Schaubühne am Lehninerplatz

  
 
       Repertoirevorstellung 01.11.09
  'Kabale und Liebe'

     'Einmal für allemal! Der Handel wird ernsthaft.
   Meine Tochter kommt mit dem Baron ins Geschrei'

 

 

 
 

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  Announcement Schaubühne

Kabale und Liebe

von Friedrich Schiller | Regie: Falk Richter


Als Billy Wilder eines Nachts mit der besten Drehbuchidee aller Zeiten aufwachte, schrieb er sie schnell auf einen Zettel. Am nächsten Morgen, voller Vorfreude las er den nächtlichen Geniestreich und fand folgende drei Worte: Boy meets girl. So läßt sich seit Schillers Neuerfindung der Schaubühne als moralische Anstalt jedes Drama zusammenfassen. Die Sprengkraft der Liebe und ihre Folgen werden zum ewigen Anlass von Geschichte und Geschichten. Dass Gefühle stärker sind als böse Väter, intrigante Gesellschaften und vielleicht sogar dem Tod trotzen können, ist der Glaube jeder jungen Generation. Dass diese Gefühle aber auch Väter zu bösen alten Männern machen und die Mechanismen der Macht zu Höchstleistungen provozieren, ist ihre Kehrseite. Der Furor des neuen Lebens will die Ketten sprengen und reißt dabei meistens sich selbst, die Geliebte und die alte Ordnung in den Untergang.


Ferdinand, ein Sohn aus gutem Hause, liebt Luise, ein armes Bürgermädchen: damit ist die Provokation in der Welt. Luises Eltern sorgen sich um die Kräfte, die nun über ihr kleines Heim hereinbrechen werden. Und Ferdinands Vater, ein mächtiger Mann, greift zu allen unerlaubten Mitteln, um diese Gefühlsgefahr auszurotten. Die Kabale entfaltet sich und einzig die Kurtisane des Herzogs, die ebenfalls für Ferdinand entflammt ist, geht aus ihr geläutert und erhobenen Hauptes hervor. Die praktische Vernunft dieser Engländerin steht alleine in dem Drama, in dem alle anderen ihren teutonischen Furor ungehemmt verspannt ausleben. Am Beginn des deutschen Theaters als »stehende Schaubühne«, das bis heute einzigartig in der Welt ist, steht dieses Stück. Seine Figuren und seine Handlung sind Vorbild für unendliche Variationen geworden, sein Thema ist solange von Interesse, wie junge Menschen Unrecht und Liebe fühlen und die Älteren ihre Einrichtung der Welt dagegen verteidigen.

https://www.youtube.com/watch?v=puJxlZTRJ34

 

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Die vier der Literaturepoche des 'Sturm und Drang' zugehörigen Werke - 'Räuber', 'Fiesco',  'Kabale und Liebe' wie auch 'Don Karlos' waren aus Schillers Erfahrungen - sei aus Übernahmen von Hinweisen aus der Literatur oder Geschichte als auch durch eigene Anschauungen - entstanden. Dabei wählte er immer Stoffe, die der meisten und wirksamsten Verwicklungen fähig waren. (Streicher 1836)

Musste die Familientragödie 'Die Räuber' - bedingt durch die Vorgabe durch den Mannheimer Intendanten - aus Rücksicht auf lebende Personen - in das späte Mittelalter verlegt werden -  so ist bei 'Kabale und Liebe' der Zeitbezug eindeutig gegeben.
Unmittelbaren Einfluss auf dieses Werk hatte Schillers Erleben er Umwelt in seiner Württembergischen Heimat. Er konnte in diesem bürgerlichen Trauerspiel das gesellschaftliche Gefälle zwischen Adel und Bürgern, die Mätressenwirtschaft am absolutistisch regierten Hof mit all ihren Machtkämpfen, das Vater-Sohn Verhältnis von Präsident von Walter zu seinem Sohn Ferdinand wie auch das der Tochter Luise zu ihrem Vater Miller, die Soldatenaushebung und den Verkauf der Truppen als Mittel der Geldbeschaffung darstellen.

Dem - anfänglich mit dem Titel 'Luise Millerin' ausgewiesenen Schauspiel - liegen andere Werke zu Grunde, die Schiller gekannt hat bzw. gekannt haben müsste.

So können Querverbindungen zu Heinrich Leopold Wagners 'Die Reue nach der Tat' von 1775 oder dessen 'Die Kindermörderin' aus dem Jahr 1776 hergestellt werden. Letztere erhielt Schiller von Dalberg im Mai 1782 selber als Vorlage. Am 15. Juli 1782 geht Schiller in einem Brief an das Mannheimer Theater darauf, als er schreibt:

 

     
'Wagners Kindsmörderin, hat rührende Situationen, und intereßante Züge.
Doch erhebt sie sich über den Grad der Mittelmäßigkeit nicht.
Sie würkt nicht sehr auf meine Empfindung und hat zu viel Waßer.'

 

Aus Leiwitz's Trauerspiel 'Julius von Tarent' von 1776 kehrt die Figur Ferdinand von Walter wieder und über Friedrich Maximilian Klinger schreibt er 1803 wie sehr den Autor des Stückes 'Das leidende Weib' geschätzt hat.
Otto von Gemmingen's 'Der deutsche Hausvater' fand er 'ungemein gut' und äußerte dies wieder Intendant Dalberg gegenüber in einem Brief vom 12. Dezember 1781.
 
'Sigwart, eine Klostergeschichte' von Johann Martin Miller von 1776 bietet Schiller Anregungen wie auch Lessing's 'Emila Galotti' und 'Miss Sarah Sampson' - bei der einen die Gräfin Orsina, bei der anderen die Lady Marwood eine Entsprechung in seiner Lady Milford finden.
 

 

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1781 lässt Schiller 'Die Räuber' - bereits seit 1777 beschäftigt er sich mit dem Thema - im Eigenverlag somit auf eigene Kosten drucken, sendet Druckbögen an den Verleger Schwan nach Mannheim, der das Werk nicht übernimmt, aber an Intendant Dalberg vom Nationaltheater weiterleitet.

Am 13. Januar 1782 werden 'Die Räuber' mit großem Erfolg am Mannheimer Nationaltheater in Anwesenheit des Dichters uraufgeführt. Eine weitere Reise von Stuttgart in die Kurpfalz im Mai 1782 in Begleitung der Schauspielerin Vischer und Henriette von Wolzogen, wird dem Herzog entdeckt  - Schiller erhält 14 Tage Arrest, die er dazu nutzt, 'Kabale und Liebe' - damals noch mit dem Titel 'Luise Millerin' zu konzipieren.

1784 erscheint wieder in Mannheim das republikanische Trauerspiel 'Die Verschwörung des Fiesco zu Genua' wird aber nach der zweiten Vorstellung abgesetzt.

Die am 15. April 1784 folgende Mannheimer Aufführung von 'Kabale und Liebe' -
zwei Tage nach der Frankfurter Uraufführung - wird wieder zu einem Erfolg für Schiller.
 

     
Zur Ostermesse, im März 1784, erschien der Erstdruck bei Schwan in Mannheim.
Die eigentliche Uraufführung fand durch die Großmannsche Truppe am 13. April in Frankfurt am Main statt, allerdings bei gestrichener Kammerdienerszene.
Am 15. April erlebte Schiller die umjubelte Mannheimer Erstaufführung an der Seite seines Freundes Andreas Streicher.
Auch hier fehlte die Rolle des Kammerdieners, um jeden Bezug auf den Soldatenverkauf nach Amerika zu vermeiden.
Zwei Wochen später spielte Iffland den Kammerdiener in einer Frankfurter Aufführung, wobei die Szene durch Weglassung aller Hinweise auf Amerika von Schiller entschärft worden war.

Peter Pfützner:  'Kabale und Liebe' - Gegenstände für Rezeption und Unterricht
 

 


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Auf 'Kabale und Liebe' wirkte stark Schiller's privates Umfeld und die unmittelbare Historie des Herzogtums Württemberg.
Der im Stück nicht auftretende Fürst ist Herzog Carl Eugen von Württemberg nachempfunden.

Die Figur des Präsidenten von Walter ist aus dem real existierenden Minister Samuel Friedrich Graf Montmartin abgeleitet, der seinen Vorgänger, Oberst Philipp Friedrich von Rieger, durch gefälschte Dokumente aus dem Dienst bei Hofe drängte und einkerkern ließ.

Er übertrug bei der Figur der Milford sein Erleben mit der Gräfin Franziska von Hohenheim - sie war nach dem Tod der Herzogin Friederike von Württemberg - ehemals Prinzessin Friederike Sophie Wilhelmine von Preußen, Lieblingsschwester von König Friedrich II. von Preußen, und Markgraf Friedrich von Brandenburg-Bayreuth in Bayreuth im April 1780 - die offizielle Gefährtin des Herzogs, da eine Verheiratung der geschiedenen Protestantin Franziska von Leutrum mit dem Herzog von Württemberg zunächst nicht möglich war.
Franziska von Hohenheim hatte einen mäßigenden Einfluss auf den Herzog. Es gelang ihr den despotischen und launenhaften Carl Eugen in einen wohlmeinenden Landesvater zu wandeln. Die 1785 heimlich geschlossene Ehe wurde erst 1791 vom Vatikan anerkannt.

Die Luise findet ihre Parallelität in Charlotte von Wolzogen, der Tochter von Henriette von Wolzogen, bei der Schiller in Bauerbach nach seiner Flucht aus Stuttgart wohnt. Hier muss er erkennen, dass er ohne adlige Herkunft nicht auf eine Ehe hoffen kann, Charlotte wird mit dem späteren Geheimen Legationsrat von Beulwitz vermählt. Es entsteht also dem Stück gegenüber in der Realität ein umgekehrtes Verhältnis - Ferdinand von Walther, der Adlige, verliebt sich in die Bürgerin Luise Miller.
 

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Nachdem Dalberg eine Aufführung der 'Luise Millerin' in Aussicht stellte, beendete Schiller die Arbeit an dem Stück und reiste im Sommer 1783 von Bauerbach nach Mannheim. Es kam zu einem Vertrag mit dem Mannheimer Nationaltheater als Theaterdichter für ein Jahr, innerhalb dessen Schiller drei Werke zu liefern hatte.

Das Publikum war gewohnt, sehr häufig neue Stücke zu sehen - Iffland, der herausragende Schauspieler an dieser Bühne lieferte eben diese Unterhaltungswerke und Kotzebue war einer der meistgespielten Autoren.

Da Schiller bis November 1783 an Malaria erkrankte, konnte er seinen Verpflichtungen nicht in der geforderten Form nachkommen. Hinzu kam die kühle Aufnahme des Fiesco - am 11. Januar 1884 in Mannheim erstaufgeführt - das Publikum, nachdem es sich für 'Die Räuber' begeisterte, enttäuscht über die Handlung, die keinen Bezug zu Deutschland vor allem in Bezug auf dessen republikanischen Tendenzen, hat.

Schiller bereitete selber die Aufführung der 'Luise Millerin' vor, die er auf Ifflands Vorschlag in 'Kabale und Liebe' umtitelte.

August Wilhelm Iffland - geboren am 19. April 1759 in Hannover, also nur wenige Monate älter als Schiller - ging als begnadeter Darsteller ans Hoftheater nach Gotha und dann als 20-Jähriger an das Nationaltheater in Mannheim.
In der Uraufführung der 'Räuber' spielte er 1782 den Franz Moor und trug mit seinem naturalistischen Stil sehr zum Erfolg bei.
Gerade dieser Stil aber - der dem 'normalen' Publikum sehr gefällt - kollidiert mit der Auffassung von Schiller, der mehr für das Ideale, Klassische, Kunstvolle eintritt. Wie auch später Goethe in Weimar.
Iffland aber traf wie Kotzebue den Geschmack des damaligen Publikums.
 

     
'Viel eher als in Schillers Geschichtsdramen und Goethes Bühnenkunst kann man
bei Iffland erleben, wie es wirklich zuging in den deutschen Kleinstaaten und Fürstentümern. Friedrich Hebbel meinte dazu spöttisch, nach Iffland-Aufführungen könne man glauben, draußen auf der Gasse oder im Wirtshaus gehe das Spektakel einfach weiter. '

(Alexander Kosenina: 'Der Star des Volkstheaters', Hannover 2009)
 

Die Arbeit von Schiller mit den Darstellern scheint nicht in größerem Einvernehmen abgelaufen zu sein, da das Ensemble sich beim Intendanten beschwerte, über die strenge Führung durch den Autor.
War auch von Anfang an bei diesem neuen Stück klar, wie sich der Schluss des Werkes darstellen würde, so hatte das Ensemble noch sehr gut in Erinnerung, dass Schiller sich bei der Gestaltung des 'Fiesco-Finales' schwer tat, was Probenarbeiten behinderte.

Schiller wiederum klagte bei 'Kabale und Liebe' über die Freizügigkeit, wie die Darsteller mit dem Test umgingen. Das Verhältnis von Autor zum Theater entwickelte sich trotz des Erfolges von 'Kabale und Liebe' nicht in positiver Hinsicht, sondern Intendant Dalberg verlängerte den auf den 31. August 1784 terminierten Vertrag mit Schiller nicht.
 

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Inwieweit auch äußere, in diesem Fall politische Gründe, für die Nichtverlängerung des Vertrages als Mannheimer Theaterdichters eine Rolle gespielt haben, kann nur spekuliert werden.

Karl Theodor war seit 1742 als Karl IV. Kurfürst von der Pfalz und nach dem Aussterben der bayerischen Linie der Wittelsbacher seit dem 30. Dezember 1777 als Karl II. auch von Bayern. Der Wohnsitz musste nach München verlegt werden, die Ausgestaltung von Kunst und Kultur in Mannheim konnte nicht mehr in der bekannten Form, die sich unter der Führung von Karl Theodor besonders gut entwickelt hatte, fortgeführt werden.

Die katholische Kirche nahm von München aus Einfluss auf die Kurpfalz mit Mannheim, die Spielpläne des Nationaltheaters mussten dem kirchengenehmen Stil angepasst, Stücke mit aufklärerischen Tendenzen durften nicht mehr gegeben werden. So konnten gerade noch 'Die Räuber' in Mannheim uraufgeführt, der 'Fiesco' und 'Kabale und Liebe' allerdings nur in Erstaufführungen gezeigt werden. Der 'Fiesco' kam schon am 20. Juli 1783 in Bonn, in Mannheim erst am 11. Januar 1784 heraus und 'Kabale und Liebe' wurde am 15. April 1784 in Mannheim zum ersten Mal gespielt. Die Grossmann'sche Truppe hatte das Stück zwei Tage vorher, am 13. April 1784, uraufgeführt.

Obwohl das neue Werk Schiller's nur wenige Male in Mannheim gezeigt werden konnte, verbreitete es sich sehr schnell über die deutschen Bühnen. Die im März 1784 von Schwan herausgebrachte Buchausgabe erregte Interesse, Übersetzungen in französische und englische Sprache kamen sehr bald in die Buchläden und machten das deutsche bürgerliche Trauerspiel auch einem breiten Publikum, dem nicht überall Theaterbesuche möglich war, bekannt.
 

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Die Produktion von 'Kabale und Liebe' an der Schaubühne Berlin wird in ihrem Umfang durch erhebliche Striche eingedampft.
Textneufassungen - Verbindungen zu heute sollen hergestellt, allzu Deutliches aus dem Original verwischt werden, wenn denn die ausnahmslos schlecht sprechenden Darsteller auf einer 'aller-Stück-Bühne' Schiller's Werk den ungebildeten Zuschauern darzubieten gedenken. Wer kennt schon das Stück, wer weiß, wo er sich im Moment befindet, wer ist des Textes mächtig?

Heutzutage geht bei Theaterproduktionen irgendwas, irgendwie und so inszeniere man ein Stück in x-beliebiger Umgebung und Ausstattung.

Am DT bedecken Kisten für landwirtschaftliche Produkte die Bühnenfläche, mit der Öffnung nach oben, dass die Hamlet-Darsteller den Abend über auf den Graten der Obst-/Kartoffelkistenseiten balancieren müssen.

Der Spielleiter von 'Kabale und Liebe' versucht einen Bogen zu spannen von heute mit der Projektion von Hubschrauberflügen, dargestellt auf einem Leinwandstreifen, zurück in das ausgehende 18. Jahrhundert mit all seinen Problemen, gezeigt durch Soldaten zu Pferde, schwankenden Lüster in Ballsälen im Film.
Das Stück beginnt heute und entwickelt sich zurück, deutlich gemacht über die Kostüme.

Für die 'K+L-Produktion' an der Schaubühne nimmt man Paletten, man legt den Rost nach unten und befestigt auf der 'Rückseite' Plexiglasplatten, zwischen Rost und Plexiglas installiert man Lichtelemente, die dem Spielleiter die Möglichkeit geben, diese leuchtende Spielfläche einer Diskoplattform 'in Farbe' anzunähern.
Umlaufend rechts und hinten ein Steg, links ein Graben.
Diesen füllt der Spielleiter mit einigen cellostreichenden Damen, die mit ihrem Leiter Paul Lemp am Bass, mittels dessen Eigenkompositionen im Stil von Philipp Glas oder Steve Reich, Atmosphäre verbreiten sollen, im Grunde aber allein von der Lautstärke her nur stören. Offensichtlich traut man dem Autor und dem Ensemble nicht zu, aus eigener Kraft eine dem Stück adäquate Stimmung entwickeln zu können.

Dass dies in einem Raum schwer fällt, der einer Fabrik- oder Turnhalle ähnelt, ist nachvollziehbar. Akustisch ergeben sich so Schaubühneneigene Probleme, die bei allen dortigen Produktionen erfahrbar zu machen sind.
Kein Schalldeckel oben, allenfalls reflektierende Rückwand, die aber zugunsten der Bühnentiefe so weit hinten positioniert ist, dass sie sich kaum auswirken kann und bei der von den Darstellern praktizierten unartikulierten Sprechtechnik schon in der 10. Reihe nicht mehr als ein Raunen zu hören ist - was mag da in der 15. Reihe ankommen?

Natürlich ist es seitens der Theaterleitung legitim, für eine Platzauslastung der vorderen, teureren Sitze zu sorgen, nach dem Motto: "wenn Sie was verstehen wollen, müssen sie sich eben weiter vorn hinsetzen."
 

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Glücklicherweise hatte an dem Abend die Luise ein 'Krätzelchen im Hälselchen', so dass sie - mit Ansage - Mikroport beim Spiel benutzen durfte.
Zur Freude des Auditoriums war sie allseits vernehmbar, konnte bei der Textwiedergabe differenzieren wie es ihr im 'Normalfall' nicht möglich gewesen wäre, denn ein Reduzieren in der Tongebung hat zwangsläufig ein Nichtverstehen durch das Publikum zur Folge, was sich bei den übrigen Kollegen deutlich zeigte.

Der Zwiespalt, die Bindung an das gottesfürchtige Kleinbürgerumfeld, die erwachende Liebe als 16-Jährige zu einem des anderen Standes - es wird alles heruntergeschnurrt, keine Zeit, keine Pause im Ablauf, die im fünften Akt sich ergebende Sprachlosigkeit 'findet nicht statt', ein Besinnen ist nicht drin, mehr als eine Sunde, vierzig Minuten sind für das ganze Spiel nicht angesetzt.

Konsequenz: sehr zügiger Ablauf der Vorstellung, aber es bleiben keine Möglichkeiten, die Figuren charakterisierend 'mit Leben' zu erfüllen.

Die Millers müssen zwangsläufig im Schnelldurchlauf ihres Klein-Klein oberflächlich wirken, wie auch dem Wurm mit den paar Textzeilen keine Entfaltung ermöglicht wird. Immerhin nutzt er das Bisschen doch noch. Mehr als ein Tropf kommt aber nicht dabei heraus.

Viel zeigen kann auch der Präsident nicht, der darf wenigstens mal 'lauthals' sein Wort an die Mitspieler und das Publikum richten. Die spätere Umkehr bei der Beurteilung der Situation des Sohnes, die Einsicht wirkt völlig unmotiviert.

Überzeugend der nicht gestrichene Kammerdiener, der sein Leid in der kurzen Szene unmittelbar übertragen kann - alle anderen sind nur ein Hauch.

Selbst die Milford - die Rolle bietet doch Farben von der Koketten bis zur einsichtigen Demutsvollen - kann sich kaum rollengemäß präsentieren, hätte die Darstellerin nicht so ein üppig-strammes Gelock, sie wüsste nicht, wohin mit ihren Händen, so kann sie die ins Gesicht fallenden Strähnen in Permanenz zurückstreichen - eine abendfüllende Aktion, zumindest solange wie sie in dem weißen Kittel über schwarzer Korsage als Mätresse auftreten darf. Später, im Kostüm der Zeit sind die Haare hochgesteckt - und was nun tun mit den Händen?

Ferdinand - ein 'Buberl' - nie ein Major, nichts von Haltung, eher ein Rekrut in der Grundausbildung, ob nun im T-Shirt oder später im Verlauf des Stückes in der angedeuteten Uniform - nimmt man den Liebenden nicht ab. Kaum einleuchtend, dass er sich so schnell der Milford auf Hautfühlung nähert, dann im Zorn das Cello zerschlägt, die Bühne aus dem Boden hebt, weil es möglich sein könnte, die Luise hat einen anderen. Von Beginn an, Ausdruck eines nicht gefestigten bzw. von Grund auf mangelnden Selbstbewusstseins.

Der Ablauf der Story wird tempomäßig zusätzlich beeinflusst, da die Rolle des Hofmarschalls gestrichen ist.



Besetzungszettel Schaubühne
Rolle Hofmarschall von Kalb:
fehlt


Der vermeintliche Rivale von Kalb bekommt so den von Luise unter Wurm's Zwang geschriebenen Brief nicht, kann also von Ferdinand nicht bedroht werden, kann den Brief nicht herausgeben, kann auch nicht sagen:
"Sie rasen. Sie hören nicht.
Ich sah sie nie. Ich kenne sie nicht. Ich weiß gar nichts von ihr."

Damit fehlt ein entscheidender Beweggrund des Intrigengewebes. Luises Brief ist ein beschriebener Zettel - keine Zeugen - nichts.

Ferdinand sieht von der Seite Luise schreibend, muss Wurm's Diktat hören, kommt nach dem Abgang Luise/Wurm nach vorne, sieht den Brief liegen und bevor er nach ihm greift, denkt er analog der Striese'schen, hier nun Falk Richter'schen, Formel:

"Kabalen Gift quält fürchterlich -
Herrjeh, da liegt ein Brief für mich!"

 


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Wie das Ganze, auch die Auflösung: unbefriedigend.

Die Limonade wirkt aus dem Stand, läppisch im Ausdruck der Vater, da hilft auch kein forderndes Aufbegehren:
Ist hier Niemand, der um einen trostlosen Vater weint? -
Keine Vergebung für ihn.

Wurm's Replik schwach, unglaubwürdig.

Und auch das Verkleckern des Abends noch gestört von 'Lemp'schem Cello-Geschabe'.

Der Zuschauer jubelt - weil er keine Ahnung hat und alles in seiner Unbedarftheit akzeptiert, was von irgendwem mit Hilfe von Steuergeldern aufgetischt wird.
 

 

Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Ich verstehe diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing

 

 

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