Volksbühne
am Rosa-Luxemburg-Platz
 
  10.02.05

"Keine Chance Regensburg"

 

'Kunst & Gemüse-Gala 2010'

"Mir san' mir"

 
 

Eine Theateragitation aus Anlass der Bewerbung der
Stadt Regensburg um den Titel "Kulturhauptstadt Europas 2010

Präsentiert von der Stadt Regensburg, dem "Projekt Team Regensburg 2010" und der Volksbühne

Eine Christoph-Schlingensief-Produktion

Regie: Hosea Dzingirai, Christoph Schlingensief, Park Yung Min

Spezialgäste: Irm Hermann und Sepp Bierbichler
und Angela Jansen (ALS-Kranke)
Musik: Blaskapelle Menzl, Regensburg,
Arno Waschk und das Schöneberger Schönberg-Orchester

Als Repräsentant dieser Stadt dabei gewesen, wäre ich aufgestanden und hätte die Aufführung verlassen. Was lässt sich ein Mensch (Politiker) bloß alles gefallen, haben die Regensburger wirklich einen Knacks? Ich kenne die Regensburger nicht, nur Regensburg - und das lieben vor allem junge Leute, die dort ihr Studium absolviert haben. Natürlich hat jede Stadt mehrere Gesichter - aber solch negative Behandlung hat eigentlich keine westdeutsche Stadt verdient.
Ich kann mir das nur so erklären: alle ostdeutschen Städte, also ehemals DDR - waren zur Wende dermaßen verrottet, dass es unbestritten eine Schande war - mittlerweile sind aber viele schon sehr schön wieder saniert. Es muss sich also um ein sehr tief sitzendes Minderwertigkeitsgefühl und um große Scham handeln, wenn die sogenannten linken Künstler und Regisseure mit derart geblendetem Blick auf Westdeutschland schauen. Sie scheinen - symptomatisch - genauso gelähmt zu sein, bzw. in ihrem Blickwinkel eingeengt, wie die ALS-kranke Frau!
Wer einen Künstler des Chaos wie Christoph Schlingensief als Macher und Werbemanager verpflichtet, der sollte wissen, was ihn erwartet. Kann sein, dass die Regensburger Rathausspatzen es vergessen haben, von den Dächern zu pfeifen: Schlingensief macht stets und ständig und mit geradezu agitatorischer Inbrunst eindeutige, politisch unterlegte Anti-Propaganda. Und alle Regensburger, die eigens zu dem zu einer „Psychogeografischen Analyse" verwursteten Werbe-Abend an die Berliner Volksbühne angereist waren (sogar mit eigenem Bus!) - vorab Oberbürgermeister Schaidinger -, mussten sich tapfer mit anschauen, wie die Kulturgüter ihrer Stadt gnadenlos zerkocht wurden.
Da blieb kein einziges Vitaminchen übrig.
Dass Künstler dazu neigen, nur ihre eigene Weltanschauung gelten zu lassen, mag man akzeptieren oder nicht, aber dass sie sich als absolute Kulturbanausen outen, die sich weder mit Kunstgeschichte, noch mit Kunst, noch mit der Historie (Ausnahme: dem Dritten Reich!!) beschäftigt haben, ist mehr als peinlich!
So entwirft Schlingensief zwischen bajuwarischem Blaskapellensound und disharmonischer 12-Ton-Komposition eine wuselige Quatsch-Comedy mit einem Stadt- und Gesellschaftsbild von Regensburg, das überwiegend marode Gebäude, Billig-Einkaufsläden, Würstchenbuden und Müllcontainer als kulturellen „Glanz und Gloria" anbietet. Verschiedene Werbe- und Gewerbedamen erinnern sich stockend und stotternd nebulös an irgendwelche Baudenkmäler – aber außer Rathaus und Dom scheint da nichts gewesen zu sein.
Die Sängerknaben und die Vertreter der Kirche in Regensburg, die sich bereits von einer vorherigen provokativen Kunstpräsentation distanziert haben, erhalten natürlich auch ihren Platz in diesem Gemüseabfall. Irgendjemand drischt mit einem Hammer dann und wann auf einem Holzkreuz herum, und der Bischof stählt seine Muskeln, um die Sängerknaben besser beherrschen zu können. So etwa, in dem Stil, gut zwei Stunden lang. Endlich verkündet eine Kopie von Johannes Heesters, Sohn der Stadt Regensburg und in jeder Schlingensief-Inszenierung mit von der Partie, im Namen des Autors, er wolle aus dem Projekt wegen Nichtachtung seiner künstlerischen Ambitionen und Fähigkeiten aussteigen und dasselbe empfehle er dieser durch und durch verspießten Stadt auch.

Keine Chance also für Regensburg als europäische Kulturhauptstadt 2010?!

„Im Wesentlichen nichts Neues" kommentierte dann auch gelassen ein Herr im Foyer, als ein Reporter ihn nach der mäßig begeistert aufgenommen Aufführung fragte, was er denn der Fürstin (Gloria von Thurn und Taxis) berichten werde. Ein älterer Herr jedoch, wohl übriggeblieben aus vergangenen heroischen Studententagen, erregte sich dagegen fürchterlich: Die Satire (welche?) sei noch gar nicht beendet, sie müsste eigentlich mit jeder neuen Aufführung fortgeschrieben werden. Ob es weitere gibt, ist allerdings fraglich.
Aber etwas gibt es doch in dieser wie auch schon in einer vorherigen Bühnen-Darbietung von Schlingensief, etwas, das zutiefst bewegt, auch, wenn es mit Theater nichts am Hut hat: Inmitten der vorderen Zuschauerreihen liegt eine ALS-kranke Frau auf ihrem Bett. Sie ist völlig gelähmt und kann nur noch ihre Augenmuskeln bewegen. Mit einem implantierten Laser in ihrem Auge steuert sie die Tastatur eines Computers, der ihre Blickkontakte in Worte und Sätze umsetzt und auf die großflächigen Monitore beidseitig der Bühne überträgt. So beschreibt sie, was Autor und Regisseur ihr eingaben: Ihren Zustand, den Verlauf der Krankheit, die Kürzung des Etats der Regensburgers Universität, (Landesangelegenheit!) die einstige Hitler-Begeisterung der Regensburger und die Bombenangriffe der Alliierten.
Hernach singt die Bühnenmannschaft – atonal, versteht sich, ihr ein Geburtstagsliedchen. Und die Kranke schreibt mit den Augen an die Wand: Vielen Dank, Ihr Lieben!

Ein Bericht von unserer Berliner teleZeitung.tv-Korrespondentin Angelika Cromme.