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25.05.01

Theater Freiburg

'Der fliegende Holländer'
oder
'Senta oder ein Puppenheim'

 


Wird 'Der fliegende Holländer’ neben dem im Herbst 1842 uraufgeführten 'Rienzi’ betrachtet, so ist nachvollziehbar, dass es den Dresdener Bürgern am 2. Januar 1843 nicht leicht fiel, Richard Wagner in seinen Intentionen zu folgen.

So neu war die Dramaturgie des Werkes und die musikalische Linienführung.

Hätten die Dresdener gewusst, was ihnen ca. 150 Jahre später am Freiburger Theater als Fliegender Holländer geboten wird, wäre ihnen sicherlich das Verständnis völlig abhanden gekommen.

Kein Schiff, keine Taue, kein Deck, keine Spinnstube, kein Fels von dem sich Senta ins Meer hinabstürzen könnte.

Und so stimmte die Aussage eines Besuchers im Freiburger Theater, als er vor der Vorstellung am 25. 5.01 auf der Herrentoilette beim fröhlichen Gepinkel meinte: „das ist das letzte Wasserrauschen, das wir heute Abend hören.“

Er kannte wohl die Inszenierung von Philipp Himmelmann.

Es wurde die einaktige Fassung auf der gesamten Bühnenfläche des Freiburger Theaters mit ca. 25 x 20 m gespielt, auf der in dieser Einzimmerwohnung eine Wohngemeinschaft ihre Möbel in einem wadenhohen Granulat aufgestellt hat, durch das sie nun unablässig stiefeln musste.

Die WG sitzt um einen Esstisch und löffelt die Suppe, in der jeder ein Haar zu finden glaubt.

Daland, der Vorsitzende der WG, Kapitän zur See, hat offensichtlich Probleme mit seiner Autorität, denn er läuft die ganze Zeit in seiner Uniformjacke herum. Offensichtlich ist es so, dass nur sie ihn zusammenhält und ihm - viergestreift - Ansehen verleiht.

Auch Senta ist schon da und da sie den Brautschleier aufhat, probiert sie wohl schon mal den Weg zum Traualtar mit Erik, dem Jäger und Tenor, der im Hintergrund gerade einen Hirsch ausweidet, weiterhin hoffend, dass für sie vielleicht doch noch ein Bariton auftaucht.

Wie Senta es sich gewünscht hat, erscheint plötzlich aus der Versenkung eine Gestalt, wobei sich für den Zuschauer die Frage erhebt, ob es sich um eine Figur aus dem Film ‚Der dritte Mann’ handelt, die aus dem Kanalsystem von Sandwike – so heißt die Bucht – hervorsteigt oder eventuell sogar um Jochanaan, der seine Zisterne verlässt, denn „die Prinzessin Salome wünscht ihn zu sehn“.

Der versierte Zuschauer erkennt aber gleich, dass es sich doch um den fliegenden Holländer handelt, da dieser in der unverkennbar amerikanischen Art bemerkt: Die Frist ins ‚ume’.

Riccardo Lombardi singt, trotz dieser Mätzchen, einigermaßen textverständlich mit in allen Lagen sicher geführter Stimme, ohne dieser durch eine schwer nachvollziehbare Technik Zwang anzutun und damit den Sound zu verändern.

In der nun folgenden Szene zeigt Dariusz Niemirowicz, dass er eigentlich ein Bass-Buffo und mit dem Daland zu leicht besetzt ist. Ein echter Gegenpart zum Holländer kann er so nicht sein.

Wie schwer Tenorpartien zu besetzen sind, wird zunächst einmal bei René Velázquez-Diaz als Steuermann deutlich.

Er kräht wie der Gockel der Bremer Stadtmusikanten, der verkünden muss, Gold- oder Pechmarie seien wieder hie.

Die Stimme sitzt irgendwo, jedenfalls nicht dort wohin sie gehört, um dem Südwind den Weg zu weisen. Wenn dann auch noch eine freud’sche Fehlleistung hinzukommt und er laut und deutlich auffordert, „ach liebes Mädel blas noch mehr“, dann kommt auch beim reservierten Freiburger Publikum Freude auf.

Bei Stefan Vinke als Erik merkt man sehr deutlich, was er studiert hat, aber als nun lautgewordener Kirchenmusiker über das „... da Jesus diese Rede vollendet hatte ...“ nicht hinausgekommen ist.
Die Stimme sitzt in der Nase, was sich bei den hellen Vokalen besonders deutlich bemerkbar macht, während bei den dunklen in der Mittellage ein ‚ins Schnäuzchen’ geführter offener Kopf-Klang präsentiert wird. Bei zunehmender Höhenlage gerät die Stimme aus der Führung und ist dann stark kieksgefährdet. Auffallend ist besonders, dass der Körper von Herrn Vinke mit seinen stattlichen Resonanzmöglichkeiten nicht in die Tonproduktion einbezogen wird. So endet sie bei diesem 'Krawattel-Tenor’ an der Halskrause. Eigentlich schade, denn von der Statur und auch vom Spiel her, wäre alles für eine sichere und langanhaltende Karriere vorhanden. Was hat sich wohl Edda Moser als seine Lehrerin dabei gedacht, ihrem Schüler keinen Vokalausgleich beigebracht zu haben?

Senta hatte sich bis zum Auftritt des Damenchores in den Kleiderschrank zurückgezogen, um dort ‚zu spinnen’. Es äußert sich hier so, dass sie mit dem Summen und Brummen eines Brummkreisels als Ersatz für das von Richard Wagner vorgesehene Spinnrad erfreut. Als der Chor - über diese Irreführung verstimmt - sie attackiert, bewirft sie diesen mit Puppen, die sie als Relikt aus Kindertagen bzw. als Sinnbilder für die noch zu gebärenden eigenen Kinder im Schrank aufbewahrt.

Stimmt auch sonst die Inszenierung häufig nicht mit den textlichen Vorgaben überein, so wird dies hier besonders deutlich, wenn Mary - unauffällig von Rosemary Nencheck gesungen - Senta auffordert, fleißig zu spinnen, um sich vom Schatz ein Geschenk zu gewinnen und als diese bekanntermaßen der Aufforderung nicht folgt, sich selber den Befehl gibt: „ich spinne fort“. O Himmel, Mann!

Die Senta mit Turid Karlsen besetzt, keine Lyrische im herkömmlichen Sinne, sondern eine beherzte, noch sehr jugendlich Dramatische, die mit schlank geführter Stimme sehr schön phrasiert und selbst in Höhenlagen noch Diminuendi - ein Lob der Lehrerin Ingrid Bjoner - bereithält.

Bei vorsichtiger und kontrollierter Entwicklung kann hier mit zunehmender Stimmfülle eine begabte Vertreterin des Faches heranwachsen.

Der Chor seiner üblichen Tätigkeiten als Matrosen in dieser Inszenierung beraubt, steht eigentlich mehr oder weniger herum, kommt aber dadurch zum schönen, kraftvollen und unabgelenkten Singen.

Beim Orchester fällt ein lauter, undifferenzierter, grober Klang auf, der mit den schon fast üblichen Kieksern der Bläser gespickt ist.
Leitung Kwamé Ryan.

Der Abend endet nicht mit der ‚Erlösung durch Liebe’, sondern als perpetuum mobile.
Man sitzt wieder stumm um den ganzen Tisch herum.
Der Holländer ist wieder in der Versenke verschwunden,
Senta wird vom Öffnen der Pulsadern zurückgehalten und springt dem Holländer auch nicht durch den offenen Kanaldeckel nach, sondern ordnet sich den Brautschleier und alle löffeln wieder die Suppe, die sie sich eingebrockt haben.

Morgen kann das Spiel wieder mit der selben Szene beginnen und endet wieder wie schon gehabt.

Tag ein, Tag aus das Einerlei und der Familienhorror in norwegischen Fjorden.

30.5.01 hgh

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