* Impressum / Datenschutz *

         
 
   

 

Nr. 40

 

 



Zitat
„Subventionen sofort beenden“

Es ist schon erstaunlich, wie die Intendantin eines subventionierten Theaters sich und ihr Publikum einordnet. Theater ist eine moralische Instanz! Niemand hat das Theatervolk dazu gemacht. Sie selbst halten sich immer für die Guten, die Besseren und moralisieren in allen Medien.

Dabei sind diese Künstler nicht besser als ein Handwerker, Akademiker oder Arbeitsloser. Aber überall, wo die Politik agiert, tauchen diese Produzenten auf und haben es geschafft, dass in Hannover mittlerweile jährlich 70 Millionen Euro in Theater und Opernhaus gesteckt werden. Dafür wird dann das „spezifische, gehobene, überwiegend weiße Publikum“ mit völlig verhunzten Inszenierungen vorgeführt.

Ich bin dafür, diese Subventionen sofort zu beenden. Theater sollten nach wirtschaftlichen Grundsätzen geführt werden. Sie haben nicht die Aufgabe, politisch zu agieren.

Wenn die Subventionen wegfallen, wird das ’gehobene’ Publikum den realen Preis für die Theaterkarte bezahlen müssen. Ich bin sicher, einige Theater werden – um nicht pleitezugehen – ihre absurden Inszenierungen sofort absetzen. Eine einseitige Publikumsbeschimpfung als Rache findet dort sicher nicht statt. […]“

Helmut W. aus B.

Zitatende

Quelle: Hannoversche Allgemeine Zeitung – 18. November 2021 – Seite 21


 


 

Zitatende
Quelle: Hannoversche Allgemeine Zeitung – 31.Dezember 2021 – Seite 25

 

Ermittlungen wegen Betrugsverdacht an Staatstheater Kultur
https://www.sueddeutsche.de › Kultur › Darmstadt


Ermittlungen am Staatstheater Darmstadt - FAZ.NET
https://www.faz.net › ... › Rhein-Main › Kultur

 

Ermittlungen wegen Betrugsverdacht an Staatstheater – Stern
https://www.stern.de › Gesellschaft › Regionales

Ermittlung gegen Staatstheater Darmstadt - Echo Online‘
https://www.echo-online.de › lokales › rhein-main › ermit...


 

 

 

Zitat
15.11.2021, 23:43 Uhr

Nürnberger Oper feuert Regisseur wegen "unangemessener" Äußerung

Regie-Altmeister Peter Konwitschny (76) sollte Verdis "Troubadour" inszenieren, doch bei den Proben fielen offenbar diskriminierende Worte, die für eine sofortige Trennung sorgten. "Die einzig mögliche Konsequenz", behauptet die Theaterleitung.

Von Peter Jungblut

Es muss ordentlich "gekracht" haben bei den Proben zu Verdis "Troubadour" in Nürnberg. Der als impulsiv bekannte Peter Konwitschny, einer der prominentesten deutschen Opernregisseure, soll sich gegenüber Mitwirkenden mächtig im Ton vergriffen haben. Jedenfalls musste er das Haus auf Druck der Intendanz verlassen und die Endproben in die Hände seiner Assistentin Marie-Christine Lüling legen. Er selbst äußerte sich dazu exklusiv gegenüber dem BR und verriet bei der Gelegenheit auch, um welche Äußerung es aus seiner Sicht genau geht.

In einer schriftlichen Stellungnahme des Staatstheaters gegenüber dem BR heißt es: "Hintergrund hierfür ist ein Konflikt zum Verhalten des Regisseurs im Umgang mit Künstlerinnen und Künstlern des Hauses. In einer Probensituation hat sich Herr Konwitschny in einer Art geäußert, die von Beteiligten als 'unangemessen und diskriminierend' wahrgenommen wurde. Die Theaterleitung kam nach Gesprächen mit mehreren beteiligten Personen zu derselben Einschätzung und hat unmissverständlich klargestellt, dass es am Staatstheater Nürnberg für Diskriminierung keinen Platz gibt."

Konwitschny habe seine Arbeit an der Produktion daraufhin niedergelegt: "Auch die Theaterleitung sah diesen Schritt als einzige mögliche Konsequenz." Über dieses Statement hinaus wolle sich die Intendanz zu dem Fall nicht weiter äußern. Zuerst hatte Nordbayern.de über die Angelegenheit berichtet.

"Das müssen die Sänger verstanden haben"

Vom Theater gab es keinerlei offizielle Auskunft, welche Worte zum Eklat führten. Nach Informationen des BR fiel die Äußerung im Rahmen einer Chorprobe und richtete sich an eine schwarze Sängerin. Schon im Vorfeld der Premiere, die am vergangenen Samstag stattfand, hatte sich abgezeichnet, dass Konwitschny an den Proben nicht mehr persönlich beteiligt war. Er werde bei der Premiere nicht anwesend sein, hieß es von der Theaterleitung gegenüber dem BR, und auch nicht für Interviews zur Verfügung stehen. Der Grund wurde damals nicht genannt.

Zu seiner Personenregie sagte Konwitschny im Januar 2020 in einem Interview: "Das Entscheidende ist die politische Grundlage, die gesellschaftliche Situation, in der sich Menschen befinden, weshalb sich eben meistens ihre Liebessehnsüchte nicht erfüllen. Das ist erstmal das Wichtigste. Das müssen die Sänger verstanden haben. Dann wird die Sache schon ganz automatisch." Der als recht emotional geltende Regisseur ist seit mehreren Jahrzehnten für seine teils sehr polarisierenden Inszenierungen bekannt, um die es auch immer wieder Aufregung gab. Den größten Wirbel gab es nach der Operette "Die Csárdásfürstin" 1999 an der Semperoper, als der damalige Intendant zwei besonders provokante Szenen nach der Premiere strich, wogegen Konwitschny eine einstweilige Verfügung erwirkte und durch zwei Instanzen klagte.

Konwitschny inszenierte zuletzt Anfang Oktober an der Dresdener Semperoper Vincenzo Bellinis "Norma", am 15. Januar soll er mit seiner Interpretation von Modest Mussorgskys "Boris Godunow" an der Wiener Volksoper debütieren. Im Mai 2022 steht eine "Walküre" an der Dortmunder Oper an.
Zitatende
Quelle: https://www.br.de/nachrichten/kultur/nuernberger-oper-feuert-regisseur-wegen-unangemessener-aeusserung,SosCO0i


 


 

 

 

Zitat
Theatermacher erneut im Visier

Die Staatsanwaltschaft München I hat zwei weitere Ermittlungsverfahren gegen den früheren Theaterintendanten Thomas Pekny eingeleitet. Auslöser seien dafür zwei Anzeigen aus dem Juli des vergangenen Jahres, sagte eine Sprecherin der Behörde. Sie seien während des Prozesses gegen den Chef der Komödie im Bayerischen Hof in München eingegangen. Peknys Anwalt Florian Zenger nannte die neuen Vorwürfe gegen seinen Mandanten “haltlos“.
Die Staatsanwaltschaft wirft Pekny vor, betrunkene Frauen auf dem Oktoberfest angesprochen und mit in die Proberäume des Theaters genommen zu haben. Dort soll er sich nach Darstellung der Anklagebehörde an den schlafenden Frauen vergangen und davon Videos und Fotos gemacht haben. Das Landgericht München I sprach ihn Ende Juni aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs frei. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig, weil die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat. Noch während des Prozesses meldeten sich dann weitere mutmaßlich Betroffene.
Zitatende

Quelle Hannoversche Allgemeine Zeitung – 18. November 2021 – Seite 28



 


 

 

 

Zitat
Theater Stuttgart:
Stuttgarter Ballett trennt sich von Musikdirektor Agrest

17. Januar 2022, 18:43 Uhr

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Stuttgart (dpa) - Nach nicht einmal eineinhalb Jahren hat sich das Stuttgarter Ballett von Musikdirektor Mikhail Agrest getrennt. Das teilte Ballettintendant Tamas Dietrich am Montagabend in Stuttgart schriftlich mit. Gekriselt hatte es schon länger. Dietrich erklärte nun, der gebürtige Russe Agrest sei zwar "ohne Frage ein hervorragender Dirigent". Er selbst sehe sich aber gezwungen, sich vor seine Tänzerinnen und Tänzer zu stellen, weil Agrest nicht deren Interessen im Auge habe. "Wenn die musikalische Vision des Dirigenten weder die Intention des/der ChoreographIn berücksichtigt noch die bestmöglichen Voraussetzungen für die tänzerische Umsetzung der Musik schafft, dann ist der Zeitpunkt gekommen, sich zu trennen." Statt zwischen Ballett und Orchester zu vermitteln, habe der Musikdirektor polarisiert. "Ich bin zutiefst enttäuscht", erklärte Detrich.

© dpa-infocom, dpa:220117-99-744544/2
Zitatende
Quelle:
https://www.sueddeutsche.de/kultur/theater-stuttgart-stuttgarter-ballett-trennt-sich-von-musikdirektor-agrest-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220117-99-744544

 

 

Zitat
Machtmissbrauch im Kulturbetrieb - Oberenders Abgang

Thomas Oberender, dem scheidenden Intendanten der Berliner Festspiele, wird Mobbing vorgeworfen

Rüdiger Schaper



Thomas Oberender, Festspiele-Chef seit 2012 - Foto: Christoph Neumann

Das Klima ändert sich. Vielleicht ist das auch einmal eine gute Nachricht. Lange Verborgenes dringt an die Oberfläche des Kulturbetriebs. Es war das Jahr des Personaltheaters in der Hauptstadt. Klaus Dörr, Intendant der Volksbühne, trat im März nach MeToo-Vorwürfen von Mitarbeiterinnen sehr schnell zurück. Allerdings wäre sein Vertrag in diesem Sommer ohnehin ausgelaufen.

Im April einigten sich die Tänzerin Chloé Lopes Gomes und das Staatsballett Berlin vor dem Bezirks-Bühnenschiedsgericht auf einen Vergleich: der Vertrag der Tänzerin wurde um ein Jahr verlängert und sie erhielt eine Abfindung. Lopes Gomes hatte Rassismusvorwürfe gegen eine Trainingsleiterin erhoben und gegen die Nichtverlängerung ihres Vertrags geklagt. Zur gleichen Zeit kamen Mobbing-Vorwürfe gegen Shermin Langhoff, die Intendantin des postmigrantischen Maxim Gorki Theaters, an die Öffentlichkeit. Sie blieb im Amt. Die Dinge wurden intern geregelt.

Und bald darauf überraschte die Nachricht, dass Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, seinen erst im Herbst 2020 verlängerten Vertrag zum Jahresende 2021 auflöst. Die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters agierte umgehend, um das Nachfolge-Problem aus der Welt zu schaffen. Bereits im September, noch vor der Bundestagswahl, ernannte sie nach Beratungen mit einer Fachjury Matthias Pees zum neuen Festspiele-Chef.

Viele Berliner Häuser sind betroffen

Damit waren und sind vier bedeutende Berliner Kulturinstitutionen betroffen. Das gab es noch nie. Früher gerieten Theaterleiter über ihre Finanzgebaren ins Abseits, wenn überhaupt. Ein Wort wie Mobbing existierte noch nicht, wohl aber das Fehlverhalten, das es beschreibt. Krakeelende, betrunkene Regisseure waren noch in den Achtzigerjahren und darüber hinaus nichts besonders Auffälliges. Es kam auf die Qualität ihrer Kunst an. Und auf die politisch-moralische Einstellung. Diese musste nach außen stimmen, coram publico. Wie es hinter den Kulissen zuging, spielte keine Rolle.

So unterschiedlich die aktuellen Fälle gelagert sind, so deutlich wird auch: Sexistische Übergriffigkeit, rassistisches Verhalten, Drohgebärden, Gebrüll und anderes offenbar klassisches Führungsverhalten werden inzwischen sanktioniert. Nicht immer, aber immer häufiger.
Ein Kulturwechsel findet statt. Dass es dabei auch zu zweifelhaften, unklaren oder ungerechten Bewertungen kommen kann, lässt sich bei einem Umschwung dieser Größenordnung kaum vermeiden. Denn es geht nicht nur um eine veränderte Kultur der Arbeit, zumal in künstlerischen Berufen. Es geht auch um einen Generationenwechsel, um Karrieren.

Über die Umstände des plötzlichen Abgangs von Thomas Oberender haben beide Seiten, der Bund und der Kulturmanager, Stillschweigen vereinbart. Viele fragten sich, intern und extern, was dahintersteckte. Es blieb erst einmal ruhig, und auf Gerüchte, die es in diesem Klima natürlich gab, sollte man sich angesichts der Ernsthaftigkeit des Themas und der Konsequenzen nicht verlassen.

Was steckt hinter dem Stillschweigen?

Es hieß, der scheidende Festspielchef wolle sich neuen Aufgaben widmen. Eine Abfindung bekommt er nicht. Das klang einigermaßen glaubwürdig, denn bereits seit einigen Jahren sieht sich Oberender mehr als Kurator denn als Verwalter – beim gescheiterten „Dau“-Projekt, bei der Reihe „Immersion“, die nun ausläuft, und bei der Bespielung jüngst des ICC, „The Sun Machine Is Coming Down“. Er wollte künstlerisch wirken, die Berliner Festspiele mit ihren vielen Festivals wurden ihm zu eng. Er hatte eine Mission.

Ende November wurde Thomas Oberender in das Präsidium des Goethe-Instituts berufen, ein honoriger Posten. Und nun doch: Nach Recherchen des RBB und des ARD-Politikmagazins „Kontraste“ musste der Festspiele-Chef wegen massiven Fehlverhaltens gehen. Mitarbeiterinnen sprechen von Mobbing, psychischem Druck, litten unter Burnout, Krankheit sei nicht akzeptiert worden. Die Personalfluktuation bei den Festspielen war in der Oberender-Zeit, also ab 2012, außergewöhnlich hoch.

Männer dominieren die Branche

In diesen Jahren kamen und gingen zwölf Mitarbeitende, die mit Oberender zu tun hatten. Als „machiavellistisch“ bezeichnet Matthias Osterwold, langjähriger Chef der bei den Festspielen angesiedelten „März Musik“-Reihe, den Führungsstil von Oberender. Zuletzt sollen sich der Betriebsrat und die Geschäftsführung der KBB, der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin, eingeschaltet haben. Daraufhin sah die Kulturstaatsministerin Handlungsbedarf.

Das Schweigen setzt sich fort. Weder Grütters noch Oberender äußerten sich zu den jüngsten Berichten. Das Geheimnistuerische schadet der Politik, die möglichweise erst gehandelt hat, als es nicht mehr anders ging. Und es schadet den Kultureinrichtungen. Das sind schmerzhafte Prozesse. Vor allem die großen Bühnen geraten unter Generalverdacht. Dort herrsche immer noch ein tyrannisches System – zu viel Machtfülle in den männlich dominierten Intendanzen. Das heißt nicht, dass nicht auch Frauen, die sich in diesem System durchkämpfen, herrische Verhaltensweisen entwickeln.

Zu viel Macht für Intendanten

Im Jahr 2019 wurde die erste Studie über Machtstrukturen an deutschen Theatern veröffentlicht. Der Autor Thomas Schmidt stellte fest, dass über die Hälfte der 2000 Befragten missbräuchliches und übergriffiges Verhalten kannten, überwiegend durch Intendanten. Wenn das so zutrifft, handelt es sich um einen Flächenbrand.

Bei der Vertragsverlängerung im Oktober 2020 sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters: „Thomas Oberender sind Kulturereignisse zu verdanken, die aufrütteln und gewohnte Perspektiven sprengen. Manch wichtige gesellschaftliche Diskussion hat er auf diese Weise angestoßen.“ Von Oberenders Problemen wusste sie damals wohl nichts.

Doch könnte sie auf andere Weise recht behalten. Intendanten, die ihre Machtmöglichkeiten missbrauchen, stoßen in der Tat wichtige gesellschaftliche Diskussionen an. Ja, es rüttelt auf, sprengt die gewohnten Perspektiven. Richtige Worte am falschen Platz.

Ist der Intendanzposten in der traditionellen Form obsolet? Oder lässt sich ein code of conduct finden? Braucht es eine Quote oder auch eine Begrenzung der Amtszeiten, wie die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag schreibt? Und was macht das alles mit der Kunst?

Die Verantwortung der Chefs

Es ist keineswegs so, dass der Kulturbetrieb eine Sonderrolle einnimmt. Die Julian-Reichelt-Schlagzeilen über die „Bild-Zeitung“ haben es gezeigt. Über MeToo und Missbrauch in den großen Industrieunternehmen ist nicht viel bekannt. Das heißt nicht, dass dort alles in Ordnung wäre.

Es stimmt aber auch: In kreativen und künstlerischen Berufen, aber auch im Sport, müssen Menschen sich öffnen. Physische und psychische Grenzen werden an- und ausgetestet. Das führt leicht zu Missbrauch, zur Verwechslung von Privatbereich und Professionellem. Hinzu kommen in der Kultur prekäre Beschäftigungsverhältnisse, oft auch nur auf Zeit.
Zitatende

https://www.tagesspiegel.de/kultur/machtmissbrauch-im-kulturbetrieb-oberenders-abgang/27900824.html

Noch mehr zum Thema

 

 

Zitat
Let’s talk about „Nein“

Endlich sprechen auch wir im Theater über Machtstrukturen. Das macht keinen Spaß, ist aber notwendig. Und es ist notwendig, sehr genau hin zu gucken um zu erkennen, unter welchen Deckmänteln sich die Macht ins Haus schleicht, denn – Spoiler! – es sind nicht nur „die da oben“, die sich ihre Positionen und Privilegien anschauen müssen.

Die Machtpyramide steht nicht nur in den Leitungsetagen, sondern auch auf den Probebühnen.
Die theatereigenen Strukturen schaffen von Beginn an ein Gefälle: In der Schauspielausbildung wird häufig vermittelt, dass Schauspielende immer „Ja!“ sagen sollen, während die Regie entscheidet, wo es lang geht.
Allein hierdurch wird deutlich: Wir Regisseur*innen sind per Definition in einer machtvollen Position. Auch wenn wir super nett sind kann es deswegen eine Hürde sein, uns gegenüber Bedenken zu äußern – auch wenn jemand einen Grund dazu hätte.

Ein Bereich, bei dem das problematisch werden kann, ist die Erarbeitung von Szenen mit intimem Inhalt – also bei der Frage, wessen Hände auf wessen Körperteilen landen, sowie bei Küssen, Nacktszenen, Masturbation oder der szenischen Simulation von Sex in allen Varianten, von zärtlich bis gewaltvoll.
Denn obwohl das Theater ein großes „so tun als ob“ ist, sind es doch die realen Körper der Schauspielenden, die sich da begegnen – und dadurch die ganz privaten Intimsphären, die involviert sind.
Was sich intim anfühlt, kann jede*r nur für sich selbst beantworten, je nach Situation und Gegenüber. Doch durch die Machtstrukturen der Probebühne kann es schwer sein, dies im Arbeitsprozess zu benennen, ein „Nein“ auszusprechen oder Grenzen zu setzen.
Damit alle unbeschadet proben können, brauchen wir gute Arbeitsstandards. Bei Kampfszenen oder Special Effects ist uns schon lange klar: Damit auf der Bühne Action und Magie entstehen, braucht es Verabredungen, Cues und Molton.

Selbes gilt für szenische Intimität, bloß steht die Machtpyramide häufig im Weg und das emotionale Verletzungsrisiko ist hoch.
Wir Regisseur*innen können durch unsere Position auf der Probebühne ganz konkret mit dafür Sorge tragen, dass aus Hausvereinbarungen und Verhaltenskodexen eine Probenpraxis entsteht, in der Platz für intimitätssensibles Arbeiten ist. Dabei ist das „Nein“ einer*s Schauspieler*in nicht blockierend, schwierig oder anmaßend, sondern ein hilfreicher Wegweiser auf der gemeinsamen Suche nach dem „Ja!“

Die Filmbranche ist dem Theater schon einen guten Schritt voraus: Seit 2019 wird auch in Deutschland über Intimitätskoordination gesprochen, mit deren Hilfe Filmszenen mit intimem Inhalt einvernehmlich und im Sinne der künstlerischen Vision erarbeitet werden. Die privaten Grenzen aller Beteiligten geben hierbei den Rahmen vor, innerhalb dessen eine genaue Choreographie aus Bewegungen und Berührungen festgelegt wird. Abkleber, Bedeckungen und Sichtwinkel unterstützen die Szene, so dass schließlich gut abgesicherte, einvernehmlich miteinander arbeitende Schauspielende sich ganz auf ihr Zusammenspiel konzentrieren können – ohne Sorge vor unangenehmen Überraschungen.

...bis das Theater aber soweit ist, dass Intimitätskoordinator*innen zu unseren Teams gehören, wird sicherlich noch viel Zeit und Geld vergehen.
Trotzdem können wir auch jetzt schon mit dafür die Verantwortung tragen, dass aus den aktuellen Diskursen eine konkrete, bessere Praxis wird.

Erste Schritte – To-Do-Liste für Regisseur*innen: „So, dann mal ran! Wir machen jetzt die Fick-Szene.“

- Gewöhne dir eine desexualisierte und erwachsene Sprache an, um Körperteile und Bewegungen wertfrei und biologisch korrekt zu benennen.

- Sei zudem super gut vorbereitet, um den Kontext der szenischen Intimität transparent zu machen: Wie werden dadurch Figuren und Handlung beeinflusst?
 
- Warum ist es für deine Setzung wichtig, sie sichtbar zu machen?

- Gib den Schauspielenden durch rechtzeitige Planung die Möglichkeit, gut vorbereitet zu arbeiten. Vielleicht steckt jemand eine Zahnbürste ein, geht vor der Probe zum Sport oder danach duschen. Jemand anderes nutzt vielleicht zusätzlich zum Tampon noch eine Binde oder packt sicherheitshalber eine Stilleinlage in den BH – was auch immer für die Spieler*innen funktioniert, um gut proben zu können, sollten sie machen können.

  „Nackt sein ist ja okay für dich, nicht wahr?“

- Entwickel Interesse daran, wie es den Schauspielenden mit der Szene geht. Stelle keine Suggestivfragen, sondern sei offen für Rückmeldungen. Hab‘ im Kopf, dass das bedeuten kann, etwas zu verändern.

  „Bietet mir für den Kuss einfach mal was an.“

- Sorry: Nein. Das ist dein Job. Das Entwickeln der Choreografie von szenischer Intimität braucht genaue Absprachen und Berührungserlaubnisse, bevor es zum Körperkontakt kommt. Hieraus entwickelt ihr zusammen eine einvernehmliche Idee für die szenische Handlung, die Schritt für Schritt erprobt werden kann.

- Besprich mit allen Abteilungen rechtzeitig, welche Hilfsmittel dafür benötigt werden (z.B.   Bademäntel, Probenunterwäsche, zusätzliche Wärmequellen, Abkleber in passenden  Hauttönen, Sichtschutz bei Proben, Anproben und Umzügen).
 
„Lass‘ uns mal nach der Probe beim Bier in der Kantine darüber reden.“

- Trenne ganz deutlich zwischen deiner Funktion als Regie und deinem Feierabend-Ich.

- Vielleicht möchte das Ensemble mit Letzterem gar nicht über intime Inhalte sprechen?

-   Respektiere außerdem die festgelegten Arbeitszeiten und den Schutzraum der Probebühne.
 
„Du kannst das (nicht) spielen, du bist (nicht) homosexuell.“

- Unterstelle niemandem, dass auf Grund des Privatlebens und -liebens etwas nicht oder besonders gut gespielt werden kann. Das Privatleben geht dich schlicht nichts an.
 
- Keep in mind: So lange jemand einen Bären oder „Die Elbe“ spielen kann, können auch alle anderen alles andere spielen.
 
„Yeah, das sah heiß aus! Da hätte ich gern mitgemacht.“

- Bedenke, dass du mit dafür Verantwortung trägst, ob sich ein bestimmter Standard auf  Proben etabliert. Frage dich selbst: Wie hätte das, was ich gesagt oder gemacht habe, gewirkt, wenn es meine unangenehmste Regiekolleg*in getan hätte?

- Und bitte: Einfach sitzen bleiben und beschreiben, niemals in die Szene springen und vorspielen. Auch und vor allem nicht mit der Assistenz.

Ja, all das bei einer Probe zu bedenken kann eine Umgewöhnung und vielleicht sogar Einschränkungen bedeuten.

Aber let‘s face it - wir inszenieren nie uneingeschränkt frei. Auch wenn‘s manchmal nervt beachten wir Begrenzungen bei Dispo, Raumvorgaben, Probenzeiten, Besetzung und wenn wir nice sind auch in Sachen Krankheit, Familienfreundlichkeit und Workload. Wir sind total trainiert darin, im Rahmen der Möglichkeiten zu inszenieren und auf Umstände zu reagieren.

Fazit: Wir können, wenn wir wollen, also auch so arbeiten, dass die Schauspieler*innen die Grenzen ihrer persönlichen Intimität wahren können.
Und nein, die haben nichts mit Befindlichkeiten zu tun.
Und ja: Das ist ein Thema für alle Geschlechter.
Wir können die Machtpyramiden zwar nicht von heute auf morgen sprengen.
Aber wir können heute anfangen, sie abzutragen.
 

Von Magz Barrawasser
Zitatende

https://www.buehnengenossenschaft.de/wp-content/uploads/2021/12/TTT_12-21_web1.pdf



 

 

 

Und weiter zum Thema

3. Juni 2016, 18:58 Uhr

Kommentar: Kündigen gehört zum Geschäft

 Christine Dössel – Zeichnung SZ
ist Theaterkritikerin im Feuilleton.

Das Ensemble des Bayerischen Staatsballetts wird radikal ausgetauscht. Ein Skandal? Nein, der Wechsel ist Teil des Systems.

Von Christine Dössel

In der Münchner Tanzgemeinde gibt es einen Aufschrei, von einer "Massenentlassung" ist die Rede, manche nennen es einen Skandal: Mit dem Abschied von Ballettchef Ivan Liška zum Saisonende verlassen 29 von 63 Tänzern das Ensemble des Bayerischen Staatsballetts. Das ist viel, fast die Hälfte – einige gehen freiwillig, viele müssen gehen. Liškas Nachfolger, der Russe Igor Zelensky, wird, wenn er in München anfängt, neue Tänzer mitbringen, zum Beispiel aus seinem Moskauer Stanislawski-Ballett, dessen Leitung er beibehält.

Hart? Ja. Und für viele sicher bitter, auch für die Zuschauer, aber ein Skandal ist es nicht. Eher (trotz der hier hohen Zahl): normal. Intendantenwechsel gehören in den Bühnenkünsten dazu wie Wahlen in der Politik und haben oft ebenso einschneidende "Kabinettsumbildungen" zur Folge. Erst recht nach langen künstlerischen Intendanzen – Liška war in München 18 Jahre im Amt. Wenn ein Neuer oder eine Neue antritt, dann bringt er oder sie selbstverständlich auch neue Leute mit. Jeder Intendant, zumal wenn er selber auch noch Regisseur oder Choreograf ist, umgibt sich mit einem Team seines Vertrauens, braucht künstlerische Partner und Wegbegleiter, auf die er bauen kann, die sein Konzept, seinen Stil, seine Handschrift mitgeprägt haben und am neuen Ort weiter mitprägen sollen. Auch "Verjüngung" ist immer ein Thema – und eine Aufgabe.

Es gibt durchaus auch sanfte Übergänge, etwa als Johan Simons 2009 an den Münchner Kammerspielen auf Frank Baumbauer folgte und das Haus mit dem Gros des alten Ensembles auf demselben künstlerischen Weg weiterführte. Oft braucht es aber harte Schnitte, um ästhetisch einen Kurswechsel einzuläuten. Als Martin Kušej 2011 von Dieter Dorn das Münchner Residenztheater übernahm, hätte er wohl kaum mit dem alteingesessenen, fest aufeinander und aufs Publikum eingeschworenen Dorn-Ensemble ein eigenes Profil entwickeln können.

So grausam das für Menschen mit Beamtenstatus klingen mag: Der Wechsel im künstlerischen Personal ist im Theatergeschäft Teil des Systems, part of the business, jeder Künstler weiß, worauf er sich da einlässt. Schauspieler, Sänger und Tänzer erhalten immer nur befristete Arbeitsverträge, meistens für eine Spielzeit, manchmal sind es Drei- oder Vierjahresverträge.

Wird nicht explizit eine Nichtverlängerung ausgesprochen, verlängert sich das Arbeitsverhältnis automatisch. Ist jemand länger als 15 respektive 19 Jahre am Haus, kann der befristete Vertrag nicht mehr komplett beendet werden, da kommt man dann in die Unkündbarkeit hinein, die ein jedes Haus zu vermeiden trachtet.

Beim technischen Personal sieht es anders aus, Bühnentechniker sind Teil des öffentlichen Dienstes und haben Tarifverträge, auch Orchestermusiker sind mit unbefristeten Verträgen ausgestattet, sie bleiben, wenn die Orchesterleitung wechselt. Es sind die Schauspieler, Sänger und ganz besonders die Tänzer, die oftmals nur für die Dauer einer Intendanz und für einen ganz bestimmten ästhetischen Kurs an einem Haus sind.

Von solch "prekären" Arbeitsverhältnissen indes können die Kollegen in Frankreich, England oder Italien nur träumen. Denn in den anderen Ländern Europas bekommen die Bühnenkünstler überhaupt keine Arbeitsverträge über einen längeren Zeitraum, sie müssen sich jeweils von Produktion zu Produktion hangeln. Dagegen ist die Situation der Schauspieler und Tänzer im deutschsprachigen Ensemble- und Repertoiresystem geradezu komfortabel. Auch wenn es kein gemachtes Nest für alle Zeiten ist. Aber das wäre ohnehin der Tod der Kunst.

Zitatende
Quelle: https://www.sueddeutsche.de/kultur/kommentar-kuendigen-gehoert-zum-geschaeft-1.3019030

Kommentar zum Thema

Kündigung wegen Intendantenwechsel

Der überraschende Weggang des Regensburger Theater-Intendanten Jens Neundorff von Enzberg macht die Neubesetzung der Planstelle erforderlich. Da sich in der Regensburger Verwaltung niemand findet, der über ausreichend Kenntnisse des Marktes verfügt, schaltete die Stadt eine Agentur ein, die eben diesen Markt untersuchen, Ausschreibungen formulieren sollte, um die richtige Person für das Regensburger Stadtheater zu finden.

Dieses Verfahren, das üblicherweise durchgeführt wird, um “die Spreu vom Weizen“ zu trennen – Hannover verzichtete auf dieses Verfahren einer fairen und transparenten Auswahl und ließ sich jemanden empfehlen, entschied dann im Hinterzimmer des zuständigen Ministeriums, wer die neue Theaterleitung übernehmen sollte. Die Folgen sind jetzt klar zu erkennen.
Regensburg entschied sich nach dem Ausschreibungsverfahren für einen Mann, der zurzeit in einer Stadt in der ehemaligen sowjetisch besetzten Zone eine ähnliche Position bekleidet.

Leider ging dieser mit der Spitzhacke vor, verlängerte die Verträge für das Ensemble zum größten Teil nicht. Selbst der GMD erhielt keine Übernahme.

Dass das Vorgehen rechtens ist, zeigt der sogenannte Bühnennormalvertrag (NV Bühne), der zwischen der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger und dem Deutschen Bühnenverein, dem Vertreter der Theater abgeschlossen wurde.

§ 2 Abs. 3 Buchst. b NV Bühne schreibt vor, dass im Arbeitsvertrag angegeben werden müssen „die Zeit, für die der Arbeitsvertrag abgeschlossen wird, sowie die Kalendertage, an denen das Arbeitsverhältnis beginnt und endet“. Damit ist eindeutig, dass das Arbeitsverhältnis zu dem angegebenen Beendigungsdatum in Anwendung von § 15 Abs. 1 TzBfG endet. Eine ausdrückliche ‘Kündigung‘ ist daher nicht erforderlich.

Die Notwendigkeit der ‘Nichtverlängerungsmitteilung‘ ergibt sich erst aus der Verlängerungsklausel in den einschlägigen Vorschriften, für die Solomitglieder aus § 61 Abs. 2 NV Bühne. Danach verlängert sich der Arbeitsvertrag um eine Spielzeit, wenn keine Nichtverlängerung ausgesprochen wird; für diesen Fall entsteht ein neuer wiederum auf eine Spielzeit befristeter Arbeitsvertrag.
Wird eine Nichtverlängerungsmitteilung zugestellt, weiß der Arbeitnehmer recht- und frühzeitig, dass das Ende seines Vertrags eintritt. Denn die Nichtverlängerung zum Ende der Spielzeit im Sommer muss bereits bis zum 31. Oktober des Vorjahres ausgesprochen werden, bei einer Vertragszeit von mehr als acht Jahren (sprich Spielzeiten) sogar bis zum 31. Juli des Vorjahres. So hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich rechtzeitig um einen neuen Arbeitsplatz zu bemühen. Für die entsprechenden Bemühungen, etwa der Teilnahme eines Schauspielers an dem Vorsprechen in einem anderen Theater, ist der Arbeitnehmer nach § 39 Abs. 3 NV Bühne unter Fortzahlung seiner Vergütung an einzelnen Arbeitstagen freizustellen.

Handelt es sich um einen fairen Arbeitgeber – und der ist die Stadt oder die Gemeinde oder das Land – dann übernimmt die neue Geschäftsführung des Theaters das Ensemble, spricht also keine Nichtverlängerung aus, schaut sich die Belegschaft ein Jahr lang an und entscheidet dann, wer übernommen wird.

So besteht die Möglichkeit für beide Seiten, sich kennenzulernen und jede der beiden Seiten kann dann ohne Zeitdruck entscheiden, mach ich mit dem oder der weiter oder verlasse ich das Haus bzw. muss mir eine andere Anstellung suchen, wenn mir eine Nichtverlängerungserklärung zugeht.

Da die neue Leitung des Theaters Regensburg so nicht verfuhr – also alle, bis auf die mehr als 15 Jahre beschäftigten, die ein Weiterbeschäftigungsanrecht haben – nicht übernahm, entsteht Unruhe in der Stadt, die ja nun von Betroffenen und Bürgern mit Recht kritisiert wird, als Vertragspartner des Ensembles, dieses in der angesprochen Form zu schützen und den Vertreter der Stadt, den Geschäftsführer des Theaters aufzufordern, zunächst mit dem bestehenden Ensemble für ein Jahr weiterzuarbeiten.

Die Basis für die Arbeit als Theaterleitung ist damit von vornherein beschädigt.
Es besteht in Regensburg keine einvernehmliche Ausgangslage für eine gedeihliche Zusammenarbeit.

 

 

Zitat
Neues Team am Theater Regensburg

Ein „leider völlig normales Vorgehen

 

Von Redaktion in ‘Nachrichten‘

 

Der künftige Intendant am Theater Regensburg hat sein Leitungsteam vorgestellt. Außerdem äußert sich Sebastian Ritschel zur Kritik an den zahlreichen Nichtverlängerungen.

 


Foto: Pawel Sosnowski


Vergangenen November hat der Verwaltungsrat des Theaters Regensburg Sebastian Ritschel als neuen Intendanten bestellt. Nun hat er sein neues Team vorgestellt.

 

Von Michael Bothner und Stefan Aigner

„Der Übergang von insgesamt drei Intendanzen und einer Pandemie hat viele Abläufe des Kennenlernens und Miteinanders in den vergangenen Monaten nicht einfach gemacht.“ Es ist nur ein Satz, mit dem Sebastian Ritschel in einem Schreiben an die Beschäftigten des Theaters Regensburg auf die Debatte um die rund 40 Entlassungen („Nichtverlängerungen“) eingeht, in deren Verlauf der künftige Intendant harsch kritisiert wurde. Das Vorgehen möge „juristisch in Ordnung sein, menschlich und politisch aber unter keinen Umständen“, hieß es im Oktober von der Brücke-Fraktion, die Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer aufforderte, „diesem Treiben des Intendanten umgehend einen Riegel vorzuschieben und sich gegenüber dem Personal des Theaters klar solidarisch zu positionieren“.

 

Auch ein Großteil des künstlerischen Personals meldete sich wenig später in einem offenen Brief zu Wort. Von „Bestürzung“ und „Ohnmacht“ war darin die Rede. Das grundsätzliche Recht, eines neuen Intendanten, die Verträge mit Schauspielerinnen und Schauspielern nicht zu verlängern, entspreche „zwar leider der gängigen Praxis im Theaterbetrieb in den letzten Jahrzehnten, aber was war, muss nicht richtig sein.“ Zudem könne man „mit Arbeitnehmenden reden und sie nicht nur als Verfügungsmasse betrachten”.

„Kunst lebt nunmal vom Austausch und der Veränderung“.

 

 

 

 
 

Antje Thoms wird neue Schauspieldirektorin und Nachfolgerin von Klaus Kusenberg.
Foto: fsk photography

 

Ritschel spricht gegenüber unserer Redaktion von einem „leider völlig normalen Vorgehen“, das an jedem Haus in der Form stattfinde. „Ich wurde im Oktober 2020 nach Regensburg berufen mit einer bestimmten Programmausrichtung“, sagt er. Die bringe immer auch eine „neue personelle Aufstellung mit sich“.

Kunst lebe nunmal „vom Austausch und der Veränderung“. Immer das Gleiche zu machen, werde irgendwann langweilig. Auf seiner Seite hat er dabei die Theaterfreunde Regensburg. Deren Vorsitzende Uschi Michalke bedauerte die Nichtverlängerungen zwar sehr, sagte aber gegenüber unserer Redaktion auch: „Das ist die Theaterwelt. Der härteste Job der Welt.“ Und so müsse man die scheidenden Künstler schweren Herzens ziehen lassen und die neuen mit offenem Herzen empfangen.

 

Auf intensive Kommunikation will Ritschel zumindest nun setzen. „In den kommenden Wochen und Monaten werden wir weiterhin mit Ihnen in Verbindung treten (telefonisch, per Mail, per Video-Konferenz und – wenn es die Pandemie erlaubt – am besten sogar live vor Ort), um uns persönlich vorzustellen und nach und nach über die Pläne der kommenden Saison zu sprechen“, verspricht er in dem Schreiben an die Beschäftigten.
„Eine detaillierte Präsentation der künstlerischen Ausrichtung und des Spielplans wird wie gewohnt im Frühjahr 2022 geschehen.“
 


Lebenspartner im Leitungsteam – nichts Ungewöhnliches

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wagner Moreira löst Georg Reischel als Chef-Choreograf ab. Foto: Sebastian Hoppe

 

Neben dem gebürtigen Düsseldorfer werden vor allem drei Köpfe in Ritschels Leitungsteam das Theater Regensburg künftig prägen. Neue Schauspieldirektorin wird Antje Thoms. Die 45-Jährige war zuletzt sieben Jahre lang Hausregisseurin am Deutschen Theater Göttingen.

Leiter der Tanzcompany sowie neuer Chefchoreograf wird Wagner Moreira. Der gebürtige Brasilianer war, ebenso wie Ritschel, bislang an den Landesbühnen Sachsen tätig
Neuer Chefdramaturg und Musiktheaterdramaturg wird Ronny Scholz. Der 40-Jährige arbeitet seit der Spielzeit 2016/17 als leitender Musiktheaterdramaturg am Theater Münster und fungiert dort aktuell zusätzlich als Operndirektor.

 

Diese Personalie Scholz hatte zuletzt für allerlei Geraune gesorgt. Ritschel und Scholz arbeiten nicht nur seit 20 Jahren zusammen, sondern sind auch verpartnert. Ritschel auf dieser Ebene anzugreifen bezeichnet ein Insider gegenüber unserer Redaktion aber als „unter der Gürtellinie“. Auch in Tübingen hat zum Beispiel 2018 ein Ehepaar, Peer und Dieter Ripberger, das Zimmertheater gemeinsam übernommen. „Das ist nichts Ungewöhnliches, auch wenn es angesichts der zunehmenden Debatte über die Machtverteilung an Theatern nicht mehr ganz zeitgemäß sein mag, seinen Partner in leitender Funktion unterzubringen.“
 

Mehr Inklusion

 

 

 














Ronny Scholz folgt auf die bisherige Chefdramaturgin Christina Schmidt.
Foto: Oliver Berg

Ritschel spricht gegenüber unserer Redaktion von einem „Theaterverständnis, das dem bisher gängigen in Regensburg in vielen Punkten entspricht“, welches ihn und sein neues Leitungsteam verbinde. Allerdings wolle man auch eigene Akzente setzen. Der Ausbau und die Intensivierung partizipativer und inklusiver Formate seien dabei ein Thema. Sprachliche Barrieren dürften beim Zugang zum Theater ebenso wenig eine Schranke darstellen wie gesundheitliche Beeinträchtigungen.

Ritschel bringt hier etwa Gebärdendolmetscher neben der Bühne ins Spiel. Mit solchen Vorschlägen würde der neue Intendant das Theater Regensburg zumindest auf einen halbwegs modernen Stand bringen – an Theatern wie Nürnberg oder Augsburg sind Gebärdendolmetscher bereits seit längerem Standard, ebenso eine Induktionsschleife für Hörgeräte.

Doch auch auf der Bühne will das neue Team mit einem inklusiveren Ansatz punkten. „Wir wollen in den Inszenierungen mehr Beeinträchtigte einbinden.“ Der künftige Chefchoreograf Moreira hat hier bereits Erfahrung und aktuell ein Stück mit Personen mit Down-Syndrom erarbeitet.


Neue Besuchergruppen

Generell will Ritschel neue Besuchergruppen für das Theater erschließen. „Womöglich mal einen Abend auf Arabisch“, wirft er in den Raum. Das Theater auf die Straßen zu bringen oder in die Tiefgarage. Ein Ansatz, den die neue Schauspieldirektorin Antje Thoms im vergangenen Jahr während des Lockdowns erprobt hat. Den Bismarckplatz verstärkt nutzen, um aus dem Theater „mehr als nur einen Musentempel“ zu machen.

 

Thoms wie das gesamte neue Team sei in der künstlerischen Arbeit „sehr innovativ, was das Thema Teilhabe angeht“, so Ritschel. Genau deshalb habe er sich diese Köpfe an seine Seite geholt. Dabei wolle er keineswegs alles über den Haufen werfen, betont der 41-Jährige. Andererseits wolle er aber schauen, was fehle und gegebenenfalls ausgebaut werden könne. Insbesondere das Junge Theater hat Ritschel dabei im Auge: kleine Musiktheater, Konzerte, einen Tanzabend oder Puppentheater.

Kommentar

 

Inklusion, Teilhabe, raus in die Bezirke, Kindertheater. Bei allem Enthusiasmus, der aus Ritschels Worten spricht, wirkt dieses Konzept bislang nicht sonderlich innovativ, eher zurückhaltend, altbacken und wenig mutig. Das gab es an anderen Häuser schon vor über zehn Jahren. Tatsächlich beurteilen können wird man dies aber erst, wenn es an die konkrete Umsetzung geht. Abzuwarten bleibt auch, inwiefern er angesichts der Entfristungen, die in der Sache zwar ein üblicher Vorgang, in der Dimension aber doch außergewöhnlich waren, wieder Vertrauen zum Ensemble aufbauen kann. Doch dieses Problem gibt es angesichts der Tarif- und Beschäftigungssituation von Schauspielerinnen und Schauspielern an nahezu allen Häusern – das ist weder eine Lex Regensburg noch eine Lex Ritschel.

Kommentare (8)

 

    musis faventibus

 

    24. November 2021 um 14:59 | #

 

    Bemerkenswert ist auch, dass zwar die Vorstellung der Leitung des jungen Theaters zu einem späteren Zeitpunkt angekündigt wird, andererseits aber die musikalische Leitung des Theaters, der/die GMD des Philharmonischen Orchesters, mit keinem Wort erwähnt wird.

 

    Wird der zum Ende dieser Spielzeit auslaufende Vertrag mit Chin Chao Lin verlängert?

    Oder wird es eine(n) Nachfolger(in) geben?

    Wie und wann soll eine Auswahl erfolgen? Oder gibt es bereits eine(n) Wunschkandidaten (-
    kandidatin)?

 

    Anscheinend werden das Orchester (die zahlenmäßig größte Künstlergruppe am Theater), der Chor und die Solistinnen und Solisten des Musiktheaters im Unklaren gelassen – sowohl was die Person angeht, als auch eine mögliche dramaturgische und programmatische Neuausrichtung, insbesondere der Konzerte, betreffend.

 

    Schließlich ist der Posten der/des GMD natürlich essentiell bei der Neuformung des Musiktheaterensembles – bei der Auswahl der zahlreichen neu zu engagierenden Sängerinnen und Sänger sollte die Expertise der/des musikalischen Leiterin/Leiters des Hauses eine gewichtige Rolle spielen.

 

    Man fragt sich, was das neue Leitungsteam mit dieser Art der ‘Nicht-Kommunikation’ kommunizieren möchte …

    Herman Angst

    24. November 2021 um 15:33 | #

 

    “Der härteste Job der Welt.”? Again what learned.

 

    Madame

 

    24. November 2021 um 18:33 | #

 

    Regensburg ist eine mittelgroße Stadt in Bayern. Aber das Theater hat schon viele gute Kräfte zu größeren Bühnen vermittelt. Bei der Stelle des Intendanten muss natürlich der Mensch passen. Das Publikum ist zum Teil noch sehr konservativ bis altmodisch. Neue Ideen sind schwer durchsetzbar. Obwohl ein frischer Wind nicht schadet. Dass der neue wieder seine eigenen Leute mitbringt, gehört wahrscheinlich zum Geschäft. Was passiert mit den langjährigen Mitarbeiterinnen? Wer abkömmlich ist, hat Glück woanders zu schauen.

    Der Chor und das Orchester vom Theater sind eigentlich gut.

 

    Dugout

 

    24. November 2021 um 19:26 | #

 

    ” Und so müsse man die scheidenden Künstler schweren Herzens ziehen lassen ……..”

    Vielleicht mehr der scheinheiligste Job der Welt?

 

    Hugo Hofmann

 

    24. November 2021 um 20:20 | #

 

    Theater auf Arabisch? Da wird die “Bude” aber voll sein! Haben schon einige Häuser probiert. Theater ist in der muslimischen Welt kein Thema, auch Migranten interessiert die westliche Theaterkultur nur sehr bedingt.

    Theater auf der Straße? Theater in der Tiefgarage? Klingt nach einem Ablenkungsmanöver, weil zu befürchten steht, dass die Zuschauerräume am Bismarckplatz und am Haidplatz nur unzureichend gefüllt sein werden.

    Teilhabe: Da wäre ein erster Ansatz, bei den teils horrenden Eintrittspreisen (in Regensburg weit über denen des Staatstheaters Nürnberg!) anzusetzen! Inklusive Theater-Produktionen sind teils schon völlig gescheitert, weil sie – gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht – nichts anderes waren als das Ausstellen von Behinderten wie weiland die unsäglichen Freakshows der Jahrmärkte.

 

    Andrea Mink

 

    24. November 2021 um 20:27 | #

 

    Ich muss Musis Faventibus einfach zustimmen, das, was jetzt geplant wird, ist in anderen Theatern schon lange selbstverständlich. Also, no rebel auf dem Posten.

 

    Schade, dass Frau Michalke als Theaterfreundin kein Mitgefühl für die hat, die gehen müssen. Aus den Augen, aus dem Sinn, knallhart diese Ansage von einer Nicht-Fachfrau.

 

    Natürlich ist das Vorgehen probat – leider, wie Ritschel selbst zugibt. Nur auf den Verein der Theaterfreunde zu bauen, finde ich etwas kurz gegriffen. Die Stadt ist doch relativ groß, da gibt es doch mehr Leute für einen modernen kreativen Support!

 

    Mich täte es freuen, wenn er die Arbeitsbedingungen gründlich unter die Lupe nehmen würde und das Thema Mobbing auf der Liste des Intendanten als Problem stehen würde. Viel Tabuisiertes schwelt in dem kommunalen Betrieb Theater Regensburg seit Jahren.

 

    Das System Regensburg hat nun mal mehr Dimensionen als viele wissen und das in vielen Gazetten bekannte, ist nur die Spitze des Eisbergs in dieser wunderschönen Weltstadt.

 

    Der Partner des Intendanten erhält auch einen Job. Big deal. Nun, ich hoffe, dass dies nicht zur größtmöglichen Dankbarkeit und Liebedienerei gegenüber der Stadtverwaltung verpflichtet.

 

    Frischer Wind fühlt sich gerade etwas anders an. Aber vielleicht bin ich zu beckmesserisch – das hoffe ich jedenfalls sehr.

 

    Artregbg

 

    24. November 2021 um 20:52 | #

 

    Hat es eigentlich schon jemand ausgesprochen?

    Sebastian Ritschel ist ganz einfach die falsche Wahl

 

    Lisa Neumann

 

    24. November 2021 um 21:24 | #

 

    Hat sich Herr R. bisher mit dem Theater und dessen Angeboten befasst???

    Nicht nur gab es bereits einen Abend auf Arabisch (dem natürlich weitere Folgen dürfen, nur hat er hier das Rad nicht neu erfunden), noch dazu hat das JT in der Vergangenheit bereits Musiktheater, Tanztheater und auch einen Gebärdendolmetscher (bereits vor Corona) angeboten.

    Mit Verlaub, es wirkt so, als hätte sich der designierte Intendant bisher nicht im Geringsten mit dem Theater Regensburg auseinandergesetzt, sondern einfach die Walze ausgepackt, um nun alles platt zu fahren…
Zitatende


Quelle: https://www.regensburg-digital.de/ein-leider-voellig-normales-vorgehen/24112021/

to top

 

 

Zitat



© MITTELBAYERISCHE

Regensburg Stadt | Regensburg | 10.11.2021 Seite 21

 

Theater-Streit: So geht es weiter

 

Kultur Knapp 40 Künstler gehen, der Aufschrei ist laut.
Vom Bühnenverein heißt es: „Theater ist mehr als soziale Absicherung.“  […]

Von Marianne Sperb

Regensburg – Am Theater Regensburg rumort es. Weil sich Sebastian Ritschel, ab 2022 neuer künstlerischer Leiter, von knapp 40 Künstlern trennt, hagelt es Kritik. Das Publikum wird ab September 2022 etliche Lieblinge vermissen. Zahlreiche renommierte und beliebte Künstler werden fehlen. Mitglieder des Ensembles, aber auch Politiker werfen dem künftigen Intendanten schlechten Stil vor. Sebastian Ritschel selbst will sich in einigen Tagen äußern: Mitte November präsentiert er nach Informationen der Mittelbayerischen sein Leitungsteam.

Inzwischen sickern immer mehr Namen von Künstlern durch, die nicht übernommen werden oder auch: nicht bleiben wollen. Kolportiert wird ein Wechsel an der Spitze von Jungem Theater, Tanz, Schauspiel und Musiktheater. Elena-Maria Hackbarth, die das Junge Theater seit 2015 erfolgreich führt, und Tanz-Chef Georg Reischl, der 2019 auf Yuki Mori folgte und aktuell für „Sand“ Beifall bekommt, sollen angeblich gehen.

Team wird im Frühjahr vorgestellt

Christina Schmidt, die sich nach dem Abschied von Jens Neundorff von Enzberg in ihre Aufgabe als Operndirektorin stürzte und mit „Le nozze di Figaro“ und „Werther“ zwei hochgelobte Produktionen verantwortet, räumt ihren Stuhl, bleibt aber am Haus, bestätigt sie. „Ich bin in einer Situation, die bei Dramaturg:innen so gut wie nie eintritt. Ich bin seit über einem Jahr in die Unkündbarkeit eingetreten.“ Und Klaus Kusenberg, Interimsintendant und Schauspiel-Chef, wird das Theater nach eigenen Angaben verlassen.

Das komplette Team wird erst im Frühjahr 2022 vorgestellt, informiert Theater-Sprecherin Silke Spitzenpfeil. „Aus Datenschutzgründen können wir leider keine Mitteilung darüber machen, welcher Vertrag ausläuft und welcher verlängert wird.“

Joachim Wolbergs fuhr im Oktober in einem Pressepapier der Brücke-Fraktion schweres Geschütz auf, andere Politiker zogen nach, das Ensemble meldete sich in einem Brandbrief zu Wort. Ritschel agiere in einer Art, die jeden Respekt vor den Künstlern vermissen lasse, schrieb Wolbergs. Er setze die Beziehung zwischen Publikum und Theater „grundlos aufs Spiel“ und: OB Gertrud Maltz-Schwarzfischer müsse „Ritschels Treiben umgehend einen Riegel vorschieben“.

Hintergrund: Der NV Bühne gestattet Intendanten bei ihrem Antritt, Künstlern den Stuhl vor die Tür zu stellen und ein Team nach eigenen Vorstellungen zu formen. Was sagt der Deutsche Bühnenverein, der als Bundesverband für die Träger der deutschen Theater und Orchester die Interessen seiner Mitglieder in politischer und arbeitsrechtlicher Hinsicht vertritt? Die Mittelbayerische fragte Marc Grandmontagne, den geschäftsführenden Direktor des Dachverbands.

„Bei Intendanten-Wechseln ist klar, dass es auch zu Nichtverlängerungen von Verträgen kommt. Das ist generell üblich. Diese Möglichkeit gehört zum Grundprinzip der Kunstfreiheit“, sagt Grandmontagne. Allerdings werde seit einiger Zeit auf Nichtverlängerungen mit erhöhter Sensibilität reagiert.

„In der Regel gibt es gute Gründe für das Verfahren“, so der Geschäftsführer. „Man möchte personellen Austausch und damit auch eine neue künstlerische Handschrift ermöglichen.“ Ein neuer Intendant tritt mit seinem Team an, sein Vorgänger zieht mit seinem Team weiter: Dieses Prinzip bedeute auch, dass es keine Stelle auf Lebenszeit geben soll. Bewegung und personeller Wechsel sollen möglich sein.

In sozialen Fragen werde aber zunehmend sensibler reagiert, beobachtet Grandmontagne. Die Ausgestaltung im NV Bühne stehe deshalb ganz oben bei Verhandlungen mit Gewerkschaften. „Wir verstehen: Es gibt den Wunsch nach Sicherheit, es gibt auch die Diskussion um Machtverhältnisse an Theatern“, sagt der Direktor. „Wir sind da sehr konstruktiv und sehr wachsam. Die Frage ist allerdings: Wenn Sie das Prinzip der Befristung ablehnen, was wäre die Alternative? Bisher liegt kein Vorschlag auf dem Tisch, auch nicht vonseiten der Gewerkschaft.“

Dr. Matthias Schloderer, Finanzchef des Theaters, meinte zur Kritik von Wolbergs, sie ziele weniger gegen Sebastian Ritschel als gegen das Vertragssystem NV Bühne. Klaus Kusenberg, noch bis Sommer 2022 Intendant, sieht das anders. „Auch von betroffenen Künstlern und Künstlerinnen hier gibt es wohl niemanden, der die Befristungen des NV Bühne ernsthaft in Frage stellt.
Aber: Man muss sich in gegenwärtigen Zeiten die Frage nach der Verhältnismäßigkeit stellen“, sagt Kusenberg. Es gehe um das Ausmaß der Nichtverlängerungen. „Es macht ja einen Unterschied, ob Sie mit 25 oder 26 ihr Köfferchen packen und in eine andere Stadt ziehen, oder ob Sie lange an einem Haus sind und Familie haben.“ Die Frage stelle sich erst recht nach zwei Jahren Pandemie, als Künstler kaum die Möglichkeit hatten, sich vorzustellen. In Regensburg, meint Kusenberg, „wurden Nichtverlängerungen in einer Zahl ausgesprochen, die darauf keine Rücksicht nimmt“.

„Mehr als soziale Absicherung“

Künstler streiten heute stärker für ihre Rechte. „Diese Fragen muss man eben neu ausverhandeln“, meint Marc Grandmontagne. Er mahnt aber: „Soziale Aspekte sind wichtig und richtig, aber Theater ist mehr als soziale Absicherung. Der NV Bühne ist auch ein Ermöglichungsinstrument.“ Ein System unbefristeter Verträge hätte nicht nur Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt für Künstler und Folgen für die Berufschancen beim Berufseinstieg. So ein System würde eventuell auch zu einer Flucht in reine Gastverträge führen und stünde kulturpolitisch und ästhetisch für ein ganz anderes Theater. „Die Sache ist eben komplex; wenn man an der einen Stelle etwas verändert, knirscht es an anderer Stelle.“

Die Pandemie hat die Kulturbranche besonders getroffen. Generell seien Künstler aber durch ihren NV-Bühne-Vertrag im Vergleich zur freien Szene deutlich besser geschützt, sagt Grandmontagne. Er hält aber auch fest: „Die Pandemie hat uns gezeigt, wie fragil die Künste sind. Das sollten wir alle im Kopf haben, wenn wir nun wieder Theater und Oper machen.“

„Künstler streiten heute stärker für ihre Rechte.“
Marc Grandmontagne – Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins

Er geht: Klaus Kusenberg, Intendant und Schauspiel-Direktor des Theaters Regensburg.

Sebastian Ritschel übernimmt 2022 als Intendant. Zahlreiche Verträge von Künstlern hat er nicht verlängert. Kritiker werfen ihm schlechten Stil vor.


Quelle: MZ - https://kundenkonto.mittelbayerische.de/

 

 

 

 

Zitat
Kahlschlag in Regensburg

Es ist das alte, immer wieder gleiche Lied. Ein Intendantenwechsel steht an. Schauplatz ist aktuell das Theater Regensburg, dort wird ab der Spielzeit 2022/2023 Sebastian Ritschel alle Zügel in die Hand bekommen. Intendantenwechsel, das bedeutet wieder die altbekannte Angst „Wen wird es treffen?“

Und wieder die kleine Hoffnung „Vielleicht wird es DIESMAL anders sein“. Die Hoffnung sollte auch diesmal enttäuscht werden, getroffen hat es inzwischen gut zwei Drittel der Darsteller*innen (zuzüglich aller Spartenleitungen und der kompletten Dramaturgie außer einer unkündbaren Kollegin). Groß ist der Schock und leider fast genauso groß die Resignation:
Das System ist stärker als wir.

Die Versuchung, seine Macht direkt zu Beginn seiner Intendanz mit einer Entlastungswelle zu demonstrieren, ist offenbar zu verführerisch.
Es ist nicht der Erste, der so radikal vorgeht und er wird – vermutlich – nicht der Letzte sein.

Dass bei einem Intendantenwechsel keine künstlerischen Gründe für die Nichtverlängerung angegeben werden müssen, muss wieder einmal in Frage gestellt werden. Denn der neue Intendant macht durch seine Auswahl quasi nur die sehr allgemeine Ansage: „Mit meinem künstlerischen Vorhaben an diesem Theater bist du nicht kompatibel“.

Das Besondere an der aktuellen Situation in Regensburg ist, dass niemand bisher auch nur im Geringsten über dieses Vorhaben informiert war. Gespräche gab es abseits der „blauen Briefe“ und dem darauffolgenden Anhörungsgespräch keine. Über die Besetzung der neuen Spartenleitungen gibt es zwar ohrenbetäubenden Buschfunk, mehr oder weniger geheime Vorstellungsbesuche, jedoch bis heute keinerlei Stellungnahme, weder intern noch offiziell. Alle Mitarbeitenden des Hauses warten seit einem ganzen Jahr auf eine Ansage zur künstlerischen Zukunft des Hauses.

Durch Kontakt im Vorfeld wären beispielsweise Informationen über die weiteren Pläne der Künstler*innen möglich gewesen, die eine oder andere freie Position hätte sich so sicherlich von selbst ergeben. Aber diese Form der Antikommunikation ist irritierend, respektlos und absolut verwerflich. Von Künstler*innen werden wir zu austauschbaren Objekten degradiert, einer direkten Auseinandersetzung mit uns bedarf es scheinbar nicht. Bedeutungslos scheinen die Anstrengungen der letzten eineinhalb Jahre, in denen wir uns für die Berechtigung und den Erhalt der Kultur eingesetzt haben; und dass wir nach wie vor in einer Pandemiesituation sind, weit von einem Normalzustand entfernt, fällt inzwischen einfach unter den Tisch. Viel wichtiger ist die künstlerische Vision des designierten Intendanten, von der zwar niemand genau weiß, wie sie aussehen soll, die aber nicht umsetzbar scheint, ohne dass knapp 40 Künstler*innen das Haus verlassen müssen. Aber alles geschieht natürlich, wie gesagt, für die Sache der Kunst …. ‘Ironie aus‘.

Ja, wir sind Künstler*innen. Ja, wir brennen für unseren Beruf wie für nichts anderes. Und wir wissen auch, dass personelle Fluktuation zum Theater dazugehört. aber wir sind auch Menschen mit sozialen Umfeldern, die jetzt – wieder einmal – umgewälzt werden, Menschen mit Familien, Kindern Zukunftsängsten und finanzieller Ungewissheit. Der Mythos der weiterziehenden Künstler*innen, die ihr Köfferchen packen und ihr Glück in der nächsten Stadt versuchen, ist stark veraltet, er romantisiert einen existenzbedrohenden, im Kern recht simplen Vorgang: wir verlieren unsere Jobs. Unsere (künstlerische Heimat) wird uns entrissen.

Das Prinzip des Ein-Mann-Genies ist überholt. Dass ein Intendantenwechsel eine großflächige Entlassungsmaßnahme beansprucht, ist nicht mehr zeitgemäß.

Wir sind wütend, traurig und machtlos gegenüber einem System, das in seiner Brutalität vor nichts Halt macht.

Niemand zwingt einen designierten Intendanten dazu, so zu handeln. Das System drückt ihm zwar Pfeil und Bogen in die Hand, den Entschluss zu schießen, trifft er aber ganz alleine.

Dass die Nichtverlängerungen in den seltensten Fällen etwas mit mangelnder künstlerischer Qualifikation zu tun haben, ist allen bewusst und spielt dennoch einfach keine Rolle mehr.

Doch anders als bisher, sind wir nicht mehr ohnmächtig angesichts der Geschehnisse. Wir haben unsere Stärke im Kollektiv gefunden und uns ist bewusst, dass diese Vorfälle erneut die Diskussion über den Nichtverlängerungsgrund ‘Intendanzwechsel‘ anheizen sollen und müssen.

Auch die Diskussion darüber, ob man eine Kündigungswelle durch vernünftige Quoten begrenzen kann. Ja, und auch darüber, ob es nicht endlich möglich ist, Leitungsposten im Dialog mit den Mitarbeitenden zu besetzen. Die immer gleichen Diskussionen: Wie oft müssen sie dennoch geführt werden?
Zitatende

 Quelle: Fachblatt Deutscher Bühnenangehöriger – Ausgabe 11/21 – Seite 41–43

 

 

Kommentar zu

Der fliegende Holländer’ in Detmold, in Ulm und in Meiningen

Er hatte es nicht leicht, der ’Holländer’ als er
am 2. Januar 1843 dem Publikum in dem 1817 als Königlich Sächsisches Hoftheater eröffneten Bühne in Dresden präsentiert wurde.

Wagners 'Rienzi' war gerade im Herbst 1842 zu einem sensationellen Erfolg für den aus Frankreich nach Dresden zurückgekehrten Richard Wagner geworden. Die sächsische Hofoper wollte auch den 'Holländer' für sich haben und ihn nicht Berlin überlassen
er kam nach Dresden und fiel durch.

Nur vier Aufführungen gab es, dann verschwand das Werk zunächst einmal von der Bühne in Dresden.
Das Publikum war überfordert
hatte es sich beim 'Rienzi' der ganzen Opulenz einer quasi Meyerbeer-Oper mit realem Hintergrund der Story hingeben können, war nun alles reduziert auf ein paar Figuren, die nicht einmal 'greifbar' waren.

Heine hatte die Vorlage geliefert, die sturmumtoste Schiffsreise der Wagners aus Riga nach London tat das ihrige.

Es war eine der Schauergeschichten, die man sich damals so in der Gartenlaube erzählte
Richard Wagner machte daraus im Stile der Zeit - eine romantische Oper.

War er beim 'Rienzi' noch dem Schema verhaftet, lyrischer Sopran plus Hosenrolle, so begann beim 'Holländer' das Weib der Zukunft zu wirken, die Frau, die zur Erlösung des Mannes auf die Welt gekommen war, die durch oder für die Leiden des Mannes starb und diese Aufgabe auch zu erfüllen hatte.
Der Senta, die hier den 'Holländer' zu erlösen hatte, folgten die 'Tannhäuser- Elisabeth, die Sieglinde, die Brünnhilde, die Isolde und die Kundry.

Die erste Senta sang die vom Meister so verehrte Wilhelmine Schröder-Devrient, die auch als Adriano im 'Rienzi' auf der Bühne stand, dem die Venus im 'Tannhäuser' folgte
zur Ortrud kam es nicht mehr, da der 'Lohengrin' in Dresden wegen der Beteiligung Richard Wagners an den revolutionären Aufständen von 1849 nicht mehr an der sächsischen Hofoper zur Uraufführung kam.

Produktionen vom 'Holländer' geraten in der heutigen Zeit mehr und mehr zu Persiflagen und reduzieren das Frühwerk zum Sandkastenspiel für Unreife zu Lasten der Steuerzahler - meist auch noch gefördert durch Zuspruch der RW-Vereine.

Das ganze Unternehmen ’Der fliegende Holländer’ wurde auch 1843 schon in Dresden stiefmütterlich behandelt.

 

 

Zitat
Wie sehr die Einbildungskraft der Dresdener Zuschauer im übrigen überfordert war und sich das Auge düpiert fühlen musste, weil jeder äußere Reiz fehlte, zeigt der Ausstattungsbericht:
„Im ersten Akt verwendete man die Horizont-Gardine aus dem Weber’schen ’Oberon’, die Masten ebenfalls, die beide Schiffe aus dem Ballett ’Der Seeräuber’, und nackte Felsen ließen sich nicht auftreiben.
Im zweiten Akt nahm man Gretchens Zimmer aus Goethes ’Faust’ zu Hilfe; wie es bereits für das Trauerspiel ’Columbus’ eingerichtet worden war.
Im dritten Akt stammte das Haus aus Schillers ’Wilhelm Tell’, die Schiffe wieder aus dem Seeräuber-Ballett.
Es war in dieser Hinsicht so ziemlich alles missglückt.

Zitatende
Quelle: Martin Gregor-Dellin – Richard Wagner – Piper/Schott 1991 – Seite 184


Dass bei vielen Produktionen ähnlich wie damals in Dresden gehandelt wurde, zeigen die nachfolgenden Bemerkungen zu immer derselben Inszenierung.

Kay Metzger, nunmehr Intendant in Ulm, zog über Land mit seiner Inszenierung des ’Holländer’, die er 2017 in Detmold herausbrachte.
Dann war die Produktion in Ulm, jetzt in Meiningen zu sehen.
Immer derselbe Schmarrn.
Senta verliebt sich in ein Filmplakat, das im Foyer eines Kinos aufgehängt ist.
Das Konterfei auf dem Aushang fasziniert sie.

Seeleute – verkleidet als Kellner – wuseln den ganzen Abend umeinander, putzen unablässig Gläser, der Steuermann ist der Wirt, der dem ewig besoffenen Daland immer wieder nachschenkt.

Die Damen des Chores haben für den 2. Akt ihr Handarbeitszeug mitgebracht, und da stricken und häkeln sie nun um die Wette und nach Richard Wagners Musik.

Bei der Wiedersehensfeier im 3. Akt nehmen die drei Protagonisten Senta, Daland und Holländer in der Mitte der Bühne auf einem flugs bereitgestellten Tisch mit Stühlen Platz und spielen mit lautem Getöse des Würfels ’Mensch ärgere dich nicht’.
Und das in Detmold, so auch in Ulm und natürlich auch jetzt in Meiningen.


Der neue Meininger Intendant, Herr von Enzberg, antwortete auf die Frage, warum er die Produktion in dieser Form nicht verhindert habe: Ihm seien die Hände gebunden, denn für diese Detmolder/Ulmer-Produktion sei der Vertrag bindend , den sein Vorgänger, Ansgar Haag, noch vor ihm abgeschlossen habe.
Jetzt sitzt das Staatstheater Meiningen da, mit diesem Detmolder / Ulmer ’Holländer’.

Natürlich ist es lobenswert, wenn Theater kooperieren und gemeinsam Produktionen herstellen und diese dann untereinander austauschen. Es genügt aber, Quatsch nur einmal zu zeigen und nicht auch noch damit über Land zu ziehen.

 

 

Was andere schrieben

 

 

Zitat
Theater Detmold

Der fliegende Holländer

Romantische Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache (keine Übertitel)

Aufführungsdauer: ca. 2h 20' (keine Pause)

Premiere im Theater Detmold am 8. September 2017

Richtig harte Seemänner gibt's nur im Kino

Von
Stefan Schmöe / Fotos von Landestheater/Schomburg

Im Kino 1 läuft "Fluch der Meere". Besonders erfolgreich scheint der Streifen nicht zu sein, jedenfalls ist außer der jungen Frau, die offenbar täglich hierhin kommt, anschließend im Foyer einen Kaffee trinkt und ein Papierschiffchen bastelt, selten jemand da. Einmal sieht man einen jungen Mann aus dem Kinosaal kommen, er heißt offenbar Erik. Dann kommt ein versoffener Typ mit Kapitänsmütze, ein gewisser Daland. Der Mann an der Bar erinnert an Humphrey Bogart (er wird später die Partie des Steuermanns singen). Es ist eines dieser Kinos, die den Charme der 1950er-Jahre bewahrt haben; die Kostüme (Ausstattung: Petra Mollérus) deuten ebenfalls vage diese Epoche an, ohne sich genau festzulegen. Man geht offenbar hierhin, um mit der Einsamkeit fertig zu werden. Das Kino als Traumort. Wie wäre es nur, wenn einer der verwegenen Leinwandhelden lebendig würde?

 Jeden Tag im selben Film: Senta
Foto von Landestheater/Schomburg

Woody Allen hat das in The Purple Rose of Cairo 1985 durchgespielt, und Kay Metzger hat das bei seiner beziehungsreichen Inszenierung sicher im Hinterkopf. Er erzählt quasi filmisch, blendet immer wieder ab (dann geht das Licht auf der Bühne aus und blaues Licht scheint in den Zuschauerraum) und "schneidet" auf diese Weise eine Folge von Szenen, die einen ganz anderen Rhythmus haben als Wagners Oper – zwar brechen sie nicht die gesungenen Passagen auf, definieren aber eine ganz eigene Zeitskala, weil zwischen zwei Szenen schon mal längere Zeiträume vergehen. Lebendig wird hier natürlich der Holländer (dafür zeigt das Filmplakat eine Leerstelle), der dann nicht am Strand, sondern an der Bar strandet. Noch so ein Einsamer auf der Suche nach ein bisschen Glück.

Dem Filmplakat entstiegen: Der Holländer - Foto von Landestheater/Schomburg

Vieles aus dem Libretto hat Metzger gestrichen. Kein Schiff, Seefahrerambiente, keine Spinnstube – Matrosen wie die Mädchen des Dorfes sind Kopien des Barmanns. Das Kinofoyer bleibt drei Akte lang der Rahmen. Ein sehr poetisches Bild hat Metzger für das Duett von Senta und Holländer gefunden, wenn er die beiden verloren im Raum miteinander tanzen lässt, ganz langsam.

Einen krassen Gegenpol setzt er in der Chorszene im dritten Akt, immerhin die vielleicht großartigste, dramatischste Chorszene der Operngeschichte: Da sieht man Daland, Senta und der Holländer (dem Senta zuvor ein ausgesprochen häuslich wirkendes Strickjäckchen übergestreift hat) am Tisch sitzen und eine Runde "Mensch ärgere Dich nicht" spielen, unbeeindruckt von der Musik, die die geisterhaften Barmänner da singen ("Steuermannn, lass die Wacht").

Metzger erzählt die Geschichte nicht neu, er erzählt sie im Grunde gar nicht. Der fliegende Holländer läuft als Tonspur und Kopfkino, und davor setzt die Regie eine andere Schicht, die kammerspielartig von Träumen und Illusionen, Realität und Einbildung berichtet und gleichzeitig mit ziemlich viel Ironie die romantische Oper von der Metaebene aus betrachtet.

Nicht zum ersten Mal wirft der Regisseur und Intendant einen Blick durch die deutsche Nachkriegsbrille auf Wagner – das hat er auch schon im Siegfried und zuletzt in den Meistersingern von Nürnberg getan, wo Evas Liebesglück sich zwischen allerlei modernen Haushaltsgeräten manifestierte.

Hier hat Senta die Vision vom Familienglück unter der Stehlampe – und in einer kurzen Schrecksekunde wird sichtbar, dass der Mann, der sich hinter der Zeitung versteckt, womöglich doch Erik ist und nicht der Holländer. Oder eben ein zum Erik domestizierter Holländer.



Daland und sein Steuermann
- Foto von Landestheater/Schomburg

Metzger hält manche böse Pointe bereit. Senta träumt vor dem Plakat von "Fluch der Meere", der Holländer dagegen ganz ähnlich vor dem Plakat eines Films mit dem Titel "Ruf der Heimat" mit einem sehr deutschen Mädel.

Da ahnt man: Das kann nicht gut gehen, wenn sie zur Piratenbraut und er zum häuslichen Familienvater mutiert und man sich in vertauschten, gleichwohl unverändert weit voneinander entfernten Rollen begegnet. Am Ende muss man ein paar Minuten zittern, ob die Regie letztendlich nicht doch melodramatisch scheitert – aber sie geht überraschend gut auf. Metzger hat sich ein hübsches Ende ausgedacht, das durchaus berührt. Und auch, wenn er scheinbar nicht viel vom Holländer inszeniert, ist man doch ziemlich nahe dran an der Oper.

Mögen die Matrosen singen, so dramatisch sie wollen -
Senta spielt mit Daland und dem Holländer "Mensch ärgere Dich nicht".
Foto von Landestheater/Schomburg

Musikalisch macht das kleine Haus das Beste aus den begrenzten Mitteln. Der kleine Orchestergraben lässt nur eine deutlich reduzierte Orchesterbesetzung zu, und GMD Lutz Rademacher nimmt die Lautstärke mit Ausnahme der Chorszenen deutlich zurück und wahrt so die Klangbalance. Opern- und Extrachor (Einstudierung: Marbod Kaiser) singen wuchtig und präzise; dass Orchester und die an sich sehr sicheren Chöre einmal völlig auseinander laufen, ist halt Theaterwirklichkeit, so etwas passiert; schade allerdings, dass beim meist sehr ordentlich spielenden Orchester manche Piano-Einsätze "klappern".

Den Sängern kommt die reduzierte Lautstärke sehr entgegen, vor allem der Senta von Susanne Serfling, die weder eine allzu voluminöse Stimme noch die dramatische Attitüde hat, hier aber die Partie klangschön, durchaus mit der nötigen Attacke und genauer Phrasierung aussingen kann, ohne forcieren zu müssen. Derek Ballard, der zuletzt schon in den Detmolder Meistersingern den Sachs gesungen hatte, ist ein durch und durch solider Holländer mit Kraft und maßvoller Schwärze. Etwas uneinheitlich gerät der Daland von Christoph Stephinger, dessen Stimme, in manchen Phrasen souverän geführt, mitunter plötzlich an Klang verliert. Ewandro Stenzowski ist ein durchaus schön singender Erik; der weiche Ansatz der lyrisch geprägten Stimme gibt der Figur, die ja ohnehin oft die Last des obligaten Langweilers schleppen muss, allerdings auch musikalisch eben diese Ausrichtung – das stimmliche Potential ist da, darf aber noch geschärft werden (zudem neigt der Sänger dazu, die Tempi zu verschleppen). Stephen Chambers singt einen glasklaren, präsenten Steuermann, Lotte Kortenhaus eine prachtvolle, sehr präsente Mary.

FAZIT

Kay Metzgers spannende, oft ironisch gebrochene und bei allen Irritationen schlüssige Interpretation ist ein früher Höhepunkt der gerade anlaufenden Spielzeit. Musikalisch sehr ordentlich.
Zitatende
Quelle:
http://www.omm.de/veranstaltungen/musiktheater20172018/DT-der-fliegende-hollaender.html

 


 



Und weiter:
Was andere schrieben
 



 

 

Zitat
Wagner-Oper in Ulm: Ein Holländer aus Hollywood

Eine Schnulze wird im Theater Ulm zum Horrorstreifen: Intendant Kay Metzger verlegt Wagners Seefahrer-Oper in ein Kinofoyer. Der Gruselfaktor geht dadurch zwar nicht über Bord, ein bisschen Dramatik allerdings schon.

Von Marcus Golling



Ein Held, direkt aus dem Plakat für „Fluch der Meere“: Der fliegende Holländer (Dae-Hee Shin) mit Senta (Susanne Serfling).
Foto: Kerstin Schomburg

Über den schädlichen Einfluss von Film und Fernsehen auf die Jugend ist schon viel geschrieben worden. So lässt sich etwa nachlesen, dass bei jungen Inuits in Kanada Liebesbeziehungen schockierend oft im Selbstmord enden – weil die Realität im einsamen Norden nicht mit der Romantik auf der Leinwand mithalten kann. Ob es an der oft nicht minder einsamen norwegischen Küste ähnliche Probleme gibt, ist nicht bekannt, Kay Metzgers Inszenierung von Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ am Theater Ulm gibt jedoch Anlass zur Besorgnis: Die eben dort angesiedelte romantische Oper ist bei ihm vor allem die Geschichte eines Teenagers, der sich in die Liebe zu einer Kinofigur hineinsteigert. Ein durchaus origineller Zugriff, der dem Zuschauer allerdings viel Fantasie abverlangt.

Das fängt schon mit der Bühne an, die ganz ohne mächtige Schiffsrümpfe, Wasser und zerfetzte Takelage auskommt. Intendant Metzger und seine Ausstatterin Petra Mollérus, die diese Produktion schon 2017 für das Landestheater im westfälischen Detmold erarbeitet haben, verlegen die gesamte Handlung ins Trockene, in das Foyer eines Kinos aus der großen Zeit Hollywoods. Alles braun und beige, rechts eine gut bestückte Bar, links eine bequem gepolsterte Bank. Auf dieser sitzt schon bei der Ouvertüre Senta (Susanne Serfling), trinkt Kaffee, faltet Papierschiffchen und wartet immer wieder auf die nächste Vorstellung von „Fluch der Meere“. Auf dem Filmplakat, ihr Held: der fliegende Holländer, der arme Seefahrer, der durch einen Fluch dazu gezwungen ist, auf alle Zeiten über die Weltmeere zu schippern – wenn ihn nicht eine treue Frau erlöst. Und genau diese Erlöserin will Senta sein. Theoretisch also gut, dass ihr gieriger und versoffener Seemannsvater Daland (Erik Rousi) beim Rum-Trinken in der Kinobar ihre Hand eben diesem, dem Plakat entsprungenen Holländer (Dae-Hee Shin) versprochen hat. Er weiß da noch nichts vom grausamen Fluch und von der untoten Besatzung. Senta befindet sich quasi im falschen Film: Die Liebesschnulze entpuppt sich als Horrorthriller.

Das gesamte Ensemble agiert auf hohem Niveau

Musikalisch geht dieser Abend im fast ausverkauften Großen Haus auf, wobei das von Generalmusikdirektor Timo Handschuh dirigierte Philharmonische Orchester weniger aufbrausend agiert, als man es erwarten würde, sondern – ein bisschen Hollywood-like – eher eine edle Instrumentalspur für die Solisten produziert.
Diese machen etwas daraus: Gastsopran Susanne Serfling, schon in Detmold in derselben Partie zu hören, singt die Senta makellos mit klug dosierter Dramatik und gefällt auch schauspielerisch als schwärmerischer Teenie mit etwas irrem Blick. Und Dae-Hee Shin interpretiert seinen Holländer mit so viel Schmerz und Todessehnsucht, dass es einem warm und kalt gleichzeitig wird. Auch der Rest des Ensembles agiert auf hohem Niveau – ebenso Opern- und Extrachor. Die Männer hat man vielleicht noch nie so kraftvoll gehört.
Die zwischen Traum und Bühnenrealität wechselnde Inszenierung aber bremst diese Energie (auch durch die unnötige Pause) ein wenig aus, trotz amüsanter Gruseleinfälle wie den des grinsenden Barkeeper-Doppelgänger-Chores, der aus einer Stephen-King-Verfilmung stammen könnte. So erfreulich es ist, wenn das Wagnersche Pathos auf Zimmergröße geschrumpft wird: Der beste Platz im Kino ist eben nicht das Foyer. Als Zuschauer beschleicht einen das Gefühl, dass die packenderen Geschichten hinten im Kinosaal erzählt werden. Doch die Wand will einfach nicht verschwinden.

Am Schluss: großer Applaus und einige Bravo-Rufe für Orchester und Solisten, verhaltener Beifall und vereinzelte Buhs für die Regie.

Zitatende
Quelle:
https://www.augsburger-allgemeine.de/kultur/Ulm-Wagner-Oper-in-Ulm-Ein-Hollaender-aus-Hollywood-id53856421.html

Was andere schrieben

 

 

Zitat
Opern-Kritik: Meininger Staatstheater – Der fliegende Holländer

Senta im Kino-Fieber

(Meiningen, 16.10.2021) Es braucht gar kein Meeresrauschen, um Wagners psychische Bruchstellen zu verdeutlichen: GMD Philippe Bach und Regisseur Kay Metzger setzen die große Wagner-Tradition am einzigen Staatstheater Thüringens eindrucksvoll fort.

Roland H. Dippel

Schöne Geste: Im explosiven Beifall des endlich wieder voll besetzbaren Zuschauerraums sprach Ansgar Haag, der im Sommer 2021 seine langjährig erfolgreiche Intendanz beendete, die Premierenworte. Denn sein Nachfolger Jens Neundorff von Enzberg war bei der gleichzeitig stattgefundenen Koproduktionspremiere von Johann Christian Bachs Premiere „La clemenza di Scipione“ in Eisenach. Ein riesiger Erfolg für das einzige Staatstheater Thüringens mit seiner seit dem legendären „Ring“ von Kirill Petrenko und Christine Mielitz international beobachteten Wagner-Linie.

Endlich wieder ein gefüllter Graben und Chormassen auf der Bühne! Die souveräne musikalische Leitung der Meininger Hofkapelle unter GMD Philippe Bach, der das Haus 2022 nach 11 Spielzeiten verlassen wird, war diesmal fürwahr besonders.

Während Opernhäuser sich immer häufiger für die blechgepanzerte Urfassung von Richard Wagners 1843 in Dresden uraufgeführter romantischer Oper entscheiden, spielte man in Meiningen die Ouvertüre mit dem sogenannten Erlösungsschluss und nahm vieles aus dem von Wagner für die Münchner Aufführung 1860 gelichteten Orchestersatz.

Echte Liebe?

Kay Metzgers Inszenierung hätte bereits vor 17 Monaten Premiere feiern sollen. Von Haag wurde sie aus dem Theater Ulm nach Meiningen geholt. Metzger ging es um das ganz große Kino, welches in Sentas schwärmerischem Kopf zu noch größeren Sturmes- und Liebeswellen anschwillt. Wagners letzte milde Takte bestätigen das, selbst wenn es in Meiningen keinen Liebestod mit Umarmung über den Wolken gibt:

Da geht die inzwischen stark gealterte Frau noch immer vom eindrucksvollen Kino-Café mit einem intensiven Blick auf das Leuchtplakat mit dem verführerischen Meer-Abenteurer in den Lichtspielsaal.

Davor trinkt sie immer eine einfache Tasse Kaffee und faltet Origami-Tauben. Angetan hat es ihr der Held aus „Fluch der Meere“ – auch als Mann.

Hier werden von der Schiffsbesatzung keine Unterdecks geleert, sondern multiples Gastro-Personal poliert Gläser. Beim Bundes-Chortreffen wäre Manuel Bethes Chorensemble preisverdächtig. Mary und Steuermann sind unter ihnen: Rafael Helbig-Kostka und Tamta Tarielashvili geben diese beiden Nebenpartien charakterstark und sängerisch hochklassig. Aber die im Kino ein bisschen Lebensintensität suchende Senta behandeln sie ziemlich gleichgültig. So wie Senta aussieht – Bluse, Rock, Jäckchen, kaum Schmuck – ist bei ihr zu Hause nicht viel los. Und deshalb visioniert Senta sich in stumpfe Partnerschaftsprobleme hinein, die andere lieber nicht haben möchten. Die Pause ist – äußerst ungewöhnlich – in der Mitte des zweiten Akts genau da, wenn es Wagner nach Sentas Auseinandersetzung mit dem sie liebenden Erik aus dem Orchester besonders sehnsuchtssüchtig singen lässt.

Auch Abenteurer sind langweilig

Anders als Woody Allen in „The Purple Rose of Cairo“ belässt Petra Mollérus im zweiten Teil alles in Farbe, allenfalls die Charaktere werden immer blasser. Der Meininger Maske ist an Shin Taniguchi in der Titelpartie ein Meisterstück gelungen. Äußerst attraktiv und verführerisch ist sein Blick. Und sein Kostüm mit Ledermantel und Coltgürtel bedient alle Fluch-der Karibik-Wachträume. Aber zugleich bleibt das Gesicht welk und matt. Ein schwebender Walzer im sogenannten Liebesduett des erlösungssüchtigen Wanderers über die Weltmeere mit der ihm ihre Treue schenkenden Senta mündet in eine Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie mit dem Papa Daland.

Deutlich wird: Diese Mega-Gefühle – des Holländers Erlösungswunsch und Sentas Todesbereitschaft – sind von außerirdischer Überspanntheit. Senta, die Kinogängerin, lebt ihre Emotionen aus in dem, was von der Leinwand auf sie herabprasselt. Und nach dem angedeuteten Schuss, den sie in einer bewegten Umarmung auf ihre und des Holländers Schläfen richtet, folgt keine Erlösung im Liebesnirwana Wagners, sondern nur ein weiterer Kino-Besuch mit stiller Hoffnung auf frische Gefühlsexplosionen. Da bleibt es gleichgültig, ob der blasse Erik ein Gedankenspiegel von Sentas tristen Zuständen daheim ist oder er in Cordhose und Beamtenweste zum Figurenarsenal von Sentas Lieblingsfilm „Fluch der Meere“ gehört. Metzger nimmt in seiner bestens unterhaltenden Inszenierung das See- und Seelendrama ernst, gerade weil er Wagners schon pathologische Manie auf ihre strukturellen Bestandteile herunterschraubt. Wahre Liebe gibt’s in Meiningen nicht einmal im Kino.

Musikalisches Glück mit selten gewordener Genauigkeit des Singens

Deshalb macht auch die musikalische Lichtung Sinn, indem sie den Partitur-Treibstoff ressourcenschonend behandelt. Unter den Kantilenen modelliert Philippe Bach filigrane Rhythmen, die Bläserorkane brillieren mit Opulenz. Diese Klarheit beherzigt auch die gesamte Besetzung. Das musikalische Glück des Abends kommt aus einer in dieser Form seltenen Genauigkeit des Singens, nicht als Kraftdemonstration. Shin Taniguchi und Lena Kutzner agieren reflektiert, bestens aufeinander bezogen und halten bis zum Schluss daran fest, Wagners detaillierte Interpretationsangaben nicht sinnlosen Lautstärken zu opfern.

Sentas Ballade ist auch kein oppositionelles Drama gegen den als ihre 20 strickenden Doubles auftretenden Damenchor, sondern ein Hinterfragen von anrührender Sensibilität. Taniguchi ist ein wortorientierter, alle Töne intensiv gestaltender Holländer und der Grübler mit Kleinbürger-Visionen hinter dem pittoresken Outfit. Dazu passt, dass auch Tomasz Wija als wendiger Kapitän Daland mit Säufernase aus der Polterpartie ein Kabinettstück macht. Eng und verklemmt gibt Michael Siemon Sentas Verhinderer Erik und wirkt so blass, dass sich das auf die Stimme zu übertragen scheint. Am Ende weiß man demzufolge nicht, was schlimmer ist: Wagners krude Erlösungsphantasie oder lebenslanges Erlebnismanko. Insgesamt gelingt dem Staatstheater Meiningen ein beeindruckender „Holländer“ ohne Meeresrauschen, der Wagners psychische Bruchstellen bemerkenswert verdeutlicht.

Quelle: https://www.concerti.de/oper/meininger-staatstheater-der-fliegende-hollaender-16-10-2021/

Zitatende

Und außerdem:
Was andere schrieben

 

 

Zitat
"Der fliegende Holländer" in Meiningen:

"Mensch ärgere dich nicht" am Abgrund

Kay Metzger verlegt die Wagner-Oper in ein Kino-Foyer und deutet sie als Balanceakt zwischen Mief und Magie. Musikalisch überzeugen die Sänger, vor allem Shin Taniguchi in der Titelrolle.

Von Mathias Wiedemann


Wenn man bei Richard Wagner die Sänger weglässt, bleibt Filmmusik übrig. Behaupten zumindest Wagner-Skeptiker. Natürlich ist es umgekehrt: Generationen von Filmkomponisten haben sich bei Wagner bedient – bei seiner Kunst, Menschen musikalisch zu charakterisieren, Emotionen hörbar zu machen, Spannung, Licht, Farbe.
Der Regisseur Kay Metzger, Intendant am Theater Ulm, ist kein Wagner-Skeptiker. Im Gegenteil: Er hat alle zehn Bayreuth-würdigen Bühnenwerke von "Holländer" bis "Parsifal" inszeniert.
 

Insofern darf man das Konzept seiner Neuinszenierung des "Fliegenden Holländers" für das Staatstheater Meiningen getrost als listigen Kreisschluss interpretieren: Metzger siedelt die Oper in einer leicht miefigen Kino-Foyer-Bar an (Bühne und Kostüme: Petra Mollérus), der Holländer, Star des Films "Fluch der Meere", tritt vom Plakat herab und trifft auf Senta, seinen glühendsten Fan. Das funktioniert erstaunlich gut, vor allem liefert es eine plausible Motivation für Sentas bedingungslose Hingabe an diesen ihr unbekannten Mann – was längst nicht jeder "Holländer"-Inszenierung gelingt.

Gefaltete Papierschiffchen sind die einzigen Schiffe in dieser Inszenierung

Gleichzeitig eröffnet das Kino-Setting Metzger unendliche Möglichkeiten der Effekte, Verfremdungen, Brechungen, sobald die Leinwand-Welt in die Bühnen-Welt schwappt. Da wird Senta mit unzähligen Kopien ihrer selbst konfrontiert (die Spinnmädchen), da vervielfältigt sich der Barmann zur Gläser polierenden Spötterkolonne (der Matrosenchor).

Wie immer verwebt Kay Metzger virtuos Detail und Struktur. Wenn der Holländer singt, "dann werde ich in Nichts vergehen", lässt er Asche aus dem Kino-Aschenbecher zu Boden rieseln. Wenn Senta, die sich den Film immer und immer wieder anschaut, in der Bar sitzt, faltet sie Papierschiffchen – die einzigen Schiffe in diesem "Holländer".

Wie sähe Sentas Leben ohne Holländer aus?

Und wie so oft stellt Metzger die Frage nach der Alternative zu Rausch, Hingabe, Selbstaufopferung. Wie sähe Sentas Leben ohne Holländer aus? Spießige Abende mit Erik im Knöpfpullunder unter quastenbeschirmter Stehlampe? Als Holländer, Daland und Senta plötzlich friedlich "Mensch ärgere dich nicht" spielen und man sich fragt, wie der Regisseur das hier zu Ende bringen will, wird es der Barmänner-Gang und dem düpierten Erik zu viel – die Lage eskaliert. Senta wird dem Holländer dennoch treu sein bis in den Tod – in dieser Inszenierung aber eben auf ganz andere Art.

Musikalisch besteht dieser "Holländer" aus Licht und Schatten. Während auf der Bühne alle mindestens überzeugen, ist davor, also im Graben, Luft nach oben. Technische Unschärfen werden sich bestimmt in späteren Vorstellungen geben. Schwerer wiegt, dass Generalmusikdirektor Philippe Bach nicht so recht an die Magie der Partitur zu glauben scheint. Er lässt klassizistisch musizieren, äußerer und innerer Aufruhr sind lediglich dargestellt, nicht ausgelebt. Denkt man an die Urgewalten, die Oksana Lyniv diesen Sommer in Bayreuth entfesselte, bleibt dieser "Holländer" hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Shin Taniguchi ist ein wunderbar herrischer Holländer, sein Bariton mächtig und glasklar. Lena Kutzners Senta bildet den warmen, verbindlichen Gegenpol, hochdifferenziert setzt sie ihren ausgesprochen flexiblen Sopran ein. Tomasz Wijas Daland ist angemessen korrupt, Rafael Helbig-Kostkas Steuermann unterhaltsam wuselig. Und Michael Siemon gibt mit unheldischem, dennoch durchsetzungfähigem Tenor einen egozentrischen Erik am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Zitatende
Quelle: Mainpost - 18.10.2021 - aktualisiert: 18.10.2021 16:29 Uhr
 

Kommentar

Das ist die Kehrseite der Medaille, wenn Theater zusammenarbeiten und Produktionen austauschen. Es besteht hier die Gefahr, ein eingefahrenes Produktionsschema von einem Haus zum anderen weiterzureichen, auch wenn denn klar ist, dass die Verfälschung des Werkes unkontrolliert ihre Runde macht.
Aufsicht durch die Theaterleitung ist hier jedenfalls nicht gegeben.
 


Nds. Staatsoper Hannover GmbH
 

 

 

Zitat
Oper

Otello

Nur vor mir selbst kann ich nicht fliehen! Nur vor mir selbst kann ich nicht fliehen! Nur vor mir selbst kann ich nicht fliehen! Nur vor mir selbst kann ich nicht fliehen! Nur vor mir selbst kann ich nicht fliehen! Nur vor mir selbst kann ich nicht fliehen! Nur vor mir selbst kann ich nicht fliehen! Nur vor mir selbst kann ich nicht fliehen!

Giuseppe Verdi (1813–1901)
Dramma lirico nach William Shakespeare

Programmheft

Datei herunterladen PDF

Inhalt

Ein Mann, beruflich in angesehener gesellschaftlicher Position, privat beneideter Gatte einer schönen Frau, in der Abwärtsspirale. Im Irrglauben der Verteidigung zerstört er Schritt für Schritt sein persönliches Leben, seine berufliche Stellung und seine große Liebe. Am Ende wird Otello zum eifersüchtigen Mörder an seiner unschuldigen Ehefrau. Warum?

Der Krieg hinterlässt nicht nur tote Feinde, er traumatisiert auch den Sieger. Otellos Kriegserlebnisse lassen ihn nicht los. Das Vertrauen in andere Menschen, Voraussetzung für ein ziviles Zusammenleben, kehrt nicht zurück. Die Liebe seiner Frau Desdemona kann nicht verhindern, dass Otellos Soldatenperspektive auch in der Ehe zum persönlichen Selbstverteidigungswahn wird. Was ihm im Beruf Orden und Würdigung einbringt, macht ihn im zivilen Leben zum Mörder seiner Frau.

Otellos Tragik ist, Täter und Opfer gleichermaßen zu sein. Die Gesellschaft, deren Wohlstand er als Soldat sicherte, sieht teils gleichgültig, teils verurteilend seinem zerstörerischen Verhalten im Privaten zu – sie lässt den Menschen Otello zugrunde gehen. Giuseppe Verdis Oper formuliert den Vorwurf der Doppelmoral schonungslos.

Heftig tobt die Seeschlacht im Orchester, und glorios wird der Sieger in Heldenpose vom Chor begrüßt. Doch musikalisch beeindruckend sind vor allem die verzweifelten Szenen des um Trost und Liebe bittenden Privatmenschen. Die Musik der Liebesszene des Paares und Desdemonas letztes Gebet sind von atemberaubender Zartheit. Ein Musikdrama von ungeheuerlicher Ausdruckskraft, vom eröffnenden musikalischen Blitzschlag bis zum finalen Todeskuss.
William Shakespeare zog die Brisanz seines Othello, the Moor of Venice besonders aus der schwarzen Hautfarbe der Titelfigur. Doch sowohl das Drama wie auch Verdis Oper zielen auf Konflikte zwischen Individuum und Gesellschaft, die sich nicht auf die Metaphorik äußerer Erscheinungsbilder beschränken lassen. So wird die Inszenierung von Regisseur Immo Karaman Klischees der Aufführungsgeschichte ausklammern, um menschliche Tragik klarer und universeller zu zeigen.

Der deutsch-brasilianische Tenor Martin Muehle gibt sein Debüt in einer der stimmlich und darstellerisch gleichermaßen reichsten wie schwersten Rollen. Nach der Corona- Nach der Corona-Verschiebung freut sich Generalmusikdirektor Stephan Zilias mit den Chören und dem Staatsorchester auf endlich auch besetzungsmäßig wieder richtig große Oper in Hannover.

Musikalische Leitung Stephan Zilias

Inszenierung Immo Karaman

Bühne Etienne Pluss

Kostüme Gesine Völlm

Movement Director Fabian Posca

Licht Susanne Reinhardt

Video Philipp Contag-Lada

Chor Lorenzo Da Rio

Dramaturgie Regine Palmai

Xchange Nele Tippelmann


Otello
Martin Muehle

Jago Pavel Yankovsky / Daniel Miroslaw

Cassio Marco Lee / Sunnyboy Dladla

Roderigo Peter O'Reilly / Pawel Brozek

Lodovico Markus Suihkonen / Pavel Chervinsky

Montano Yannick Spanier / Richard Walshe

Desdemona Barno Ismatullaeva / Kiandra Howarth

Emilia Ruzana Grigorian / Nina van Essen

Herold Gagik Vardanyan / Darwin Prakash
Chor der Staatsoper Hannover,

Statisterie der Staatsoper Hannover,

Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
Zitatende
Quelle:
https://staatstheater-hannover.de/de_DE/programm-staatsoper/otello.1300489

 

Bemerkungen zur szenischen Umsetzung von Otello
Nds. Staatsoper Hannover –
besuchte Vorstellungen 21.11.2021 und 16.01.2022

Siebzig Jahre vor der Uraufführung von Verdis Otello am 5. Feb. 1887 erschien ein anderer Moro di Venezia auf einer Bühne der Welt.
Gioacchino Rossini hatte schon 1815 einen Auftrag für eine neue Oper erhalten, – der Vertrag kam erst 1816 zustande, – die für den 10. Oktober 1816 vorgesehene Uraufführung konnte nicht stattfinden, da Rossini nicht fertig geworden war.
Das Libretto wich stark von Shakespeares Original ab, da es üblich war, sich an aktuellen Bearbeitungen zu orientieren, um dem neuen Werk auf dem Markt einen günstigeren Start zu sichern.
In dieser Fassung von Francesco Maria Berio nach Jean-François Ducis und Giovanni Carlo Cosenza ist Desdemona nur die heimliche Braut des Otello, während Rodrig[Unbekannt1] o, der Sohn des Dogen, um sie wirbt. Jago neidet dem Otello den Kriegserfolg bei Zypern und verbindet sich mit Rodrigo, die Ehe Otello-Desdemona zu verhindern. Elmiro, Vater Desdemonas, bittet seine Tochter, sich für ein Fest als Braut zu schmücken. Hier nun fordert er Desdemona auf, Rodrigo, dem Sohn des Dogen, das Jawort zu geben. Otello erscheint und verkündet, Desdemona habe sich ihm versprochen. An Desdemonas Treue zweifelt er – Jago schürt dieses Gefühl und aus diesem heraus ersticht er die Braut in deren Schlafzimmer. Rodrigo und Elmiro kommen, Desdemona freizugeben, da sie von Jagos Intrige erfuhren, zu spät.

Nach dem großen Erfolg seiner Aida wollte Verdi sich eigentlich vom Komponieren zurückziehen. Der Geschäftsmann und Verleger Giulio Riccordi veranlasste den Librettisten Arrigo Boito, bei Verdi vorstellig zu werden und ihm den Shakespeare-Stoff näherzubringen.
Verdi hatte sich immer für den großen englischen Dramatiker interessiert und so war sein Macbetto schon der Einstieg in diesen Bereich, einen Lear wollte er, den Falstaff realisierte er.
Nach langem Zögern gelang es Boito, das Interesse Verdis zu wecken und Anfang 1887 fand die Uraufführung in der Scala statt.
Sie dokumentierte die Abwendung von der Nummern-Oper, die gerade Verdi lange Zeit seines Schaffens beibehielt – Rigoletto, Traviata, Troubadour, Ballo als Beispiele – eine Annäherung an Wagner wurde ihm mit dem Otello sogleich vorgeworfen.

Arrigo Boito – Textdichter des Otello, Sohn einer polnischen Gräfin und eines italienischen Miniaturmalers – war der führende Kopf der „Scapagliatura“, einer Vereinigung, die entsprechend dem ein Jahrhundert vorher geschehenen „Sturm-und-Drang“ die Kunst Italiens europäisieren wollte.
Nach der Übernahme britischer Schauerdramen führte die italienische Oper zu einer Entfesselung von Leidenschaften.

Boito, musikalisch begabt – immerhin komponierte er einen Mefistofele und einen Nerone –, sah mit der 1859 von ihm gegründeten „Società del Quartetto“ die Notwendigkeit, mit der in Italien vorherrschenden Stellung der Oper zu brechen.
Neben den Opern von Giuseppe Verdi wurden zu der Zeit in Italien auch die Werke Richard Wagners aufgeführt: Lohengrin 1871 in Bologna, Tannhäuser 1872, Rienzi 1874, Holländer 1877, der Ring 1883 in Venedig, Tristan 1888 in Bologna, Meistersinger 1889 an der Scala.

Boito, der Rienzi, Holländer und Tristan ins Italienische übersetzte, war nach seiner Studienreise 1862, beeindruckt von Richard Wagners Wirken, auf die italienische Halbinsel zurückgekehrt und wurde dort der Promotor für Wagner.
Boito wollte Italien aus seiner Opernseligkeit befreien und stellte, als er seine eigenen Grenzen nach dem Misserfolg des Mefistofele 1868 erkannte, sein Talent ganz in den Dienst seines Mitbewerbers Verdi.

Der gefürchtete Kritiker Hanslick fuhr nicht zur Premiere des Otello, um sich nicht vom Kolorit Italiens beeinflussen zu lassen, studierte den Klavierauszug, besuchte später eine Repertoirevorstellung und schrieb, Verdi sei doch ein Musiker, von dem man verlange, dass Musik und Text übereinstimmten, aber die Musik etwas Eigenes haben müsse. Das abgelieferte musikalische Bild reichte Hanslick nicht.

Das Werk trat trotzdem einen Siegeslauf um die Welt an.
Zeitlich unmittelbar nach der Scala spielten Venedig, Buenos Aires, Chicago und San Francisco, Nizza, Baltimore den Otello.
Für Paris wurde eine französische Übersetzung von Boito und Camille du Locle verfasst, Verdi nahm Änderungen vor und passte, dem Publikumsgeschmack entsprechend, ein Ballett in das 3. Finale ein.
1861 war Wagner mit seinem Tannhäuser eben wegen des Balletts im 1. Akt statt im 2. Akt, wie von Abonnenten des Jockey Clubs gefordert, gescheitert.
1888 kam der Otello zum ersten Mal in New York heraus, ab 1909 sang Leo Slezak die Titelpartie, die Inszenierung von Jules Speck wurde bis 1937 gespielt, bis eine von Herbert Graf sie ablöste.

Die Rolle des Otello erfordert einen Heldentenor, den in all den Jahren nach der Uraufführung nur wenige wie

  

Leo Slezak 1920 als Otello – Foto cantabile-subito.de

……  oder Lauritz Melchior, Max Lorenz, Hans Beirer, Hans Hopf, Mario del Monaco, Placido Domingo, José Cura zur Verfügung hatten, ohne dass deren Stimme wegen Überforderung Schaden nahm.



Screenshot: Nds. Staatsoper Hannover GmbH

Alles schon dagewesen:
Kauft jemand das Programmheft nicht, fragt er sich gleich beim Aufgehen des Vorhangs:
„Was soll das?“

Shakespeare und Boito verweisen auf ihre Quelle. Danach spielt das Stück im 15. Jahrhundert auf Zypern.
Otello, der Anführer der venezianischen Flotte hat eine Seeschlacht gegen die Türken gewonnen und befindet sich kurz vor dem Ziel, dem Hafen von Nikosia.
Ging der Kampf gegen die Feinde siegreich zu Ende, so hat das venezianische Schiff den Hafen wegen tobenden Wetters noch nicht erreicht:
Doch da nähert sich das Schiff dem Hafen und das an der Pier stehende Volk jubelt:

Seht das Segel! Die Galeere!

Bei Shakespeare und Boito überwindet es die Felsklippen am Strand und läuft in den sicheren Hafen ein.
Nichts von dem in Hannover:
Hier: Vogelgezwitscher, ein Zimmer, links ein von hinten erleuchtetes Fenster mit einer Jalousette. Rechts neben dem Fenster ein Kühlschrank. Links der Bühnenmitte ein Tisch, ein Stuhl, rechts auf dem Boden eine Isoliermatte mit einem Plumeau und einem Kopfkissen.
Ein Mann mittleren Alters, im Bademantel, schaut zum Fenster hinaus, dann steigt er mit einem Gewehr über den Stuhl auf den Tisch.

Die Bühnenrückwand fährt hoch. Männer stehen da. Weitere Bühnenrückwände werden bis zur Hinterbühne hochgefahren, der Chor kann sich von hinten kommend frei nach vorne bewegen, gelangt bis an das erste Bühnenfeld.

Auf dem Tisch der Mann mit einem Gewehr, er steigt herunter und hört sich das Singen des Chores an:

Die schreckliche Finsternis
birst in Flammen und erlischt
in noch tieferer Nacht!!


Er beugt sich erschöpft über den Tisch, stützt sich mit den Armen ab und schmettert heldisch:

Freut euch! Der Stolz der Muselmanen
liegt begraben im Meer!
Der Ruhm ist unser und des Himmels!
Nach unseren Waffen besiegte sie noch der Sturm!

Und da fragt der unbedarfte Zuschauer:
Das da, die arme Sau, der soll der Otello sein, der Mann da in Hausschuhen im Bademantel.
Der legt sich über den Tisch – der Chor singt in unmittelbarer Nähe des Tenors sein …
Vittoria! Vittoria!
Sterminio! Sterminio!
Dispersi, distrutti, sepolti nell’orrido
tumulto piombar!
Vittoria! Vittoria!
Vittoria! Vittoria!

… vernehmlich laut und der mit dem Oberkörper über dem Tisch Liegende wirkt wie am Ende seiner Kräfte.

In Hannover an seiner Niedersächsischen Staatsoper sieht so ein glorreicher Held aus, der eben in einer Seeschlacht einen großen Sieg gegen die Muselmanen gewann.

Der Chor, froh seine Passagen gut und ohne zu klappern über die Rampe gebracht zu haben, geht nach hinten eiligst ab, denn es wird schon eine rückwärtige Trennwand heruntergefahren. Es bleiben zwei Fensterelemente offen.

Auch in diesem Bühnenteil jeweils ein Tisch, ein Stuhl, ein Kühlschrank, wie auch im ersten Bühnensegment vorne.

Otello im Bademantel ist nach rechts gegangen, auf dem Tisch im zweiten Bühnesegment sitzt einer (das soll der Rodrigo sein) und am Fenster neben dem Kühlschrank steht einer (der Jago). Der fängt gleich an zu intrigieren, stichelt

Nur ein Narr ertränkt sich aus Liebe zu einer Frau!

Und er gibt ja unumwunden zu, dass er den Mohren hasst.

Wenn der schwache Liebesschwur eines Weibes
kein allzu starker Knoten ist für meinen Witz
oder für die Hölle –
dann schwör ich, dieses Weib wird dein!
Hör, wiewohl ich vorgeb, ihn zu lieben,
hass ich den Mohren.
(Cassio tritt auf und geht zu einer Gruppe von Soldaten.)
Und ein Grund meines Hasses ist der dort, sieh!
(Zeigt auf Cassio.)

Der aufgeputzte Hauptmann
hat meinen Rang geraubt, den Rang,
den ich in hundert guten Schlachten
mir verdient hab;
das war Otellos Wille,
und ich bleibe bei seiner Mohrenhoheit
nur Fähnrich!

Verwirrung für das Publikum, denn es ist kein Mohr zu sehen.

Es heißt nach den neuesten Vorgaben, dass nur ein Mohr einen Mohren spielen darf, dass kein Hetero einen Schwulen spielen darf, dass der Eleazar in der Jüdin nur von einem Juden dargestellt werden darf.

In Stuttgart wurde das Märchenmusical Alladin wieder aufgenommen.

Auf der Bühne stand eine Person mit dunkel geschminktem Gesicht. Umgehend warf die "Black Community Foundation” der Theaterleitung "Blackfacing” vor – also das Schwarzfärben des Gesichts eines weißen Schauspielers zu betreiben.
 

 

 

Zitat


Das Leiden der anderen


Manche haben angesichts solcher Vorgänge Fragen:

● Folgt das Spiel jetzt anderen Regeln?
● Dürfen im Theater nur noch Schwarze Schwarze spielen?
● Und wie soll es dann weitergehen?
● Soll auch jeder Homosexuelle auf der Bühne durch einen Homosexuellen darge-
   stellt [Unbekannt5] werden?
● Wird Identität der Darsteller bald wichtiger als die Virtuosität ihres Spiels?
● Reicht es nicht mehr, auf der Bühne so zu tun, als ob man jemand sei?
● Müssen die Darsteller jetzt auch wirklich so sein?
● Sollen das Dargestellte und der oder die Darstellende jetzt deckungsgleich werden?
● Wäre das womöglich das Ende der darstellenden Kunst?
Zitatende
Quelle: Ronald Meyer-Arlt – Hannoversche Allgemeine Zeitung – 18. November 2021 – Seite 23

Also, was nun?
Wenn das so weitergeht, darf kein Mezzosopran – eben eine Frau –
in einer Hosenrolle auftreten, kein Octavian, kein Cherubin, kein Page Oscar und kein Komponisten in der Ariadne.
Und Jonas Kaufmann darf keinen Cavaradossi singen, denn er ist kein Italiener und malen kann er auch nicht.

In Hannover lässt man einen Weißen den Mohren spielen – entgegen den Vorgaben.
Aber man hat wohl keinen Tenor gefunden, der den Otello singen kann und auch noch schwarz ist.

Da hatte Regensburg Glück: 1994 sang ein dunkelhäutiger Tenor, nämlich Moises Parker, die Titelrolle.


 Foto: Main-Post

 

 

Jago insistiert weiter bei Rodrigo, der ist darob ganz verzweifelt, wirft sich über den Tisch.
Warum er so exaltiert tut? Niemand kann es sagen.


Der weiße Otello ist rechts auf der Bühne zu sehen und eben von rechts nähert sich dem Tisch in der Mitte ein Jüngling, der setzt sich – ohne dazu aufgefordert zu werden – an den Tisch und kramt in Akten.

Rechts auf der Bühne stehen Papierkörbe, deren Inhalt jetzt für das
Feuer der Freude!

des Chores angezündet werden.
Für den Auftritt des Chores von hinten durch die Mitte – Otello rutscht über den Boden, wo es doch ein Freudenlied ist (Geheimnis eines Dramaturgengehirns) – wurden die hinteren Deckwände hochgezogen, so dass jetzt fünf Bühnensegmente zu sehen sind, alle mit derselben Adjustierung: Fenster, daneben Kühlschrank, in der Mitte Tisch und Stuhl.

Der weiße Otello setzt sich in der Mitte der Bühne auf die Isoliermatte, knuddelt sich das Kissen zurecht und hört dem Chor zu:

Fuoco di gioia, (rip.) rapido brilla!
Splende, s’oscura, palpita, oscilla,
l’ultimo guizzo lampeggia e muor.

– der im Hintergrund zur Musik ein Tänzchen wagt und langsam nach hinten durch die Mitte abgeht.

Vorne am ersten Tisch bleiben Jago, Rodrigo und Cassio – die gelegentlich miteinander rangeln, bis Jago aus dem Kühlschrank Trinkgefäße nimmt und sie auf den Tisch knallt zum:

Ein kleines Tröpfchen kann ein jeder vertragen
drum, trinke mit mir, trinke mit mir!

Der Deckvorhang zum dritten Segment hebt sich langsam, dahinter wird der Chor sichtbar, der dort schon auf seinen Einsatz wartete.

Statt sich volllaufen zu lassen, spielt man mit Revolvern, und mit denen Russisch Roulette.

Aufgestachelt vom Chor mit seinem

Trinke, trinke, trinke mit mir!

steigt Cassio auf den Stuhl und drückt den Revolver in die Luft ab. Es hätte ihn getroffen, hätte er die Pistole an die Schläfe gesetzt.
Montano, der die ganze Zeit rechts stand und in den Chor schaute, meint nun zu Cassio:

die Wache erwartet Euch an der Mole


Cassio torkelt, fällt hin, ein wildes Geraufe spielt sich in der Mitte der Bühne vor dem Chor, der sich sicherheitshalber mal auf den Boden warf, ab.

Dann
OTELLO 
Nieder mit den Schwertern!
(Die Kämpfenden halten ein.)
Holla! Was geht hier vor?
Bin ich bei den Sarazenen?
Jago soll Auskunft geben, was hier los war.
Der redet sich mit einem
Non so...
raus.
Otello degradiert
Cassio, du bist nicht länger Hauptmann!
schickt alle raus, die Ruhe in der Stadt wiederherzustellen.
 

Um diesen Abgang zu vermeiden, wird der Dekovorhang zum zweiten Bühnensegment runtergelassen und Otello bleibt allein auf der Szene. Grell scheint Licht durch das Fenster links in der Wand neben dem Kühlschrank.

Otello legt sich auf seine Isoliermatte.

Die Gaze, die den Zuschauerraum von der Bühne trennte – die Sänger mussten also gegen diese Wand ansingen – wird hochgezogen.

Von rechts stöckelt eine Frau herein, in großkariertem Mantel, sie stöckelt in die Bühnenmitte, hebt einen umgefallenen Stuhl auf, legt die Einkaufstüte auf den Tisch, geht zum Fenster, schaut hinaus in das grelle Tageslicht, während Otello singt
Nun in der nächtgen Stille, verliert sich jeder Ton 

(Hier zeigt sich wieder, wie
die Hannoverschen Staatsopernleitung das Hannoversche Publikum einschätzt:
Die sind ja doof, denen können wir ja das nächtliche Liebesduett im prallen Sonnenschein präsentieren!)

Desdemona legt den Mantel ab, hängt diesen über den wieder aufgerichteten Stuhl und geht nach rechts zu Otello hinüber. Die beiden umarmen sich. Man geht zum Tisch in der Mitte der Bühne.

Erschöpft lässt sich Otello auf den bereitstehenden Stuhl sinken, während sie antwortet:

Mein stolzer Krieger! Wie viele Qualen,
wie viele traurige Seufzer und wie viele Hoffnungen
haben uns zu diesen zarten Umarmungen geführt!
O wie süß ist dieses traute Zwiegespräch!

Für das

Als du mir von deinem Leben im Exil erzähltest

und das Folgende geht sie zum Fenster, rutscht neben dem Kühlschrank auf den Boden und wartet darauf, dass sie hinter ihn treten kann, während er sein

Ich beschrieb das Getöse der Waffen, den Kampf
und den kühnen Vorstoß in die tödliche Scharte;
den Angriff; die Hände, wie grässliches Gewächs gekrallt
in das Mauerwerk zwischen sausenden Pfeilen!


Er erschrickt, als er sie hinter sich gewahr wird, und droht ihr mit erhobenem linken Arm. Sie duckt sich weg und schlängelt sich mit ihrem
 

Dann führtest du mich in schimmernde Wüsten,
zum brennenden Sand, zu deiner Heimaterde,
beschriebst mir die qualvolle Marter
und die Ketten und die Pein der Sklaverei
 

an der Wand nach links entlang zum Fenster, hält sich am Kühlschrank fest.
Dort fixiert Otello sie, zieht sie zu sich auf den Hocker, auf den er sich gesetzt hat.

Dann für das

Und du liebtest mich um meines Unglücks willen,
und ich liebte dich für dein Mitleid!

geht er vorn um den Tisch herum, setzt sich erschöpft auf den Stuhl rechts.
 

Während des

Tale è il gaudio dell’anima che temo,
temo che più non mi sarà concesso
quest’attimo divino
nell’ignoto avvenir del mio destino
 

hebt Desdemona den runtergefallenen Einkaufsbeutel auf, nimmt die leeren Bierdosen vom Kühlschrank, steckt sie in den Beutel und rennt geradezu nach rechts in Richtung zum Ausgang, im Vorbeigehen faltet sie die Decke auf der Isomatte zusammen und geht wieder nach rechts zur Tür.
Otello legt sich auf die Isomatte, hebt den Arm in ihre Richtung, sie nähert sich der Isomatte, bleibt neben ihr stehen, während seines

un bacio
ancora un bacio!

dreht er sich zur Seite, sie geht nach links zum Stuhl, nimmt ihren Mantel, zieht ihn an und bei der Zeitansage

Sieh, schon wollen die Plejaden
den Saum des Meeres küssen

und Desdemonas

Ja, spät zur Nacht ist’s

– wobei hier alles in strahlendem Sonnenlicht, durch das linke Fenster eindringend – gesungen wird, stöckelt sie ungerührt hinter Otello zur Tür nach rechts, kehrt noch einmal in die Mitte zum Tisch zurück, nimmt von dort den Haustürschlüssel – vielleicht auch Autoschlüssel, das kann man aus dem ersten Rang nicht ausmachen – mit, den sie da vergessen hatte und nach Otellos

Komm, Venus soll uns führen

und ihrem

Otello

verlässt Desdemona während des Nachspiels mit knallenden Stöckelabsätzen die Bühne nach rechts, während sich Otello, auf der Isomatte aufrecht sitzend, verzweifelt die Haare rauft.

Ende 1. Akt und für ihn spärlicher Beifall, eine Gruppe im Rang versucht Stimmung zu machen. Als die aber merken, dass das Publikum nicht mitzieht, lassen sie das applausheischende Geschrei sein.

 

Zweiter Akt

Die Bühne bleibt offen.
Otello erhebt sich, geht nach rechts zur Tür, öffnet sie, der Trennvorhang fährt hoch, gibt das zweite Bühnensegment frei, Otello öffnet in diesem auch die Tür rechts, bleibt hinten an der Trennwand stehen und setzt sich dann an das hintere Tischchen im zweiten Bühnensegment.

Cassio stürzt von rechts auf die Bühne, offensichtlich erregt, wohl verzweifelt wegen der Degradierung.
Jago meint, er, Cassio, werde bald zurückkehren zu seiner
Bianca

altiero capitano, coll’elsa d’oro
e col balteo fregiato

Cassio zweifelt

JAGO

Hör, was ich dir sage!
Du musst wissen, dass Desdemona
die Herrin unseres Herren ist,
er lebt nur für sie.
Bitte sie um Beistand, sie ist großherzig
und wird für dich sprechen,
und die Verzeihung ist dir sicher.

CASSIO
Aber wie kann ich mit ihr sprechen?


Die beiden Herren setzen sich gegenüber an das Tischchen und Jago erläutert, dass Desdemona ja immer mittags mit seiner Frau Emilia spazierengeht und da könne er sie doch ganz einfach ansprechen und sie bitten, sich bei Otello für ihn einzusetzen.

Und mit einem

Geh’

schickt er Cassio fort.

Dann Jago mit seinem 

Geh’ nur, ich erkenne dein Ziel schon


Zunächst bleibt er am Tisch sitzen, dann springt er auf, rennt nach links zum Fenster, reißt ungestüm die Jalousette hoch, stützt sich aufs Fensterbrett, schaut zum Fenster hinaus und
deckt seine Hintergedanken mit

Ich glaube an einen Gott

auf, während derer er die Szene mit deutlichen Gesten und Gängen füllt.
An der Bühnenrückwand weiter sitzend: Otello in zeitweise über den Tisch gebeugter Haltung, dann reglos auf den neben ihm stehenden Kühlschrank starrend.

Beim

Und dann? Und dann?
 

auf dem Stuhl am Tisch sitzend, lacht Jago beim
 

La Morte è il Nulla,

laut schallend, steht auf und breitet zum

è vecchia fola il Ciel

die Arme beifallsheischend ausgebreitend, (der übrigens nicht kommt) lacht er – weiter nach links zum Fenster gehend – über sich und die Welt.
Während der Schlussphase des
Credo ist Otello vom Stuhl im zweiten Bühnensegment aufgestanden und hat sich zu Boden fallen lassen.

Das zweite Trennsegment wird hochgefahren, zeigt die dritte
Camera obscura, in die Desdemona von rechts auftretend auf die Bühne kam, wieder im Karomantel (hat die Frau des venezianischen Statthalters auf Zypern nichts anderes als diesen Mantel anzuziehen und geht es so schlecht – immerhin stehen 70 Millionen dem Staatstheater Hannover jährlich zur Verfügung –, dass die erste Sopranistin immer den gleichen Fummel tragen muss?), wieder mit einer Einkaufstüte, die sie nun in den auch im dritten Bühnensegment links bereitstehenden Kühlschrank entleert.

Dann, hinten im dritten Bühnensegment, Auftritt Cassio von rechts – wenn er einen Moment schneller gewesen wäre, hätte er auf demselben Weg vor Desdemona auf der Bühne sein können, aber so kommt er gerade zu Jagos vorne links gesungenem

Eccola!... Cassio... a te!
Quest’è il momento.

Aufgeregt torkelt Cassio hinten vor Desdemona herum, setzt sich auf den bereitstehenden Stuhl, steht wieder auf, diskutiert –
als stumme Jule – mit Desdemona, geht aber dann nach rechts ab, während vorne links Jago seine Intrige mit
[…]

Nun muss Otello hierherkommen!
Hilf, Satan, hilf meinem Plan!
[…]
Mir genügt ein einziger Strahl dieses Lächelns,
um Otello ins Verderben zu ziehen!

… spinnt und sich hierzu aufs Fensterbrett vorne links hockt.

Das trennende Vorhangteil fährt zwischen zweitem und drittem Bühnensegment herunter, Otello hat sich vom Boden – wo er ja seit dem Ende des ‘Credos‘ herumlag – erhoben und Jago, vorne links auf den Tisch gelehnt, beantwortet Otellos Frage:

Der da eben von meiner Frau weggeht, ist das Cassio?

[…]

Ich glaube, es war Cassio.

JAGO
Hütet Euch, gnädiger Herr, vor Eifersucht!
Sie ist ein Ungeheuer, trüb, fahl,
blind, das mit seinem Gift
sich selbst vergiftet, heftiger Schmerz
zerfleischt ihm den Busen!
[…]
Die ehrlichen, edlen Herzen erkennen
oft nicht den Betrug, seid wachsam!
Prüft Desdemonas Rede,
ein Wort kann das Vertrauen bestärken
oder den Verdacht bestätigen!

 

Währenddessen wird der Trennvorhang zwischen zweitem Bühnensegment und Hinterbühne hochgefahren und gibt dem Chor die Möglichkeit, frei aus ins Publikum zu singen:

Dove guardi splendono
raggi, avvampan cuori,
dove passi scendono

nuvole di fiori.

 

Die Bühne wird stark von allen Seiten erhellt, man schlendert auf der Bühne herum, schießt Knallfrösche ab, aus denen Luftschlangen herunterrieseln, die Otello – in seinem Bademantel zwischen den Chorherrschaften herumgehend – erschrecken.
Es werden Plakate hochgehoben, auf denen etwas auf Englisch geschrieben steht, wohl um diplomatische Beziehungen der USA oder Englands zu irgendwem zu verbessern. 

 

Die Beleuchtung auf der Bühne wechselt, wird abgedunkelt. Das Licht durch die linken Fenster wird hierzu eingefahren, damit Schlagschatten auf den Bühnenwänden entstehen können.

Otello torkelt durch die aufgestellten Chorherrschaften, fällt zu Boden, die Bühne wird wieder erhellt, damit der Chor – rückwärts nach hinten gehend – die Bühne wieder verlassen kann, ohne zu stolpern.

Eine hellgewandete Dame – es ist Desdemona – ist vorne beim herumliegenden Otello stehen geblieben für ein

Splende il cielo, danza
l’aura, olezza il fior...
[…]
... Gioia, amor, speranza
canton nel mio cuor.

 

Die Trennwand zwischen dem zweiten und dritten Bühnensegment wird heruntergefahren.
Übrig bleiben die hellgewandete Desdemona, der am Boden hockende Otello, Jago und links eine Dame, die hier die Emilia, die Frau von Jago und Bedienstete bei Desdemona, singen soll. Bevor sie dies tut, räumt sie erstmal verschiedene rumstehende Sachen in den Kühlschrank, stöbert   ein Tuch aus dem offenen Fenster, ohne zu schauen, ob nicht gerade unter dem Fenster jemand vorbeigeht, der die Krümel nun auf den Kopf bekommt. Dann nimmt sie einen Besen, kehrt Bühnenstaub zusammen, wobei die Gefahr von Staubwolken nicht gebannt wird, die sich auf die Stimmbänder setzen und die Stimmritzen verstopfen können. (Komödienstadel in der Nds. Staatsoper Hannover).
Jago zieht sich das Jackett aus, Desdemona hockt sich in dem hellen Kleid auf den staubigen Bühnenboden, neigt sich zu Otello und meint:

Für einen Mann, der unter deinem Zorn leidet,
möchte ich bei dir bitten.

 

Als Otello hört, dass Cassio gemeint ist, für den Desdemona bittet, muss er an sich halten, und statt Antwort zu geben auf ihre Frage

Warum dieser herbe Ton in deiner Stimme?
Welcher Kummer bedrückt dich?

meint er lapidar

Mir brennen die Schläfen.

Dies löst nun eine gefährliche Kettenreaktion aus, denn nun beginnt die Sache mit dem Schnupftuch.
Ihres, aus der Tasche über dem Stuhl im ersten Bühnensegment hängend, will Desdemona um Otellos Kopf binden, um zur Linderung der Kopfschmerzen beizutragen. Er nimmt es, schmeißt es auf den Boden, wo Emilia gerade saubergekehrt hat. Die steht ganz erschrocken hinten an der Trennwand, geht nach links hinüber und hebt das Schnupftuch auf. Von links hat sich Jago ihr genähert und verlangt von Emilia

Gib mir das Tuch,
das du aufgehoben hast!
 

Nach langem Hin und Her und mit Schnupftuchherumgewedele, nimmt er es ihr während einer Knutschszene hinten links am Tisch ab.
Währenddessen hat Otello mit einer Rausschmeißergeste Desdemona bedeutet, dass sie durch die von ihm rechts aufgehaltene Türe verschwinden soll. Sie nimmt ihren Mantel (wieder den schon bekannten karierten) vom Stuhl in der Mitte (dem Beobachter nicht erinnerlich, wie und wann er im Laufe des Abends er dorthin gekommen ist). Dies festzustellen, müsste eine
dritte Vorstellung besucht werden.
Das fehlte noch!

Desdemona schmiegt sich an Otello, Emilia nimmt rechts ihren Mantel (wieder dem Beobachter nicht erinnerlich, wie und wann er im Laufe des Abends dorthin gekommen ist), Jago wedelt triumphierend mit dem Schnupftuch, und das Licht wird wieder hochgefahren.

Die beiden Damen verlassen die Bühne nach rechts, die eine im ersten, die zweite im zweiten Bühnensegment.

Jetzt
JAGO links vor dem Tisch am Stuhl sitzend

Mit diesen Fäden web ich
den Beweis der sündigen Liebe.
In Cassios Wohnung will ich es lassen.
 

Der Trennvorhang zwischen erstem und zweitem Segment wird heruntergefahren, Otello bleibt allein im ersten Bühnensegment in vollem Sonnenglast durch das Fenster links, für sein

Ora e per sempre addio, sante memorie,
addio sublimi incanti del pensier!
Addio schiere fulgenti, addio vittorie,
dardi volanti e volanti corsier!
Addio, addio vessillo trionfale e pio!
e diane squillanti in sul mattin!
Clamori e canti di battaglia, addio!
Della gloria d’Otello è questo il fin!

Irgendwas schüttet er auf den Tisch, die Dose bleibt liegen, das Licht wird heruntergefahren, der Trennvorhang zum zweiten Bühnensegment wird hochgehoben und da liegt Jago am Boden, zwischen einigen Mannen, die nach hinten schauen.

Die Situation ist nicht mehr zu kontrollieren, denn das Schnupftuch tut seine Wirkung
JAGO
Saht Ihr manchmal in den Händen Desdemonas
ein Tuch, bestickt mit Blumen
und zarter als ein Schleier?

OTELLO
Das ist das Taschentuch, das ich ihr gab,
das erste Liebespfand.

JAGO
Dieses Taschentuch, gestern – dessen bin ich sicher –
sah ich es in den Händen Cassios.

Die herumstehenden Mannen verteilen sich auf der Bühne – setzen sich da hin, stehen dort rum.
Otello hat sich hierfür den Bademantel ausgezogen und mit Jagos Hilfe einen Uniformrock übergezogen. In dem steigt er auf den Tisch, salutiert sich wohl selbst, denn nun singt er sein

Ah! sangue! sangue! sangue!

Jago hat erreicht, was er wollte, Otello zu verunsichern, ihn in Panik zu versetzen, ihn vom klaren Denken abzubringen, ihn in emotionales Chaos zu stürzen.

Jetzt steigt Jago über den Hocker hinauf zu Otello auf den Tisch und der zweite Akt endet mit dem gemeinsamen
 

Sì, pel ciel marmoreo giuro!

Per le attorte folgori, ecc.

Dio vendicator!


 

Dritter Akt

Der Vorhang hebt sich. Eine von der Requisite als unaufgeräumte Spielstätte hergerichtete Bühne. Überall liegt etwas am Boden, obwohl doch Emilia zum Schluss des zweiten Aktes den Boden so sorgfältig abgekehrt hatte.
Hier jetzt umgefallene Stühle, selbst der Kühlschrank im vierten Bühnensegment liegt umgefallen am Boden.

Im Bühnenhintergrund raucht irgendwas, jedenfalls steigen Qualmwolken auf.
Otello von rechts.


JAGO
Die Hafenwache meldet
das Schiff aus Venedig,
das die Gesandten nach Zypern bringt.

OTELLO
Es ist gut.
Sprich weiter.

JAGO
Ich bring Cassio hierher, und mit schlauen
Fragen verleiht ich ihn zum Schwatzen

Ihr verbergt Euch dort,
ergründet sein Verhalten,
seine Worte, Mienen und Gesten.

Seid geduldig, sonst entgeht Euch der Beweis.
Da kommt Desdemona. Ihr müsst Euch verstellen,
ich gehe.
 

Von rechts Desdemona. Otello nimmt ihr den großkarierten Mantel ab, hängt ihn ordentlich neben der Tür an die Wand, geleitet sie zum Tisch im zweiten Bühnensegment, sie setzt sich, hängt ihre Umhängetasche über die Lehne.
Otello setzt sich ihr gegenüber für das Gespräch bis hin zu seinem

Schon wieder befällt mich meine Schwäche.
Bind mir die Stirn

Er will nicht das Tuch, was sie ihm reicht, er will das, was er ihr schenkte, denn in dem lebe ein Zauber
 

Hüte dich! Es zu verlieren
oder zu verschenken bringt Unheil!

Voller Aufregung, das dumme Taschentuch nicht zu finden, kramt sie noch mal in ihrer Umhängetasche. Otello entreißt ihr die, schüttet den Inhalt auf den Boden:
kein Taschentuch.

Um ihn von der Taschentuchaffäre abzulenken, fängt sie nun ausgerechnet wieder mit Cassio an, der ja das rote Tuch für Otello ist, sie bittet für den degradierten Hauptmann – und hierfür hinter ihr hereingeschlichen: Jago.
Sie redet von Cassio, Otello schmettert ihr ein

Il fazzoletto!

entgegen.

Die Sache eskaliert:
 

OTELLO
Che? non sei forse una vil cortigiana?

Desdemona weicht nach rechts zur Tür aus, muss beim Rückwärtsgehen aufpassen, nicht über das ‘Graffel‘ am Boden zu stolpern, das auf Geheiß der Regie und der Dramaturgie dort ausgebreitet wurde.
Sie öffnet rechts die Tür, will Otello entkommen, er schnappt sie sich und schmeißt sie auf den Boden.

Jago schaut im Hintergrund interessiert zu, zieht sich aber, langsam rückwärts schreitend, in den Schatten der Hinterbühne zurück.

 

Otello hebt Desdemona vom Boden auf, er nimmt sie in den Arm, man wagt ein paar gemeinsame Tanzschritte.
Da, sein nächster Wutausbruch, sie greift nach ihrem Mantel neben der Tür, will hinaus, da sieht sie, dass Otello zu Boden gesunken ist, sie eilt hinüber zu ihm.

Für
DESDEMONAS
Ah! Ich bin nicht, was dieses
abscheuliche Wort besagt!
 

Otello wirft sie auf den Stuhl und meint

Reicht mir noch einmal Eure elfenbeinerne Hand:
Ich will Euch Abbitte tun.
Ich hielt Euch für – verzeiht,
wenn mein Gedanke arg ist –
für jene gemeine Dirne,
die Otellos Gattin ist.

Er will auf sie einschlagen, sie weicht zurück an die Tür und kann entfliehen.

Otello, voller Verzweiflung, zurück zum Tisch, reißt das Tischtuch mit allem, was auf dem Tisch steht, herunter und bricht hinter dem Tisch zusammen. Er kriecht auf die Vorderbühne für sein

Erloschen ist die Sonne,
das Lächeln, das Licht,
das mich belebte, das mich selig machte


Von rechts Jago, umfasst den sich wieder erhoben habenden Otello, hebt den Tisch aus dem zweiten Bühnensegment ins erste, richtet die Sitzgelegenheit und läuft wieder nach rechts.

Von rechts Auftritt Cassio.
 

JAGO
Vieni; l’aula è deserta.
T’inoltra, o Capitano.

CASSIO
Questo nome d’onor
suona ancor vano per me.
 

JAGO
Nur Mut! Deine Sache ist in guten Händen;
der Sieg ist dir sicher.

CASSIO
Ich glaubte, hier Desdemona zu finden.

 

JAGO
Erwarte sie.

Cassio geht nach links zum Tisch, zieht sich das Jackett aus und setzt sich auf den Tisch, Jago hatte vom Kühlschrank Dosen geholt.

Rechts im Hintergrund:
Otello, er kommt näher, um das Gespräch von Cassio mit Jago zu belauschen.
Hier gilt es zu bemerken, dass zwei Tenöre von der Regie zusammengeführt werden, die nach dem Motto agieren:
Huch, ich kann dich gar nicht sehen.
Die Szene ist in dem hellen Licht aus vier Fenstern links an der Seite so spektakulär, dass man rufen möchte:
Otello, pass auf, das Krokodil!
Unbeschreiblich, geradezu dämlich, was dem Publikum von der Hannoverschen Theaterleitung geboten wird!

Die Peinlichkeit endet bei

OTELLO
Verrat!
Verrat! Verrat!
Den Beweis,
den furchtbaren Beweis
zeigst du der Sonne!

Fanfaren!
Die Ankunft des Schiffes aus Venedig.
Cassio zieht sich sein Jackett an und geht nach rechts durch die Tür ab.
Auftritt von dort Mannen, die die Bühne für den Empfang der venezianischen Delegation herrichten.

Otello hat sich auch eine Uniformjacke übergezogen und erwartet die Delegierten.

JAGO
[…]
Da kommen die Gesandten.
Empfangt sie,
doch um Argwohn zu vermeiden,
sollte sich Desdemona den Herren zeigen.

OTELLO
Ja, führ sie her!

 

Der Chor strömt von hinten durch die Mitte herein und beginnt sein

Viva! Evviva!
Viva il Leone di San Marco!
 

Die Bühne erstrahlt im hellsten Rampenlicht, man salutiert sich gegenseitig
und wartet auf

 

LODOVICO
(tenendo una pergamena avvoltata in mano)
con suo
Il Doge ed il Senato salutano
l’eroe trionfatore di Cipro.
Io reco nelle vostre mani
il messaggio dogale.

 

 

LODOVICO
(mit einer versiegelten Pergamentrolle in der Hand) mit seinem
Der Doge und der Rat der Zehn
grüßen den siegreichen Helden von Zypern.
Ich gebe in Eure Hand
die Botschaft des Dogen
.

 

Otello setzt sich an den Tisch, um die Botschaft zu lesen, da betritt Desdemona – wieder in den großkarierten Mantel gehüllt – durch die Tür rechts die Szene und singt:

Emilia, eine dunkle Wolke
verfinstert Otellos Sinn
und mein Schicksal.

Sie bleibt in der Tür stehen und fängt wieder von Cassio an, der vom Botschafter vermisst wird.
JAGO
Otello zürnt ihm.

DESDEMONA
Ich glaube, er wird Gnade finden

Sie stöckelt auf ihren hohen Absätzen in die Nähe des Tisches, wo Otello noch die Botschaft studiert, worin steht, dass er, Otello, nach Venedig ins Hauptquartier zurückgerufen wird. Nun steht er auf und verkündet

OTELLO
... und wählt als meinen Nachfolger in Zypern
einen Mann, der unter meinem Banner kämpfte:
Cassio.

Damit ist wieder einer ausgebootet:
JAGO (überrascht, für sich)
Hölle und Tod!

Desdemona hatte sich dem Tisch genähert, geht auf Otello am Fenster (die Jalousetten übrigens alle schiefhängend in ihren Führungsleisten) zu, der greift sie am Arm, zerrt sie in die Mitte und

Zu Boden! Und heule!
 

Große Überraschung an der Nds. Staatsoper Hannover GmbH, denn nicht Desdemona stürzt zu Boden, sondern Desdemona stößt Otello hinab.

Ihr Text

Am Boden! Ja! Im niederen Staub!
Geschlagen! So lieg ich hier!
Ich weine – geschüttelt vom Schauder
meiner sterbenden Seele!

stimmt nun überhaupt nicht mehr mit der Action auf der Szene überein, denn sie steht da auf ihren hochhackigen Schuhen, in dem karierten Mantel, und Otello liegt am Boden.

Die sie umgebenden Ensemblemitglieder sehen nun, wie sie sich auf die Knie niederlässt für ihr

Quel sol sereno e vivido
che allieta il ciel e il mare,
non può sciugar le amare stille
del mio dolor,
le amare stille del mio dolor!


Bei
LODOVICOs
Egil la man funerea...

erhebt sie sich, nimmt ihre Umhängetasche vom Boden und geht rechts zur Tür.

Jago, der links am hell erleuchteten Fenster stand, beugt sich nun zum noch immer am Boden liegenden Otello hinab, redet auf ihn ein.

Der zieht sich am Tisch empor, geht torkelnd auf Desdemona nach rechts zu, sie hebt abwehrend die Hand, er geht weiter auf sie zu, da verlässt sie die Bühne und Wärter kommen herein, schieben Otello zum Tisch, legen ihn quer darüber, fesseln ihn und gehen mit ihm nach rechts auf die Tür zu. Da erscheint noch einmal Desdemona, versucht den einen Wärter zu beeinflussen, der gerade eine Durchsage per Funk macht. Otello beendet mit seinem

Anima mia, ti maledico!

die Szene.

Er wird nach rechts abgeführt. Desdemona schaut zu und geht hinter der Gruppe ab.
Der Trennvorhang zum zweiten Segment fährt herunter.

MÄNNERSTIMMEN (Bühnenmusik)
Hoch! Hoch Otello!
Heil dem Löwen von Venedig!
Jago allein, links am hell erleuchteten Fenster, setzt sich, trinkt wohl Flüssiges aus einer Dose, zerdrückt sie und meint:

Da seht den Löwen!


 

Vierter Akt
 

Nach einer Pause von ca. 3 Minuten, während derer das Orchester die Instrumente nachstimmt, was die Vorstellung zerreißt, zeigt sich die Bühne mit zwei Segmenten. Leichtes Tageslicht scheint durch die beiden Fenster, die Jalousetten wurden in der Umbaupause wieder repariert.

Zu sehen ist links, statt des dort sonst immer stehenden Kühlschrankes ein Sessel, in der Mitte ein großes Bett.
Im vorderen Bühnensegment links neben dem Fenster der obligate Kühlschrank, ein Tisch, ein Stuhl, ein Hocker.
Rechts neben dem Bett auf einem ausgelegten Bettvorleger zwei Kinder. Sie hantieren mit Spielsachen herum.


Emilia ordnet irgend etwas am Tisch, geht zum Kühlschrank, holt eine Flasche heraus, gießt etwas in ein Trinkgefäß, schaut zu Desdemona, die links neben dem Bett steht und sich dort mit etwas beschäftigt, Emilia bringt die Flasche wieder in den Kühlschrank.

Desdemona läuft für
Emilia, ich bitte dich,
leg auf mein Bett
mein weißes Brautkleid

auf Emilia zu, umarmt sie, geht zum Fenster, schiebt die Jalousette zur Seite, um hinauszuschauen.

Für das
Mia madre aveva una povera ancella,
innamorata e bella;
era il suo nome Barbara;

läuft sie nach rechts zu den Kindern auf dem Bettvorleger.
Emilia steht links am Fenster des zweiten Bühnensegments und schaut hinaus.

Desdemona geht mit den Kindern zum Tisch, sie setzen sich um ihn, sie steht wieder auf, geht um den Tisch herum, hockt sich rechts zu den Kindern für das

O Weide! Weide! Weide!
Sie saß, den Kopf auf die Brust geneigt.
Weide! Weide! Weide!
Singt, singt!
Die Trauerweide soll mein Kranz sein!

Die Kinder laufen nach rechts, verschwinden in der rechten Tür,
das Mädel kommt wieder heraus, läuft zu Desdemona, die ihre Phrase

Il salce funebre sarà la mia ghirlanda.
Scendean l’aucelli a vol dai rami cupi
verso quel dolce canto.
E gli occhi suoi piangean tanto, tanto,
da impietosir le rupi.

singt.

Die Kinder im Bett, dann die Kinder auf dem Bettvorleger, dann wieder im Bett.

Zum
Ah! Emilia, Emilia, addio!
geleitet Desdemona Emilia zur Tür rechts, die zieht ihren Mantel an und geht durch die Tür rechts ab.

Dort an der Tür singt Desdemona ihr
Ave Maria!
Sie schließt die Tür ab, schaltet die Hauptbeleuchtung aus, nur durch die Fenster links scheint Licht herein.
Sie legt sich zu den Kindern aufs Bett.

Zum Klopfen an der Tür und ihrem
Wer ist da?
läuft der Junge zur Tür, öffnet sie.
Otello tritt auf und schaltet die Hauptbeleuchtung wieder ein.

Er hebt die Kleine auf den Arm, setzt sie wieder ab, streicht ihr über den Kopf und fragt Desdemona
Habt ihr heute schon zur Nacht gebetet?

Für die kommende Auseinandersetzung schiebt sie die Kinder nach rechts durch die Tür im zweiten Bühnensegment ab, während Otello neben der Tür im ersten Segment ein Gewehr holt und zum Tisch geht.
Von dort treibt er Desdemona während der verbalen Auseinandersetzung um Cassio über die Bühne, sie flieht ins Bett.
Otello erstickt sie mit dem Gewehr.

Auftritt Emilia durch die erste Tür rechts mit der Botschaft, dass Cassio Rodrigo getötet hat und lebt.
Dann stürzt sie von der Bühne ab, ruft:

Otello hat Desdemona getötet!

Die Trennwand zum dritten Bühnensegment und zur Hinterbühne fährt hoch, dort stehen Mannschaften.

Mit dem
La spada a me!

entwaffnet man Otello.

Es folgt
sein
Jeder Knabe kann mein Schwert mir entreißen

Das Trennelement zum zweiten Bühnensegment fährt herunter. Otello vor diesem lässt den Morgenmantel Desdemonas auf den Boden fallen, kniet sich zu ihm hin, dann legt er sich beim

un bacio... un bacio ancora...
ah!... un’altro bacio...

Da kommt von rechts durch die erste Tür Desdemona, mit Einkaufstüte, sie stöckelt – laut mit den hohen Absätzen auf den Bühnenboden knallend – nach links, schaut auf den am Boden liegenden Otello, geht zum Tisch, legt die Einkaufstüte ab und schaut reglos in Richtung Otello am Boden.

Licht aus, auch die Rahmenbeleuchtung der Bühne.
Der Vorhang fällt schnell.
Ende der Vorstellung.

Fazit

Die Grundidee zum Stück wird auf eine Sammlung Prosa des italienischen Autors Giovanni Battista Giraldi Cinzio zurückgeführt, die er während seiner Lebenszeit von 1504 bis 1573 in Ferrara verfasste und auf die Shakespeare zurückgriff.

Eines dieser Prosastücke befasst sich mit einem Hauptmann Cristoforo Moro, der in eine Eifersuchtsaffäre in Bezug auf seine Ehefrau ‘Disdemona‘ – hier mit -i- geschrieben -  hineingezogen wird, wobei Shakespeare der Zentralfigur eine dunkle Hautfarbe verleiht und damit die Rassenfrage anspricht und diese zum zentralen Thema des Außenseiters macht.

Wie sind die Rollen angelegt?
Wer ist Desdemona, wer ist Otello?


Und wer ist die treibende Kraft?
 

 

 

Zitat
Ist Jago das Böse?

Wer oder was ist Jago? Interessant ist das starke Gefühl, welches man schon mit Wissen gleichsetzen kann, dass Jago, selbst wenn er befördert worden wäre, wieder unzufrieden geworden wäre. Er hätte sich ein neues Ziel seiner Wünsche gesucht und bei Nichterfüllung dieses Wunsches genauso gekränkt und bösartig reagiert, wie es von Verdi (und Shakespeare) dargestellt wird. Selbst wenn alle Wünsche Jagos sich erfüllen würden und er am Ende der Herrscher der Welt wäre, würde er in einem finalen endzeitlichen Feuerwerk die ganze Welt aus Bosheit und Wut zerstören.

Jago erscheint damit nicht als Mensch. Viele Autoren (z.B. Bachmann), ja sogar Boito selbst haben zwar sein Mensch-Sein immer wieder betont, seine Darstellung in der Oper Verdis ist aber eher die eines Prinzips. Ähnlich wie Desdemona nicht als Mensch dargestellt wird, sondern als Prinzip des Guten, der Barmherzigkeit, der Liebe und Duldsamkeit. Jago ist das Prinzip des Bösen, des Zerstörerischen, des Immer-mehr-Wollens. Damit deutet die Figur des Jago in die Richtung Mephistos. Seine Taten wirken unmenschlich, denn kein normaler Mensch vermag so viel Böses in solchen Intrigen zu spinnen, nur weil er nicht befördert wurde. Er handelt „nicht schurkisch, sondern bestialisch, wenn das nicht ein zu gelinder Ausdruck wäre.“

Jago  w i l l  böse sein und weiß, dass er böse ist. Er steht damit im Kontrast zu vielen anderen tragischen Helden Shakespeares und anderer Bühnenautoren. Weder Shakespeares Macbeth noch Hamlet wollen böse sein. Die Situation, in denen sich beide befinden, führt aber zu Tragik und damit zum Bösen durch die Umstände und durch falsches, nicht angemessenes Handeln bzw. Nicht-Handeln der Helden. Als weiteres Beispiel kann der griechische Sagenheld Ödipus dienen, auch er will nicht böse handeln, kann aber im Rahmen seiner Möglichkeiten nicht anders und wird damit schuldlos schuldig. Selbst bei dem Antihelden Richard III. unterlässt es Shakespeare nicht, die Gründe für dessen Bösartigkeit in einem Monolog zu benennen. Jago aber ist anders. Ist er damit das Böse?
Zitatende - Quelle: https://www.grin.com/document/457723

 

Betrachtet man das an der Staatsoper Hannover verfälschend Gesehene stellen sich unter anderem folgende Fragen:

• Warum hat man nicht die aktuelle Situation in Bezug auf ‘Black Lives Matter‘
   zugrunde gelegt, wenn man überhaupt Verheutigen wollte?

Warum wird Otello als „torkelnder Tatel“ von Anfang an gezeigt, was nicht
   Boitos Rollenvorstellung und somit nicht dem gesungenen Text entsprechen
   kann?

Warum wird Desdemona als „rasante Tante“ vorgeführt, die dann nicht
   rollendeckend überzeugen kann? Bei Boito soll gerade sie zum herrisch
   auftretenden Otello das sanfte Gegenteil ein, das von ihrer Umwelt in den
   Schmutz gezogen wird.

Was sollen die beiden Kinder? Warum nur zwei?
   Warum hat man nicht zu ihnen noch Hunde, Katzen, Meerschweinchen,
   Karnickel auf die Bühne gebeten, wenn man damit den Erfolg einer
   Produktion sicherstellen kann, wie es im Theater Regensburg im
   Programmheft von Taboris „Mein Kampf“ bei der Nennung des auf
   der Bühne mitspielenden Geflügels hieß:

   "Wir danken Frau Islinger für die Hühner!"


Warum betritt Desdemona – nachdem Otello versuchte, sich mit einem
   Revolver zu töten (er knickste nur, außerdem bewegte sich der Sänger nach
   diesem wohl technisch verun
glückten Schuss noch, richtet das Kopfkissen
   und legt
e sich nieder) – während der letzten Takte von rechts aus der Tür
   kommend, noch einmal die Bühne, stelzt zum Tisch in der Mitte der Bühne,
   legt ihren Einkaufsbeutel auf ihm ab und schaut betreten zu
dem am
 
  Boden liegenden
Otello?

Schlusskommentar:

- Die Produktion des ‘Otello‘ durch die Nds. Staatsoper Hannover GmbH
 
gibt das Stück mutwillig in geradezu vollständiger Verzerrung und
  Verfälschung wieder.


- Nichts von
dem der Produktion des ‘Otello‘ unterlegten ‘Dramaturgen-
  geschw
urbelkann
vom Publikum mit dem Werk in Einklang gebracht
  werden.

- Der Zuschauer sieht etwas völlig anderes, als was von den Autoren
  vorgegeben wurde, weil weder die von der Geschäftsführung der Nds.
  Staatsoper Hannover GmbH vorgegebenen Aktionen auf der Bühne
  wie auch die Anlage der Rollen weder zur Musik noch zum Text pas-
  sen.

  Daher:
  Bildungsauftrag nicht erfüllt,
  Geld zu Lasten des Steuerzahlers vorsätzlich verschwendet.

Leserbrief hierzu

 

 

Zitat
Liebe Marie-Louise -
danke für den Vorab-Otello. Das klingt ja gruselig, was Du da schreibst. Da
hätte ich keine Lust reinzugehen. Unser Otello in München hat mich
allerdings auch nicht begeistert. Ich musste sogar lächeln, als unser Otello
zum Schluss ein Messer in der Hand hielt und singt in Italienisch natürlich,
aber Deutsch heißt es "Jeder Knabe kann das Schwert mir entreißen".
Das stört aber niemand.

Zu Deinem Otello - 
die Kritik im OPERNGLAS Januar:
Zitat
Die Inszenierung ist schlicht ein Ereignis. Das Publikum spendete zum Schluss
viel Applaus für eine begeisternde Inszenierung. Es gab nur ein paar wenige
Buhs für die Regie...... u.s.w.
Zitatende

Kritik in OPER - das Magazin im Dezember:
Zitat
Im Wahn auf dem Matratzenlager, eine schlüssige, packende Inszenierung mit einem überragenden singspielenden Sängerensemble. Otello wird da als
Kriegsheimkehrer mit posttraumatischer Belastungsstörung gesehen.
Zitatende

So ein Quatsch, warum schreiben die nicht ihre eigene Oper und lassen Verdi in Ruhe?
Ich wünsche Dir ein besseres 2022 und sende liebe Grüße
R aus München
Zitatende

Was andere schrieben
 

 

 

Zitat - 19.09.2020 von Peter Jungblut

"Otello" am Theater Regensburg

Wehe, wenn der Pförtner lacht

Verdis große Oper in einer musikalisch stark reduzierten Version: Regisseurin Verena Stoiber zeigt das Eifersuchtsdrama als so schauriges wie aktuelles Puppenspiel, bei dem das ganze Theater mitmacht und die Botschaft sendet: "Ohne uns ist Stille".

Bildquelle: Jochen Quast/Theater Regensburg

Die Mauren hat der venezianische Feldherr Otello in diversen Seeschlachten ja mit Bravour besiegt, und als ob das nicht schon genug der Ehre wäre, hat er jetzt auch Corona einigermaßen in Schach gehalten.

Jedenfalls ließ er sich am Theater Regensburg von der Pandemie nicht unterkriegen, und das ist keine Selbstverständlichkeit, denn Verdis "Otello" ist nun mal eine ganz große Oper, mit Chor, vielköpfigem Orchester und effektvollen Massen-Szenen.

Geht natürlich alles gar nicht, bei den aktuellen Abstandsregeln und Hygiene-Bestimmungen.

"Eine extreme Herausforderung"

Deniz Yetim als Desdemona | Bildquelle: Jochen Quast/Theater Regensburg

Also hatte der Regensburger Intendant Jens Neundorff von Enzberg ein Problem mehr. "Wir hatten 'Otello' eigentlich als letzte Premiere in der vergangenen Spielzeit geplant, und dann haben wir überlegt, was machen wir?", sagt er dem BR. "Das Regieteam hatte einfach Lust, noch einmal komplett neu zu denken.

Ich bin sehr glücklich, dass wir diesen Weg gemeinsam gegangen sind. Es gibt ja diese kleine Fassung mit 21 Musikern, die wir heute Abend spielen. Das ist eine extreme Herausforderung. Aber ich bin der Meinung, dass das musikalisch funktioniert. Und ich muss sagen, inszenatorisch ist es kein Kompromiss, es ist wirklich Konzept. Insofern habe ich ein ganz gutes Gefühl mit diesem 'Otello'."

Und dieses Gefühl trog nicht: Regisseurin Verena Stoiber und ihrer Ausstatterin Sophie Schneider gelang eine absolut zeitgemäße, aber keineswegs aufdringlich auf Abstand bedachte Deutung des 'Otello'.

Es war somit eine Inszenierung in sich, aber nicht über den derzeitigen Ausnahmezustand. Stoiber orientierte sich an Verdis ursprünglicher und sehr plausibler Idee, eine Oper über Otellos so gerissenen wie intrigensicheren Gegenspieler Jago zu schreiben.

Der Pförtner erfüllt sich einen schaurigen Traum

Adam Krużel als Jago | Bildquelle: Jochen Quast/Theater Regensburg

Der Mann ist bekennender Nihilist, glaubt also an gar nichts, nicht mal an sich selbst, und hält Gott allenfalls für einen schlechten Witz. Anders als der krankhaft eifersüchtige und machohafte Otello ist Jago also ein durch und durch moderner Charakter und trägt demzufolge in Regensburg auch nicht, wie die anderen Hauptfiguren, ein mehr oder weniger prächtiges Renaissance-Kostüm, sondern graue Hose und unauffälliges Kurzarmhemd eine Rentner-Kluft.
Ganz am Ende stellt sich heraus: Der freundliche, ältere Herr arbeitet als pflichtbewusster Pförtner am Bühneneingang und erfüllt sich einfach mal einen schaurigen Traum.

So stellt er mit Gliederpuppen Otellos Tragödie nach, lässt ein Schiff im Wäschebottich durch den Sturm segeln, tanzt mit einer Busen-Attrappe durch die Requisite, beäugt das Geschehen auf Monitoren, hat seine Freude daran, die Welt nach seinem radikal gefühlskalten Glaubensbekenntnis wenigstens im Miniformat zu manipulieren, zu dominieren, zu intrigieren. Und weil er sich Gott als bitteren Komödianten vorstellt, lacht er gern fatalistisch.

"Ohne uns ist Stille"

Deniz Yilmaz als Otello, Deniz Yetim als Desdemona | Bildquelle: Jochen Quast/Theater Regensburg

Anlässe dafür gibt es reichlich. Desdemona wird in diesem Fall nicht von ihrem Mann auf dem Bett erwürgt, sie stürzt auf einer Treppe zu Tode, und Otello kann sich danach nicht mal selbst richten, weil sein Revolver Ladehemmung hat. Ein rabenschwarzer und ungemein fesselnder Abend, in dem per Videoeinspielungen das ganze Regensburger Theater und viele seiner Mitarbeiter Auftritte haben. "Ohne uns ist Stille" hieß es auf den Plakaten, die der Chor in die Höhe hielt, wer wollte das bestreiten?

Stimmlich imponierte vor allem Adam Krużel als sehr robuster und ausdrucksstarker Jago, während Deniz Yilmaz als Otello zwar eine kernige Mittellage hatte, aber in der Höhe doch schnell an seine Grenzen kam. Die berühmte und gefürchtete Auftrittsarie erledigte er sehr beiläufig - zu harmlos für einen Feldherrn. Deniz Yetim als Desdemona spielte berührend intensiv, tat sich jedoch mit den vielen Pianissimo-Stellen schwer: Wenn es sehr leise wurde, klang sie recht rau.

"Experimente verschleißen sich"

Dirigent Chin Chao-Lin gelang ein fiebrig-nervöses Klangbild, wie es dieses Eifersuchtsdrama erfordert. Faszinierend, wie er die Streicher elektrisierte und bedrohlich vibrieren ließ. Innigkeit wollte da allerdings nur selten aufkommen. Insgesamt ein sehr kühler "Otello", oder, um den Intendanten zu zitieren, alles war Konzept. Womöglich war das eine Spur zu augenfällig, denn dieses Konzept geriet wirklich keine Sekunde in Vergessenheit. Jens Neundorff von Enzberg: "Es war dieses Mal ein Experiment und Experimente verschleißen sich, wenn man sie permanent wiederholt."

Sendung: Allegro am 21. September 2020 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK.

Zitatende
Quelle:
https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/otello-regensburg-2020-kritik-100.html

Was andere schrieben

 

 

Zitat
Otello als kriegsversehrter Gewalttäter in Hannover

Premiere am 30. Oktober 2021
Staatsoper Hannover

Verdis Otello als traumatische Kriegserfahrung aus Sicht der Titelfigur – ein gelungenes Konzept, wenn auch mit Übertreibungen.

Verdis Otello ist die Geschichte eines unaufhaltsamen Verfalls: Der Kriegsheld kehrt zu Beginn der Oper noch als Sieger aus Seeschlacht und Sturm gefeiert nach Venedig zurück. In Jagos Fängen entzündet sich ein selbstzerstörerisches Misstrauen gegenüber seiner Geliebten Desdemona. Er erniedrigt sie öffentlich und erdrosselt sie schließlich im Taumel blinder Eifersucht, bevor er sich selbst tötet. 

Der Regisseur Immo Karaman und sein Team verkürzen und erweitern diese Handlung gleichzeitig. Otello wird von Beginn als ein unter heftigen posttraumatischen Bewusstseinsstörungen leidender Kriegsrückkehrer gezeigt. Wir erleben in weiten Teilen keine Live-Geschichte mehr, sondern die Rückerinnerung an Geschehnisse, die Otello unter dem Einfluss seines eigenen Kontrollverlustes durchleiden muss. Er ist unheilbar traumatisiert, seine Frau Desdemona pflegt ihn und fällt seinem Eifersuchtswahn zum Opfer. 

Die Außenseiterrolle Otellos wird in Hannover auch nicht durch seine Hautfarbe bestimmt. Sie spielt keine Rolle, er ist ein weißer Kriegsherr unter weißen Soldaten, sein Außenseitertum ist hier durch seine psychische Versehrtheit begründet.  

Neben dieser fokussierten Perspektive ist die Opernhandlung jedoch auch weiter gesponnen worden. Um die tiefere Durchdringung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch den unkontrollierbaren Krankenzustand zu verdeutlichen, zeigt Karaman im Vierten Akt Desdemona „zu Hause“, nicht alleine mit ihrer Kammerfrau Emilia im Schlafzimmer, sondern umgeben von zwei Kindern, die sie mit Otello hat. Wir erleben eine weitere zeitliche Verschiebung der Situation auf einen Punkt nach Hochzeit und Geburt zweier Kinder, die weder bei Shakespeare noch bei Boito – dem Librettisten Verdis – existiert.

Handlungen, Rückerinnerungen, Albträume finden in einem gespenstischen Ambiente statt. Das Bühnenbild von Etienne Plus zeigt den Einheitsraum eines zunächst schmalen Zimmers mit minimalen Ausstattungsmerkmalen wie Kühlschrank, Stuhl und am Boden liegender Matratze im Nirgendwo. Etwa wie in einer kleinen, ärmlichen Wohnung, einem Hotel oder einer psychiatrischen Anstalt. Einige wenige Ausstattungsmerkmale deuten regional auf die USA hin, könnten letztendlich ebenso in Russland oder anderswo lokalisiert sein.

Dieser Raum erweitert sich durch Wegnahme von Zwischenwänden immer weiter nach hinten. Er wandelt sich nicht, sondern vervielfältigt seine Trostlosigkeit in vollkommen gleichen Räumen, angeordnet im angedeuteten Halbkreis, wie die imaginierten, unkontrollierten Windungen von Bewusstsein und Unterbewusstsein im Kopf des Opfers. 

In diesen Teilebenen spielen Elemente der Handlung mit Solisten oder des Chores. Dabei ist für den Betrachter nicht auszumachen, welche Ebenen für die Otello umgebenden Personen überhaupt und wann sichtbar sind, oder ob es sich nur um Bewusstseinsfragmente im Kopf der Titelfigur selber handelt. Die Ebenen verschwimmen unkontrolliert. Der Betrachter fühlt sich auf unsicherem Boden.

Die unwirkliche Szene wird abgerundet durch die Lichtregie von Susanne Reinhardt, die Videokunst von Philipp Contag-Lada, sowie die Movement Choreografie von Fabian Posca, der den Chor in den öffentlichen Auftritten wie Lemuren unter visuell zerstörenden Video-Überblendungen agieren lässt. Die Kostüme von Gesine Völlm konzentrieren sich auf funktionale Signale in der Zeichnung der Personen und ihrer Rolle in der Gesellschaft wie Soldat, Befehlshaber, junge Frau, Mutter etc.

Das Konzept geht auf. Die Bühne als Psychogramm eines Opfers und Plattform für die weiteren gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Verheerung wird unmittelbar deutlich und erschüttert den Betrachter. Lediglich die im vierten Akt hinzuerfundenen – und immerhin verschonten  Kinder sowie die mit viel Blut eines amerikanischen B-Movies inszenierte Erschießung der nach ihrer Erdrosselung bereits im Sterben liegenden Desdemona sind überflüssig, auch wenn solcherlei Übersprungsreaktionen der Opfer-Täter in der Realität denkbar und nachgewiesen sind. Anders als in den vorangegangenen Teilen der Oper steht dieser Phantasiezusatz auch quer zum Charakter der Musik des letzten Aktes. Die gesellschaftliche Gefährdung ist auch ohne diese Elemente schon mehr als sichtbar geworden und unter die Haut gegangen.

Das Konzept überzeugt ansonsten vor allem auch wegen der großartigen Sängerdarsteller. Martin Muehle gibt sein Rollendebut als Otello. Die Strahlkraft seines Tenors ermattet nie. Die verletzliche Sensibilität und Ausstrahlung des Sängers prädestinieren ihn für das spezifische Rollenmodell der Regie. Pavel Yankovsky als Jago verfügt über eine geschmeidige und kraftvolle Erscheinung in Stimme und Darstellung. Er vermag die unheimlichen Zwischenwelten des Intriganten bestens zu verkörpern. Existiert er oder ist er eine Phantasmagorie Otellos? Barno Ismatullaeva als Desdemona vermag die Ausdrucksvielfalt der Partie von der Preghiera und dem Duett mit Otello bis zu den Aufschwüngen in den großen Ensembles glänzend zu verkörpern. Alle drei Protagonisten scheinen unbegrenzte Stimmreserven zu besitzen. Einen solchen Luxus erfährt man selten – nie muss man sich über die Durchhörbarkeit und die stimmliche Kraft Gedanken machen, eher schon wäre gelegentlich die Zurücknahme der Stimmen hilfreich für ein organisches und ausgewogenes Klangbild. Der Cassio von Marco Lee und die Emilia von Ruzana Grigorian seien beispielhaft für das gut besetzte weitere Ensemble genannt. 

Chor der Staatsoper Hannover unter der Leitung von Lorenzo Da Rio überzeugt, wenngleich in den großen Szenen nach der Nervosität am Premierenabend noch größere rhythmische Souveränität zu erwarten ist.

Das Niedersächsische Staatsorchester Hannover unter dem Generalmusikdirektor Stephan Zilias spielt vorzüglich. Die durchhörbaren Holzbläser vermögen Details hörbar zu machen, die man so noch nicht erleben konnte. Auch hier mag eine steigende Sicherheit in den Nachfolgevorstellungen bei aller Kontrolliertheit den Raum für eine rhythmisch noch authentischere Italianità ermöglichen. 

Das Publikum feiert die Mitglieder des gesamten Teams, allen voran die Sänger-Protagonisten der Hauptrollen. Dem Regieteam begegnete auch eine kleine, aber beherzte Buh-Fraktion.   

Achim Dombrowski
Copyright: Sandra Then
|

Zitatende -
Quelle:
https://www.opera-online.com/de/columns/dombrowski/otello-als-kriegsversehrter-gewalttater-in-hannover



Kalenderblätter zur Erinnerung!
Vor achtzig Jahren - 1942 / 2022


Frühjahr 1942

Weil Hitler sich nicht im Klaren über die Gesamtlage war, konnten immer wieder Wünsche und Vorstellungen aufkeimen, ganze Kontinente zu besitzen. Man sah sich Ägypten erobern und am Euphrat und Tigris Land gewinnen. Hier wollte Hitler den Einflussbereich Englands reduzieren und hatte schon im Mai 1941 folgende Weisung erlassen:
 

 

 

Zitat
1. Die arabische Freiheitsbewegung ist im Mittleren Orient unser natür-
       licher Bundesgenosse gegen England. In diesem Zusammenhang
       kommt der Erhebung des Irak besondere Bedeutung zu. Sie stärkt
       über die irakischen Grenzen hinaus die England feindlichen Kräfte im
       Mittleren Orient, stört die englischen Verbindungen und bindet engli-
       sche Truppen sowie englischen Schiffsraum auf Kosten anderer
       Kriegsschauplätze. Ich habe mich daher entschlossen, die Entwick-
       lung im Mittleren Orient durch Unterstützung des Irak vorwärtszutrei-
       ben. Ob und wie die englische Stellung zwischen Mittelmeer und
       Persischem Golf – in Zusammenhang mit einer Offensive gegen den
       Suez-Kanal – später endgültig zu Fall zu bringen ist, steht erst nach
       Barbarossa zur Entscheidung.

2.    In Zusammenfassung meiner Einzelentscheidungen befehle ich

- die Unterstützung des Irak

- die Entsendung einer Militärmission

- Hilfeleistung durch die Luftwaffe

- Waffenlieferungen.

3.     Die Militärmission (Deckname: Sonderstab F) untersteht dem General
        der Flieger Felmy.
        Ihre Aufgaben sind

a) die irakische Wehrmacht zu beraten und zu unterstützen,

b) nach Möglichkeit militärische Verbindungen mit England feindlichen
    Kräften auch außerhalb des Irak herzustellen,

c) für die deutsche Wehrmacht Erfahrungen und Unterlagen in diesem
    Raum zu gewinnen.

Zitatende
Quelle: Walter Hubatsch – Weisungen für die Kriegsführung 1939 – 1945 – Karl Müller Verlag – Seite 120

 

Der Rückblick auf das Jahr 1941 zeigt dann die Realität und die ganze Problematik dieses Nazi-Feldzuges ’Unternehmen Barbarossa’.
Alle Waffengattungen waren überrascht von den endlosen russischen Weiten, die es durchzumarschieren galt – man war ja nicht nur mit motorisierten Waffen nach Osten gezogen, sondern hatte Tausende von Pferden bei sich, die versorgt werden mussten – die Luftwaffe kam an die maximalen Reichweiten mit voller Ladung an Munition und Bomben – die Treibstoffreserven nahmen ab, alles musste mit Bahn und Lastwagen der immer weiter nach Osten ausgreifenden Front in unwegsamem Gelände hinterhergefahren werden.

Die deutsche Kriegsmaschinerie war schon 1941 allem nicht gewachsen. Neben diesen Problemen im Osten war ja auch noch die Luftschlacht gegen England zu führen.

Unter diesen Umständen hatten die Militärs dafür plädiert, die Stoßrichtung 1941 nach Nordosten zu lenken, um Moskau einzukreisen und in einer Entscheidungsschlacht das Ziel des ‘Unternehmens Barbarossa‘ zu ermöglichen.
 

Hitler selber vertat diese Möglichkeit, indem er den Angriff auf die Ukraine, das Donezbecken und den Kaukasus lenkte, um die russische Wirtschaft von den Rohstoffen abzuschneiden.
Die gewonnene Schlacht von Kiew gab ihm – so meinte er – Recht. Tausende von russischen Gefangenen wurden abgeführt, Kriegsgerät sichergestellt.

Zusätzlich zu den sich abzeichnenden Problemen an der Ostfront erließ Hitler am 02.12.1941 die Weisung Nr. 38:

 

 

Zitat
„Als Grundlage für die Sicherung und Erweiterung der eigenen Mittelmeerstellung und zur Bildung eines Kraftzentrums der Achsenmächte im mittleren Mittelmeer, befehle ich nach Einvernehmen mit dem Duce, dass Teile der im Osten freigewordenen Verbände der deutschen Luftwaffe in Stärke etwa eines Fliegerkorps und der erforderlichen Luftverteidigungskräfte in den süditalienischen und nordafrikanischen Raum zu überführen sind.
Neben der unmittelbaren Auswirkung auf die Kriegsführung im Mittelmeer und Nordafrika soll dadurch eine wesentliche Einflussnahme auf die gesamte weitere Entwicklung im Mittelmeerraum angestrebt werden.“

Zitatende
Quelle: Walter Hubatsch – Weisungen für die Kriegsführung 1939 – 1945 – Karl Müller Verlag – Seite 169


Damit hatte er selber eine weitere Front eröffnet.

Der Krieg spielte sich somit für das ‘Deutsche Reich‘ – ganz abgesehen von der Besetzung von Dänemark und Norwegen und Frankreich und Jugoslawien und Griechenland – in offenen Kämpfen nicht nur mit Russland und England, sondern auch in Libyen und Tunesien ab.

 

 

 

Zitat
‘Unternehmen Sonnenblume‘

   ... ab 11. Februar 1941

Mussolini träumte von einem neuen römischen Reich, das zumindest die Länder rund um das Mittelmeer beinhalten sollte.

Italien hatte Frankreich und Großbritannien am 10. Juni 1940 den Krieg erklärt. Es ging von einem kurzen Kampf aus, im Rahmen dessen es seine Gebietsansprüche durchsetzen wollte.

Mussolini strebte in Nordafrika nach Westen, um Tunesien zu annektieren, dann, im September 1940 sandte er seine Truppen von Italienisch-Libyen nach Osten, um die Ägypten besetzt haltenden Briten zu vertreiben und den Suezkanal für sich zu gewinnen. Damit hätte er auch endlich eine Landbrücke zu dem von ihm besetzten Äthiopien geschlagen, was den Nachschub in das ostafrikanische Land erleichtert hätte.

Die 10. italienische Armee war stark, trotzdem konnten die Briten mit Unterstützung von Truppen, die sie aus dem Empire in Ägypten zusammenzogen, die Italiener in Nordafrika bis weit nach Westen hin zurückdrängen.

Die 10. italienische Armee wurde dann von den Briten vernichtet. Etwa 130.000 italienische Soldaten gingen in Kriegsgefangenschaft und tausende Panzer, Artilleriegeschütze und Flugzeuge wurden zerstört.
Hitler musste eingreifen, um den Verlust Nordafrikas zu verhindern.

Schon am 11. Februar 1941 trafen die ersten deutschen Truppen in Tripolis ein, die, zum Deutschen Afrikakorps zusammengezogen, einen Sperrriegel bilden sollten, um im Rahmen des 'Unternehmens Sonnenblume' das weitere Vordringen der Briten nach Westen zu verhindern.

Nachdem Ägypten für Mussolini verloren war und Italienisch Libyen von den Deutschen unter General Rommel, der am 12. Februar 1941 Tripolis erreichte und mit Wirkung zum 15. Februar zum Befehlshaber der deutschen Truppen in Nordafrika ernannt wurde, ‘übernahm‘, meinte der Duce plötzlich, sich dem Balkan als neuem Ziel der Eroberung zuwenden zu müssen. Albanien hatten die Italiener schon okkupiert, von dort drangen sie nach Osten vor.

Aber auch der Einfall der Italiener in Griechenland misslang, wieder musste Hitler zu Hilfe kommen, was den Beginn seines ‘Unternehmens Barbarossa‘ um vier Wochen auf den 22. Juni 1941 verspätete.

Die Konsequenz war, dass der dann im Oktober hereinbrechende Winter den Vormarsch der deutschen Wehrmacht später 30 km vor Moskau stoppte.
Zitatende

Quelle: http://https://www.telezeitung-online.de/Thema_des_Tages_11._Februar_2020_%27Sonnenblume%27.htm


 

Anfänglich aber konnte Rommel in Nordafrika Landgewinne erzielen und auch beim Feind eine große Anerkennung ob seiner kriegerischen Leistungen gewinnen, war dann aber auch hier das Transportproblem nicht zu lösen. Tausende von Tonnen Kriegsgerät gingen durch den Transport des Materials verloren, da dieses über das offene Mittelmeer verschifft werden musste, denn Franco hatte sich 1940 Hitler verweigert, sich in den Krieg einzubinden zu lassen. Das ‘Unternehmen Felix‘ kam nicht zustande, während dessen deutsche Truppen von Frankreich aus durch Spanien marschieren sollten, um Gibraltar zu erobern.
 

 

 

Zitat
Thema des Tages - 23. Oktober 1940
‘Hendaye‘

Man machte sich im Deutschen Reich wieder etwas vor, zumindest Goebbels schätzte die Sache falsch ein, wenn er meinte, Franco werde dem Werben Hitlers folgen und ab Winter 1940 / 1941 mit in den Krieg gegen England ziehen.

Mitte Juli 1940 musste Hitler feststellen, dass Churchill nicht – wie er immer noch hoffte - zu einer Übereinkunft mit ihm bereit war. Die für Historiker noch immer kaum zu klärende Möglichkeit des Abzugs von mehr als 300.000 Mann englischer und französischer Soldaten aus Dünkirchen, diese Geste Hitlers hatte keinen Erfolg gehabt. England wollte – gestützt auf die leihweisen Waffenlieferungen der USA - den Krieg fortsetzen.

Am 23. Oktober 1940 hatte sich daher der Führer mit dem durch sein Eingreifen – Bombardement von Madrid und Guernica am 26. April 1937 durch die Legion Condor – in den Sattel gehobenen spanischen Diktator Franco zu einem Gespräch im französischen-spanischen Grenzort Hendaye getroffen, um ihm eine Achse Madrid – Yokohama schmackhaft zu machen.

Spanien sollte der Achse Deutschland – Japan beitreten, mit Hilfe Deutschlands zunächst Gibraltar erobern, dann den Nazis Stützpunkte auf den Kanarischen Inseln einräumen, um vor dort aus – im Falle eines Krieges mit den USA – vorgeschobene Basen im Atlantik zur Verfügung zu haben und Franco möge bitte bei der portugiesischen Regierung vorfühlen, ob man in Lissabon bereit sei, ebenfalls deutsche Kriegsschiffe aufzunehmen.

Franco stellte allerdings für Spanien Forderungen, auf die Hitler aus Rücksicht auf Mussolini nicht eingehen konnte, allenfalls wollte Hitler für eine Vergrößerung von Spanisch-Marokko sorgen.
Enttäuscht und wütend wandte sich Hitler nach einer bis in die Nacht andauernden Unterredung von Spanien ab, während Goebbels noch am 25. für den 24. Oktober 1940 notierte:
Er habe telefonisch aus Spanien Mitteilung erhalten, dass alles sehr glatt gegangen sei und wörtlich:
“Spanien ist uns danach sicher“.
Zitatende

Quelle: http://https://www.telezeitung-online.de/
'Vor_fuenfundsiebzig_Jahren'_Thema_des_Tages_23._Oktober_1940_'Hendaye'.htm


So blieb die Meerenge von Gibraltar für die Seefahrt und damit für feindliche Transporte und U-Bootaktionen im Mittelmeer offen.
Zusätzlich waren die Schiffsbewegungen der Alliierten durch den Suezkanal weiter möglich.
 

Der Anfang Oktober 1941 einsetzende Herbstregen hatte die Landschaft an der Ostfront unwegsam gemacht, alles Gefährt und die zu Fuß agierenden Truppen blieben im Schlamm stecken.

Erst Anfang November, als leichter Frost die Böden benutzbar machte, konnten die Aktionen – im Falle von Moskau war man bis an die Stadtgrenzen herangekommen – fortgesetzt werden.
Völlig überraschend für die Wehrmacht brach dann der Winter herein, Fröste bis zu minus 50 Grad lähmten alle Aktivitäten, die modernen Waffen versagten, Truppen erfroren – es gab mehr Tote durch die Kälte als durch Waffen.

Unter dem Aspekt seiner völlig falschen Einschätzung, das ‘Unternehmen Barbarossa‘, die Niederwerfung der Sowjetunion, werde in maximal vier Monaten – ab 22. Juni 1941 gerechnet – beendet sein, hatte ’der Führer’ keinerlei Winterausrüstung zur Verfügung gestellt. Auf die Empfehlung von General Paulus, man habe daran zu denken, antwortete Hitler, es werde keinen Winterfeldzug geben.

Es erging entgegen dieser früheren Auffassung die Weisung Nr. 39 vom 8. Dezember1941
 

 

 

Zitat
„Der überraschend früh eingebrochene strenge Winter im Osten und die dadurch eingetretenen Versorgungsschwierigkeiten zwingen zu sofortiger Einstellung aller größeren Angriffsoperationen und zum Übergang zur Verteidigung.
Wie diese Verteidigung zu führen ist. wird bestimmt durch das Ziel, das mit ihr verfolgt wird, nämlich
a.) Räume zu behaupten, die operativ oder wehrwirtschaftlich für den
     Gegner von großer Bedeutung sind
b.) den im Osten eingesetzten Kräften der Wehrmacht eine möglichst große
     Erholung und Auffrischung zu ermöglichen und
c.) dadurch die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme größerer An-
    griffsoperationen im Jahr 1942 zu schaffen.“
Zitatende
Quelle: Walter Hubatsch – Weisungen für die Kriegsführung 1939 – 1945 – Karl Müller Verlag – Seite 171


Hinzu kam die Kriegserklärung Deutschlands an die USA vom 13. Dezember 1941. Damit war der Kampf mit einer Weltmacht eröffnet, die irgendwo in den Krieg eingreifen werde.

Was sich nun an den anderen Fronten, die Hitler in seiner Dämlichkeit eingerichtet hatte, abspielte, fasste der Minister für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Goebbels, noch immer wohlwollend mit seinem ‘Führer‘ umgehend, so zusammen:
 

 

 

Zitat
„Das alte Jahr schließt für uns militärisch in einer auf allen Fronten schweren Defensivtätigkeit. Die weitere Entwicklung ist vorläufig nicht klar zu übersehen. Es steht zu hoffen, dass die neuen Verstärkungen, die nach Osten rollen, bald die Fronten zum Stehen bringen werden. Gelingt das, dann finden wir endlich die Zeit, uns für die kommende Frühjahrsoffensive bereitzumachen. Jedenfalls steht fest, dass hierbei die Entscheidung fallen muss.

Die Lage in Nordafrika ist weiterhin gespannt und bietet noch manche Gefahrenmöglichkeiten.

Zitatende
Quelle: Goebbels Tagebücher – 31.12.1941 – Band 4 - Seite 1726 – Piper Verlag – 1992


Und dann verlor die deutsche Wehrmacht seit Beginn des Feldzuges im Juni 1941 bis zum Herbst – also gerade einmal während sechs Monaten – über eine Million Soldaten. Sie waren tot, verwundet, vermisst oder in russischer Gefangenschaft.
In der Generalität ging man mit Hitler aber fälschlicherweise davon aus, dass auch die Sowjets geschwächt seien, ihre letzte Kraft verbraucht hätten, und man die Fallende nur noch umstoßen müsse. Auch Generalstabschef Franz Halder war der Meinung, die russischen Divisionen seien nicht mehr viel wert.
So gab man sich der Illusion hin, die bolschewistischen Horden, die die Deutschen und die mit ihr verbündeten Soldaten anderer Länder in diesem Winter nicht zu besiegen vermochten, würden in dem kommenden Sommer 1942 bis zur Vernichtung geschlagen sein.
Es musste also eine Entscheidung an der Ostfront zu erzielen sein, bevor die anglo-amerikanische Allianz die volle Kraft ihrer ökonomischen und militärischen Ressourcen auf dem westlichen Kriegschauplatz aktivieren könnten.
Halder stimmte mit Hitler überein, dass, ließen sie die Russen zu Atem kommen und nehme die Bedrohung durch Amerika und England zu, man die Initiative aus der Hand gebe und sie nie wieder gewinnen werde. Daher müsse man der Roten Armee einen entscheidenden Schlag versetzen, indem man sie von den Ölquellen im Kaukasus abschneide. Außerdem habe die Sowjetunion in der Winterschlacht 1941/1942 die Masse ihrer Reserven verbraucht, es gälte jetzt, sobald die Wetter- und Geländeverhältnisse es erlaubten, das Heft des Handelns wieder an sich zu reißen.
Gelänge es nicht, die Ölquellen von Maikop und Grosny zu erobern, müsse man den Krieg als verloren ansehen.

Und wieder suchte man Heil bei Friedrich dem Großen, für den Schlesien so wichtig gewesen sei, wie heute dem Deutschen Reich das Öl vom Kaukasus.
 

 

 

Zitat
Wenn es uns gelingt, in diesem Sommer die Sache im Osten zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen, dann sind wir über den Berg hinweg […] Liegt das Sowjetsystem einmal am Boden, dann haben wir damit praktisch den Krieg gewonnen.
Zitatende - Quelle: Goebbels Tagebücher – Band 4 - Seite 577 vom 29.03.1942 – Piper Verlag – 1992

Hier irrte man, überschätzte sich selber und unterschätzte den russischen Gegner, der in seinen Rüstungswerken weit hinten im Land am Ural und von deutschen Fliegern nicht erreichbar, Panzer, Geschütze und Flugzeuge in großer Zahl herstellte.
Aus dem ‘Reich‘ kam nur ein Drittel der von der Wehrmacht benötigten Panzerproduktion.

Halder legte in Unkenntnis der tatsächlichen Macht der russischen Kriegsmaschinerie die Aufmarschpläne für das Frühjahr 1942 als ‘Fall blau‘ oder später als ‘Unternehmen Blau‘ vor.

Es galt eine Front von Finnland bis zum Kaukasus zu halten, was aber bei der geschwächten Wehrmacht nicht durchzuführen war.

Dies erkennend, legte man fest, dass der Nordteil der Front Leningrad zu Fall bringen sollte, um die Landverbindung zu Finnland herzustellen, der mittlere Teil sollte die Stellung halten und der Südteil bis zur Wolga und zum Kaukasus vordringen.
Gelänge der Vorstoß im Süden, könne man mit den eroberten Ölfeldern um Grosny sich selbst versorgen und sei nicht mehr so sehr auf den Nachschub der Treibstoffe aus dem ’Reich’ angewiesen.

Bei all den Überlegungen, wie man im Osten vorankommen könne, ließen Hitler und seine Generalität die zweite Front im Westen außer Acht, die sich in Form einer stark entwickelnden Air Force der Briten unter der Leitung von Luftmarschall Arthur Harris ab 22. Februar 1942 als ’Bomber Command’ bildete.

Daher war man überrascht, als die Engländer in der Nacht vom 28. auf den 29. März 1942 Lübeck bombardierten und große Teile der alten Hansestadt zerstörten. Vier Wochen später – in der Zeit vom 23. bis 27. April 1942 – fielen 60 Prozent des Stadtkerns von Rostock den Bomben zum Opfer. Kamen in Lübeck 312 Menschen ums Leben, so wurden in Rostock 216 Einwohner getötet.
Am 31. Mai 1942 flogen 1.000 britische Bomber die Stadt Köln an, töteten 486 Menschen, verletzten ca. 5.000. Obdachlos wurden 60.000.

Hitler ließ alles aufbieten, was an Piloten und Maschinen zur Verfügung stand, um Vergeltung zu üben. Er ließ alle erreichbaren Städte im Süden Englands bombardieren, konnte aber mit den technisch weiter entwickelten englischen Maschinen nicht mehr mithalten. Als dann später die Amerikaner tagsüber deutsche Städte von England aus zerstörten und die Engländer für die Nachtflüge zuständig waren, stand Deutschland tags und nachts unter Beschuss.

So ging ein ständiger Bombenregen auf das ’Reich’ nieder’, begann die Moral der Deutschen zu unterminieren, wobei die Reduzierung der Lebensmittelrationen noch zur Missstimmung beitrug.
 

 

 

Zitat
Die Stimmung in der Heimat wird vom Führer in keiner Weise angezweifelt. Er weiß genau, dass das deutsche Volk bei einer richtigen Führung die schweren Belastungen des Krieges aushalten wird. Ich schildere ihm im Einzelnen, wie schwer es sein wird, die Kürzungen der Lebensmittelrationen in den nächsten Tagen dem deutschen Volke klarzumachen, vor allem sie dann im einzelnen durchzuführen.
Der Führer hat alles getan, um sie zu vermeiden. Er will jetzt noch jedes Mittel versuchen, um eine stärkere Lebensmittelzufuhr, vor allem aus der Ukraine, zu bewerkstelligen. Aber im Augenblick ist das in Anbetracht der so außerordentlich gespannten Transportlage gänzlich unmöglich […]
 Ich teile den Optimismus des Führers nicht, dass es uns gelingen werde, in absehbarer Zeit Nennenswertes aus der Ukraine herauszuholen. Dazu fehlen uns die Menschen, die Organisation und vor allem die Transportmittel.
Der verfluchte lange Winter hindert uns im Augenblick auch noch daran, die Kartoffelmieten, in denen ja noch große Kartoffelvorräte aufgestapelt liegen, zu öffnen. Nun stehen wir schon am Frühlingsanfang und kämpfen immer noch mit Winterproblemen, als wäre gerade die Jahreswende vorbei. Die Transporte sollen, so billigt der Führer, sobald die Mieten geöffnet werden können, auf das äußerste beschleunigt werden.

Zitatende -
Quelle: Goebbels Tagebücher – Band 4 - Seite 1770 vom 19.3.1942 – Piper Verlag – 1992


Goebbels wusste, dass es jetzt ganz auf seine Propaganda ankomme, das Volk aufzurichten, man müsse es bei guter Laune halten, da dies kriegsentscheidend sei. Man könne sich nicht erlauben, die Heimatfront unbeeinflusst zu lassen.
 

 

 

Zitat
Wenn wir das Volk richtig anfassen, ihm Aufgaben stellen und es führen, so wird es sicherlich bereit sein, mit uns durch dick und dünn zu gehen. Ein solches Volk kann auch nicht überwunden werden.
Zitatende
Quelle: Goebbels Tagebücher – Band 4 - vom 8.1.1942 – Piper Verlag – 1992


In
Goebbels Veröffentlichungen findet man in den ersten Monaten des Jahres 1942 immer wieder das Wort ‘Härte‘, dies bezog sich nicht nur auf die Kriegsführung, sondern auch auf die Nachrichtenpolitik – und nahm damit Bezug auf den Neujahrsaufruf Hitlers und auf dessen Rede im Sportpalast am 30. Januar 1942, mit der der ‘Führer‘ die Erziehung des Volkes zu politischer Härte hervorhob.

Goebbels wusste auch, sich über die offiziellen Berichte des Sicherheitsdienstes – SD – hinaus, Informationen über die Stimmung im Volk zu verschaffen und er kam so zu dem Ergebnis, dass das Wesen seiner Propaganda in der Einfachheit der Aussage und deren stete Wiederholung sei, um das Volk in seiner Primitivität der Auffassungsgabe mental zu erreichen.

Nur mit Kultur, Theater, Film und Rundfunk sei die notwendige Entspannung für die Menschen im ‘Reich‘ zu schaffen.


 

Der Film wurde besonders gefördert.

Insgesamt wurden zwischen 1933 und 1945 über 1.200 Spielfilme – von NS-Propagandafilmen wie ‘Hans Westmar‘ über den antisemitischen Hetzfilm ‘Jud Süß‘ bis hin zu seichten Unterhaltungsfilmen wie ‘Frauen sind doch bessere Diplomaten‘ – sowie ungezählte Wochenschau- und ‘Kulturfilme‘ produziert.

Sie alle prägten auf ganz unterschiedliche Weise das Kino im NS-Regime und sollten massiven Einfluss auf die schon in der Weimarer Republik kinobegeisterte deutsche Bevölkerung nehmen.

Es ging nicht nur um große historische ’Streifen’, sondern darum, in einfachen, in wenigen Szenarien, das Geplante darzustellen. Er erkannte, dass es der Regierung an guten, preiswerten Unterhaltungsfilmen mangele.
 

Es zeigt sich deutlich, auch an der Menge der Filme dieses Genres, wie sehr die Unterhaltung – nach Erkenntnis des ‘Zuwenig‘ – gefördert wurde.
Die größte Gruppe innerhalb der Spielfilmproduktion der NS-Zeit bilden die heiteren Filme. 569 Filme – das sind 47,2 % der Gesamtproduktion.

Die zweite große Gruppe bildeten Filme, die vor allem an ein weibliches Publikum adressiert waren. 508 NS-Spielfilme (42,2 %) waren Liebes- oder Ehefilme bzw. lassen sich einem der verwandten Genres – wie Frauenfilm, psychologischer Film, Sittenfilm, Arztfilm, Schicksalsfilm, Jungmädchenfilm usw. – zuordnen.

Neben den Propagandafilmen gab es zur Erbauung der Bevölkerung auch die heroischen Beispielfilme wie ’Der große König’, in dem Otto Gebühr den preußischen König Friedrich II. spielte.
 

Goebbels stellte anlässlich der Uraufführung des Filmes fest, wie sehr doch – ja geradezu frappierend – die Ähnlichkeit der Lebensläufe von Friedrich II: und Hitler seien. Beide gäben ein leuchtendes Beispiel an Standhaftigkeit im Unglück ab, wobei er die schwere Last betonte, die der ’Führer’ zu tragen habe, indem er einen Titanenkampf um das Leben des deutschen Volkes führe.

 

 

 

Zitat
‘Der große König‘
so der Titel des Ufa Monumentalfilms, der 1942 in die Kinos kam „der die harten Proben und geschichtlichen Prüfungen zum Inhalt hat, denen Friedrich der Zweite in der kritischen Phase des Siebenjährigen Krieges ausgesetzt war, bevor er seine Heere zum endgültigen Sieg über seine Feinde führen konnte“ suggerierte Goebbels darin Parallelen zu Hitler. Friedrich werde deshalb ‘der Große‘ genannt, „weil er immer wieder und gerade unter der Wucht betäubender Schläge, die ihn manchmal hart bis an den Rand des Absturzes warfen, die Kraft fand sich über Prüfungen und Niederlagen triumphieren zu erheben und seinem Volke, seinen Soldaten, den zweifelnden Generälen, schwankenden Ministern, konspirierenden Verwandten und aufbegehrenden Staatsbeamten, ein leuchtendes Beispiel der Standhaftigkeit im Unglück zugeben.“
Zitatende

Quelle: Goebbels Joseph ‘Das eherne Herz‘ - Reden und Aufsätze aus den Jahren 1941/42 München 1943. Seite 286 in Goebbels Tagebücher – Band IV - Anmerkung 47 – Seite 1780 – Piper Verlag - 1992
 

Man wusste im ‘Reich‘ um die Wirkung der laufenden und vertonten Bilder.
Goebbels setzte ganz bewusst auf dieses Medium. Gingen in der Saison 1934/35 rund 250 Millionen Menschen in die Kinos, waren es fünf Jahre später bereits über eine Milliarde Kinobesucher jährlich.

Bis in die letzten Tage des NS-Systems wurden Uraufführungen veranstaltet. Noch im Frühjahr 1945 stellte das Propagandaministerium 12 Neuproduktionen vor:
 

Zitat

 

 

Zitatende - Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_w%C3%A4hrend_der_Zeit_des_Nationalsozialismus_im_Deutschen_
Reich_uraufgef%C3%BChrten_deutschen_Spielfilme


Sehr bewusst wurden seitens des Propagandaministeriums die Spielleiter, also Regisseure für die Produktionen ausgesucht, die zur Gestaltung der Filme beauftragt wurden.

Hierzu zählen – es werden nur die wichtigsten aufgeführt, die auch nach dem Krieg noch Beschäftigung fanden bzw. große Karriere machten:

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_deutscher_Filmregisseure
nennt u.a. für den Spielfilm:
Josef von Báky, Boleslaw Barlog, Eduard von Borsody, Alfred Braun, Harald Braun, Ulrich Erfurth, Veit Harlan, Kurt Hoffmann, Helmut Käutner, Wolfgang Liebeneiner, Theo Lingen, Heinz Rühmann, Hans Schweikart, Wolfgang Staudte, Paul Verhoeven,

Um die von ihm für das Volk gewünschte aufbauende Wirkung zu erzielen und um keine ‘seitlichen Auswüchse‘ zuzulassen, wurde alles Filmschaffende in einer Organisation vereinigt.
Schon am 10. Januar 1942 wurde die Ufa zum Kern der Ufa-Film GmbH (UFI), in der die gesamte deutsche Filmproduktion zusammengefasst war. Weitere eingegliederte Firmen waren die Bavaria Film, die Berlin-Film, die Terra Film, die Tobis AG, die Prag-Film und die Wien-Film.

Die Personalhierarchie der Ufa wurde dem nationalsozialistischen Führerprinzip entsprechend reorganisiert. Die Koordination der einzelnen Zweigbetriebe des Konzerns war Aufgabe des als Leiter eingesetzten Fritz Hippler als Reichsfilmintendanten. Ihm unterstanden die Produktionschefs, die für die Gesamtplanung der Jahresprogramme und der Gestaltung der Stoffe bis zur Drehreife verantwortlich waren und wiederum den Produktionsgruppenleitern und Regisseuren ihre Weisungen erteilten.

 

Breitenwirkung erzeugte auch der Rundfunk. Dies wissend ließ Goebbels den Volksempfänger, einen Radioapparat, von Otto Griessing bei der Firma Seibt entwickeln. Der Rundfunk wurde auf diese Weise mobilisiert. Wunschkonzerte beeinflussten die Stimmung, ließen sie wenigstens für kurze Zeit verbessern.



Foto: de.wikipedia.org

Auf der 10. Großen Deutschen Funkausstellung in Berlin stellte man das Gerät mit dem Modell VE301 im August 1933 vor.
Die Typenbezeichnung 301 sollte Erinnerungen an den 30. Januar 1933, den Tag der Machtübernahmen durch die Nazis wecken.
Das Gehäuse des VE301 bestand aus Bakelit, einem duroplastischen Kunststoff, einem Phenoplast auf der Basis von Phenol und Formaldehyd, der 1905 von dem belgischen Chemiker Leo Hendrik Baekeland entwickelt und nach ihm benannt wurde.
Der Entwurf für das Gerät stammte von Walter Maria Kersting, der Professor für Industrie-design in Köln und später in Düsseldorf war.

Der vorgeschriebene Preis der Version für den Betrieb am Stromnetz betrug 76 Reichsmark, was 300 Euro entsprach.
65 Reichsmark kostete eine batteriebetriebene Version.
Bereits am ersten Tag der Vorstellung auf der Funkausstellung wurden 100.000 Geräte verkauft. Im Jahr 33 lag die Produktion bei 650.000 Geräten, 1943 waren es über 840.000 Stück.
Der ‘Volksempfänger‘ war das einzige Produkt aus einer Reihe von Propagandaprojekten wie dem KdF-Wagen, dem Deutschen Einheits-Fernseh-Empfänger E 1, dem Volkskühlschrank oder der Volkswohnung, das in die Serienfertigung gelangte und auch in nennenswerter Stückzahl produziert wurde.
Das Radiogerät sollte es jeder Familie ermöglichen, Rundfunk zu hören, um so für die nationalsozialistische Propaganda erreichbar zu sein.
Neben der heimischen Hörerschaft hatte das Propagandaministerium auch die Soldaten zu erreichen. Auch die letzten Tage von Stalingrad blieben nicht ohne Beeinflussung aus Berlin.
Am 18. August 1941, gegen 22 Uhr hatte die Sendung “Wir grüßen unsere Hörer“ begonnen. Der Sender Belgrad verlas Briefe, Grüße an die Front und von Soldaten an die Heimat.
Auf diese Weise spielte der Rundfunk eine besondere Rolle bei der Truppenbetreuung. Lenkte der Film die Bevölkerung vom Elend der Kriegseinwirkungen in der Heimat ab, so sollte das Radio den Soldaten ein Stück Heimat in die Öde des Feldlagers transportieren.
Da bei der Zerstörung des Senders in Belgrad durch den Überfall der Nazis am 6. und 7. April 1941 fast alles an Aufnahmen verloren ging, sandte Wien Pakete alter Schallplatten, die im Reich und in Österreich nicht ins Programm passten.
Unter ihnen auch die Platte mit dem Lied eines jungen Wachtpostens aus dem Jahr 1915 mit dem Text von Hans Leip und der Musik von Norbert Schultze:

„Vor der Kaserne, vor dem großen Tor
stand eine Laterne und steht sie noch davor,
so woll’n wir uns da wiederseh‘n,
bei der Laterne woll’n wir steh‘n
wie einst, Lili Marleen,
wie einst, Lili Marleen.“


Es sang Lale Andersen, die im ‘Dritten Reich‘ auch Karriere machte – bis sie 1943 wegen ihrer Briefkontakte zu jüdischen Emigranten Auftrittsverbot bekam und verhaftet wurde. Erst nach einem Selbstmordversuch durfte die Sängerin wieder auf die Bühne.

Durch Marlene Dietrich wurde die englische Fassung des Soldatenliedes zum Welthit, den sie ab Juni 1944 bei der Betreuung der alliierten Landungstruppen dicht hinter der Invasionsfront in der Normandie sang.

 

 

Zitat
28.09.2021, 12:04 Uhr

Historisch belastet:
Münchner Straßen könnten umbenannt werden

Bis zu 45 Straßen in München könnten einen neuen Namen bekommen, weil die jetzigen womöglich historisch belastet sind. Das Stadtarchiv hat eine entsprechende Liste vorgestellt. Entschieden ist aber nichts, noch läuft die Überprüfung.

Von: Birgit Grundner

6.300 Straßennamen gibt es in München, und bei 45 davon hat ein Expertengremium aus Vertretern der Stadtratsfraktionen, Mitarbeitern von Fachdienststellen der Landeshauptstadt München wie dem Stadtarchiv einen ‘erhöhten Diskussionsbedarf‘ festgestellt. In vielen Fällen geht es um das Verhalten der Namensgeber in der Nazi-Zeit. Ins Auge fällt aber etwa auch die Nennung von Robert Koch: Dieser war an Menschen-Experimenten mit Medikamenten in der früheren Kolonie Kamerun beteiligt.

Münchner Stadtrat muss entscheiden

Die komplette Liste wurde inzwischen – ebenso wie der zugrunde gelegte Kriterienkatalog - veröffentlicht und soll nun weiter nicht-öffentlich diskutiert und überprüft werden. Ende 2022 wollen die Experten damit fertig sein und für eine Empfehlung für das weitere Vorgehen abgeben. Dann muss der Stadtrat entscheiden.

In der Diskussion: Von Agnes Miegel- bis Wißmannstraße

Konkret geht es dabei um folgende Straßen: Agnes-Miegel-Straße (benannt 1983), Alois-Wunder-Straße (1978), Bestelmeyerstraße (1956), Bonselsstraße (1953), Butenandtstraße (1996), Deikestraße (1936), Dominikstraße (1932), Elly-Ney-Weg (1994), Emil-Nolde-Straße (1970), Ernst-Haeckel-Straße (1947), Hansjakobstraße (1925), Hans-Koch-Weg (1965), Hella-von-Westarp-Straße (1936), Herbert-Quandt-Straße (1987), Hermann-Proebst-Weg (1976), Hilblestraße (1956), Ina-Seidel-Bogen (1984), Kabastastraße (1956), Kardinal-Faulhaber-Straße (1952), Kißkaltplatz (1930), Kraepelinstraße (1927), Langbehnstraße (1931), Leutweinstraße (1935), Linnenbrüggerstraße (1936), Ludwig-Thoma-Straße (1947), Lüderitzstraße (1932), Martin-Heidegger-Straße (1983), Max-von-Gruber-Straße (1927), Messerschmittstraße (1983), Mottlstraße (1914), Nachtigalstraße (1925), Nettelbeckstraße (1932), Oswald-Bieber-Weg (1985), Otto-Merkt-Weg (1964) Pfitznerstraße (1923), Richard-Wagner-Straße (1898), Richard-Strauss-Straße 1915/1958), Robert-Koch-Straße (1931), Rohmederstraße (1932), Teuchertstraße (1936), Treitschkestraße (1960), Von-Erckert-Straße/-Platz (1933/37), Von-Gravenreuth-Straße (1933) , Werner-Egk-Bogen (1985), Wißmannstraße (1932).

Bis zu 327 Straßennamen müssten erläutert werden

Neben dieser sogenannten ‘Short List‘ gibt es auch noch eine Aufstellung von 327 weiteren Straßennamen, die einen ‘Kontextualisierungsbedarf‘ aufweisen könnten. Sie könnten also durch ‘kritisch-distanzierende‘ Texte auf kleinen, dazu gehängten Schildern näher erläutert und kommentiert werden.

Die Arbeit des Expertengremiums ist eine Gratwanderung: Einerseits sollen historisch belastete Persönlichkeiten nicht gewürdigt werden. Andererseits sind Straßennamen auch ‘erinnerungskulturelle Jahresringe‘, wie Andreas Heusler vom Stadtarchiv München es ausdrückt. Die Besetzung des Straßenraums durch frühere Generationen spiegle auch die Stadtgeschichte wider.

Sechs Straßen in München bereits umbenannt

Über den Umgang historisch belasteten Straßennamen wird in München schon seit vielen Jahren diskutiert. Tatsächlich umbenannt wurden seit dem Jahr 2000 aber nur sechs Straßen ‘aufgrund einer schwerwiegenden Belastung des Namensgebers‘ – so wurde etwa aus der Meiser- eine Katharina-von-Bora-Straße. 2016 wurde das Stadtarchiv vom Stadtrat mit einer grundlegenden Überprüfung des Katalogs der Straßennamen beauftragt. Das Ergebnis sind die nun vorliegenden Listen.

Um neue Straßenschilder würde sich dann gegebenenfalls die Stadt kümmern, für neue Hausnummernschilder wären dagegen die jeweiligen Hauseigentümer zuständig. Die Umschreibung von Personalausweisen und amtlichen Büchern sei in der Regel kostenfrei, heißt es beim Kommunalreferat. Anders sei das nur beim Kfz-Schein. Denn für die Adressänderung dort falle eine Bundesgebühr an, welche die Stadt nicht erlassen könne.

Expertengespräch im Livestream

Über das Verfahren, den aktuellen Stand und das weitere Vorgehen informiert das Stadtarchiv. An der Veranstaltung ‘Problematische Ehrungen. Historisch belastete Straßennamen und der Umgang mit ihnen‘ nehmen auch Fachleute aus Berlin, Mainz und Salzburg teil. Alle Zuhörerplätze sind bereits vergeben, weitere Interessenten können die Diskussion aber im Livestream verfolgen.

Zitatende

Quelle:
https://www.br.de/nachrichten/bayern/muenchen-einige-strassen-koennten-wegen-ns-bezug-umbenannt-werden,SkEY6uF

 

 

Zitat

  Agnes-Miegel-Straße


Agnes Miegel legt 'Gelöbnis treuester Gefolgschaft' ab, 1933

Politische Mitgliedschaften:

1937: Beitritt NS-Frauenschaft
1940: Eintritt in die NSDAP (Mitgliedsnummer: 845438)

"Ich traue auf Gott und den Führer, - nicht so kindlich-bequem, wie Viele es tun, sondern so, wie man als Deutscher und Ostgermane dem Schicksal vertraut."

(Agnes Miegel an Hans Friedrich Blunck am 15.05.1939)

 

Agnes Miegel und der Nationalsozialismus

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bedeutete einen Umschwung in Leben und Werk Agnes Miegels. In einem Brief an Hans Friedrich Blunck vom November 1933 schrieb sie von der großen "Idee, in der wir nun alle leben." (zitiert nach Küchmeister, 282) "Die Dichterin, die die Wiedergeburt Deutschlands begeistert begrüßt hat", (Kieler Zeitung 7.3.1944) war eine systemkonforme Schriftstellerin, die auch in der nationalsozialistischen Öffentlichkeit eine wichtige Funktion innehatte.

Schon im Oktober 1933 nahm sie die Berufung in den Vorstand der Sektion für Dichtung der Preußischen Akademie der Künste an. Politisch unliebsame Autoren waren vorab ausgeschlossen worden. Dessen Hauptaufgabe war es laut der Literaturwissenschaftlerin Inge Jens "als 'Wahrer des deutschen Schrifttums' das ihre zum Aufbau des neuen Staates beizutragen und sich in Huldigungsadressen, Aufrufen und Erklärungen öffentlich zu Führer, Volk und Vaterland zu bekennen." (Jens, S. 263) Ende Oktober 1933 unterzeichnete sie ein in Zeitungsanzeigen verbreitetes "Gelöbnis treuester Gefolgschaft" auf Adolf Hitler.
Zitatende

Quelle + Foto: https://www.muenster.de/stadt/strassennamen/agnes-miegel-strasse.html

 

 

Zitat

  Bonselsstraße

Jakob Ernst Waldemar Bonsels (* 21. Februar 1880 in Ahrensburg; † 31. Juli 1952 in Ambach am Starnberger See) war in den 1920er Jahren einer der meistgelesenen deutschen Schriftsteller.

Sein 1912 erschienenes Buch ‘Die Biene Maja und ihre Abenteuer‘, das in über 40 Sprachen übersetzt wurde, und die 1915 veröffentlichte Fortsetzung ‘Himmelsvolk‘ machten ihn weltberühmt. Hauptfigur beider Romane ist die Biene Maja.
Bonsels war bekannt als Antisemit, so dass sich bereits insofern eine Nähe zum Nationalsozialismus ergab.

Anders als „die Avantgarde der Weimarer Republik“ (Liste verbotener Autoren während der Zeit des Nationalsozialismus) erhielt er kein Schreibverbot, sondern wurde in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen.

Nach den studentischen Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 publizierten die Zeitungen einen ihnen vom Propagandaministerium zugeschickten Artikel Bonsels’‘NSDAP und Judentum‘. Darin begrüßte er, dass nun der „überhandnehmende Einfluss jüdischen Wesens“ auch in der Kultur beendet werde.

Bonsels erfuhr im Nationalsozialismus keinerlei Einschränkungen seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Während des Zweiten Weltkriegs war er Herausgeber der kriegspropagandistischen ‘Münchner Feldposthefte‘.
Später sei er in Vergessenheit geraten, dann aber durch die Fernsehserie ‘Die Biene Maja‘ in den 1970er Jahren erneut bekannt geworden.
Das Literaturhaus München führte in Zusammenarbeit mit der Waldemar-Bonsels-Stiftung am 3. und 4. März 2011 die Tagung 100 Jahre ‘Biene Maja – Waldemar Bonsels’ Literatur und ihre Folgen durch. Die Berichterstattung darüber stellte Bonsels’ Antisemitismus und sein Verhältnis zum Dritten Reich in den Vordergrund.

Zitatende - Quellen+ Foto: https://stadtgeschichte-muenchen.de/strassen/d_strasse.php?id=706v

 

 

 

Zitat

  Elly-Ney-Weg

1933 beantragte Elly Ney, die nach ihrer Scheidung staatenlos war, die Wiedereinbürgerung in Deutschland.

Angesichts der Prominenz der Antragstellerin wurde vom zuständigen Beamten die Frage, ob „die Antragstellerin in nationaler Hinsicht als wertvoller Bevölkerungszuwachs anzuerkennen sei“, positiv beantwortet.

Sie sei als Künstlerin im deutschen Sinne tätig gewesen, wenngleich ihre Heirat mit einem Amerikaner an sich gegen eine gute deutsche Gesinnung spräche, so der Beurteiler der Stadt Bonn über deren Ehrenbürgerin.
 

 

Am 20. April 1937 wurde sie von Hitler zur Professorin ernannt, am 1. Mai 1937 trat sie der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 6.088.559). Für ihre Mitarbeit bei den

Olympischen Spielen 1936 verlieh Hitler ihr 1937 eine Erinnerungsmedaille. Ney war Mitglied weiterer nationalsozialistischer Organisationen, unter anderem als Ehrenmitglied im Bund Deutscher Mädel (BDM), und hielt Reden an die Jugend, in denen sie Beethoven und die „nordische Musik“ im Geist des Nationalsozialismus deutete.
 

Im Zweiten Weltkrieg gastierte Elly Ney 1941 auch im Generalgouvernement Polen in Krakau, wo damals die ‘Philharmonie des Generalgouvernements‘ eingerichtet war. Ihre missionarische Musikauffassung bewies sie 1942 in Görlitz, wo sie die zweite Aufführung von Carl Orffs Carmina Burana unter Protest verließ, das Werk als ‘Kulturschande‘ bezeichnete und ein lokales Aufführungsverbot erreichte. Ney spielte im Verlauf des Kriegs zunehmend Konzerte in Lazaretten und Krankenhäusern. 1943 erhielt sie das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse für Truppenbetreuung. 1944, in der Endphase des Krieges, wurde sie von Hitler in die Gottbegnadetenliste der unersetzlichen Künstler aufgenommen.

In der Anfangsphase der Zeit des Nationalsozialismus gab sie zahlreiche kostenfreie Konzerte für Organisationen der NSDAP und beschwerte sich beim Reichspropagandaministerium über zu wenige staatliche Aufträge als Honorarkünstlerin. Später wurde sie offenkundig häufiger bezahlt, denn für 1943 meldete sie ca. 190.000 Reichsmark Einnahmen.

1937 verlegte Elly Ney ihren Wohnsitz in das oberbayerische Tutzing. Von 1939 bis 1945 leitete sie eine Klavierklasse am Salzburger Mozarteum.
Zitatende
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Elly_Ney      Foto: en.wikipedia.org



 

 

 

Zitat

  Emil-Nolde-Straße

Emil Nolde (* 7. August 1867 als Hans Emil Hansen in Nolde bei Buhrkall, Provinz Schleswig-Holstein; † 13. April 1956 in Seebüll) war einer der führenden Maler des Expressionismus. Er ist einer der großen Aquarellisten in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Nolde ist bekannt für seine ausdrucksstarke Farbwahl.
Er ging nach München, wurde allerdings von der Akademie abgelehnt und begann zunächst ein Studium an der privaten Malschule Adolf Hölzels in Dachau, bevor er im Herbst 1899 mit der Malerin Emmi Walther über Amsterdam nach Paris reiste und sich an der Académie Julian anmeldete. 1900 mietete er ein Atelier in Kopenhagen.

Nolde war früh der Überzeugung, die ‘germanische Kunst‘ sei allen anderen weit überlegen. Im August 1934 bezeugte er mit seiner Unterschrift unter den Aufruf der Kulturschaffenden, dass er zu des Führers Gefolgschaft gehörte. Er wurde 1934 Mitglied einer der verschiedenen nationalsozialistischen Parteien in Nordschleswig, der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig (NSAN).
Zitatende
Quellen: https://stadtgeschichte-muenchen.de/strassen/d_strasse.php?id=1184
Foto: kunsthaus-artes.de

 

 

Zitat
  Herbert-Quandt-Straße

Herbert Werner Quandt (* 22. Juni 1910 in Pritzwalk; † 2. Juni 1982 in Kiel) war ein deutscher Industrieller aus der Familie Quandt.

Zwangsarbeiter wurden in vielen der Quandt-Fabriken während des Zweiten Weltkrieges verwendet und die Bedingungen waren äußerst hart. Herbert war der Direktor der Pertrix GmbH, einer in Berlin ansässigen Tochtergesellschaft der AFA.

Das Unternehmen verwendete weibliche Zwangsarbeiter, darunter polnische Frauen, die aus Auschwitz überstellt worden waren. 1940 trat er in die NSDAP ein.
Während der Zeit des Nationalsozialismus war er Vorstandsmitglied der Accumulatoren-Fabrik AG (AFA; seit 1962 VARTA) und an der Seite von Günther Quandt unter anderem Leiter der Personalabteilung. Ein KZ-Außenlager, komplett mit Galgen und einem Ausführungsbereich, wurde auf dem Gelände des AFA-Werks Hannover errichtet.

Nach Einschätzung von Benjamin Ferencz, der bei den Nürnberger Prozessen für die Anklagebehörde arbeitete, wären Herbert Quandt und sein Vater Günther ebenso wie Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, Friedrich Flick und die Verantwortlichen der I.G. Farben als Hauptkriegsverbrecher angeklagt worden, wenn die heute zugänglichen Dokumente den Anklägern damals vorgelegen hätten.

Die entscheidenden Dokumente zu ihrem Wirken im Dritten Reich lagen den Behörden in der britischen Besatzungszone vor. Die Briten hielten das Material zurück, weil sie erkannt hatten, welche Bedeutung die Batterieproduktion der AFA auch nach dem Krieg hatte, und die Eigentümer deswegen schonen wollten.

Zitatende

Quellen: https://www.google.com/search?q=Herbert-Quandt-Stra%C3%9Fe+m%C3%BCnchen&source=lmns&bih=615&biw=1024&client=firefox-b&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwiw_frpxtb0AhUl1eAKHXtdCuQQ_AUoAHoECAEQAA
Foto: welt.de

 

 

Zitat

  Ina-Seidel-Bogen

Ina Seidel (* 15. September 1885 in Halle; † 3. Oktober 1974 in Ebenhausen bei München) war eine deutsche Lyrikerin und Romanautorin.

Ein halbes Jahr nach Ina Seidels Geburt zogen die Eltern mit ihr nach Braunschweig, wo sie ihre Kindheit verbrachte.

 

Ihr Vater Hermann Seidel, ein Bruder des Schriftstellers Heinrich Seidel, leitete als Arzt das Herzogliche Krankenhaus.

Aufgrund von Kollegenintrigen beging er 1895 Suizid. Die Mutter siedelte danach mit den Kindern nach Marburg und später nach München über.


Seidel identifizierte sich bald wie Börries von Münchhausen mit der Ideologie des Nationalsozialismus. Im Oktober 1933 gehörte sie zu jenen 88 Schriftstellern, die das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler unterschrieben.

1932 heiratete ihre Tochter Heilwig den Buchwissenschaftler Ernst Schulte-Strathaus, der von 1934 bis zu seiner Verhaftung durch die Gestapo 1941 in der NSDAP-Zentrale ‘Braunes Haus‘ beschäftigt war. Dort hatte er im Stab von Rudolf Heß als Amtsleiter für Kunst- und Kulturfragen fungiert.

Am Führerkult um Adolf Hitler beteiligte sie sich mit ihrem Gedicht ‘Lichtdom‘, das in den Zeilen gipfelt: „Hier stehn wir alle einig um den Einen, und dieser Eine ist des Volkes Herz“.

In der Endphase des Zweiten Weltkriegs nahm Hitler 1944 Seidel in die Gottbegnadeten-Liste (Sonderliste) unter die sechs wichtigsten zeitgenössischen deutschen Schriftsteller auf.

Werner Bergengruen (1892–1964) nannte Seidel wegen ihrer häufigen Hitlerhuldigungen in seinen Aufzeichnungen in Anspielung auf ihren Bestseller ‘Das Wunschkind‘ das „Glückwunschkind“.


Zitatende
Quellen: https://stadtgeschichte-muenchen.de/strassen/d_strasse.php?id=2369
Foto: discogs.com

 

 

Zitat

  Ludwig-Thoma-Straße

Ludwig Thoma (* 21. Januar 1867 in Oberammergau; † 26. August 1921 in Tegernsee) war ein deutscher Schriftsteller, der durch seine ebenso realistischen wie satirischen Schilderungen des bayerischen Alltags und der politischen Geschehnisse seiner Zeit populär wurde.

Seine Büste steht in der Ruhmeshalle in München

Für den Miesbacher Anzeiger verfasste er in den letzten 14 Monaten seines Lebens 175 größtenteils (bis auf fünf Fälle) anonyme und meist antisemitische Hetzartikel, vor allem gegen die Regierung in Berlin und die Sozialdemokratie.

Aber auch über das jüdische Bürgertum schrieb er beispielsweise: „Teiteles Cohn und Isidor Veigelduft, die dürfen im Sommer nach wie vor ihre verschnörkelten Haxen in die Lederbuxen stellen, am Arm ihre Rebekka im Dirndlg’wand, nach Veilchen und Knoblauch duftend.“

Er bezeichnete die Reichshauptstadt Berlin als „Entenpfuhl“ und eine „Mischung von galizischem Judennest und New Yorker Verbrecher-Viertel“, beschrieb in völkischem Vokabular eine „tiefgewurzelte, in der Rasse begründete, … Eigenart“ und beschimpfte die Weimarer Republik als „charakterlose Deppokratie“.

Er nannte deren Vertreter „dieses traurige Saupack aus Tarnopol und Jaroslau“ und hob hervor, dass „wir außer dem Itzig von der Promenadenstraße noch etliche vom Stamme Levi abgeschossen haben …“ (in der Promenadenstraße wurde der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner erschossen).
Und den jüdischen Verleger Rudolf Mosse beschimpfte Thoma mit den Worten „Lausejunge mit dem Krauselhaar und deinen geschneckelten Fortbewegungsscheren“.

Die Stadt München hat zu seinen Ehren ab 1967 jährlich eine Ludwig-Thoma-Medaille verliehen, die Verleihung jedoch 1990 nach Bekanntwerden seiner nationalkonservativen Haltung, der antisemitischen Parolen und antisozialistischen Polemik eingestellt.
Zitatende

Quelle: https://stadtgeschichte-muenchen.de/strassen/d_strasse.php?id=3277 - Foto: welt.de

 

 

Zitat
  Lüderitzstraße

Franz Adolf Eduard Lüderitz (1834 – 1886)

Der Überseekaufmann und Forschungsreisende
erwarb 1883 die dann nach ihm benannte
Bucht von Angra Pequena in Südwestafrika
und begründete damit die Kolonie Deutsch-Südwestafrika.

In der Lüderitzbucht befand
sich nach 1904 ein Internierungslager für gefangene Herero und Nama mit
unmenschlichen Haftbedingungen.

Zitatende




Quelle: https://stadtgeschichte-muenchen.de/strassen/d_strasse_bild.php?bild=Luederitz_Adolf.jpg

Foto:
stadtgeschichte-muenchen.de

 

 

 

Zitat

  Martin-Heidegger-Straße

Martin Heidegger (* 26. September 1889 in Meßkirch; † 26. Mai 1976 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Philosoph.

Er stand in der Tradition der Phänomenologie vornehmlich Edmund Husserls, der Lebensphilosophie insbesondere Wilhelm Diltheys sowie der Existenzdeutung Søren Kierkegaards, die er in einer neuen Ontologie überwinden wollte.

Die wichtigsten Ziele Heideggers waren die Kritik der abendländischen Philosophie und die denkerische Grundlegung für ein neues Weltverständnis.

Das Verhältnis des deutschen Philosophen Martin Heidegger zum Nationalsozialismus (auch: Fall Heidegger) ist mit dem Beginn der 1930er Jahre nachweisbar und wurde bereits Mitte 1933 auch außerhalb der wissenschaftlichen Disziplinen zum Gegenstand der internationalen Kritik.

In der Forschung herrscht Einigkeit darüber, dass sich Heidegger im ‘Dritten Reich‘ mit Begeisterung für das engagierte, was er die ‘nationalsozialistische Revolution‘ nannte. 1930 begann er, den Völkischen Beobachter zu lesen. 1932 wählte er die NSDAP. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wollte er an der Umgestaltung der Gesellschaft mitwirken, besonders durch die Einführung des Führerprinzips an den Universitäten. Am 21. April 1933 wurde er von seinen Kollegen zum Rektor der Universität Freiburg gewählt und trat am 1. Mai 1933 der NSDAP bei, die seinen Beitritt öffentlich feierte und der er bis zum Ende der NS-Herrschaft angehörte.
Bei allen Bekenntnissen Heideggers zum Nationalsozialismus war sein Verhalten ambivalent. So bemühte er sich als Rektor in mehreren Fällen, das Schicksal jüdischer Hochschulangehöriger im Rahmen des Möglichen zu lindern. Andererseits denunzierte er einen jüdischen und einen nicht-jüdischen Kollegen. In politischen Reden, viele davon vor Studenten gehalten, huldigte er Adolf Hitler, der für ihn damals nahezu messianische Züge bekam.
Zitatende
Quelle: https://stadtgeschichte-muenchen.de/strassen/d_strasse_bild.php?bild=Heidegger_Martin.jpg - Foto: de.wikipedia.org

 

 

Zitat
 

 

Messerschmittstraße

Wilhelm Willy Emil Messerschmitt (* 26. Juni 1898 in Frankfurt am Main; † 15. September 1978 in München) war ein deutscher Flugzeugkonstrukteur und Unternehmer. Er gilt als ein Pionier der Luftfahrt.

Willy Messerschmitt wurde als Sohn von Baptist Ferdinand Messerschmitt und seiner zweiten Ehefrau Anna Maria, geb. Schaller, geboren.

Er wuchs ab 1906 in Bamberg auf, wo seine Eltern eine große Weinhandlung mit Weinstube betrieben.

Bereits mit zehn Jahren baute er Flugzeugmodelle und später, noch als Schüler, Gleitflugzeuge, die er mit Freunden selber ausprobierte. Als 13-jähriger Schüler lernte er den Segelflugpionier und Regierungsbaumeister Friedrich Harth (1880–1936) kennen, der seinen Lebensweg entscheidend beeinflussen sollte.

Während der Zeit des Nationalsozialismus avancierte Messerschmitt, der 1933 der NSDAP beigetreten war, zum Wehrwirtschaftsführer. 1938 wurde Messerschmitt neben Ferdinand Porsche und Fritz Todt mit dem 1937 von Adolf Hitler neu gestifteten Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet, den er sich mit Ernst Heinkel zur Hälfte (50.000 Reichsmark) teilte. 1939 wurde sein Unternehmen als ‘Nationalsozialistischer Musterbetrieb‘ ausgezeichnet. 1941 erhielt er den Titel ‘Pionier der Arbeit‘, und wurde zum Vizepräsidenten der Deutschen Akademie für Luftfahrtforschung ernannt.

Zur Steigerung der Produktionskapazitäten wurde am 24. Juli 1936 in Regensburg die Tochtergesellschaft Bayerische Flugzeugwerke Regensburg GmbH gegründet. Diese Firmenbezeichnung änderte man am 13. November 1940 in Messerschmitt GmbH Regensburg. 1937 wurde Messerschmitt zum Professor berufen.

Während der nationalsozialistischen Herrschaft wurde er mit der Entwicklung und Produktion von ein- und zweimotorigen Jagdflugzeugen beauftragt. Besonderer Wert wurde auf die stetige Anpassung und Vereinheitlichung der Bf 109 gelegt, um diese auf dem aktuellen Stand der Luftkriegsentwicklung zu halten. Dennoch entstanden bei Messerschmitt zahlreiche Prototypen wie Bf 161, Bf 162, Bf 163, Me 209 V5, Me 309, Me 261, Me 264 und Me 328, die nie Serienreife erreichten. Zwar wurde die Me321/323 in kleineren Mengen gefertigt, aber erst die Me 410 und die Me 262, das erste serienproduzierte Flugzeug mit Turbinen-Luftstrahltriebwerk, gingen wieder in Großserie.
Zitatende
Quellen: https://stadtgeschichte-muenchen.de/strassen/d_strasse.php?id=3513
Foto:
Bildrechte: Bundesarchiv, Bild 146-1969-169-19

 

 

Zitat

  Mottlstraße

Felix Josef von Mottl (* 24. August 1856 in Unter Sankt Veit bei Wien; † 2. Juli 1911 in München) war ein österreichischer Dirigent und Komponist.
Von 1880 bis 1903 war er schließlich Hofkapellmeister der Großherzoglich Badischen Hofkapelle Karlsruhe.
Seit 1886 dirigierte er regelmäßig in Bayreuth, (so die Premiere von Tristan und Isolde sowie die weiteren fünf Aufführungen dieser Oper in Bayreuth bis 1906): in elf Festspielperioden zwischen 1886 und 1906 leitete er insgesamt 69 Aufführungen, außerdem war er Lehrer des Wagnersohns Siegfried Wagner.

Von 1898 bis 1900 leitete er die englischen Aufführungen der Opern Wagners im Londoner Royal Opera House Covent Garden.

Im Jahr 1903 bereitete er an der Metropolitan Opera in New York die US-amerikanische Erstaufführung des Parsifal vor, trat von der Leitung aber im letzten Augenblick zurück.

In der Spielzeit 1903/04 leitete er an der Metropolitan Opera 62 Aufführungen und Konzerte.

Ebenfalls 1903 ging er an die Hofoper nach München, zunächst als 1. Kapellmeister, und ab 1907 bis zu seinem Tod als Generalmusikdirektor.

Zudem war er von 1904 bis 1911 Direktor der Königlichen Akademie der Tonkunst in München. Mottl komponierte auch selbst einige Opern sowie zahlreiche Lieder und Instrumentalwerke.

1907 nahm er einige Klavierrollen für ‘Welte-Mignon‘ auf, darunter seine eigenen Transkriptionen für Klavier aus Wagners Oper Tristan und Isolde.

Im Einklang mit Cosima Wagner setzte sich Felix Mottl dafür ein, bei den Bayreuther Festspielen jüdische Sänger und Musiker nach Möglichkeit von der aktiven Mitwirkung auszuschließen.

Zitatende Quellen: https://stadtgeschichte-muenchen.de/strassen/d_strasse.php?id=3604
Foto: de.wikipedia.org

 

 

Zitat

  Nettelbeckstraße

Joachim Christian Nettelbeck (* 20. September 1738 in Kolberg; † 29. Januar 1824 ebenda) war ein durch seine Rolle bei der Verteidigung Kolbergs im Jahre 1807 und seine Autobiografie bekannter deutscher Volksheld.

In der Auseinandersetzung um die preußischen Reformen, besonders um das nicht eingehaltene Verfassungsversprechen, galt Nettelbeck infolge seiner Lebensgeschichte zunächst als Kronzeuge für das Recht der Bürger an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten.

Er wurde als literarische Figur Held einer Unzahl von patriotischen Werken. In einer groß angelegten Veröffentlichung im Vormärz und während der Revolution von 1848 erschien er neben Friedrich Ludwig Weidig, Benjamin Franklin und Thaddäus Kosciuszko als Mann des Volks.
Im weiteren 19. Jahrhundert wurde Nettelbecks Leben als Seemann angesichts der angestrebten deutschen Seegeltung zum Vorbild für die zur Seefahrt drängende Jugend. Weil er autobiografisch von seiner dreimal gescheiterten Idee, nach dem Vorbild des Großen Kurfürsten Kolonien zu erwerben, berichtet hatte, zählte Nettelbeck obendrein als früher Anwalt deutscher Kolonialbestrebungen.
Im Jahre 1868 feierte Paul Heyses Nationaldrama ‘Colberg‘ die Einheit von Bürgern und Armee als ein Volk in Waffen, mit Nettelbeck in einer tragenden Rolle. Nachdem es jahrzehntelang wegen demokratischer Tendenzen auf staatlichen Bühnen nicht aufgeführt werden durfte, wurde es um die Wende zum 20. Jahrhundert in Preußen Schulstoff.
Zitatende
Quellen: https://stadtgeschichte-muenchen.de/strassen/d_strasse.php?id=3665
Foto: de.wikipedia.org

 

 

Zitat
  Pfitznerstraße

Hans Erich Pfitzner (* 5. Mai 1869 in Moskau;
† 22. Mai 1949 in Salzburg) war ein deutscher Komponist, Dirigent und Autor theoretischer und politischer Schriften, oft mit dezidiert antisemitischer Zielrichtung.

Pfitzners Werk vereint romantische und spätromantische Elemente mit ausgedehnter thematischer Arbeit, stimmungsstarker Musikdramatik und kammermusikalischer Intimität.

Sie stellt einen eigenartigen Ausläufer der klassisch-romantischen Tradition dar, deren konservative Musikästhetik und Allgemeingültigkeit Pfitzner auch in seinen Schriften gegen zeitgenössische Richtungen vehement verteidigte.

Die Werke des inspirationsgläubigen Spät-, ja Postromantikers zeigen große kompositorische Qualitäten und stehen mit manchen grüblerischen Sperrigkeiten einer modernen Tonsprache vielleicht sogar noch näher als von ihrem Schöpfer, nach seinen musikästhetischen Äußerungen zu urteilen, beabsichtigt.

Pfitzners Werk wurde von zeitgenössischen Kollegen wie Gustav Mahler und Richard Strauss hoch geschätzt. So wurde sein zweites Streichquartett von 1902/03 von Mahler ausdrücklich als Meisterwerk gelobt. Thomas Mann würdigte die Oper ‘Palestrina‘ in einem kurzen, im Oktober 1917 erschienenen Essay, den er später erweiterte und in seine ‘Betrachtungen eines Unpolitischen‘ aufnahm. Er gründete gemeinsam mit anderen Künstlern 1918 den Hans-Pfitzner-Verein für deutsche Tonkunst. Pfitzner galt im Jahrzehnt nach der Uraufführung seiner Oper ‘Palestrina‘ im Jahr 1917 als der führende Vertreter eines betont deutschen und entschieden antimodernistischen Musikbegriffs. So konstatierte sogar der zwei Jahre zuvor von Pfitzner in seiner Schrift ‘Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz‘: Ein Verwesungssymptom? scharf angegriffene Paul Bekker 1922 einen deutlichen Anstieg der künstlerischen Geltung Pfitzners bei einem gleichzeitigen Abstieg der bisherigen Galionsfigur der deutschen Musik, Richard Strauss.

Zitatende
Quellen: https://stadtgeschichte-muenchen.de/strassen/d_strasse.php?id=4028
Foto: de.wikipedia.org

 

 

Zitat

  Richard-Wagner-Straße

Wilhelm Richard Wagner (* 22. Mai 1813 in Leipzig;
† 13. Februar 1883 in Venedig) war ein deutscher Komponist, Dramatiker, Dichter, Schriftsteller, Theaterregisseur und Dirigent. Mit seinen Musikdramen gilt er als einer der bedeutendsten Erneuerer der europäischen Musik im 19. Jahrhundert.

Er veränderte die Ausdrucksfähigkeit romantischer Musik und die theoretischen und praktischen Grundlagen der Oper, indem er dramatische Handlungen als Gesamtkunstwerk gestaltete und dazu die Libretti, Musik und Regieanweisungen schrieb.

Er gründete die ausschließlich der Aufführung eigener Werke gewidmeten Festspiele in dem von ihm geplanten Bayreuther Festspielhaus. Seine Neuerungen in der Harmonik beeinflussten die Entwicklung der Musik bis in die Moderne. Mit seiner Schrift ‘Das Judenthum in der Musik‘ gehört er geistesgeschichtlich zu den obsessiven Verfechtern des Antisemitismus.
 

Wagners Werke sind ein Höhepunkt der romantischen Musik und beeinflussten viele Zeitgenossen und spätere Komponisten erheblich. Vor allem der Tristan brachte die Musiksprache des 19. Jahrhunderts weit voran und gilt vielen als Ausgangspunkt der Modernen Musik.

Das betrifft vor allem die Harmonik. Mit dem Tristan, dessen erster Akt 1857 komponiert wurde, führte Wagner sie weit über den Stand hinaus, auf dem Brahms noch 1892 in seinen späten Klavierstücken op. 117 bis 119 blieb. Sie ist das Gebiet, auf dem Wagners Fantasie sich entfaltet, einen charakteristischen Personalstil entwickelt und durch die jeweilige dramatische Situation des Geschehens in Grenzen gehalten wird, sich also nicht im Unendlichen verliert. Wagners Einfluss auf die Musikgeschichte zeigt sich zum Beispiel darin, dass mehr als 100 Jahre nach der Komposition des Werkes die komplexen harmonischen Verläufe des Tristan-Akkords analysiert und unterschiedlich interpretiert wurden und von der Krise der modernen Harmonielehre die Rede war.
Zitatende
Quelle: https://stadtgeschichte-muenchen.de/strassen/d_strasse.php?id=4402
Foto: de.wikipedia.org

 

 

Zitat
 

  Richard-Strauss-Straße

Richard Georg Strauss (* 11. Juni 1864 in München; † 8. September 1949 in Garmisch-Partenkirchen) war ein bekannter Komponist des späten 19. Jahrhunderts und am Anfang des 20. Jahrhunderts, der vor allem für seine orchestralen Tondichtungen und Opern bekannt wurde. Strauss war außerdem Dirigent und Theaterleiter. Seine politische Betätigung bis 1945 war dem Nationalsozialismus zuzuordnen.

Er gilt als der letzte deutsche Romantiker der Musik: Richard Strauss fasziniert mit seinen brillant instrumentierten Werken wie kaum ein anderer Komponist des frühen 20. Jahrhunderts.

Der Münchner Richard Strauss war ein selbstbewusster Mensch. Schon der junge Kapellmeister, der sich über die Hoftheater in Meiningen, München und Weimar bis zu den Spitzenposten in Berlin und Wien hocharbeitete, wusste um seine wahre Mission als Komponist: nämlich die Vollendung der großen deutschen Musikgeschichte seit Johann Sebastian Bach. Der erste Schritt auf diesem Weg waren Tondichtungen wie "Also sprach Zarathustra", der zweite die Opern – mit ihnen wurde Strauss der meistaufgeführte deutsche Komponist des 20. Jahrhunderts. Um seinen musikhistorischen Ruhm (und seine Einnahmen) zu sichern, nahm er freilich kaum politische Rücksichten.
 

 Zur Weimarer Republik hatte er ein gespaltenes Verhältnis, das Hitler-Regime begrüßte er überschwänglich und deckte als Präsident der Reichsmusikkammer das Berufsverbot für jüdische Musiker. So war Strauss Genie und Opportunist zugleich, der erst seit wenigen Jahrzehnten differenzierter gewürdigt wird.
Zitatende
Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/denkmal-richard-strauss-glanz-und-elend-eines-egomanen-100.html

Schon 1928 war Richard Strauss der Meinung, eine Diktatur sei notwendig in Deutschland. Als diese dann Realität wurde, stellte er sich und unterzeichnete 1933 das Schmähpapier gegen Thomas Mann, der sich über den Dichter-Komponisten mit 'Leiden und Größe Richard Wagners' geäußert hatte und unmittelbar nach dem Vortrag in Amsterdam emigrierte.

Im November 1933 wurde im Beisein von Hitler und Goebbels die Reichskulturkammer eröffnet.
Strauss selber ernannte man zum Präsidenten der Reichsmusikkammer, die dann Berufsverbote gegen Kollegen-Musiker erließ.
Er dankte Hitler und Goebbels für die Einrichtung der RMK und er sah es so, dass er nur “den Präsidenten mime“, um “Gutes zu tun und größeres Unglück zu verhüten.“
Diese Äußerungen gegenüber Stefan Zweig kamen der Gestapo zur Kenntnis und er wurde 1935 des Amtes
als 'Rücktritt' vertuscht - enthoben.
Goebbels fand: “Komponieren kann der Junge!“

1938 dirigierte er seine 'Arabella' in Düsseldorf, die Handschrift der Oper hatte er Emmy Sonnemann und dem Gatten Hermann Göring anlässlich deren Vermählung vermacht.

1943 widmete er dem Generalgouverneur von Polen, Hans Frank, der unter dem Begriff 'Polenschlächter' bekannt war, ein Gedicht mit folgenden Worten:

Zitat

'Wer tritt herein so fesch und schlank,
Es ist der Freund Minister Frank,
wie Lohengrin von Gott gesandt,
hat Unheil er von uns gewandt.
Drum ruf ich Lob und tausend Dank
dem lieben Freund Minister Frank.'
Zitatende
(Zitiert nach Prieberg in Ernst Klee - ‘Kulturlexikon zum Dritten Reich‘ – Fischer Verlag – 2009 – S. 538)

Zu Klaus Mann meinte Richard Strauß 1945, außer wegen ein paar dummen Zwischenfällen, habe er nicht zu klagen gehabt.

Quellen:
https://stadtgeschichte-muenchen.de/strassen/d_strasse.php?id=4400v / wikipedia
Foto: de.wikipedia.org

 

 

Zitat

  Werner-Egk-Bogen

Werner Egk (* 17. Mai 1901 in Auchsesheim, heute zu Donauwörth; † 10. Juli 1983 in Inning am Ammersee; eigentlich Werner Joseph Mayer) war ein deutscher Komponist.
Das ursprüngliche Pseudonym Egk ist ein Akronym von „Ein guter Komponist“ bzw. „Ein großer Künstler“ – andere Anekdoten behaupten, es sei ein Anagramm der Initialen seiner Frau, der Geigerin Elisabeth Karl. Egk verwendete es seit der Heirat 1923. 1937 wurde es sein amtlicher Familienname.

Egk ist ein Vertreter des deutschen Neoklassizismus und des modernen Musiktheaters und wird gelegentlich als Komponist des Wiederaufbaus apostrophiert.
War er nun ‘Nutznießer‘ oder nur ‘Mitläufer‘?
Dass Werner Egk gute Kontakte zum NS-Regime hatte und in dieser Zeit als Komponist erfolgreich war, weiß man natürlich. Aber allein das könne ihm nicht ang
ekreidet werden, sagt z.B. der Donauwörther Stadtarchivar.
Weil er nicht ins Exil wollte, wie zum Beispiel Bert Brecht, musste er halt schauen, wie er durchkommt. Und da war er nicht der Ungeschickteste, so Stadtarchivar Ottmar Seufert.

 


Als ‘Nutznießer‘ des Dritten Reiches sieht Seufert den Komponisten. Er hat sich für ein Symposium zum 100. Todestag von Egk mit den Akten der Reichskulturkammer auseinandergesetzt. Seine Werke wurden zwar im ‘Dritten Reich‘ aufgeführt und auch neue Werke sind in dieser Zeit entstanden - aber genau das gleiche gelte auch für den Komponisten Carl Orff. Es gibt viele vergleichbare Fälle, so die Ansicht des Historikers. Auch dass Egks Autobiografie Lücken aufweist, sei üblich. Und dass er sich darum bemüht hat, dass sein Sohn nicht an die Front musste, findet der Stadtarchivar verständlich. Ihm sind bei der Recherche in den Entnazifizierungsakten viel drastischere Fälle aufgefallen. Der Komponist wird in diesen Akten lediglich als ‘Mitläufer‘ eingestuft.

Zitatende
Quellen:
https://stadtgeschichte-muenchen.de/strassen/d_strasse.php?id=5642
https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/werner-egk-donauwoerth-ulm-nationalsozialismus-vergangenheit-debatte100.html - Foto: de.wikipedia.org

 

Korrespondenz

 

 

Zitat
                                                                                  
Kulturjournal.de
                                                                                                                             
 


Abs. Kulturjournal – Postfach 110 236 – 93047 Regensburg   

Frau
Christiane Hein
c/o Nds. Staatsoper Hannover GmbH                        17.12.2021
Opernplatz 1
30159 Hannover

Betrifft: Prem.- Abo Nr. 289 339

Sehr geehrte Frau Hein,

zum heutigen Mail-/Telkontakt möchte ich darauf hinweisen, dass wir
äußerst verärgert über die Geschäftsführung der Nds. Staatstheater
Hannover GmbH u.a. wegen – vornehm ausgedrückt – ‘verunglückter‘
Produktionen wie z. B. ‘Krug‘, ‘Karlos‘, ‘Jüdin‘, ‘Tosca‘‚ ‘Cosi‘ und jetzt
‘Otello‘ sind.

Hinzu kommt:
Was für ein zeitlicher Aufwand allein für einen aus der Stadt oder der
Region anreisenden – geschweige denn für einen auswärtigen –
Besucher für Fahrt, Parkplatzsuche und wieder Heimfahrt für einen
auf 1 Stunde 5 Minuten gekürzten ‘Woyzeck‘, einen auf 1 Stunde
15 Minuten gekürzten ‘Krug‘, einen auf 1 Stunde 15 Minuten gekürzten
‘Hänsel‘.
Ein falscher Titel bei ‘Der eingebildet(e) Kranke‘ ergänzt das Bild.

Der lebhafte Schriftverkehr, den Sie gerade in diesen Tagen mit xxx
und Dr. yyy führen, dokumentiert unsere Meinung.

Im Nachgang zu unserem Schreiben vom 2.12.21 und im Vorgriff auf
die Veröffentlichung des Textes in der Ausgabe Nr. 40 der ‘Mitteilung
an meine Freunde‘, erhalten Sie als Anlage unsere Bemerkungen zur
szenischen Umsetzung der Oper ‘Otello‘ durch die Nds. Staatsoper
Hannover GmbH.

Außerdem beigefügt eine durch uns entstandene Ausarbeitung zur Lage
der ‘Bayreuther Festspiele‘ von unserem BI-Mitglied Heribert Bludau, das
u.a. an verschiedenste Institutionen wie Bühnenverein, Rechnungshöfe
und Kulturstaatsministerin Roth verschickt wurde.

Dass am Staatstheater Hannover aktuell Schwierigkeiten bestehen,
hängt auch damit zusammen, dass es kein adäquates Ensemble mehr
gibt und dadurch von Stückevielfalt bei der Gestaltung des Spielplanes
unter Nutzung aller Kalendertage eines Monats – unabhängig von der
Corona-Lage - keine Rede sein kann.

Innerhalb von 14 aufeinander folgenden Kalendertagen waren 11 ver-
schiedene Werke – und dann nicht das überall und zu jeder Zeit‘ ge-
spielte ‘Märchen im Grand Hotel‘ oder jetzt ‘Sweeney Todd‘ oder
‘Poetry Slam‘ – im Großen Haus der Staatsoper Hannover die Regel.

Es fehlt völlig – unter Außerachtlassung des Bildungsauftrages, zu La-
sten des Steuerzahlers – die klassische Operette und die deutsche
Spieloper.

Das den Häusern Staatsoper wie Staatsschauspiel Hannover entwöhnte
Publikum werden Sie mit diesen Spielplänen ohne stehendem Ensemble,
zu dem die Bevölkerung langfristig eine Beziehung aufnehmen und pfle-
gen kann, nach der Pandemie nicht zurückgewinnen.

Für das Jahr 2022 senden wir Ihnen die besten Wünsche.

Mit freundlichem Gruß
Dieter Hansing

Anlagen im Text erwähnt
Zitatende

 



Kommentar

Am 4. Januar 2022 berichtete Ronald Meier-Arlt auf Seite 23 in



unter dem Titel ‘Theater, das entfällt‘ über die Streichungen von Vorstellungen am Staatstheater Hannover. Das neue Jahr begänne nicht gut,
Zitat
… denn erstaunlich oft bleiben die Zuschauer weg. Immer wieder finden sich der Eintrag „entfällt“ auf dem Spielplan.
„Öl der Erde“ im Schauspielhaus am 2. Januar „entfällt“,
„Woyzeck“ am 5. Januar „entfällt“,
„Mythos Wirklichkeit“ am 6. Januar „entfällt“,
„Der eingebildete Kranke“ am 7. Januar „entfällt“.

Und auch in der Oper fallen Vorstellungen aus,
„Carmen“ am 7. Januar „entfällt“,
„Sweeney Todd am 8. Januar entfällt.
Zitatende

Hierzu ein Leser

 

 

Zitat
aufgrund der heutigen Zeitungsmeldung, auf die ich mich in meiner voraus gegangenen Mail bezogen habe, habe ich mir eben einmal die Spielpläne der anderen beiden Staatstheater in Niedersachsen angesehen. Das Ergebnis dieser Betrachtung wundert mich nicht.
 
In Braunschweig werden im Januar das Große und das sog. Kleine Haus (Schauspiel) durchgängig bespielt, es gibt keine Ausfälle wegen ausbleibender Zuschauer. Es gibt am 9.01. sogar ein Konzertgastspiel in Wolfsburg (neben anderen Gastspielen sowie Schulveranstaltungen). Für einige Vorstellungen gibt es nur noch "Restkarten", andere Vorstellungen sind bereits sogar ausverkauft. Der Dezemberspielplan, den man noch einsehen kann, zeigt dasselbe Bild, wenn nicht sogar eindrucksvoller: An den meisten Spieltagen zweimal täglich Weihnachtsmärchen oder Märchen plus Abendvorstellung oder ein Konzert. Auch das Kleine Haus wurde durchgängig bespielt.
 
In Oldenburg ein ähnliches Bild wie in BS: Keine Vorstellungsausfälle im Januar wegen ausbleibender Zuschauer. Es gibt sogar ausverkaufte Vorstellungen (z.B. am 9.01. im Großen Haus) sowie eine Wiederaufnahme. 
Auch die anderen Spielstätten werden dicht bespielt, nebenbei gibt es auch noch Schulveranstaltungen.
 
FAZIT: An Corona allein kann es wohl nicht liegen, dass dem Staatstheater Hannover die Zuschauer wegbleiben. Ich kenne jedoch eine ganze Menge Menschen in meinem Umfeld, die bislang mehr oder weniger engagierte Theatergänger waren, sich jedoch seit einiger Zeit immer mehr angewidert von Hannover abwenden und sich dank der gestiegenen Mobilität immer mehr anderen Theatern zuwenden. Ich glaube, der oben dargestellte Sachverhalt
müsste der Öffentlichkeit auch einmal vermittelt werden. Die Geschäftsführung der Staatstheater Hannover führt doch alle an der Nase herum.
Zitatende

Leserbrief
 

 

 

Zitat

Sehr verehrte Frau Professor Gilles,

vor wenigen Tagen erhielt ich Ihre "Mitteilungen ...", ich danke Ihnen sehr.

 

Es ist bedrückend, immer wieder empörende Geschichten lesen zu müssen. Das "Weinen" der Staatstheater Hannover bei 70 Mio. aus der Steuerkasse ist nicht erträglich.

Das eigentliche Problem ist ein anderes, wird aber nie erwähnt. Die Leute gehen nicht mehr in das Opernhaus Hannover, mich eingeschlossen, weil sie für den widerwärtigen, entstellten Mist Entschuldigung auf der Bühne kein Geld mehr ausgeben.

Musik ist Nebensache geworden, bei der Ouvertüre schon irgendein Blödsinn auf der Bühne. Im Vordergrund nur noch ablenkend und irritierend die kranken, teilweise sogar kriminellen oder ekelhaften Gedankenumsetzungen der Nicht-Regisseure, mit häufig belästigender Lichttechnik.

Beendigung der Beschäftigungen der unerträglichen Regisseure, Beendigung der monströsen Bühnenaufbauten.

Was verdient denn ein sogen. Regisseur, wenn er wieder eine große Oper vernichtet hat?

Ende Sept. ds. Js. erlebten wir dagegen ein OPERNFEST im Festspielhaus Neuschwanstein, von dem ich immer noch zehre, mit entsprechendem Publikum.

TRISTAN und ISOLDE, Regie HERBERT ADLER, Bühnenbild und Kostüme Dietmar und Johanna SOLT.

Die betörende TRISTAN-Musik konnte man bei dieser gelungenen feinfühligen Regie des Herrn ADLER wunderbar genießen.

Vielleicht waren Sie auch dort, sicher kennen Sie die Rezension. Ich füge sie trotzdem bei.

Wäre es ein Gegenprogramm zu allen negativen Ereignissen, über dieses OPERNFEST in -den "Mitteilungen ..." einmal zu berichten?

Die Vorschau "Große Opern von Richard Wagner im Festspielhaus Neuschwanstein, 28.9.2022 - 3.10.20222 soll mit dem endgültigen Programm am 22.11.2021 herauskommen.

Herzliche Grüße TB, Hannover


PS.: Wie man z. B. TANNHÄUSER großartig aufführen kann, ohne monströse Bühnenaufbauten, Lichttechnik und ohne ablenkenden Video-Unsinn, beweisen die Aufführungen im SÄNGERSAAL auf der WARTBURG.

Ausverkauft? Immer!!!

 

Zitatende

Leserbrief

 

 

 

Zitat

Hallo liebe Opernfreunde, ich glaube, Sie beide gehen davon aus, dass es mich überhaupt nicht mehr gibt. Das entspricht aber nicht den Tatsachen. Hatte ja auch noch nicht meinen "Senf" zum Otello abgegeben. Musikalisch hatte es mir gut gefallen, mit der Neudeutung des Librettos bin ich natürlich überhaupt nicht einverstanden. Vor allen erinnerte ich mich an ältere Inszenierungen dieser wunderschönen Oper und wusste überhaupt nicht, dass Otello 2 Akte im Bademantel herumlaufen musste. Und dass Otello und Desdemona 2 Kinder haben, war mir auch neu. So weit sind wir schon gekommen. Weder der Gesang noch der Dirigent, nur der Regisseur sind wichtig.

Und dann gab es ja noch die nächste Krönung in Berlin in der DOB. Der Schiesser-Feinripp-Ring. Inzwischen nun alle 4 Teile gesehen und abgehakt.
Vor allen Dingen mussten sich die Darsteller oft bis auf die Unterwäsche ausziehen, nicht immer eine Erbauung, vor allen Dingen nicht bei dem überaus korpulenten Siegfried, der sich auch seines Kostüms entledigte und in Schiesser-Feinripp dastand.
Das Fett hatte überhaupt keinen Platz, quoll überall heraus, ich konnte gar nicht hinschauen.

Wie gut, dass man die Coronamaske auch über die Augen ziehen konnte. Die Meinung der Zuhörer war zwiespältig, es gab auch einige, die das alles ganz toll fanden, aber die meisten waren meiner Meinung.

Schlimm fand ich auch die Idee im letzten Bild des Siegfrieds. Er erweckt Brünnhilde, weiß nicht so recht, was man in dieser Situation so anstellen muss, kann und soll. Wie gut, dass er Hilfe bekam. Viele Paare, alle natürlich wieder in Schiesser Feinripp und BHs tanzten und agierten im Kreis um das Paar und zeigten, was zu tun sei. Männliche Paare, weibliche Paare und gemischte Paare, die gab es doch auch noch. Für mich ist dieser Ring jedenfalls abgehakt.

Hier in Hannover gibt es ja auch diese unleidliche Diskussion über das subventionierte Theater heute oder gestern: Überall wo die Politik agiert, tauchen diese Produzenten auf und haben es geschafft, dass in Hannover mittlerweile jährlich 70 Millionen Euro in Theater und Opernhaus gesteckt werden.

Dafür wird dann das Publikum mit völlig verhunzten Inszenierungen vorgeführt. Der Leser meint, diese Subventionen sofort zu beenden. Dann muss das Publikum den realen Preis für die Theaterkarte bezahlen. Er ist sicher, dass dann die absurden Inszenierungen sofort abgesetzt werden. (Habe den Artikel aufgehoben). So, das musste ich mir mal von der Seele reden.
RR

Zitatende

Leserbrief
 

 

 

Zitat
Liebe Mitglieder,

endlich beginnt landauf, landab wieder die Kulturszene! Wollen wir mal hoffen, dass der Zugang zu den Theatern offenbleibt und nicht mit zu vielen Hindernissen versehen wird. Aufgrund der aktuellen Coronazahlen im Erzgebirge gab z.B. heute das Eduard-von-Winterstein-Theater bekannt, dass man nur noch Geimpften und Getesteten den Zutritt gewähren werde.

 

Am 17. September war der 300. Geburtstag des fast vergessenen Johann Adolph Schlegel, dem Vater der Romantiker-Schlegel. Vergessen ist auch sein „Buch ohne Titel", das er 1748 gemeinsam mit seinem Bruder Elias herausgegeben hatte. Doch wenn Sie heute im Internet diesen Buchtitel eingeben, dann finden Sie entweder ein gleichnamiges Werk von Lina Loos (1947 geschrieben) oder von Raymond Smullyan (1984 veröffentlicht).
 

Wenn man in die Staatsoper Hannover ging, weil man sich auf „Cosi fan tutte" von Mozart (Uraufführung 1790) freute, dann bekam man allerdings Murks von Martin C. Berger geboten. Der Regisseur griff massiv in die Partitur ein und veränderte den Text, damit sein Regiekonzept aufging. Außer ihm war nämlich niemandem bisher aufgefallen, dass Dorabella und Ferrando Eltern eines Kindes sind. Dieses schaut während des ganzen Abends auch dem Treiben seiner Eltern und der anderen Erwachsenen ratlos zu. Die Reihenfolge der Musiknummern wurde auf den Kopf gestellt oder, wie eine Zeitung schrieb, kein Stein bleibt auf dem anderen. „Una bella serenata" wird zu einem Sextett aufgeblasen. Natürlich hat es zu allen Zeiten moderate Eingriffe in Partituren, insbesondere Striche, gegeben aber nicht eine solche komplette Verhunzung. Wenn eine Intendanz so wenig Respekt vor dem Werk eines Komponisten zeigt, ohne dies beim Verkauf der Tickets deutlich zu machen, dann kann man nicht guten Gewissens einen Besuch der Staatsoper Hannover empfehlen!

 

Einen besseren Weg ging man in diesem Jahr in Bayreuth, wo zur Mittagszeit die Uraufführung von „Das Rheingold – immer noch Loge" von Gordon Kampe gezeigt wurde. Mit der Platzierung des Publikums vis-a-vis zur Sonne nahm man Verbindung zur Antike auf und schürte quasi große Hoffnungen. Das einstündige Werk für sieben Musiker und drei Sänger knüpft an die GÖTTERDÄMMERUNG an und fragt sich, wie es danach wohl weitergegangen sein könnte. Vermutlich sitzt man dann zu Gericht über den Brandstifter Loge. Kampe verwendet musikalische und textliche Anleihen bei Wagner, entwickelt daraus aber einen eigenen Stil. Man mag das mögen oder nicht, aber jedenfalls ist dies der richtige Weg: Nicht das Alte verhunzen, sondern etwas Neues schaffen!

Es wurde auch Zeit, dass der bekannte Spruch von Richard Wagner auch in Bayreuth richtig verstanden und umgesetzt wurde, auch wenn es zum Ende nur freundlichen Applaus für die Musiker und den Komponisten, der selbst am Pult stand, gab.
 

Da feierte auch die russische Star-Sopranistin Anna Netrebko ihren 50. Geburtstag. Joachim Kaiser, der große Musikkenner, antwortete auf die Frage, ob sie nur gut aussehe oder auch gut singen könne, sibyllinisch: „Die Dauer des Ruhms in der Kunst ist auch ein Argument: Wer sich über die Jahre halten kann, an dem muss etwas dran sein" (vgl. YouTube, Kaiser's Klassik Kunde, Folge 2). Wir gratulieren herzlich!


 

Mozart, Verdi und viele andere Komponisten und Musiker hatten Probleme mit Sittenpolizei und Zensur. Aber man durfte musizieren! Heute wird, jedenfalls in Dresden, Theater für subversiv und gefährlich gehalten, sodass wieder mal die Kultur auf Lockdown gesetzt wurde. Wohl gemerkt nur die Kultur, der Profisport natürlich nicht ... Und offenbar liegt der sächsischen Regierung auch eine bisher nicht veröffentlichte Studie vor, wonach das Mittagessen in einem Restaurant weniger gefährlich ist als das Abendessen, sodass deshalb alle Restaurants in Sachsen bereits um 20:00 Uhr schließen müssen. Vor mehr als 2000 Jahren fragte Horaz die Politiker: „Warum aus falscher Scham lieber irren als lernen?" Eine Antwort können die Gewählten offenbar noch immer nicht geben...

 

In München wird es wohl bald keine Richard-Wagner-Straße mehr geben. Jedenfalls wenn es nach dem Willen einer Kommission geht, die sich aus Gründen der political correctness mit belasteten Straßennamen beschäftigen soll. Bisher befindet sie sich direkt hinter dem Lenbachhaus. Aus dem Kreise dieser Kommission kam nun eine Aufforderung an die Bayerische Staatsoper, die Werke von Richard Wagner und Richard Strauss wegen der Verstrickung dieser Komponisten in der Nazizeit nicht mehr auf den Spielplan zu setzen. Im Eifer wurde offenbar übersehen, dass Wagner bereits 1883 in Venedig gestorben war, also zu einer Zeit, als die meisten Nazis noch nicht einmal geboren waren.


Noch einmal München: Am 18.11. verstarb die griechische Mezzosopranistin Daphne Evangelatos. Im Nachruf schrieb der Bayerische Rundfunk, dass sie als eine der besten Sängerinnen in München galt. Bis 1995 blieb sie der Bayerischen Staatsoper treu und wurde 1993 zur Professorin an der dortigen Musikhochschule ernannt. Sie erlag in ihrer Wahlheimat München einem Krebsleiden.


Herzliche Grüße – RV aus C.

Zitatende

Leserbrief
 

 

 

Zitat
Hochverehrte, liebe Frau Gilles,
mit der Nummer 39 erreicht mich wieder einmal eine Ausgabe mit
– über 100 Seiten breit gefächerten, interessanten Informationen,
- wobei meiner Lieblingsoper ’Lohengrin’ mit der anylyse der Textdichtung mit den einzelnen Versmaßen zum zweiten Mal ein wissenschaftlicher Tiefgang verliehen wird.

Ihnen ein großes Dankeschön für Ihre tolle Ausarbeitung. Jede®, der diese kostenfreie Zusendung Ihrer Mitteilung erhält, ist ein privigelierter Kunstsinniger.
Liest man dann auch noch den Epilog mit Ihren so treffenden Gedanken im Hinblick auf ‚’Die Lust an der Selbstzerstörung’, dann zollt man Ihnen großen Respekt. Mit schlichten, klaren Worten und Hinweisen, die für unsere Altvorderen eine Selbstverständlichkeit darstellten, werden wir zu einem intensiven Nachdenken angehalten.


Und dabei erinnere ich mich an Paul Linckes Operette ‚’Frau Luna’. In welcher Prinz Sternschnuppe am Schluss singt:
„Ist die Welt auch noch so schön,

einmal muss sie untergehn!“
Mit besten Grüße

Dr. UW aus Insernhagen

Zitatende

Leserbrief

 

 

Zitat
An:         kommunikation@staastheater-hannover.de

Sehr geehrte Damen und Herren, da ich nicht genau weiß, wer für meine mail zuständig ist, bitte ich Sie herzlich diese an die zuständige Stelle weiterzuleiten.

Nach den vielen misslungenen Versuchen der Verantwortlichen im Niedersächsischen Staatstheater, eine klassische Oper nicht nach dem Libretto zu inszenieren, sondern meistens eine "neue Oper" zu schreiben, ist mein Wunsch, das Opernhaus in Hannover zu besuchen merklich zurückgegangen.

Ich glaube, das geht vielen anderen auch so. Umso mehr freute ich mich auf die Wiederaufnahme der Oper Hänsel und Gretel, eine seit über 50 Jahren mit sehr großem Erfolg gezeigten Inszenierung und von mir seitdem auch jedes Jahr regelmäßig besucht, eine Tradition in der Vorweihnachtszeit.

Umso mehr enttäuscht war ich, dass die Oper Hänsel und Gretel-Länge rund 2 Stunden - auf 1 Stunde 10 Minuten gekürzt worden ist. Ganze 50 Minuten Humperdink wurden mir vorenthalten. Dies hätte dem Publikum beim Kauf der Karten aber gesagt werden müssen.

Ich bin sicher, dass Sie mir jetzt mit Corona bedingten Besonderheiten antworten werden. Aber irgendwie fehlten wichtige Passagen, was mich sehr störte. Von 14 Engeln singen Hänsel und Gretel, ich konnte nur 7 zählen, die auch schon beim Abendsegen vom Himmel kamen.
Warum????????????????????

Überall gibt es Coronatests, dass müsste doch im Opernhaus auch möglich sein. Die wunderschöne Musik wurde zusammengestrichen, genau wie in der Hexenhausszene der Kinderchor. Sie sollten einfach davon ausgehen, dass es auch Opernbesucher gibt, die die Musik genau kennen und sehr verärgert waren.

Ich bin ein regelmäßiger Opernbesucher, auch in Berlin und Hamburg, aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Was macht die DOB in Berlin da besser, der Ring war voll besetzt, alle hatten vorher Impfpapiere vorgezeigt. Und sicher waren auch alle Mitwirkenden getestet. Warum geht das nicht hier in Hannover?

Auch die Überlegung, die anwesenden Kinder könnten sich vielleicht nicht so lange konzentrieren, akzeptiere ich nicht.

Auch ich war vor Jahren mit meinen damals sehr jungen Enkelkindern in der Vorstellung, die Länge wurde sehr gut durchgehalten und auch bei der am 3.12. besuchten Vorstellung waren alle Kinder sehr konzentriert und ruhig.

Ich würde mich sehr freuen, auf meine insgesamt doch sehr kritische Mail auch eine Antwort zu erhalten.

Mit freundlichen Grüßen - Kd.Nr. 15551

Zitatende

Leserbrief
 

 

 

‘Così‘ an der Nds. Staatsoper Hannover

Guten Morgen meine liebe Frau Gilles,
wie immer liegen Sie mit Ihrer Kritik absolut richtig. Mit Freunden haben wir am Sonntag, dem 31. Oktober 2021, die Oper "Cosi fan(no) tutte" besucht und sind von einem Wechselbad der Gefühle heimgesucht worden. Der musikalische Teil war hervorragend, was der zwischenzeitliche und vor allem der abschließende frenetische Beifall des Publikums bewiesen haben und damit die Künstler verdientermaßen würdigten.

Im krassen Gegensatz dazu war die Inszenierung bis auf einzelne Bühnenbilder grottenschlecht. Die über der Bühne eingeblendeten Übersetzungen waren nicht nur verfehlt, sondern enthielten auch noch überflüssige Kraftausdrücke. Das Einbeziehen von Kindern und deren Bilder als Projektionen sowie die von nackten Personen trübten erheblich den Kunstgenuss.

Man wird den Verdacht nicht los, dass Intendanten offensichtlich unter dem Zwang stehen, etwas Modernes bieten zu müssen und vermutlich glauben, damit vor allem jüngeres Publikum erreichen zu können.

Wie gern unterstützen wir die arg gebeutelte Kunstwelt, nicht aber mit derart verschlechterter Qualität und das noch mit Subventionen durch Steuergelder.
Seien Sie für heute herzlich gegrüßt
Ihr KW Hannover

 

Das könnte Sie auch interessieren
 

 

 

Zitat




Die Liste der Stellenangebote der Bayreuther Festspiele für die diesjährige Saison ist lang. Gesucht wird technisches Personal, außerdem Mitarbeiter/innen in den Bereichen Kostüm, Maske oder Requisite. Im Festspielhaus arbeiten bedingt durch die temporäre Nutzung nicht nur Festangestellte, sondern auch zahlreiche Saisonkräfte, sogenannte Freelancer.

Der lange Lockdown im vergangenen Jahr hat zu einer schwierigen Personalsituation geführt. Freie Stellen vor allem im technischen Bereich sind kaum zu besetzen, weil frühere Theatermitarbeiter in andere Branchen abgewandert sind.

„Auch wir unterliegen dem allseits auftretenden Fachkräftemangel“ sagt Festspielsprecher Hubertus Hermann. Wir suchen stets gutes und qualifiziertes Personal und freuen uns über jede Bewerbung.

In diesem Jahr führen die Bayreuther Festspiele endlich die ursprünglich für 2020 geplante Opern-Tetralogie ‘Der Ring des Nibelungen‘ auf.

Stets ist es ein Medienereignis, wenn dieses Mammutwerk in einer Neuinszenierung aufgeführt wird. Schließlich ist es mit rund 16 Stunden Gesamtlänge einer der längsten Opernzyklen der Welt. Das Werk ist aufgeteilt in die vier Opern ‘Das Rheingold‘, ‘Die Walküre‘, ‘Siegfried‘ und ‘Götterdämmerung‘. Ein solch anspruchsvolles Programm erfordert entsprechendes Personal.

Neben Personalnot erschweren Unwägbarkeiten bei der Planung die Vorbereitungen. Auf der Homepage der Festspiele steht, dass man davon ausgeht, 2022 alle Plätze im Festspielhaus zum Kauf anbieten zu können. Lassen behördliche Auflagen zum Infektionsschutz dieses zu?

Der Ticketverkauf hat noch nicht begonnen, eine Veröffentlichung des diesjährigen Spielplans ist für Februar geplant.

Die Arbeiten an der Neuinszenierung des ‘Ring‘ sind angelaufen. „Die technischen Tätigkeiten wurden 2020 aufgenommen, in die szenische Arbeit sind wir 2021 eingestiegen. Möglich wurde ein solches Vorgehen aufgrund einer sehr engmaschigen Teststrategie“ erläutert Hubertus Hermann.

Trotz anwährenden Platzmangels konnte eine optimale räumliche Probebühnensituation hergestellt werden, damit verbunden auch die Lagerung des Bühnenbildes.

Die aktuelle hohe Inflationsrate wirke sich auf viele Bereiche aus, besonders jedoch auf die Energiekosten so Hubertus Hermann. Im Rahmen der Wirtschaftsplanung würden solche Steigerungen jedoch berücksichtigt.
Zitatende
Quelle: Bayreuther Sonntagzeitung – Ausgabe 15./16. Januar 2022 – Seite 1

Zitat

 

 


Screenshot NDR 1 Niedersachsen

Sprecherin:
Bühnenaufbau am Theater für Niedersachsen in Hildesheim mit vollständiger Personenzahl bedeutet entspannteres arbeiten und inzwischen eine Seltenheit denn schon seit mehreren Monaten sind allein in der Bühnentechnik und Beleuchtung 6 Stellen unbesetzt. Bewerbungen gibt es, sogar Gespräche bis hin zu mündlichen Zusagen. Das Problem: ab dann hören sie hier nichts mehr von den potenziellen Kandidaten, die tauchen einfach ab.

Daniek Kornatowski, Technischer Direktor:
Passierte schon dass man Vertrag zugeschickt hat und es kam wochenlang überhaupt keine Rückmeldungen, auch nach mehrmaliger Anfrage über E-Mail oder Telefon ist da nichts gekommen.

Sprecherin:
Das sogenannte Ghosten im Job ist nicht neu, hat aber seit einigen Jahren extreme Züge angenommen einer der Hauptgründe die Unverbindlichkeit der sogenannten Generation ‘Z‘ also die der jungen Menschen, die um die Jahrtausendwende geboren wurden. Das ist das Ergebnis von Studien zum Thema Azubi-Anwerbung.

Felicia Ullrich, Betriebswirtschaftlerin:
Wir wissen, dass diese Generation, das ist die unloyalste, die wir je hatten, weil sie umgekehrt aus Medien auch keine Loyalität von Arbeitgebern erleben, wenn großer Konzern vor Weihnachten Tausende von Leuten entlässt, obwohl man Milliardenumsätze schiebt, dann sag das den Jugendlichen natürlich auch, nach dem Motto:“ Wir sind euch gegenüber nicht loyal, warum sollten wir das sein.

Sprecherin:
Im Theater leiden Sie unter dieser Einstellung und nur weil die, die hier sind mehr arbeiten als sie müssten fiel noch keine Vorstellung aus.
Zitatende
Quelle:
https://www.ndr.de/nachrichten/info/Theater-leidet-unter-Job-Ghosting,ndrinfo27132.html


 

Dreimal ‘Nozze di Figaro‘

Zum Vergleich:
1. HMTMH
2. Theater Regensburg
3. NDS Staatsoper Hannover


 














Hier hätte ein Foto der Produktion ‘Figaros Hochzeit‘ an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover gezeigt werden sollen, um klar zumachen, mit wie wenig szenischer Ausstattung ein Stück gespielt werden kann.
Leider war die HMTMH nicht in der Lage, der Bitte zu folgen, entsprechendes Material zur Verfügung zu stellen.

 

Zu 1. - HMTMH

Eine Produktion der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover

Die Bühneneinrichtung ist beschränkt auf fünf quadratische Tische; Größe ca. 80 x 80 cm und zehn Stühle. Diese sind: Wohnungseinrichtung, Raum der Gräfin, Zimmer am Hofe, Garten.

Das Spiel ergibt sich aus den Vorgaben der Autoren unter reger Nutzung der paar Requisiten.

Dass große Oper auch mit spartanischer  Ausstattung möglich ist, zeigt die HMTMH:

 

 

 



Zitat

Reduzierung auf das Wesentliche
Studierende spielen ‘Le Nozze di Figaro‘


von Michael Meyer Frerichs

Eigentlich war die Premiere für das Wintersemester 20/21 geplant. Im Herbst begannen die Probenarbeiten an der Musikhochschule Hannover für Mozarts ‘Le Nozze di Figaro‘, die aber wegen der Pandemielage unterbrochen werden mussten.

Erst im Herbst 2021 war eine Wiederaufnahme der Proben möglich. Dadurch mussten 6 Rollen umbesetzt werden, weil die Sängerinnen und Sänger zwischenzeitlich ihr Studium beendet hatten.

Leider blieb auch die Premiere am Sonnabend nicht von Corona verschont. Nachdem es am Tag der Generalprobe einige positive Tests im Chor gegeben hatte, wurde dieser für die Premiere gestrichen.

Trotz der schwierigen Umstände wurde es ein beglückender Abend. Die Qualität bewegte sich durchgehend auf höchstem Niveau. Sicher arbeitet man auf einer kleineren Bühne wie der des Richard-Jakoby-Saals mit eingeschränkten Mitteln was aber hier zu einer sehr erquicklichen Reduzierung auf das Wesentliche führte.

Mit wenigen Requisiten schaffte es Regisseurin Mascha Pörzgen die recht unterschiedliche Handlung verständlich zu gestalten.

Die Solisten waren sowohl sängerisch als auch darstellerisch sehr überzeugend.
[…]
Martin Brauß und das Studierendenorchester boten den Sängerinnen und Sängern dabei beste Unterstützung. Phrasierungen waren fein ausgearbeitet, kleine Tempomodifikationen und Ritardandi funktioniert hervorragend und entwickeln sich immer organisch aus der Musik.

Und was bei Mozart besonders wichtig ist: Die Musik klang immer leicht und natürlich, obwohl sie an vielen Stellen unglaublich schwer zu spielen ist.
Zitatende
Quelle: Hannoversche Allgemeine – 31. Januar 2022 – Seite 19



Zu 2. - Theater Regensburg

Drehbühne, auf ihr ein Kubus, dessen Öffnungen mit Gardinen geschlossen werden können.




Screenshot Theater Regensburg

Zitat
„Dass in Regensburg sämtliche Partien aus dem Ensemble besetzt werden können, ist außergewöhnlich. Sowohl die Homogenität als auch das hohe Niveau überraschen und begeistern an diesem kurzweiligen Mozart-Premierenabend voller Eleganz.“ Allegro/BR, 20.9.2021 
Zitatende
Quelle: Bayerischer Rundfunk – Sendung ‘Allegro‘ – 20.09.21

 

 

 

Zitat



MITTELBAYERISCHE

Regensburg Stadt | Kultur | 20.09.2021 Seite 8
 

Die feministische Mozart-Oper

Die neue Theatersaison eröffnet mit der „Hochzeit des Figaro“ – modern, mitreißend und mit voller Orchesterbesetzung.
von Daniel Pfeifer

Es war ein seltsames Gefühl, als der Applaus aus vollen Rängen durch den Theatersaal schallte - so laut, dass sich die Schauspieler auf der Bühne ein glückliches Dauergrinsen nicht verkneifen konnten. Nicht seltsam, weil sie es nicht verdient hätten für ihre grandiose Vorstellung von Mozarts „Hochzeit des Figaro“. Sondern, weil es gefühlt Jahre her ist, dass wieder das komplette Ensemble und das komplette Orchester vor vollem (maskierten) Publikum spielen durften.

Mit der „Nozze di Figaro“ eröffnete das Theater Regensburg am Samstagabend die neue Spielsaison. Die Oper, zu Mozarts Zeiten mäßig erfolgreich, ist heute eines seiner beliebtesten Werke. Ihre Themen sind teils tiefschürfend, teils ziemlich versaut und teils progressiv: Wenn das Militär veräppelt und veraltete Traditionen hinterfragt werden, die Männer als eifersüchtige Gockel dastehen und die Frauen die eigentliche Hauptrolle spielen - auf diesen feministischen Aspekt legte Dramaturgin Julia Anslik in der Inszenierung durchaus Wert. Die sympathischsten Charaktere - die viel umworbene Susanna, die sehnsüchtige Gräfin (großartig gespielt von Theodora Varga), aber auch der dauerverliebte Page Cherubino, werden von Frauen gespielt. Im Kontrast dazu stehen die Verschwörer Bartolo, Basilio und Don Curzio, der liebende, aber sehr eifersüchtige Figaro und der notgeile Graf.

Karimov in der Rolle des Grafen

Letzterer, dargestellt im knallroten offenen Aufreißer-Hemd, war mit dem Schauspieler Seymur Karimov genial besetzt. Der gebürtige Aserbaidschaner hatte schon an verschiedenen Theatern den Figaro gespielt. Nun wechselte er in die Rolle des Grafen, der seine Frau nicht mehr liebt und deshalb der jungen Susanna, der Verlobten des Figaro, nachgeiert.

Zum Schluss erhält dann natürlich selbst der Graf, der Antagonist der Oper, sein Happy End mit allen anderen. Vier Paare finden im Finale zusammen: Die jüngsten, Cherubino und Barbarina, verlieben sich ganz frisch. Die Liebenden Figaro und Susanna heiraten. Das alte Paar Marcellina und Bartolo findet wieder zu sich, nachdem es herausfindet, dass Figaro der lange verschollene Sohn ist. Und schließlich entfacht sich auch die totgeglaubte Liebe zwischen Graf und Gräfin wieder, eingerahmt in eines von Mozarts wohl schönsten Liebesliedern „Contessa Perdono“. Oder, wie die Szene im oscarprämiert verfilmten Stück „Amadeus“ beschrieben wird: „Wie kann man einen Augenblick wirklicher erfassen? Und wie überhaupt, wenn nicht durch vollkommene Künstlichkeit? Der opernhafte Schein war wie für Mozart geschaffen. Die Versöhnung am Ende verschwamm mir vor den Augen.“

Die Emotionen, die die „Hochzeit des Figaro“ weckt, haben seit seiner Entstehung kaum an Kraft eingebüßt. Dass sie auch in der Inszenierung von Regisseurin Arila Siegert noch so modern und mächtig sind, lag auch daran, weil diese nie zu verkopft oder zu vollgepackt war. Weder das Spiel der Darsteller, noch die simple Bühne, noch die pragmatischen Kostüme, standen je der großartigen Musik Mozarts im Weg oder übertönten sie.

Inszenierung für alle

„Wir hätten sagen können: Wir lassen den Figaro auf dem Mond spielen oder in einer Tankstelle. Aber das mache ich nicht,“ kommentiert Regisseurin Siegert. Die Inszenierung können Opernliebhaber, wie auch Neulinge genießen, denn sie ist weder abgehoben, noch zu verkünstelt. Sie versucht nicht, alle Räder neu zu erfinden. Denn das ist auch mit diesem genialen Werk Mozarts absolut nicht notwendig.

In Szene gesetzt wurde all das durch das grandiose Bühnenbild: Ein zurückhaltendes, realistisches weißes Haus, das im Laufe des Stücks zur Bauruine wird.

Die Kostüme waren gezielt zeitlos, irgendwo aus den Jahrhunderten zwischen 1780 und Heute.

Zudem profitierte die Premiere vom großartigen Opernchor - von dem jeweils ein Drittel mit Masken auf der Bühne stand - der mitreißenden musikalischen Qualität des Orchesters unter Chin-Chao Lin, das abgesehen von einem zweiten Trompeter in Originalbesetzung war, und den Neuzugängen am Theaterensemble: unter ihnen Anna Pisareva als Susanna und Frederic Mörth als Figaro.
Zitatende
Quelle: Mittelbayerische Zeitung – Ausgabe 20.092021 – Seite 8


Zu 3 - Nds Staatsoper Hannover




Screenshot: Nds. Staatsoper Hannover GmbH
 

Übertriebene Opulenz

Wie schon bei der Produktion ‘Die Jüdin‘ - durch dieselbe Regisseurin – hier wieder eine US-Amerianische Broadway Show.

Seitlich fahrbare Bühnennaufbauten.
Das Spiel der Figuren in den Originalrollen wird durch zusätzliches Personal aufgemotzt.

Kostüme wurden für diese Produktion angefertigt:


 

 

Zitat:
„Wir werden von der Substanz leben“

In in Lydia Steiers Inszenierung der Oper ‘Die Hochzeit des Figaro‘, die gerade Premiere hatte, stehen die etwa 50 Mitwirkenden in Barockkostümen auf der Bühne. Ihre Schuhe mussten in den hauseigenen Schuhmacherwerkstätten hergestellt werden.
Zitatende
Quelle: Hannoversche Allgemene Zeitung – 29.1.22. – Seite 25


Anlässlich der Premiere hatte die Hannoversche Allgemeine am 22. Januar 2022 am Ende des Artikels auf Seite 25 geschrieben:


 


 

 

Zitat
‘Der Report der Magd‘


Drei Akte lang funktionierte der immer wieder überraschende Blick in die Abgründe der Komödie gut.
Dann aber fällt die Konstruktion in sich zusammen:
Die verschiedenen Erzähllinien die Steir geknüpft hat, verbinden sich in dem im vierten Akt nicht mehr recht mit der Handlung der Oper. Das Verwirrspiel im nächtlichen Garten, bei dem jede jeden täuscht, ist so kaum noch zu verstehen. Wer tut hier was warum?
Die zunächst so wilde mutige und prachtvolle Inszenierung scheint ausgerechnet im Finale alle Kraft zu klaren Antworten verloren zu haben.
Der Applaus am Ende ist bei der Mehrheit im Publikum lang und begeistert, während andere auffallend schnell den Saal verlassen.
Fast wäre es eine große Produktion gewesen.

Zitatende
Quelle: Hannoversche allgemeine Zeitung – 22. Januar 2022 – Seite 25


Spitzentheater wie es laut Verwaltungsdirektor Braasch gefordert werde, hängt aber nicht von der Opulenz der Inszenierungen ab, vor allem dann nicht, wenn diese mit dem Stück nichts zu tun haben, wie beim ‘Holländer‘, bei der ‘Tosca‘ und eben auch nicht bei der erwähnten ‘Jüdin‘.
Das es anders geht, zeigen die oben angeführten Beispiele HMTMH und Theater Regensburg.

Jetzt anstehende Tariferhöhungen müssen nicht vom Land aufgefangen werden, wenn denn die Nds. Staatstheater Hannover GmbH den Spielplan am Publikum vorbei gestalten.
Dieser weist für die Oper für den Februar 2022 lediglich drei klassische Opern auf, als da sind ‘Turn of the Screw‘ (4x), ‘Die Hochzeit des Figaro‘ (5x), ‘Otello‘ (1x), ‘Rigoletto‘ (1x) – also insgesamt 11 Vorstellungen im Großen Haus.

Alle anderen Tage werden mit ‘Füllmaterial‘ belegt, wenn das Haus nicht leer steht und nicht für Vorstellungen vor Publikum genutz wird.


 



Schlussbemerkung

Warum?

Wenn eine Gaunerei, ein Unrecht, ein Verbrechen geschieht, fragt man seit alter Zeit:
“Cui bono?“
“Wem ist es gut?“ ‚
“Wem nützt es?“
Kriege werden geführt aus Machtgier,
Betrug geschieht aus Geldgier,
Mord geschieht aus Hass,
Vergewaltigungen werden verübt aus Sexgier.

Rund um die Welt haben Kommunen gegen Verbrechen Gesetze entwickelt, um ihre Mitmenschen zu schützen.
Über die Einhaltung der Gesetze wachen Häuptlinge, Matriarchinnen, Gerichte und Exekutivorgane.

Pervertiert wird das Rechtssystem durch Diktatoren, die durch verbrecherische List und Gewalt die Macht an sich gerissen haben. Ein dichtes Netz von Profiteuren sichert sie ab, die Reichtümer und die perfekte Organisation zwingt die Rechtsstaaten mit ihnen zu kooperieren.

In einem erfolgreichen Unternehmen arbeiten Firmenleitung, kaufmännischer Bereich und alle übrigen Abteilungen zum Wohle aller und der Firma zusammen, erwirtschaften Gewinne und die Arbeitsplätze sind sicher.

Vor langer Zeit gab es zum Beispiel unter der Leitung von Max Reinhardt sogar Theater, die wegen ihrer wunderbaren Vorstellungen so viel Publikum anlockten, dass alle Beteiligten gut davon leben konnten.

Kunstsinnige Städte ließen es sich zur Ehre gereichen, ein eigenes Opernhaus zu haben und so entstand die von aller Welt bewunderte deutsche Theaterlandschaft.
Gerade nach dem entsetzlichen Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs war der Hunger des Publikums nach dem Zauber der Oper so stark, dass in Behelfsräumen gespielt wurde.

Hannover spielte im Schloss Herrenhausen und ich erhielt meine ersten Operneindrücke in der Aula der Universität Köln.
Unvergessen ist mir der Eindruck eines unverschämt attraktiven Heldenbariton, den Walter Gondolf als Mephisto in strahlendes Weiß kleidete.
Später traf ich ‘Gondi‘ in Hannover wieder und die Zusammenarbeit war eine reine Freude, denn in der Kostümabteilung wurden wir umsorgt und waren schön, schöner, die Allerschönsten.

Wem nützt es, dass es in heutigen Inszenierungen nur schmuddelige Klamotten gibt?
Wem nützt es, wenn die Handlung des Werkes ins Gegenteil verdreht wird?

Sind da nur noch kranke Hirne am Werk, die das “Wahre, Gute, Schöne“ nicht ertragen können?

Es gäbe einen Aufschrei wenn Bagger und Planierraupen alle Blumenbeete in städtischen Parkanlagen vernichten würden, wenn alle Blumengeschäfte zerstört würden.

Aber dieser weltweit festgefügte Kreis von Intendanten, Regisseuren, Dramaturgen der gleichen Lebensart darf ungestört seine Vernichtungen durchführen und wird mit Millionen des Steuerzahlers finanziert.

Ohne einer Verschwörungstheorie das Wort zu reden, ist die Frage “Cui bono“ damit wohl beantwortet.
Nicht aber die Frage „warum?“
 

ML Gilles

Impressum

…. erscheint als nichtkommerzielles Rundschreiben zu

    - ausgezeichnet mit dem Kulturförderpreis der Stadt Regensburg
kulturjournal  –  Büro 93047 Regensburg – Wahlenstraße 17 – info@kulturjournal-regensburg.de

Verteilung:
Direktversand an ausgewählte Leserschaft u.a.
Mitglieder der
Bürgerinitiative-Opernintendanz - http://bi-opernintendanz.de/
Niedersächsischer Landesrechnungshof,
Niedersächsische Landesregierung,
Aufsichtsrat der Nds. Staatstheater Hannover GmbH,
Politische Parteien im Nds. Landtag,
Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover,
Bund der Steuerzahler,
Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten,
Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger,
Richard-Wagner-Vereine,
Feuilletons von Tageszeitungen

RA Frank Wahner, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Hannover
RA Markus von Hohenhau, Fachanwalt für IT-Recht, Regensburg
RA Prof. Dr. Ernst Fricke, Fachanwalt für Bühnenrecht, München/Landshut

Wir verstehen diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen, sondern als Hinweis auf - nach unserer Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes. Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire. Hierfür nehmen wir den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Wir benutzen Informationen, hauptsächlich aus eigenen Unterlagen vom Regionalfernsehen Regensburg, telezeitung-online.de und aus dem Internet u.a. den Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Museums, der Preußen-Chronik, Wikipedia u.ä..

Texte werden paraphrasiert wiedergegeben oder als Zitate kenntlich gemacht.
Fotos wurden Buch- und CD-Einbänden entnommen. Beiträge aus der Rubrik ‘Musiktheater‘ wurden als Zitate aus dem Hermes Handlexikon übernommen.
Leserbriefe stellen die Meinung des jeweiligen Verfassers dar.

Gender-Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichten wir auf Differenzierung und geschlechtsneutrale Formulierung. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.