.
 
Regensburg spielte das Stück zuletzt in der 'Ära' von Theaterdirektor Weil.
 
Besprochen wurden die Vorstellungen vom 17. und 21. Mai 2009.

Zitat
Announcement

Theater Regensburg

Drei Schwestern

Drama von Anton Tschechow (1860-1904)

Inszenierung: Annegret Ritzel
Bühne und Kostüme: Matthias Müller

Tschechow erzählt in „Drei Schwestern“ lebendig und humorvoll eine Geschichte über Menschen auf der Suche nach dem Glück. Dieses psychologisch feingesponnene Meisterwerk ist zugleich eine Komödie über die Sehnsucht und eine Tragödie über unerfüllte Hoffnungen und Illusionen. Die Schwestern Olga, Mascha und Irina leben mit ihrem Bruder Andrej seit Jahren in einer tristen Provinzstadt, in die ihr Vater als Offizier versetzt worden war. Lediglich das im Ort stationierte Offizierskorps bringt Abwechslung in den Alltag. Der große Traum der Schwestern ist es, nach Moskau zurückzukehren, in die Stadt ihrer Kindheit.

Die drei gebildeten Frauen versuchen – jede auf ihre Weise – der verhassten provinziellen Enge zu entkommen, sei es durch Arbeit, Erotik oder Träumereien. Olga opfert sich als Lehrerin auf. Mascha ist unglücklich mit einem zwar gutmütigen, aber geschwätzigen und pedantischen Lehrer verheiratet und stürzt sich in ein Liebesabenteuer mit einem ebenfalls unglücklich verheirateten Oberstleutnant. Irina, die Jüngste, leidet unter ihrer Untätigkeit, ist aber noch voll Zuversicht auf ein erfülltes Leben. Sie wird von Baron Tusenbach umworben, der wie sie von sinnvoller Arbeit und einer goldenen Zukunft träumt. Zwar kann Irina seine Liebe nicht erwidern, willigt aber in eine Heirat ein. Tusenbach wird jedoch von einem anderen Verehrer Irinas, dem zynischen Soljony, im Duell getötet.

Andrej sollte seinen Schwestern durch eine akademische Karriere ein Leben in Moskau ermöglichen, aber er ist dem Glücksspiel verfallen und verliert das Familienerbe. Er heiratet die zickige und kindernärrische Natascha, die rabiat die Herrschaft im Haus an sich reißt. Als das Offizierscorps abziehen muss und die Stadt endgültig verödet, bleibt den Schwestern nur noch eins: ewiges Sehnen.


Aktueller Text vom 16.5.2009

„Drei Schwestern“ gilt als das perfekteste Drama Tschechows. Es gehört zu den seltenen Texten, die keinen ästhetischen oder gesellschaftspolitischen Konjunkturen unterliegen, sondern kontinuierlich ihren Platz auf dem Theater behaupten. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert schrieb der Autor, Arzt und Menschenkenner Anton Tschechow diese meisterhaft genaue, lebendige und humorvolle Geschichte über Menschen auf der Suche nach dem Glück. Der Theaterkritiker Alfred Kerr schrieb einmal: „Tschechow zeigt in diesem Stück das Elend aller, die heiraten – und das Elend aller, die nicht geheiratet haben.“
Olga, Mascha und Irina leben in der russischen Provinz und sehnen sich zurück nach Moskau. Dort sind sie aufgewachsen, bevor ihr Vater in die Provinzstadt versetzt wurde. Sie leben in großbürgerlichen Verhältnissen, sind gebildet und hoffen, dass ihr Bruder Andrej einen Ruf als Universitätsprofessor in die Hauptstadt bekommt und sie endlich zurückkehren können ins wirkliche Leben. Aber das Leben selbst verhindert dies. Andrej verliebt sich in ein spießiges Mädchen, das jeden mit ihrem allerliebsten Kind tyrannisiert, und wird Verwaltungsbeamter. Mascha, die unglücklich mit einem Lehrer verheiratet ist, verliebt sich in den Oberstleutnant Werschinin, die beiden leben ihre Amour Fou, bis er versetzt wird – sie werden sich nicht wiedersehen. Irina, die Jüngste, träumt von sinnvoller Arbeit, vom Ausbruch aus ihrem Dasein als höhere Tochter – und plant am Ende eine vernünftige, auf Respekt begründete Ehe einzugehen. Doch einen Tag vor der Hochzeit wird ihr Bräutigam von einem zynischen Nebenbuhler im Duell getötet. Auch Olga bleibt ledig und wird, was sie nie sein wollte: Direktorin am örtlichen Gymnasium.
Wie in allen Stücken Tschechows geht es auch in „Drei Schwestern“ um Einsamkeit, Desillusionierung und die Suche nach dem Sinn des Lebens. Es ist ein ironisch-komisches Panorama, das von der Unfähigkeit der Menschen erzählt, die eigenen Träume und Sehnsüchte in die Realität umzusetzen.

 

Besetzung

 

   

Andrej Sergejewitsch Prosorow

Jochen Paletschek

   

Natalja Iwanowna

Johanna König

   

Olga

Gabriele Fischer

   

Mascha

Silke Heise

   

Irina

Anna Dörnte

   

Fjodor Iljitsch Kulygin

Michael Heuberger

   

Alexander Ignatjewitsch Werschinin

Gerold Richard Ströher

   

Nikolai Lwowitsch Tusenbach

Christoph Bangerter

   

Wassili Wassiljewitsch Soljony

Roman Blumenschein

   

Iwan Romanowitsch Tschebutykin

Miko Greza

   

Alexej Petrowitsch Fedotik

Michael Haake

   

Wladimir Karlowitsch Rode

Hubert Schedlbauer

   

Ferapont

Paul Kaiser

   

Anfissa

Doris Dubiel

   

Zitatende

to top

In Moskau lebt Tschechow in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts, studiert Medizin und ernährt Eltern und Geschwister als Artikelschreiber für Zeitschriften - über 300 Texte in den ersten drei Jahren seines Schaffens. Hier schon hält er seinen Zeitgenossen den Spiegel vor - nicht anders als Ibsen.

Der Puschkin-Preis und ein hoher Bekanntheitsgrad sind das Ergebnis. Dann beginnt die Tätigkeit für die Bühne - es entsteht 'Iwanow'. Dem ist noch kein Erfolg beschieden, wird von der Kritik als Gewäsch abgetan, erst nach einer Umarbeitung kann sich dieser Antiheld auch beim Publikum durchsetzen.

Alle Figuren bei Tschechow ruhen, prallen auf einander, leben und lieben in den meisten Fällen, den oder die andere und reden völlig untheatralisch, ohne eigentliche Aussagen aneinander vorbei.

Eine neue Dramaturgie, keine leitende Idee, keine Höhepunkte, keine Hauptrollen, keine Handlung und wenn ein Ereignis eintritt, dann hinter der Bühne oder in der Pause zwischen Akten. Danach wird nur darüber reflektiert.
Es wird in Twschechows Dramen Zeit und Leben, oft in absurden Situationen, oft auch in Hoffnungslosigkeit einfach so miteinander verbracht, ohne dass Ausschlaggebendes gesagt oder viel bewegt wird.

Seine Anregungen erhält er aus der Landpraxis, die er als Arzt führt. Hier sieht er die Menschen mit ihren Schwächen, Eigenheiten, Nöten und ihrem Leid, die dann als Figuren in seinen Dramen Einlass finden. Die Zeit, in der sie leben, ist geprägt von Ausbeutung und vom Unterdrückungssystem des Zarismus, Verbannung nach Sibirien aus nichtigen Gründen - viele Arme, Hungernde - und wenige Reiche.
Tschechow prangert, trotz Sorge vor der russischen Zensur, die Zustände im Gefangenenlager auf Sachalin an, das er selber 1890 besucht. Und bewirkt tatsächlich Hafterleichterungen.

Tschechows Dramen, ein Sittengemälde, eine Typologie der Charaktere der Gesellschaft ihrer Zeit - die Gutsverwalter, die sich bemitleidenden Intellektuellen, herumlungernde Soldaten, alternde Kindermädchen.
Seine Kritik ergießt sich über Schwätzer und Salonschwadronierer, die in Richtungslosigkeit und Verfall wie in seinen 'Drei Schwestern' ausrufen - in wenigen Jahren werde die Welt wundervoll sein.
Oder im 'Kirschgarten' - er wird versteigert und die Gesellschaft, die nichts gelernt hat, feiert lieber eine Party, ohne einzugreifen und ohne Anstalten zu machen, den Garten zu retten.
Das aufstrebende Bürgertum handelt und nimmt sich, sieht zu wie eine ganze soziale Gesellschaftsschicht scheitert und untergeht.

Tschechow hält den Menschen den Spiegel vor und ruft über seine Werke und den darin enthaltenen Spott auf, sich aus Lethargie zu lösen, nicht zu stagnieren, nicht zu resignieren, sondern nach vorne zu schauen, sich keinen Illusionen hinzugeben und aktiv zu werden.

Seine Stücke werden am Petersburger Künstlertheater aufgeführt, seine Frau Olga Knipper spielt meist die Hauptrollen.
Es muss den Darstellern der neue realitätsnahe Stil erst beigebracht werden, noch zu sehr ist man im Pathos verhaftet. Zu viel Gejammer, zu wenig Wahrhaftigkeit kritisiert er. Ehrliches Spiel, statt theatralischem Schnick-Schnack, Deklamation, Künstlichkeit in großen Gesten.

Der Leiter des Theaters, Konstantin Sergejewitsch Stanislawski, nimmt die Kritik auf und erdenkt eine neune Darstellungsmethode, die weltweit Auswirkungen haben wird. Später übernimmt sie Lee Strasberg und schult in Amerika Darsteller in Sachen 'Menschlichkei' und 'wahres Leben' auf der Bühne wie man eine Rolle 'ist' und sie nicht nur 'spielt'.
Den Anstoß hierzu gab Anton Tschechow mit seinen Werken.
Aber auch Dramatiker wie Giraudoux, Annouilh, Pinter, O'Neill bis Albee lernten von ihm, Shaw nannte sich Tschechow's Schüler. 

to top

Anton Tschechow, der Spezialist für dramatische Sittengemälde, der über Leute, die essen, die trinken und herumhängen und dabei Unsinn reden, schreibt. Das war es, was er auf die Bühne bringen musste.

"Nach Moskau" - Anton Tschechow starb im fernen Schwarzwald. Im Zug kehrt sein Leichnam zurück in die Heimat. Die Trauergemeinde folgt dem Sarg, der von einer Militärkapelle begleitet wird - ein General gleichen Namens ist zur gleichen Zeit in seinem Sarg angekommen.
Die Leiche des Dichters erreicht Moskau in einem Waggon mit Austern - was hätte Tschechow hierzu wohl gesagt?

Russland am Beginn des 20. Jahrhunderts, da betritt Anton Tschechow - ein ehemaliger Leibeigener, sein Großvater kaufte sich frei - die Bühne und nicht die große Sage wird von ihm auf die Bretter gebracht , sondern die Realität.

Die Leute im wahren Leben essen, trinken, lungern herum, lieben und reden dabei Unsinn - Russland in einer Zeit der Stagnation. Das Land leidet unter dem Joch der Zarenherrschaft. Der Reformer Alexander II. hat die Leibeigenschaft beendet, seine Nachfolger Alexander III. und Nikolai II. belassen das Riesenreich in Rückständigkeit, ein dem Niedergang überlassenes Agrarland.
Geplagt von Hungersnöten, Progromen unter einem Regime der Willkür. Vor diesem historischen Hintergrund entsteht das Werk Tschechows.

Als genauer Beobachter der für ihn sichtbaren Situationen notiert er Details in seinem Notizblock. Da viel vom leben weiß gibt es in seinem Dramen keine Helden und Schurken im ausgeprägtesten Sinne. Seine Figuren reden ganz ungekünstelt, jeder kann eine Krise haben - was den Menschen zu schaffen macht, ist der Alltag. Was Tschechow erzählt, geht alle ohne Ausnahme an, Liebe, die immer wieder scheitert.

Existenzen, die durch Alkohol oder aus anderen Gründen brechen, sprechen das Publikum an - so ist Tschechow der erste Schriftsteller, dem es gelang, das Leben selbst zu dramatisieren.
Vielschichtig und facettenreich sind seine Dramen und weitgehend ausdeutbar in Glücksuche und Vergeblichkeit.
 

to top

Ins Heute Deutschlands führt die Familie Tschechow über Olga von Knipper, die ihren Cousin Michael Tschechow, einen Neffen von Anton Tschechow heiratete. 
 
Aus dieser Ehe stammte die Tochter Ada, Schauspielerin wie die Mutter und Künstleragentin, die beim Absturz der D-ACAT ums Leben kam.

 

       

   Absturz
  am "Neuenlander Feld"
  bei Bremen


Convair CV 440 Metropolitan
Registration D-ACAT

In Flugzeugtrümmern sterben 46 Menschen

 
               
     

Freitag Abend, 28. Januar 1966.
Kurz vor 19.00 Uhr befindet sich Lufthansaflug LH 005 im Anflug auf die Landebahn des Neuenlander Feldes - wie der Bremer Flugplatz damals genannt wird. Die zweimotorige "Convair CV 440 Metropolitan" kommt aus Frankfurt. An Bord sind 42 Passagiere und die Besatzung: zwei Piloten und zwei Stewardessen. Wolkenhöhe circa 300 Meter, Sicht: 1000 Meter, Regen.
Augenzeugen sehen, dass der Pilot durchstartet, die Maschine aber außer Kontrolle gerät und "wie ein Stein" in ein Feld stürzt. Es folgt eine Explosion, das Wrack brennt. Alle Menschen an Bord sterben. Erstmals ist ein Lufthansaflugzeug mit Passagieren an Bord in Deutschland abgestürzt.

An Bord der Maschine, einer Convair CV 440 Metropolitan waren außer den vier Besatzungsmitgliedern 42 Passagiere, darunter eine italienische Schwimmstaffel in Begleitung ihres Trainers, die an einem Wettbewerb in der Hansestadt teilnehmen wollten, sowie die Schauspielerin
Ada Tschechowa,
Tochter von Olga Tschechowa
und Mutter von  Vera Tschechowa.

Zitiert nach Radio Bremen
 

 

Olga Tschechowa war eine bekannte Filmschauspielerin in den Jahren nach 1920 mit ungeleugneten Kontakten zu Nazi-Größen. Sie war aber angeblich auch eine Geheimagentin für den KGB, wie auch ihr Bruder Lew, der für den russischen Geheimdienst tätig wurde.
In den 50er Jahren gründete sie eine Kosmetikfirma in München.

Ada Tschechowa, die Tochter von Olga Tschechowa war Schauspielerin und Managerin z.B. von Rex Gildo, dem sie den ersten Filmvertrag vermittelte.

Olga Tschechowa's Enkelin Vera Tschechowa ist Schauspielerin und Regisseurin. Sie war lange mit Vadim Glowna, dem Sohn eines Lufthansa-Flugnavigators verheiratet.

to top

'Nach Moskau' - wollen Tschechow's 'Drei Schwestern' und verharren doch phlegmatisch in der Provinz, in die der Vater sie bei seiner Versetzung vor elf Jahren mitnahm. Seit einem Jahr ist der Vater tot - Andrej, der Bruder von Olga, Mascha und Irina verspielt das gemeinsame Erbe. Die Freunde verschwinden, weil die abgelegene Garnison aufgelöst wird, die Zeit vergeht und die Träume und ihre Vorhaben zerplatzen.

Die Schwägerin regiert, die herz- und geschmacklose Natascha, ein Mädchen, das voll und ganz dem rückständigem Milieu der Provinz verhaftet ist.

Ein Stück, in dem sich die Beteiligten fragen, 'was soll ich nur in diesem Kaff aus meinem Leben machen', das unbeschwert beginnt und tragisch endet. Es gibt keine Helden, es gibt nur dieses Haus mit all den Menschen darin, die nach einer Aufgabe und einem Sinn des Lebens suchen. Bald schon finden sie sich in der Sinnlosigkeit wieder.

Die Zeit, das zu Ende gehende 19. Jahrhundert, steht im Mittelpunkt der Werke von Tschechow und Ibsen. Beide sehen ihr Land im Umbruch. Russland unter dem Zaren, keine Möglichkeiten für die große Menge, alle Möglichkeiten für den Adel.
In Norwegen die Veränderung durch die Industrialisierung - wenige steigen auf, die meisten bleiben auf der Strecke.
Vor allem Frauen müssen - von dem Zeitpunkt aus gesehen - noch lange warten auf eine Gleichstellung mit dem Mann.

to top

Bemerkungen zu den Vorstellungen am 17. und 21. Mai 2009 im
 

Theater Regensburg
 
 1. Akt
Die gesamte Bühne eine Wohnhalle - Sitzgruppen verstreut über diese Fläche bis in das Proszenium. Das Haus eines oberen Militärs. Man feiert den Namenstag der jüngsten Tochter, philosophiert über das Jahr, das seit dem Tod des Vaters vergangen ist. 
 
 2. Akt
Gleiche Raumaufteilung, es ist Abend. Kerzen brennen auf dem Boden verteilt, zur Ausleuchtung des Bodens.
Man philosophiert über das Leben.
 
 3. Akt
Zwei Betten, Paravent, Garderobenständer.
Es werden Kleider aus den Schränken der Familie gesammelt, um
die Brand-Opfer mit dem Nötigsten zu versorgen.
Man philosophiert über die wirtschaftliche Lage der Familie.
 
 4. Akt
Im Garten, man verabschiedet die Garnison.
Im Duell mit Soljony wird Tusenbach getötet.
Die drei Schwestern bleiben in der Provinz zurück.
Sie philosophieren über den Sinn des Lebens.

to top

Anfissa (Dubiel), über 80 Jahre alt,  das muss im Sprechen deutlich werden - langsames Laufen am Stock, ein Sitzen auf der Bettkante im dritten Akt, dann im vierten fast unbeschwertes Aufstehen und Teilnahme an der Konversation, ist unrealistisch und erinnert an alles, was da schon war, bis hin zu Frau Pinneberg.

Das abwechselnde Jammern, dann Keifen von Olga (Fischer) und Natascha (König) kann nicht die notwendige Wirkung haben, da es völlig überzogen klingt und im Grunde nicht ernst genommen werden kann.

Olga's 'Weiberkrakehl': "Lass sie doch rumsitzen!"

Sie, die Lehrerin und spätere Schulleiterin müsste eine andere Sprache führen. Mal ist sie müde, mal hat sie Kopfschmerzen, sagt sie, spielt es aber nicht - all' das, aus Augsburg wohl bekannt (!)

Natascha, mal das Weinerliche, mal das Zickige: "Was sollen wir noch mit der alten Frau?" - dann mit Nachdrücker: "Ich_weiß_wo_von_ich_re_de!" - Gekreisch: "Diese Hexe!"

Stimmungen, durch Bewegungsabläufe auf der Bühne und Schattierungen in der Sprache, auf der Bühne zu entwickeln, diese zu transportieren, dass vom Publikum die Situation der Menschen am Ende des 19. Jahrhunderts in Russland erkannt werden kann, ist die Aufgabe der Regie.

Müßiggang ist das Problem dieser russischen Upper Ten - Arbeit scheint ihnen ein Ideal, sie wollen abends erschöpft ins Bett sinken.
Dass sich in einer gehobenen Bevölkerungsschicht um die Wende zum 20. Jahrhundert, die aufgrund ihres Standes keine eigentlichen Tagesaufgaben haben, 'ennuie' sich breit macht, ist das Thema und dies steht im Text deutlich zwischen den Zeilen,  müsste sich so in der Sprechweise zeigen.

Lethargie ist das Thema des Stückes, darf sich aber dem Publikum nicht als Langeweile aufdrängen, dass es der Handlung nur widerwillig bzw. nicht mehr folgen will.

Das Bemühen, dies abzufangen, indem die Theaterleitung beim Brand im 3. Akt die Sturmglocken läuten lässt, ist löblich und somit akzeptabel, dass aber ein Martinshorn eingespielt wird, dass in der dargebotenen Form erst 1932 erfunden wurde, lässt Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Regie, Dramaturgie und Theaterleitung aufkommen.

Besonders interessant wird es, wenn Fedotik Erinnerungsfotos mit einer Spiegelreflexkamera sogar mit Selbstauslöser anfertigt, die erst im späteren 20. Jahrhundert auf den Markt kamen.

Im 3. Akt wird sehr deutlich gemacht, wie weit man zivilisatorisch in dieser Gegend noch zurück ist, da es noch kein fließendes Wasser in den Häusern gab, Räume mit Kerzen erhellt wurden und mehrere Personen ein 'Lavabeau' benutzen.
Nachdem Dr. Tschebutykin zunächst seinen eigenen Kopf hineintaucht, die nächste das Gesicht mit dem Wasser benetzt und die dritte die Füße in dem Becken wäscht.

Dass die Damen und Herren Darsteller ihre Texte - vor allem die Damen mal mehr mal weniger hysterisch und auf Knopfdruck mal eben kurz für drei Silben flennend - wiedergeben, ohne überzeugend zu spielen, ohne die Beziehungen der Figuren - auch ohne gesprochenes Wort - zueinander aufzuzeigen, muss befremden und muss am Publikum vorbeilaufen.

Alles aufgesetzt, ohne Tiefgang.
Der Charakter Andrej's (Paletscheck) wird nicht deutlich, das Verhältnis Werschinin (Ströher) / Mascha (Heise z.T. auch noch völlig textunverständlich) nicht entwickelt, Tusenbach (Bangerter) - ohne Bezug, Rode (Schedlbauer), Fedotik (Haake) - keine Bindung an die Abläufe, als einzige zeigen Irina (Dörnte), Soljony (Blumenschein) und Kulygin (Heuberger) Präsenz. Von Miko Greza als Tschebutykin
hätte man mehr erwartet, nicht nur den vor sich hinträllernden Untätigen.

to top

Die Garnison wird abgezogen, die Schwestern bleiben zurück, Olga ist nun doch Direktorin der Schule, Mascha wird zu ihrem Lehrergatten Kulygin zurückkehren und Werschinin, ihren kurzzeitigen Liebhaber, vergessen. Irina erholt sich vom Schock, den beim Duell mit Soljony getöteten Tusenbach verloren zu haben, überaus schnell.

Wenn nicht gemeinsam nach Moskau, so gehen sie einzeln ihre eigenen Wege. Olga unverheiratet wie auch Irina, wie deren Schicksal aussieht - bleibt offen.

Immerhin haben sie ein Jahr nach Vaters Tod in der Provinz weitergelebt und nichts unternommen, die Gegend zu verlassen, um in die Stadt zu gehen.

Was wollten die Drei eigentlich in Moskau?
Ihrer Erinnerung frönen, wie es damals vor elf Jahren war, als Vater in der Hauptstadt etabliert war, vor der Versetzung in die Provinz, sie Moskau genießen konnten.

Die Jahre in der Provinz haben bei den drei Schwestern Spuren hinterlassen, auch Moskau hat sich weiterentwickelt.
Ob sie unter diesem Aspekt dort ohne den Rückhalt von Vaters Haushalt überhaupt Fuß fassen und einen Platz finden könnten.
Immerhin haben Olga und Irina einen Beruf und können für sich selber sorgen, sind also nicht wie Mascha von einem Ehemann abhängig.

Moskau sehen sie verklärt, jetzt, nach der langen Zeit außerhalb der Stadt, bleibt es eine schöne Erinnerung.

Auf dem Land hatten sie die Garnison, als die aber jetzt abzieht, ändert sich ihre Lage, da die gesellschaftlichen Anknüpfungsmöglichkeiten für sie verloren gehen.

Sie werden kaum neue Eindrücke gewinnen und werden altern in den täglichen Abläufen.
Auf lange Sicht ist der geistige und körperliche Verfall dort draußen nicht zu verhindern.

 

to top


Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik
um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung -
Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing