So
neu war die Dramaturgie des Werkes und die musikalische
Linienführung.
Hätten die Dresdener gewusst, was ihnen ca. 150 Jahre
später am Freiburger Theater als Fliegender Holländer
geboten wird, wäre ihnen sicherlich das Verständnis
völlig abhanden gekommen.
Kein Schiff, keine Taue, kein Deck, keine Spinnstube,
kein Fels von dem sich Senta ins Meer hinabstürzen
könnte.
Und so stimmte die Aussage eines Besuchers im Freiburger
Theater, als er vor der Vorstellung am 25. 5.01 auf der
Herrentoilette beim fröhlichen Gepinkel meinte: „das ist
das letzte Wasserrauschen, das wir heute Abend hören.“
Er
kannte wohl die Inszenierung von Philipp Himmelmann.
Es
wurde die einaktige Fassung auf der gesamten
Bühnenfläche des Freiburger Theaters mit ca. 25 x 20 m
gespielt, auf der in dieser Einzimmerwohnung eine
Wohngemeinschaft ihre Möbel in einem wadenhohen Granulat
aufgestellt hat, durch das sie nun unablässig stiefeln
musste.
Die WG sitzt um einen Esstisch und löffelt die Suppe, in
der jeder ein Haar zu finden glaubt.
Daland, der Vorsitzende der WG, Kapitän zur See, hat
offensichtlich Probleme mit seiner Autorität, denn er
läuft die ganze Zeit in seiner Uniformjacke herum.
Offensichtlich ist es so, dass nur sie ihn zusammenhält
und ihm - viergestreift - Ansehen verleiht.
Auch Senta ist schon da und da sie den Brautschleier
aufhat, probiert sie wohl schon mal den Weg zum
Traualtar mit Erik, dem Jäger und Tenor, der im
Hintergrund gerade einen Hirsch ausweidet, weiterhin
hoffend, dass für sie vielleicht doch noch ein Bariton
auftaucht.
Wie Senta es sich gewünscht hat, erscheint plötzlich aus
der Versenkung eine Gestalt, wobei sich für den
Zuschauer die Frage erhebt, ob es sich um eine Figur aus
dem Film ‚Der dritte Mann’ handelt, die aus dem
Kanalsystem von Sandwike – so heißt die Bucht –
hervorsteigt oder eventuell sogar um Jochanaan, der
seine Zisterne verlässt, denn „die Prinzessin Salome
wünscht ihn zu sehn“.
Der versierte Zuschauer erkennt aber gleich, dass es
sich doch um den fliegenden Holländer handelt, da dieser
in der unverkennbar amerikanischen Art bemerkt: Die
Frist ins ‚ume’.
Riccardo Lombardi singt, trotz dieser Mätzchen,
einigermaßen textverständlich mit in allen Lagen sicher
geführter Stimme, ohne dieser durch eine schwer
nachvollziehbare Technik Zwang anzutun und damit den
Sound zu verändern.
In
der nun folgenden Szene zeigt Dariusz Niemirowicz, dass
er eigentlich ein Bass-Buffo und mit dem Daland zu
leicht besetzt ist. Ein echter Gegenpart zum Holländer
kann er so nicht sein.
Wie schwer Tenorpartien zu besetzen sind, wird zunächst
einmal bei René Velázquez-Diaz als Steuermann deutlich.
Er
kräht wie der Gockel der Bremer Stadtmusikanten, der
verkünden muss, Gold- oder Pechmarie seien wieder hie.
Die Stimme sitzt irgendwo, jedenfalls nicht dort wohin
sie gehört, um dem Südwind den Weg zu weisen. Wenn dann
auch noch eine freud’sche Fehlleistung hinzukommt und er
laut und deutlich auffordert, „ach liebes Mädel blas
noch mehr“, dann kommt auch beim reservierten Freiburger
Publikum Freude auf.
Bei Stefan Vinke als Erik merkt man sehr deutlich, was
er studiert hat, aber als nun lautgewordener
Kirchenmusiker über das „... da Jesus diese Rede
vollendet hatte ...“ nicht hinausgekommen ist.
Die Stimme sitzt in der Nase, was sich bei den hellen
Vokalen besonders deutlich bemerkbar macht, während bei
den dunklen in der Mittellage ein ‚ins Schnäuzchen’
geführter offener Kopf-Klang präsentiert wird. Bei
zunehmender Höhenlage gerät die Stimme aus der Führung
und ist dann stark kieksgefährdet. Auffallend ist
besonders, dass der Körper von Herrn Vinke mit seinen
stattlichen Resonanzmöglichkeiten nicht in die
Tonproduktion einbezogen wird. So endet sie bei diesem 'Krawattel-Tenor’
an der Halskrause. Eigentlich schade, denn von der
Statur und auch vom Spiel her, wäre alles für eine
sichere und langanhaltende Karriere vorhanden. Was hat
sich wohl Edda Moser als seine Lehrerin dabei gedacht,
ihrem Schüler keinen Vokalausgleich beigebracht zu
haben?
Senta hatte sich bis zum Auftritt des Damenchores in den
Kleiderschrank zurückgezogen, um dort ‚zu spinnen’. Es
äußert sich hier so, dass sie mit dem Summen und Brummen
eines Brummkreisels als Ersatz für das von Richard
Wagner vorgesehene Spinnrad erfreut. Als der Chor - über
diese Irreführung verstimmt - sie attackiert, bewirft
sie diesen mit Puppen, die sie als Relikt aus
Kindertagen bzw. als Sinnbilder für die noch zu
gebärenden eigenen Kinder im Schrank aufbewahrt.
Stimmt auch sonst die Inszenierung häufig nicht mit den
textlichen Vorgaben überein, so wird dies hier besonders
deutlich, wenn Mary - unauffällig von Rosemary Nencheck
gesungen - Senta auffordert, fleißig zu spinnen, um sich
vom Schatz ein Geschenk zu gewinnen und als diese
bekanntermaßen der Aufforderung nicht folgt, sich selber
den Befehl gibt: „ich spinne fort“. O Himmel, Mann!
Die Senta mit Turid Karlsen besetzt, keine Lyrische im
herkömmlichen Sinne, sondern eine beherzte, noch sehr
jugendlich Dramatische, die mit schlank geführter Stimme
sehr schön phrasiert und selbst in Höhenlagen noch
Diminuendi - ein Lob der Lehrerin Ingrid Bjoner -
bereithält.
Bei vorsichtiger und kontrollierter Entwicklung kann
hier mit zunehmender Stimmfülle eine begabte Vertreterin
des Faches heranwachsen.
Der Chor seiner üblichen Tätigkeiten als Matrosen in
dieser Inszenierung beraubt, steht eigentlich mehr oder
weniger herum, kommt aber dadurch zum schönen,
kraftvollen und unabgelenkten Singen.
Beim Orchester fällt ein lauter, undifferenzierter,
grober Klang auf, der mit den schon fast üblichen
Kieksern der Bläser gespickt ist.
Leitung Kwamé Ryan.
Der Abend endet nicht mit der ‚Erlösung durch Liebe’,
sondern als perpetuum mobile.
Man sitzt wieder stumm um
den ganzen Tisch herum.
Der Holländer ist wieder in der
Versenke verschwunden,
Senta wird vom Öffnen der
Pulsadern zurückgehalten und springt dem Holländer auch
nicht durch den offenen Kanaldeckel nach, sondern ordnet
sich den Brautschleier und alle löffeln wieder die
Suppe, die sie sich eingebrockt haben.
Morgen kann das Spiel wieder mit der selben Szene
beginnen und endet wieder wie schon gehabt.
Tag ein, Tag aus das Einerlei und der Familienhorror in
norwegischen Fjorden.