Siebzig Jahre vor
der Uraufführung von Verdis 'Otello' am 5. Feb. 1887 erschien ein
anderer 'Moro di Venezia' auf einer Bühne der Welt.
Gioacchino Rossini hatte schon 1815 einen Auftrag für eine neue Oper
erhalten - der Vertrag kam erst 1816 zustande - die für den 10.
Oktober 1816 vorgesehene Uraufführung konnte nicht stattfinden, da
Rossini nicht fertig geworden war.
Das Libretto wich stark von Shakespeares Original ab, da es üblich
war, sich an aktuellen Bearbeitungen zum orientieren, um dem neuen
Werk auf dem Markt einen günstigeren Start zu sichern.
In dieser Fassung von Francesco Maria Berio nach Jean Francois Ducis
und Giovanni Carlo Cosenza ist
Desdemona nur die heimliche Braut des Otello, während Rodrigo der
Sohn des Dogen um sie wirbt. Jago, neidet dem Otello den
Kriegserfolg bei Cypern und verbindet sich mit Rodrigo, die Ehe
Otello-Desdemona zu verhindern. Elmiro, Vater Desdemonas, bittet
seine Tochter sich für ein Fest als Braut zu schmücken. Hier nun
fordert er Desdemona auf, Rodrigo, dem Sohn des Dogen das Ja-Wort zu
geben. Otello erscheint und verkündet, Desdemona habe sich ihm
versprochen. An Desdemonas Treue zweifelt er - Jago schürt dieses
Gefühl und aus diesem heraus ersticht er die Braut in deren
Schlafzimmer. Rodrigo und Elmiro kommen, Desdemona freizugeben, da
sie von Jagos Intrige erfuhren, zu spät.
Nach dem großen
Erfolg seiner 'Aida' wollte Verdi sich eigentlich von der
Komposition zurückziehen. Der Geschäftsmann und Verleger Giulio Riccordi veranlasste den Librettisten Arrigo Boito bei Verdi
vorstellig zu werden und ihm den Shakespeare-Stoff näherzubringen.
Verdi hatte sich immer für den großen englischen Dramaturgen
interessiert und so war sein 'Macbetto' schon der Einstieg in diesen
Bereich, einen 'Lear' wollte er, auch den 'Falstaff' realisierte er.
Nach langem Zögern gelang es Boito, das Interesse Verdis zu wecken
und Anfang 1887 fand die Uraufführung in der Scala statt.
Sie dokumentierte die Abwendung von der Nummern-Oper, die gerade
Verdi lange Zeit seines Schaffens beibehielt - 'Rigoletto',
'Traviata', 'Troubadour', 'Ballo' als Beispiele - eine Annäherung an
Wagner wurde ihm sogleich vorgeworfen.
Arrigo Boito -
Textdichter des 'Otello', Sohn einer polnischen Gräfin und eines
italienischen Miniaturmalers - war der führende Kopf der 'Scapagliatura',
einer Vereinigung, die entsprechend dem ein Jahrhundert vorher
geschehenen 'Sturm-und-Drang' die Kunst Italiens europäisieren
wollte.
Nach der Übernahme britischer Schauerdramen führte die italienischen
Oper zu einer Entfesselung von Leidenschaften.
Boito - musikalisch begabt, immerhin komponierte er einen 'Mefistofele'
und einen 'Nerone' - sah mit der 1859 von ihm gegründeten 'Società
del Quartetto' die Notwendigkeit, mit der die in Italien
vorherrschenden Stellung der Oper zu brechen.
Neben den Opern von Giuseppe Verdi wurden zu der Zeit auch die Werke
Richard Wagners aufgeführt: Lohengrin 1871 in Bologna, Tannhäuser
1872, Rienzi 1874, Holländer 1877, der Ring 1883 in Venedig, Tristan
1888 in Bologna, Meistersinger 1889 an der Scala.
Boito, der Rienzi, Holländer und Tristan ins italienische
übersetzte, war nach seiner Studienreise 1862 beeindruckt von
Richard Wagners Wirken auf die italienische Halbinsel zurückgekehrt
und wurde dort der Promotor für Wagner.
Boito wollte Italien aus seiner Operseligkeit befreien und stellte -
als er seine eigenen Grenzen nach dem Misserfolg des 'Mefistofele'
1868 erkannte, sein Talent ganz in den Dienst seine
Mitbewerbers Verdi stellte.
Hanslick fuhr nicht zur Premiere
des 'Otello', um sich nicht vom Kolorit Italiens
beeinflussen zu lassen, studierte den Klavierauszug, besuchte später
eine Repertoirevorstellung und schrieb, Verdi sei doch ein Musiker,
von dem man verlange, dass Musik und Text übereinstimmten, aber die
Musik etwas eigenes haben müsse. Das abgelieferte musikalische Bild
reichte Hanslick nicht.
Das Werk trat trotzdem einen Siegeslauf um die Welt an.
Zeitlich unmittelbar nach der Scala spielten Venedig, Buenos Aires, Chicago und San Franzisco, Nizza, Baltimore
den 'Otello'.
Für Paris wurde eine französische Übersetzung von Boito und Camille
du Locle verfasst, Verdi nahm Änderungen vor und passte dem
Publikumsgeschmack entsprechend, ein Ballett in das 3. Finale ein.
1861 war Wagner mit seinem 'Tannhäuser' eben wegen des Balletts im 1. Akt
statt im 2. Akt wie von Abonnenten des Jockey Clubs gefordert
gescheitert.
1888 kam der 'Otello' zum ersten Mal in New York heraus, ab 1909
sang Leo Slezak die Titelpartie, die Inszenierung von Jules Speck
wurde bis 1937 gespielt, bis eine von Herbert Graf sie ablöste.
Die Rolle des 'Otello'
fordert einen Heldentenor, den in all den Jahren nach der Uraufführung
wie ihn nur wenige wie Lauritz Melchior, Max Lorenz, Hans Beirer, Hans Hopf, Mario del Monaco, Placido Domingo zur Verfügung
hatten.
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Theater Regensburg
Otello |
Die
Schwarzen |
Musikalische Leitung |
Raoul Grüneis |
Inszenierung |
Rupert Lummer |
Bühne |
Hank Irwin
Kittel |
Kostüme |
Peter Tibor
Thanner |
Chöre |
Karl Andreas Mehling |
Licht |
Klaus Herbert Welz |
Dramaturgie |
Christina
Schmidt |
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Die Personen
und ihre Darsteller, der am 24. Oktober 2006 besuchten
Vorstellung
gemäß Besetzungszettel als Beilage zum Programmheft |
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Otello,
Befehlshaber der venezianischen Flotte |
Yongkap Cho |
Jago, Fähnrich |
Matias
Tosi-Socolov |
Cassio,
Hauptmann |
Juan Carlos Falcón |
Rodrigo, ein
edler Venezianer |
Kalle
Koiso-Kantilla |
Lodovico,
Gesandter der Republik Venedig |
Sung-Heon Ha |
Montano, der
Vorgänger Otellos in der Stadthalterei von Zypern |
Franz Binder
(als Gast aus Linz) |
Desdemona,
Otellos Gattin |
Katharina E. Leitgeb |
Emilia, Jagos
Gattin |
Jelena Bodrazic |
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Eindrücke des Beobachters
Eine, die sozusagen, die 'Regensburger Reife' erlangt
hat.
Das war nahezu perfekt, wie Katharina Leitgeb die
Desdemona sang und gestaltete.
Große Bögen, sicherer Tonansatz, Piani berückend (auf
dem Vokal ’a’ beim Wort Salce könnte noch ein kleiner
Hut sein - es plärrt sonst) - das Ave Maria geradezu
atemberaubend. Und erst das ’Amen’!
Kunstgesang, ohne dabei wie eine Puppe auf der Bühne zu
stehen. Eine überzeugend liebende Frau, die von so einem
’Rotzlöffel’ wie Jago vernichtet wird.
Der ist, wie immer - ob Escamillo oder Giovanni. Eine
Unterscheidung in den Rollen nicht einmal in Haltung
oder Gang zu erkennen. Wenn schon der Regisseur aus
Zeitmangel nichts machen kann, vielleicht sagt ihm mal
der Herr Theaterdirektor etwas.
Wie lange Matias Tosi-Socolov mit seinem zweifellos schönen
Material auskommt, kann nicht prophezeit werden, aber
das natürliche Vibrato fängt an, sich selbstständig zu
machen.
Yongkap Cho steht und stemmt, kaum Differenzierungen und
Entwicklungen der Rolle, weder im Spiel noch in der
gesanglichen Ausarbeitung des Otello, nur laut und
vernehmlich.
Jelena Bodrazic als Emilia mit großer Stimme Desdemonas
Hausdame, dem Jago als Gattin nicht gewachsen, in der
Rollengestaltung sehr wohl. Jago macht ja nichts - ist
bloß bös.
Der nach Regensburg Heimgekehrte Juan Carlos Falcón
überzeugend im Spiel, die Stimme klar und frisch –
Resonanz bei dem Körperchen natürlich nicht großartig zu
erwarten.
Kalle Koiso-Kanttila als Rodrigo kann außer seiner - vom
Regisseur vorgegebene Krücke - weder stimmlich noch
gestalterisch viel zeigen.
Chor gut studiert, sehr präsent bei allem, was irgendwie
ins Regie-Konzept passt.
Dass nun das Stück irgendwo auf in einer Kaserne spielt,
mit 'Otello' Cho als einzigem Fremden, der dann im
Auftrag des Dogen von Venedig unterwegs ist,
dokumentiert die Großartigkeit der Arbeit der
Regensburger Dramaturgie bei den Übertiteln.
Es ist nicht nachzuvollziehen, wie das immer wieder
danebengeht. Da ist Frau Stadträtin Göhring nun mit dem
Hut rum gegangen, hat die Anlage in Szene gesetzt und
dann wird sie von der Theaterleitung so unvollkommen und
irreführend eingesetzt. Am 22.11. wird sich zeigen, ob
der Text 'Il conte' und 'Der König kommt' beim 'Ballo'
inzwischen geändert wurde.
Die Orchesterleitung differenziert, ausgeglichen, nicht
nur laut - von Herrn Grüneis kein fahriges mal so, mal
so bei den Tempi.
Regie / Bühnenbild / Kostüme gewöhnungsbedürftig - das
Stück spielt wohl heute nach Ankunft der Truppen im
Libanon und, nochmals gesagt, nach Übertitel: vom Dogen
Venedigs entsandt.
Das ist natürlich völlig daneben. Deutlicher kann's
nicht gesagt werden.
Es gilt also, eine Vorstellung allein wegen dieser
literarischen Ergüsse der ach so hoch
qualifizierten Dramaturgin Christina Schmidt zu
besuchen.
Der Chor sitzt mit Blick zum Dirigenten in Erwartung
Otellos, der kommt nun nicht von dort, wohin alle
schauen, nein, er kommt von hinten, wohin eben niemand
schaut.
Große Überraschung, der Befehlshaber der venezianischen
Flotte ist da.
Der aufmerksame Beobachter fragt nun, sind es die
Honoratioren der Gemeinde, die Otello begrüßt und umarmt
oder wer? Immerhin sind auch ein paar Veteranen mitsamt
Bett auf der Bühne, auch Rollstuhlfahrer. Die
Chormitglieder sind eindrucksvoll individuell geführt -
jeder macht was anderes.
Die Freude über den geglückten Sieg äußert sich im
Hereinfahren einer Torte mit sprühenden Wunderkerzen -
einer will sich dran die Finger wärmen. Ein anderer
fotografiert mit Blitz in Permanenz.
Warum die Torte nicht wie auf einem Kreuzfahrtschiff
herein getragen wird, zeigt sich gleich, denn ihr
entsteigt ein leicht bekleidetes Mägdelein - wer soll
die Dame schleppen - das so eine Art von Table-Dance
hinlegt.
Das Trinklied wird im Halbkreis vor dem Dirigenten
gesungen - es erfolgt der 'Regensburger Krückensturz' -
der Verletzte wird von zufällig anwesenden
Rot-Kreuz-Schwestern versorgt.
Der Chor geht ab, damit Otello und Desdemona für das
Liebesduett mit 'Nun in der nächt'gen Stille verliert
sich jeder Ton' allein sind. Für das 'Ja spät zu Nacht
ist's.' ist die Bühnenbeleuchtung voll aufgedreht - es
entsteht so eine wundersame Stimmung, so dass der
Zuschauer das 'Venus soll uns führen' nur ungläubig
entgegennimmt, zumal die beiden stark auf Distanz
positioniert sind. Amore sieht eigentlich anders aus.
Sehr sängerfreundlich, die Trennwand - Jago vor ihr mit
seinem Credo. Die Bühne wird freigegeben für den Blick
der zahlreich erschienenen Zuschauer auf ein
Gewächshaus. Emilia steht mit einer offensichtlich
leeren Gießkanne herum, Desdemona pikiert Blumen in dem
Gartenhaus, aus dem eine Schar Kinder hervorquillt.
Sehr hübsch arrangiert die Jungen und Mädchen mit ihrem
Ständchen.
Das Unheil naht mit Jago - die Geschichte mit dem
Taschentuch beginnt fatale Folgen zu haben. Bei Otello
spürt der Zuschauer nicht die Spur einer Regung, alles
cool. Kein Aufbau einer Unsicherheit aus seiner
Isolation als Asiate unter lauter Europäern.
Jago und Otello sielen
sich am Boden - aus 20 Meter Entfernung erkennt der
Befehlshaber der venezianischen Flotte Desdemonas
Taschentuch, das Jago der Emilia abluchste. Nebel
entquillt dem Gartenhäuschen, Kinder taumeln heraus, als
hätten sie Feinstaub eingeatmet.
Das Duett Otello - Jago findet sicherheitshalber an der
Rampe statt.
Szenenwechsel. Ein Büro mit großem Schreibtisch - Otello
quält wieder dieser Kopfschmerz - sagt er jedenfalls
nach Übertitelung. Ansonsten keine körperlich Regung -
bei Desdemonas 'Wie du mich ansiehst' - schaut er gar
nicht hin, sondern betreten zur Seite, wirft ihr aber
das 'schwärzeste Verbrechen' vor.
Das Elend nimmt seinen Lauf, Cassio kommt, Otello
kriecht als Befehlshaber der venezianischen Flotte am
Boden um seinen Schreibtisch herum (niemand sieht mich)
- die Sache mit dem Taschentuch wird ausgebreitet. Der
Eklat ist da.
Mit einem nach Übertitel 'Ich übergebe ihnen die
Botschaft des Dogen' tritt der Gesandte Venedigs auf -
Otello bemerkt zu Desdemona 'wie schön du weinen kannst'
- nur entquillt ihrem Auge auch nicht eine Träne. Auch
das vom Übertitel 'Schluchze nur weiter' Vorgegebene
erwidert Desdemona in völlig gefasster Stimmung, ohne
Regung - von Schluchzen geschütteltem Körper keine Spur.
Für das letzte Bild werden die seitlichen Wände - wohl
vom Büro Speer entworfen - zu einem spitzem Winkel im
Hintergrund zusammengefahren. Aus einem gelassenen
Schlitz - erinnert an Wernickes 'Lulu' - treten
Desdemona und Emilia auf, beide darauf bedacht, den Arm
voll Lilien in die mitgebrachte Vase zu stecken, als
Schmuck für Otello's Schreibtisch. Ein deutlicher Knall
aus dem Hintergrund der Bühne - für einen besorgten
Zuschauer Grund, einen verstohlenen Blick zum Notausgang
zu werfen - für alle Fälle, man kann ja nicht wissen.
Desdemona setzt sich an das riesige Büromöbel und
schläft, den Kopf auf den Arm gestützt, ein. Aus dem
letzten Bild noch reglos vor dem Schreibtisch liegend,
erhebt sich Otello nun aus der unbequemen Lage und weckt
Desdemona, um die Sache mit dem Taschentuch auf die
Spitze zu treiben - vor dem Schreibtisch ersticht er
sie, wie José die Carmen.
Die Szene des 'Jeder Knabe kann mein Schwert mir
entreißen' artet aus.
Abendfüllend sind die Texte dort über der Bühne.
Otello gelingt es nicht, den Revolver zum Abschuss einer
Patrone zu bringen - mit deutlichen Anzeichen von
Hospitalismus bleibt er neben der Leiche Desdemonas vor
dem Schreibtisch sitzen.
Der Vorhang zu - das Stück ist aus. Und hier mit
Sicherheit - alle Fragen offen.
Gern wirft der
Beobachter mal die Ressentiments über Bord, lehnt sich
über die Brüstung und beteiligt sich am Beifall für eine
besondere Leistung.
Heute Abend waren Bravi für die Prima Donna
angebracht.
Nochmal sei's gesagt:
Wunderbar, wie Katharina Leitgeb mit der Rolle der
Desdemona umging - gesanglich wie auch darstellerisch.
Eine solche Sängerin in Regensburg - sie hat sich
wirklich in Ruhe entwickeln können.
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