Zur Meinungsfreiheit westlicher Gesellschaften zählt das Recht zur missverständlichen Überzeichnung.
   
04.01.2010 - dradio.de

 

   

Theater Regensburg
Spielzeit 2002 / 2003

Stein/Sheldon/Harnick/Bock:

'ANATEVKA'


Ist es Liebe ?

Allen Unkenrufen zum Trotz:
Jóhánn Smari Saevarsson überzeugt als Tevje.
Und was alles im Vorfeld zu hören war, der Dirigent Okamoto würde singen, der Souffleur würde für ihn sprechen und er mache nur den Mund auf und zu. Alles Schmarrn!
Saevarsson füllt die Rolle wie weiland Iwan Rebroff in Paris, der auch von der Oper kam - köstlich damals sein Prodekan im 'Vogelhändler' in Frankfurt am Main.
Zur Darstellung wie durch einen Schmul Rodensky oder Hans Nocker bei Felsenstein an der Komischen Oper langt es noch nicht. Die fehlenden Jahre, die ein Tevje so mit sich schleppt, werden von Saevarsson weggespielt, die Stimme macht keine großen Spirenzeln - immerhin ist er als Jungsänger noch in 'Cenerentola' und als 'Ochs' auf dem laufenden Spielplan.
Und er rührt an, die Gespräche mit Gott - da stellt sich der normale Zuschauer etwas mehr Kunst durch eingezogenes Licht vor - die Ausfälle gegenüber seiner Frau, auch das darauffolgende 'Schwanzeinziehen', wenn Golde kontert. Das Verständnis für die Töchter - die Ablehnung des Goi als Schwiegersohn, dezent ohne Übertreibung - einerseits / andrerseits - dargestellt. Immerhin ist er ein Nordländer, dem wohl noch nicht alle deutschen Worte so geläufig sind. So hakt gelegentlich der Dialog.

Aber ein besonderer Charme ist sein Akzent - sprechen die meisten anderen 'nach der Schrift' - bei Saevarsson vermittelt gerade das 'gebrochene Deutsch' etwas entfernt den Eindruck als würde er jüdeln. "Tradition ist Schlamperei" sagte eines Gustav Mahler. Hier ganz gegen die Tradition, Sänger als reine Schauspieler. Und ganz erstaunlich wie das fast reine Sängerensemble spielt. Nun ist es heute sehr viel einfacher, Sänger als Schauspieler einzusetzen - der erhobene dramatische Arm gehört der Vergangenheit an - als dass Schauspieler als Sänger eingesetzt werden können, die mit 'belting', zu mehr reicht es nicht, eben schnell an ihre stimmlichen Grenzen gelangen. Hinzu kommt, dass - gut, der Besetzungszettel des Intendanten gibt es vor - sich Elvira Soukop, sonst Octavian oder Angelina, nicht zu schade für eine Zeitel ist oder ein Vogelhändler-Adam den Perchik ausfüllt, ohne etwas singen zu müsse. Man stelle sich vor, ein Tenor gibt keinen solistisch gesungenen Ton von sich und überzeugt absolut. Michael Suttner hier als 'der Herr Student', dem Tevje wieder eine Tochter ausspannend. Die Zeiten haben sich verändert. Jente, hat kaum noch was zu tun, jeder sucht sich selbst sein Liebchen. Silvia van Spronsen als die Heiratsvermittlerin - je schrulliger, desto van Spronsen - wir erinnern an 'Hase, Hase' im Jahr '94. Warum sie allerdings bei Zeitels Hochzeit erst mittanzt und dann rumgiftet, bleibt ein Rätsel. Ob nun Rosemarie Beisert als Golde, Katharina Leitgeb als Hodel, Ilonka Vöckel als Chava, der kleine Mr. Damkier als Mottel, Christian Pätzold als Lazar Wolf - und allen anderen - gelingt es, im Einzelspiel als auch in den Ensembles die Rollen glaubhaft auszufüllen. Herauszuheben noch der äußerste präsente Wachtmeister von Zbigniew Cieslar. Und so stimmt die gesamte Produktion von Regisseur Michael Blumenthal bis hinein in die Applausordnung.

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Solisten, Ballett, Chor, Orchester, dran an der Story und am Geschehen. Wieder lag die musikalische Einstudierung in der Hand von 'Regensburgs Harry Potter' - der versierten Maria Fitzgerald. Bühne von Wolf Wanninger, Kostüme von Sibylle Schulze - stimmig, so wie man sich halt ein Dorf in den Weiten Russlands um die vorletzte Jahrhundertwende vorstellt. Ein guter Abend im Theater Regensburg!

Na also, es geht doch! Natürlich gibt es up and downs, einer verkorksten 'Lysistrata' folgt ein gelungener 'Galilei'. Einer lebendigen 'Cenerentola', eine gute 'Loreley'? Auch gilt es hier nicht zur sprechen über zu stark angegähnte oder angejaulte Töne, über Schärfen oder Knödel. Druckfrei können die Sänger einfach gut sein und sie sind es. Und die nichtsingenden Schauspieler auch. Warum berührt Anatevka nun mehr als das behandelte Stück von Charles Lewinsky?

'Freunde, das Leben ist lebenswert'
 

Ist es der intimere Raum des Theaters am Bismarckplatz gegenüber der Weitläufigkeit des Velodroms, wo durch die Distanz und die notwendigerweise 'erhobenen Stimmen' keine Spannung aufkommen kann ? Ist es der in 'Anatevka' fehlende strahlende Tenor Michael Suttner, der in 'Freunde ....' alle immer wieder aus jeder aufkommenden Beklemmung reißt? In 'Anatevka' sind Musik, Text, Spiel und Stimmen aufeinander abge-'stimmt' und das zwingt. Hier kommt die Bindung von Bühne und Zuschauerraum zu Stande, was bei 'Freunde ...' unterbleibt. Ließe man aus den Operetten die Texte von Fritz Löhner-Beda gesprochen innerhalb des Abends auf das Publikum wirken, wäre dem Stück und dem Thema gedient. Da in Regensburg die leichte und doch so schwere Muse 'Operette' so gut wie nicht gepflegt wird und hier nun auch endlich ein strahlender Tenor engagiert ist, sind alle im Zuschauerraum happy über die Stimme von Michael Suttner und wie er die Melodien von Franz Lehar oder Paul Abraham serviert. Aber damit bleibt das Stück auf der Strecke - ganz abgesehen davon, dass ein KZ nicht auf die Regensburger Bühne passt. Da kann Jens Schnarre als Karl Schultze-Prohaska in 'Freunde .....' noch so überzeugend den Wandel vom unterwürfigen Chauffeur zum immer noch menschlichen Schergen darstellen - ein Michael Suttner schmettert ihn und jede bedrückende Stimmung schon im ersten Entstehen mit Melodien aus 'Giuditta' an die Wand.

(Dieter Hansing)

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
 

 

Ich verstehe diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen, sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung -
Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch
Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz,
in Anspruch.