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Theater Regensburg
Spielzeit 2002 / 2003
Stein/Sheldon/Harnick/Bock:
'ANATEVKA'
Ist es Liebe ?
Allen Unkenrufen zum Trotz:
Jóhánn Smari
Saevarsson überzeugt als Tevje.
Und was alles im Vorfeld zu hören war,
der Dirigent Okamoto würde singen, der Souffleur würde für ihn sprechen
und er mache nur den Mund auf und zu. Alles Schmarrn!
Saevarsson füllt
die Rolle wie weiland Iwan Rebroff in Paris, der auch von der Oper kam -
köstlich damals sein Prodekan im 'Vogelhändler' in Frankfurt am Main.
Zur Darstellung wie durch einen Schmul Rodensky oder Hans Nocker bei
Felsenstein an der Komischen Oper langt es noch nicht. Die fehlenden
Jahre, die ein Tevje so mit sich schleppt, werden von Saevarsson
weggespielt, die Stimme macht keine großen Spirenzeln - immerhin ist er
als Jungsänger noch in 'Cenerentola' und als 'Ochs' auf dem laufenden
Spielplan.
Und er rührt an, die Gespräche mit Gott - da stellt sich der normale
Zuschauer etwas mehr Kunst durch eingezogenes Licht vor - die Ausfälle
gegenüber seiner Frau, auch das darauffolgende 'Schwanzeinziehen', wenn
Golde kontert. Das Verständnis für die Töchter - die Ablehnung des Goi
als Schwiegersohn, dezent ohne Übertreibung - einerseits / andrerseits -
dargestellt. Immerhin ist er ein Nordländer, dem wohl noch nicht alle
deutschen Worte so geläufig sind. So hakt gelegentlich der Dialog.
Aber ein besonderer Charme ist sein
Akzent - sprechen die meisten anderen 'nach der Schrift' - bei
Saevarsson vermittelt gerade das 'gebrochene Deutsch' etwas entfernt den
Eindruck als würde er jüdeln. "Tradition ist Schlamperei" sagte eines
Gustav Mahler. Hier ganz gegen die Tradition, Sänger als reine
Schauspieler. Und ganz erstaunlich wie das fast reine Sängerensemble
spielt. Nun ist es heute sehr viel einfacher, Sänger als Schauspieler
einzusetzen - der erhobene dramatische Arm gehört der Vergangenheit an -
als dass Schauspieler als Sänger eingesetzt werden können, die mit 'belting',
zu mehr reicht es nicht, eben schnell an ihre stimmlichen Grenzen
gelangen. Hinzu kommt, dass - gut, der Besetzungszettel des Intendanten
gibt es vor - sich Elvira Soukop, sonst Octavian oder Angelina, nicht zu
schade für eine Zeitel ist oder ein Vogelhändler-Adam den Perchik
ausfüllt, ohne etwas singen zu müsse. Man stelle sich vor, ein Tenor
gibt keinen solistisch gesungenen Ton von sich und überzeugt absolut.
Michael Suttner hier als 'der Herr Student', dem Tevje wieder eine
Tochter ausspannend. Die Zeiten haben sich verändert. Jente, hat kaum
noch was zu tun, jeder sucht sich selbst sein Liebchen. Silvia van
Spronsen als die Heiratsvermittlerin - je schrulliger, desto van
Spronsen - wir erinnern an 'Hase, Hase' im Jahr '94. Warum sie
allerdings bei Zeitels Hochzeit erst mittanzt und dann rumgiftet, bleibt
ein Rätsel. Ob nun Rosemarie Beisert als Golde, Katharina Leitgeb als
Hodel, Ilonka Vöckel als Chava, der kleine Mr. Damkier als Mottel,
Christian Pätzold als Lazar Wolf - und allen anderen - gelingt es, im
Einzelspiel als auch in den Ensembles die Rollen glaubhaft auszufüllen.
Herauszuheben noch der äußerste präsente Wachtmeister von Zbigniew
Cieslar. Und so stimmt die gesamte Produktion von Regisseur Michael
Blumenthal bis hinein in die Applausordnung.

Solisten, Ballett, Chor, Orchester, dran
an der Story und am Geschehen. Wieder lag die musikalische Einstudierung
in der Hand von 'Regensburgs Harry Potter' - der versierten Maria
Fitzgerald. Bühne von Wolf Wanninger, Kostüme von Sibylle Schulze -
stimmig, so wie man sich halt ein Dorf in den Weiten Russlands um die
vorletzte Jahrhundertwende vorstellt. Ein guter Abend im Theater
Regensburg!
Na also, es geht doch! Natürlich gibt es
up and downs, einer verkorksten 'Lysistrata' folgt ein gelungener 'Galilei'.
Einer lebendigen 'Cenerentola', eine gute 'Loreley'? Auch gilt es hier nicht
zur sprechen über zu stark angegähnte oder angejaulte Töne, über
Schärfen oder Knödel. Druckfrei können die Sänger einfach gut sein und
sie sind es. Und die nichtsingenden Schauspieler auch. Warum berührt
Anatevka nun mehr als das behandelte Stück
von Charles Lewinsky?
'Freunde, das Leben ist
lebenswert'

Ist es der intimere Raum des Theaters
am Bismarckplatz gegenüber der Weitläufigkeit des Velodroms, wo durch
die Distanz und die notwendigerweise 'erhobenen Stimmen' keine Spannung
aufkommen kann ? Ist es der in 'Anatevka' fehlende strahlende Tenor
Michael Suttner, der in 'Freunde ....' alle immer wieder aus jeder
aufkommenden Beklemmung reißt? In 'Anatevka' sind Musik, Text, Spiel und
Stimmen aufeinander abge-'stimmt' und das zwingt. Hier kommt die Bindung
von Bühne und Zuschauerraum zu Stande, was bei 'Freunde ...'
unterbleibt. Ließe man aus den Operetten die Texte von Fritz Löhner-Beda
gesprochen innerhalb des Abends auf das Publikum wirken, wäre dem Stück
und dem Thema gedient. Da in Regensburg die leichte und doch so schwere
Muse 'Operette' so gut wie nicht gepflegt wird und hier nun auch endlich
ein strahlender Tenor engagiert ist, sind alle im Zuschauerraum happy
über die Stimme von Michael Suttner und wie er die Melodien von Franz
Lehar oder Paul Abraham serviert. Aber damit bleibt das Stück auf der
Strecke - ganz abgesehen davon, dass ein KZ nicht auf die Regensburger
Bühne passt. Da kann Jens Schnarre als Karl Schultze-Prohaska in
'Freunde .....' noch so überzeugend den Wandel vom unterwürfigen
Chauffeur zum immer noch menschlichen Schergen darstellen - ein Michael
Suttner schmettert ihn und jede bedrückende Stimmung schon im ersten
Entstehen mit Melodien aus 'Giuditta' an die Wand.
(Dieter Hansing)

Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
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Ich verstehe diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik
um der Kritik willen, sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung -
Geglücktes oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch
Überspitztes und Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz,
in Anspruch. |
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