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                      04.01.2010 - dradio.de

 
 

 

  1.  

       
        Staatstheater Braunschweig

      
     Bemerkungen eines Vollzahlers zur szenischen Umsetzung von
       

       'Don Giovanni'
         Wolfgang Amadeus Mozart

            Repertoirevorstellung 08. Mai 2011

          'Und die Suppe ist auch kalt'
     


    Announcement Staatstheater Braunschweig

    Don Giovanni

    von Wolfgang Amadeus Mozart
    Dramma giocoso in zwei Akten
    Dichtung von Lorenzo Da Ponte
    in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
    Wer ist Don Giovanni wirklich? Mozarts Musik stellt den Wüstling, Frauenschänder und Mörder Don Giovanni konsequent in den Mittelpunkt, obwohl sie ihm nicht einmal eine richtige Arie gönnt.
    Doch erst die Musik ermöglichte das romantische Bild vom ewigen Verführer, der als Libertin aus Amoral nicht gesellschaftsfähig ist und sich doch der ungeteilten Faszination aller anderen erfreut.
    Mag Casanova redensartlich bis heute überlebt haben, die existenzielle Tragik des nie zufriedenen Frauenverführers spüren wir nur im Mythos Don Giovanni. Denn die von Da Ponte und Mozart erzählte Geschichte berichtet vor allem seinen Weg in den Untergang, der mit Donna Anna einsetzt, der ersten Frau, bei der Giovanni versagt – was immer auch wirklich in ihrem Schlafzimmer geschehen sein mag.
    Wie in einem Experiment will die Inszenierung von Johannes Erath die Befreiung der Figur vom Mythos wagen und Giovanni psychologisch ernst nehmen. Das Ergebnis ist zwangsläufig tödlich: Giovanni muss als Mensch sterben, damit alle der hermetischen Geschlossenheit der sich ewig wiederholenden Geschichte endlich entkommen können.
    Die Mozarts Finale eröffnende Frage bekommt so neuen Sinn als Aufforderung zur Identitätssuche: »Dove è il perfido?« (»Wo ist der Wüstling?«) – Beginn einer nicht nur komischen Oper.
     
    Premiere am 30.04.2011
    Kooperation mit der Oper Graz

    Großes Haus
     
    Musikalische Leitung: Sebastian Beckedorf
    Inszenierung: Johannes Erath
    Bühne: Stefan Heinrichs
    Kostüme: Claudia Jenatsch
    Dramaturgie: Daniela Brendel, Daniela Brendel
    Chor: Georg Menskes

    Mit:
    Don Giovanni: Orhan Yildiz
    Donna Anna: Ekaterina Kudryavtseva
    Don Ottavio: Matthias Stier
    Komtur: Selcuk Hakan Tirasoglu
    Donna Elvira: Julia Rutigliano
    Leporello: Dae-Bum  Lee, Oleksandr Pushniak, Oleksandr Pushniak
    Masetto: Malte Roesner
    Zerlina: Moran Abouloff
     

     

     
    'Doch was sie spricht, das sieht man nicht'

    Die im Internet - wie auch Herr Pushniak - zweimal aufgeführte Frau Brendel (siehe oben) gab ein paar Worte zum Besten, die Produktion des Braunschweiger 'Giovanni' betreffend, die schon in Graz gelaufen sei, man sich hier aber - wegen der anderen Darstellertruppe als der in Graz - ein paar Sachen habe einfallen lassen und geändert.
    "Ich sage Ihnen auf keinen Fall welche" - die übliche Floskel der Dramaturgen, um zu verhindern, dass die Leute schon nach dem Einführungsvortrag das Weite suchen, bekämen sie aufgetischt, wes Mahl sie erwartet.

    Sie, die Frau Brendel, meinte dann, sie möge diese Produktion sehr, diese sei kein gewöhnlicher Zugriff auf diesen Stoff, dieser habe eine eigenwillige Sicht, ihrer Meinung nach sei alles sehr schlüssig (oftmals hört man solche Sprüche bei Verkaufsgesprächen im Warenhaus: 'wird sehr gern genommen!').

    Was sie den an dieser Einführung Teilnehmenden gern mit auf den Weg geben möchte: man müsse jede Sekunde aufmerksam sein, sonst verpasse man sehr viel, was auf der Bühne passiert.
    Das sei schon etwas, womit die jüngeren Leute heute kein Problem hätten - "also ich weiß nicht, aber man muss wirklich kucken, dass man überhaupt nichts verpasst".

    Hierzu meinte eine neben dem kritischen Beobachter sitzende Dame:
    "Für wie blöd hält die uns eigentlich, wenn wir Alten nicht mehr kommen, dann geht doch überhaupt keiner mehr hin."

    Wenn man also aufpasse, könne man feststellen wie genau der Regisseur die Personenkonstellation herausgearbeitet habe, meinte Frau Dramaturgin Brendel nochmals ausführen zu müssen.

    Es folgten, von Frau Brendel vorgetragen, Allgemeinplätze, Mozart betreffend, die in jedem Opernführer nachlesbar sind, also keines Einführungsvortrages bedürfen.

    Man habe sich speziell in der Folgezeit Mozarts die Figur des Don Giovanni nicht nur als eine Person der Posse gesehen, sondern man habe auch versucht, zu erkennen, was hinter der Figur steckt, was ihn und alle Figuren zu ihrem Treiben treibe. Beispielsweise habe die Zerline nicht nur possenhafte Züge, sondern verfüge über sehr viel Tiefgründiges, das sei auch bei frühen Mozart-Opern so. Auch das zugeordnete Personal habe ganz, ganz viele Charaktereigenschaften, sei stark typisiert in vielfältigen Art und Weisen, die Mozart auch tief weitergehend verarbeite.

    Das Regieteam habe sich von den verschiedenen Fassungen der Oper - Frau Brendel meinte die Prager und die Wiener Fassung - leiten lassen und eine Mischfassung erstellt. So würden in der Braunschweiger Fassung beide Arien des Ottavio zu hören sein.
    Trotzdem (wieso trotzdem?) heiße das nicht, dass das Stück vorne anfange und hinten aufhöre - sie verrate jetzt erstmal eins: das Stück höre erstmal am Ende auf. (Wie das?)
    Es stellte sich dann heraus, dass Frau Brendel meinte, klarstellen zu müssen, das Stück fange mit dem Ende an, der Komtur sei zum Essen eingeladen worden und Don Giovanni sei zur Hölle gefahren. Übrig bleibe das Personal, das säße nun herum und wisse nicht, wie es weitergehen solle, da Don Giovanni eine Leere hinterlassen habe. Alle merkten angeblich, es fehle diese Figur Don Giovanni. Es ginge hier auch darum, zu zeigen, was dieser Mensch auch für die anderen bedeute.

    Es käme zu einer Art Sog.
    Don Giovanni sei ein toller Typ, den man nicht jeden Morgen am Frühstückstisch haben wolle, der aber über eine Anziehungs- und Verführungskraft verfüge. Selbst wenn alles ganz schrecklich gewesen sei, was man mit ihm erlebt habe, es entstünde mit seinem Abgang eine Leere, da er wie eine Droge sei für die anderen, die ihn brauchten.
    Die Produktion sei also keine Eins-zu-eins-Übernahme, sondern es könne auch ein inneres Gefängnis sein, was die Figuren in ihrem Kopf einsperrten und gefangen halte, somit sie alles immer wieder zu durchleben hätten.

    Man solle auf das Paar Masetto-Zerlina achten, die über die größte Fallhöhe verfügten, die sich seit langem kennten und mit dem Schema Bauerntölpel und Zofe nichts zu tun habe, diese Verbindung werde von Giovanni zerstört, da ein Verführungselement mit ins Spiel komme. Diese Beziehung sei am Ende weg und könne nicht mehr in Ordnung gebracht werden.
    Auch habe Giovanni ein Verhältnis zu Leporello, das er ebenfalls vernichte.

    Ein paar Worte wolle sie zum Regisseur sagen, der
    sei eigentlich Geiger, der habe auch in Orchestern gespielt und sich dann entschlossen, zu inszenieren. Hier am Giovanni habe er mit dem Ensemble sehr daran gearbeitet, um zu zeigen, wie sich Beziehungen veränderten.

    Man möge übrigens im Programmheft nachlesen, was dort Herr Hüsers zu der Produktion zu sagen habe.

    Am Ende der Einführung im kleinen Kreis nochmals die Mahnung der Frau Brendel, sehr genau aufzupassen, damit man nichts verpasse.

     


    'Der Geiger als Regisseur'

    So was gab es schon einmal.
    Da war ein gewisser Dr. Mussbach, der war Arzt und ein Regisseur dazu.
    Der konnte glänzend Klavier spielen, das Ensemble der 'Götterdämmerung' war begeistert, endlich mal einer, der die Musik kennt, sich ans Klavier setzt und sie spielt, die er inszeniert.
    Diese Frankfurter Produktion wurde nach der Premiere abgesetzt und Herr Barenboim hat kürzlich nicht mehr mit Herrn Dr. Mussbach arbeiten wollen.

    Dies nur 'to be kept in mind'.

    Lässt man also diese Erath-Regie-Einfälle über sich ergehen, so muss der zahlende Zuschauer versuchen, den Faden nicht zu verlieren, denn 'der Geiger als Regisseur' (verständlich, dass er lieber inszeniert, denn als Tuttispieler sich verdingen zu müssen) zeigt viele Stränge, die ineinander verwoben und deren Einzelfäden nicht klar zu verfolgen sind.
    Dass er beispielsweise den Komtur der Aussage 'Und in der Suppe doch ein Haar' folgen und ihn den Abend über nach diesem Haar forschen lässt, indem er das Gesicht des Sängers in den Suppenteller tunkt - was für ein entzückender Gedanke des Regisseurs.
    Wie schön wäre es gewesen, um das Geschehen auf der Bühne zu verdichten, er hätte noch 'Die Bremer Stadtmusikanten' oder die sieben Zwerge aus 'Schneewittchen' eingebaut.
    Tiere und Kinder auf der Bühne machen sich immer gut, heben die Publikumsakzeptanz und die Story wäre klar erkennbar.

    So aber bleibt der Zuschauer auf der Strecke, denn er wird abgelenkt durch planloses Gewusel der Mitspieler, die nach Originalvorlage in einzelnen Szenen garnicht mitzuspielen haben, aber eben einfach doch die Bühne bevölkern.
    Hinzu kommen Statisten, die so tun als wären sie wer, z.B. Donna Elvira, die dann im ersten oder zweiten Rang des Gerüstes sitzen und zuschauen oder sich mit Sexaktionen vergnügen. Jedenfalls mit dem Stück an den Stellen nichts zu tun haben, oder sogar zwischen den Sängern in slowmotion herumtapern, nur um aus Sicht des Regisseurs zu zeigen:
    'Ach, was ist mir da Hübsches eingefallen.'

    Diese Regie-Arbeit erinnert an den '1993-Tannhäuser' von Herrn Neuner in Braunschweig, der Stadt mit dem Sitz der obersten deutschen Luftfahrt-Aufsichtsbehörde, der durch zu viel und daneben ähnlich unverständlich war.
     



    Der Abend beginnt mit dem Ende der Oper, das musikalisch vom Band, daher in einheitlichster Form, kommt. Die Protagonisten machen ganz in stummer Jule, sitzen um eine lange quer über die Bühne gestellte Tafel und warten auf das vereinbarte Zeichen, die Einzeltische - aus der die lange Tafel besteht - nach hinten wegzuräumen.

    Zum 'so stirbt, wer Böses tat' ziehen die Herrschaften den Vorhang zu und verbeugen sich linkisch, da es ihnen ja wohl peinlich ist, mit geschlossenem Mund dazustehen und ihrem Sound vom Band zu lauschen. Und auf den Paukenschlag fallen alle um. Die Ouvertüre beginnt, langsam bekrabbeln sich die Damen und Herren und verziehen sich hinter den Vorhang.
    Welch reizender Regieeinfall.

     


     


    Vorhang auf zur ersten Szene.
    Es soll wohl das Innere eines Gefängnisbaus dargestellt werden, sieht eher nach einem Baugerüst für Putz- und Malerarbeiten in einem Rohbau aus, mit umlaufenden Gängen auf zwei Etagen über dem Erdgeschoss.
    Schutzzäune oder sind es Drahtverhaue wie man sie aus Mehrfamilienhäusern mit ihren Kellerappartements kennt, keine Querabtrennungen allerdings, so dass die auf diesen umlaufenden Gängen installierten Clo-Schüsseln durchgängig benutzbar gemacht werden, jeder - sei es nun Gefängnisinsasse oder sei es Bauhandwerker - kann auf jede Schüssel. Oder es sind Sanitärobjekte, die zur Verteilung auf der Baustelle, da nur abgestellt und zugeteilt sind und ihrer Verwendung entgegensehen?

    Auf der Bühne die auseinandergerissene Gasttafel aus dem Vorspiel, am Kopfende rechts der Komtur, Suppe löffelnd, ein Sofa (scheint IKEA-3-Sitzer) in der Mitte der Bühne, eine Dame auf ihr liegend.
    Leporello räsoniert mit seinem
    'Notte e giorno faticar'
    herum, schmeißt eine Sonnenliege in die Ecke, wirft sich auf das Sofa, schreckt die drauf Liegende auf, es stellt sich - da die bekannte Melodie erklingt und die Dame anfängt, zu singen, heraus, dass es sich um Anna handelt, die von Ottavio getröstet wird.

    Giovanni kommt vom Gerüst, macht mit Anna rum, der Komtur löffelt unablässig Suppe, bis er plötzlich - genau aufs Stichwort - einen Revolver zur Hand hat und mit dem auf Giovanni zielt. Leporello wirft sich gestikulierend dazwischen - da, ein Schuss und der Komtur fällt mit dem Gesicht in den Suppenteller, aus dem er löffelte.

    Leporello verhüllt sein Gesicht, Anna bei dem Pistolenknall auf der Couch zusammengesunken, belebt sich und singt
    'Ma qual mai s'offre, o dei' -
    bleibt aber auf der Couch und macht keine Anstalten, sich um den Komtur, ihren Vater, zu kümmern. Dann stürzt sie aber doch herbei und muss feststellen, dass der Vater entweder durch Giovannis Schuss getötet wurde oder mit dem Gesicht im Teller in der Suppe ertrunken ist.

    Daraufhin schlendert Anna, wie beiläufig, an den Graben, um sich in diesen zu stürzen, Ottavio kann sie im letzten Moment vor dem Sprung in das Orchester zurückhalten. Das
    'Fuggi, crudele, fuggi'
    wird vom musikalischen Leiter im rechten Moment angestimmt.

    Eine wohlproportionierte Dame ist über die Gerüsttreppen aus der zweite Etage herabgestiegen, es ist Elvira, die einen Tisch nach links herbeischleppt und ihn sich eindeckt.

    Anna schleudert Ottavio auf die Couch, Rezitativ Giovanni / Leporello
    'Orsù, spicciati presto'
    auf dem Gerüst  - dann das
    'Ah, chi mi dice mai'
    der Elvira. Ottavio geht, die Gerüsttreppe hinauf, Anna sinkt auf der Couch zusammen, Giovanni und Leporello hantieren auf der gegenüberliegenden Gerüstseite herum, kommen herunter, damit Leporello das
    'Madamina, il catalogo è questo'
    singen kann, die schriftlichen Hinweise kritzelt er aufs Tischtuch.

    Verschleierte Damen erscheinen auf dem Gerüst, Anna erhebt sich von der Couch, es entflammt das Bühnenlicht, die Damen schmeißen die sie verdeckenden Fummel von sich und jubeln umeinander, tanzen das
    'Giovinette, che fate all'amore' -
    aufgepasst, die Herrschaften, sonst rennt der Kapellmeister mit seinen Orchestermannen davon - Zerlina und Masetto ganz beieinander. Leporello hat sich eine von den mitwimmelnden Damen über die Schulter geworfen und will mit ihr ab, lässt sie runter und rangelt mit Masetto,
    'Ho capito, signor, sì!' -
    die Bühne leert sich, der Komtur liegt immer noch rechts am Ende der zerstörten Tafel mit dem Gesicht im Suppenteller.

    Giovanni hat auf der Rückenlehne der Couch Platz genommen und lockt mit dem
    'Là ci darem la mano'
    Zerlina auf die Couch. Elvira kommt hinzu, nun sitzen die Drei zusammen, aber Elvira erkennt die Situation, springt auf, greift sich Zerlina für das
    'Ah! fuggi il traditor!' -
    enteilt auf das Gerüst.

    Giovanni schnappt sich den Komtur, holt hierfür dessen Gesicht aus dem Suppenteller, schiebt den Mann in seinem Rollstuhl rechts zwischen zwei Closchüsseln und parkt ihn dort, deckt den Resttisch für Ottavio und Anna ein, was durch das
    'Non ti fidar, o misera' -
    der Elvira erheblich gestört wird, die sich dann aber einen Stuhl herbeiholt und sich einfach zu Anna, Ottavio und Giovanni an den Tisch setzt. Die Phrase ist zu Ende - kein Applaus.
    Elvira springt auf, schmeißt fast den Tisch um und entstürzt auf das Gerüst. Giovanni mit dem markanten
    'amici, addio'
    der Elvira hinterher.

    Es folgt - wie vorgesehen - das
    'Don Ottavio, son morta!' -
    Anna rennt zur Couch, Ottavio ihr hinterher - von hinten links kommt einer im schwarzen Anzug und begrapscht Ottavio, jener lässt von diesem ab, da begrapscht die Anna das 'Statisterl'. Für das
    'Or sai chi l'onore'
    gibt es keinen Applaus.

    Giovanni zieht sich so eine Art von 'Torerojopperl' über und steigt zur Feier der sogenannten Champagner-Arie auf die Rückenlehne der Couch. Leporello setzt sich vorne rechts an den Tisch (eigentlich der Platz vom Komtur) und bläst Seifenblasen in die Luft, die Giovanni, von der Couch gesprungen, einzufangen sucht. Davon offensichtlich erschöpft, schmeißt er sich auf die Liege. Dann ab.

    Zerlina auf dem Gerüst mit
    'Batti, batti, o bel Masetto' -
    der zieht sich auf dem Gerüst schon mal die Kleider vom Leibe, meint wohl, a weng geht immer. Unten auf der Bühne scharwenzeln Giovanni und Leporello herum.
    Es wird Licht - als sei eine verdunkelnde Scheibe weggeschoben worden.

    'Presto, presto, pria ch'ei venga' -
    Leporello schleppt Stühle herbei, reiht sie an der Rampe, stellt Tische zu einer Tafel zusammen, Giovanni zeigt ihm das Wie und Wo, steigt auf den Tisch und tönt, hupft umeinander und sieht sich, zurückweichend,  plötzlich dem Komtur gegenüber, der aus dem Nichts der Kulisse rechts aufgetreten ist. Vielleicht hatte jemand ein Einsehen, holte ihn aus der Parkplatzsituation (siehe oben), jetzt ist er wieder da. Er nimmt nicht nur seinen Rollstuhl beiseite, sondern auch wieder am Kopf der Tafel Platz.

    Leporello müht sich mit dem Auflegen der Tischdecke. Der Komtur ist vornüber gesunken und sucht wieder nach dem Haar in der Suppe. (Das kann nicht so schwer sein, dieses zu finden. denn in dieser Suppe 'Don Giovanni' am Staatstheater Braunschweig gibt es haufenweise Haare in der Suppe, ganze Büschel sogar.)

    Zerlina und Masetto setzen sich an die Tafel, Giovanni schleicht von hinten herbei und stülpt Zerlina einen Schleier über.
    Welch reizender Gedanke des Regisseurs.

    Die Maskenszene kläglich irgendwo dazwischen. Leporello zischelt herum - die drei mit offenem Gesicht. Sie nehmen auch an der großen Tafel Platz - bei den andern. Giovanni robbt über den Tisch, Leporello macht's ihm nach.
    'Viva la liberta!'
     


    Müßig, weiter detailliert nach dem Stenogramm den Fortgang zu beschreiben, die eine andere, als die von Da Ponte erfunden, ist.
    Hinzu kommt:
    Es wiederholt sich alles, alles in dieser Einheitsszene, treppauf, treppab, Tisch decken, Tisch wegräumen, hüpfen auf die Couch, hüpfen runter von der Couch, alberne Fickszenen.

    Dann plötzlich mal was anderes -
    Ein Deckvorhang wird hinten aufgezogen, angezündete Grablämpchen - Friedhofszene.

    Der Komtur wandert plötzlich herum, er geistert treppauf, treppab - nahm hierfür den Kopf aus dem Suppenteller.
    Wie goldig das!

    Oder dieses:
    Eine Kloschüssel für die verfälschte Stimme des Komturs.
    Leporello muss dann das Lämpchen der Innenbeleuchtung des Sanitärobjektes  ausschalten? Findet den Schalter nicht.
    Wie reizend!

    Gruppensex auf der Festtafel - wohl wie es sich ein Geiger als Regisseur vorstellt.

    Wer versteht das Spiel? 
    Nur die Dramaturgin findet es schlüssig. Gut, sie muss pro domo sprechen, bekommt Steuergelder in Form eines Gehaltes, aber doch nicht für eine Irreführung des Publikums.

    Um diesem ein positives Zeichen zu geben, erschießt Ottavio den Giovanni am Schluss und singt dann so zu einem versöhnlichen Ende:
    'Nur ihrem Frieden weiht ich mein Leben.'

     



    Dass mit den Damen und Herren szenisch gearbeitet wurde, kann nicht bestritten werden, musste doch jedem/jeder gesagt sein, wohin zu laufen war, das Warum im Sinne des Konzeptes ist meisterlich außen vor geblieben.

    Konstellationen der Figuren zueinander sollen angeblich besonders herausgearbeitet worden sein, wie Frau Brendel behauptete - dies kann nicht bestätigt werden, da zu den Rollen, Nebenfiguren erfunden wurden, die nicht zur Klarheit - im Gegenteil, zur Verwirrung jedes 'Wer-mit-Wem' beitragen.
    Keiner ist im Fokus - alle hampeln auf der Bühne rum, ob sie nun dran sind oder nicht.

    Dass aber der Träger der Titelrolle, vierfünftel des Abends über mit beiden Händen in den Hosentaschen herumläuft, lässt sich nur so deuten, dass er sich mit den nötigen beidhändigen Massagen für die nächste 'Verkehrsaktion' in Form halten muss.

    Dass er eine Droge sei, dass etwas fehle, als die Hölle ihn schluckte, wie Frau Brendel in ihrem Einführungsvortrag meinte, versichern zu müssen, ist nicht nachzuvollziehen. Er singt wohltönend mit angenehmem Timbre, weiß sich auch stimmlich im Laufe des Abends zu steigern - sonst aber macht er eher den Eindruck eines 'Z'igrettenbürscherls' im falschen Stück. Von einer Art 'Siepi' und einer erotischen Ausstrahlung - nichts zu spüren.

     


    'Die Stimme des Anderen'

    Einer wundert sich über die Ablehnung des Publikums, die der Regie am Premierenabend zuteil wurde.
    Recht haben die Leute, einen solchen Quatsch wie dieser Giovanni szenisch dargestellt wird, auszubuhen.
    Dass dieser Regie-Teig niemals aufgehen kann, liegt an dem zu Viel und an dem falschen Einsatz der Ingredienzien - noch 'ne Idee, noch 'ne Idee,
    noch 'ne Idee,
    die alle nicht miteinander harmonieren, im Gegenteil, sich im Wege stehen.

    Am Ende des Abends - den der designierte Regensburger Theaterintendant, Jens von Enzberg, als noch Operndirektor dieses subventionsgestützten
    Braunschweiger Unternehmens zu verantworten hat - eilte ein Zuschauer aus seinem Sitz im zweiten Rang der polnischen Logenschließerin zurufend:

    "Der Schluss dieses Giovanni ist gut - alles andere ist gequirlte Scheiße."

    Aber es handelt sich doch um eine modische Inszenierung, die sicherlich Eva Märtson gefallen würde.
    So liegt der o.a. Rezensent doch ganz auf der Linie seiner Präsidentin von RW-International.

    Hoffentlich wird sie dort bald abgewählt, damit sie dann mehr Zeit hat, um weiter mit Peter Hacks 'Gespräch im Hause Stein' durch die 'Wälder durch die Auen' zu tingeln.
     

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    Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:


    Ich verstehe diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik
    um der Kritik willen, sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung -
    Geglücktes oder Misslungenes.

    Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

    Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.


     

     

         

Da die Gefahr besteht, der Leserbrief wird aus der Seite der Braunschweiger Zeitung herausgenommen, wird er hier zur Verfügung gestellt.
 

s.schipek, Braunschweig 05.05.2011

Premiere Don Giovanni am 30.04.2011

Leserbrief zur Premierenvorstellung des Don Giovanni am 30. April 2011 im Staatstheater

Was J. Erath in seiner Inszenierung des Don Giovanni dem Publikum des Staatstheaters an Obszönitäten, Sinnentstellung und Pornografie meint, zumuten zu müssen, stellt einen weiteren Tiefpunkt auf der nach unten offenen Skala der Geschmacklosigkeiten dar, den eine Riege von drittklassigen Theatermachern dem Publikum als "Regietheater" versucht, anzudrehen. Nun haben die Größen des Regietheaters in zahlreichen, durchaus kontroversen Inszenierungen den Sinn und Unsinn dieser Aufführungspraxis ausgelotet und wandten sich längst wieder seriösen Deutungen der Klassiker zu. Aber J. Erath tingelt mit seinem Grazer Don Giovanni von 2010 durch die Lande und möchte nun auch in Braunschweig Eindruck schinden.

Er benötigt dazu an die 30 Klosettbecken, die während der ganzen Aufführung auf der Bühne stehen. Aus solch einem Klobecken ertönt dann die Stimme des Komturs. Don Giovanni und Leporello halten ihre Köpfe in die Kloschüsseln und singen. Hätten sie doch abgespült! Mir war zum Kotzen zu Mute.

Die Inszenierung nimmt wenig Rücksicht auf die Musik, krachend werden Stühle geworfen, Tische gerückt. Gegen diesen Lärm müssen das Orchester anspielen und die KünstlerInnen ansingen. Feine Nuancen und sensible, leise Stimmungen gehen unter, Herr Erath hat's gern derb.

Dass nicht der Don den Komtur tötet, sondern dieser sich selbst erschießt, lange Zeit tot auf dem Tisch liegt, dann wieder lebendig durch die Kulissen läuft, treppauf und treppab, zwischendurch eine Suppe löffelt, die ihm die Regie eingebrockt hat, dann zeitweise im Rollensessel bei den Klobecken zwischengeparkt wird, sind nur einige von vielen Ungereimtheiten.

Während der drei sehr langen Stunden der Aufführung lässt J. Erath die Personen wie hormonell fehlgeleitete Laborratten im Käfig agieren, ständig müssen sie ihrem Trieb freien Lauf lassen und in allen möglichen Stellungen kopulieren. Das führt dann im Finale auf einen vulgären, nein, nicht Höhepunkt, sondern Tiefpunkt zu. Jetzt lässt es der Regisseur noch einmal richtig krachen, wie Schlachtvieh werden die willenlosen Frauen auf die Festtafel, auf den Fußboden gelegt, und die Männer können sich noch einmal so richtig austoben, dann endlich der Vorhang!

Wo bei Mozart und da Ponte der Wüstling Don Giovanni mit subtiler Erotik und betörendem Charme charakterisiert und glaubhaftig wird, kennt J. Erath nur plumpe, animalische Triebhaftigkeit.

Welche Zumutungen und Peinlichkeiten werden den Künstlerinnen und Künstlern hier von der Regie abverlangt? Was dieser horrende Blödsinn mit der grandiosen Oper von Mozart und da Ponte zu tun hat? Man muss sich während der Aufführung nur lange genug die Klosettbecken anschauen, um zu erkennen, aus welchen Quellen J. Erath seine Inspirationen schöpft.

Der Regisseur inszeniert gegen das Meisterwerk an, verkehrt Sinn in Unsinn, Esprit in derbe Anzüglichkeiten und scheitert kläglich.

Sepp Schipek

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:


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sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing
 

 


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