Herumwuselnde
Touristen - fliegende Händler warten auf sie - "Hallo, Hallo
- hier gibt's Schnäppchen!"
Ein paar Soldaten vertreiben alle, obwohl sie eigentlich die
'Menge im Gedränge' besingen müssten, aber die wurde ja
gerade verscheucht.
Ein junger Soldat oder Polizist - es ist José - steht herum,
sitzt dann an einem Tisch - vielleicht eine fliegende
Visastelle - jedenfalls schiebt er Akten hin und her -
mitten 'auf der Gass'. Wenn das wer wüsste - ein
Untersuchungsausschuss wäre die Folge.
Michaela kommt mit Koffer - wohl vom Bus oder der Bahn.
Singt mit José das Duett von der Mutter, die sie beide sehen
und die zurückruft im Bilde, das stille Tal, wo die Wiege einst stand.
Soldaten lümmeln rum - laut der Übertitelungsanlage habe
eine Glocke geläutet. Nichts war zu vernehmen - trotzdem
kommen die Chordamen aus dem Hintergrund, angeblich der
Zigarettenfabrik, in die Pause - eingesperrt hinterm Zaun,
der Herrenchor steht auf der Vorderbühne - und plötzlich
dürfen die Männer auch hinter die Absperrung. Zu komisch -
sie dürfen zu den Damen, die gerade noch den
Maschendrahtzaun ansangen.
Carmen tritt auf, Lederjacke, Lederhose, kesse Stiefeletten
- sieht aus wie eine Rechtsanwältin oder eine
Gewerkschaftsvorsitzende, die gerade einen Parkplatz
gefunden hat - jedenfalls ist sie keine Fabrikarbeiterin.
Und hast-du-nicht-gesehen schmeißt die sich an den José, was
verständlich ist, denn so einen netten, gut aussehenden
Soldaten/Polizisten hat sie wohl noch nicht erlebt. Mit der
Habanera versucht sie ihn zu locken und kaum haben die
Chormitglieder befremdet zum Nachbarn geschaut, liegen Mezzo
und Tenor schon beide im Dreck auf der Bühne, Carmen kommt
schnell wieder auf die Füße - Don José bleibt erstmal der
Länge lang liegen. 'Ha welch ein Augenblick'!
Wegen eines Streits in der Firma, an der Carmen Schuld sein
soll, was aber nicht möglich ist, da sie gar nicht zur
Arbeit gegangen ist, sondern stattdessen Josef und Michaela
mit Blumen beworfen hat, soll sie nun in Handschellen
abgeführt werden.
Noch ist Carmens Seguidilla anzuhören, sie 'zirzt' und es
gelingt ihr, Josefchen zu der Äußerung zu bringen: "Carmen,
ach mir schwinden die Sinne, kaum mehr weiß ich was ich
beginne" - das singt Charles Hens an der internationalen
Bühne Regensburg natürlich in französisch, was zur Folge
hat, dass die Wenigsten dem Gesagten Glauben schenken
können, weil sie kein Wort verstehen.
Allerdings kann Carmen trotz der Divergenz zwischen
Übertitel und dem Geschehen auf der Bühne, José dazu
bringen, die Fesseln zu lösen und "unterwegs geb' ich dir
einen Stoß, mit der ganze Kraft und du lässest mich los,
strauchle dann, falle hin, das andre ist meine Sache" - auch
diese Textpassage hört das Regensburger Publikum nicht, denn
Frau Stadträtin Göhring hatte ja beschlossen, dem Theater
Regensburg eine Übertitelungsanlage anzudienen, nun wird
übertitelt, was auf der Bühne gar nicht stattfindet. Carmen
geht nämlich gemütlich mit José nach links in die Gasse -
von Stoß und Hinfallen keine Spur. Aber Kultur ist ja
Chefsache. Bei dieser Wiederaufnahme wurde weder der
Theaterdirektor mit oder ohne Gattin, noch der
Oberbürgermeister im Publikum gesehen.
Im zweiten Akt klampft Stephan Kollmer vor dem eigentlichen
Orchestervorspiel, Statisten machen einen Landausflug und
geraten in die Kaschemme von Lillas Pastia, werden mit
Folkloretänzchen von Carmen, Frasquita und Mercédès
unterhalten, bis die Herren Dancairo und Remendado
auftreten, die eigentlich Geschäfte machen und nicht auf dem
Tisch tanzen wollen.
Leider konnte Karsten Münster nicht singen, so rief man
einen Herrn aus Linz, der eiligst angefahren kam und mit
Notenpult, Pultbeleuchtung in der Prozeniumsloge stand und
für Geld das sang, was Herr Münster nicht singen konnte.
Letzterer hatte wohl die rasenden Tempi vorausgeahnt, mit
denen der neue Generalmusikdirektor das Quintett nahm. So
konnte sich Herr Münster nicht verhaspeln, es stand ja ein
Kollege mit Noten da. Er selber versteifte sich mehr auf das
Spiel als Brunnenvergifter.
'Karlchen' Hens - der Liebe, Gute - kommt nun als
freigelassener José - auch in die Kneipe und schon ist der
Knatsch da, denn der Stierkämpfer Escamillo erscheint auch
noch und da er Geld hat, fällt ihm Carmen, die Gierige,
gleich zu Füßen und José guckt in die bekannte Röhre, weil
sie sich natürlich denkt, Geld stinkt nicht und wenn der
José auch noch so ein fesches Kerlchen ist, Geld ist mir
lieber und so ein Bariton ist auch viel langlebiger und
weniger zickig.
Zu allem Übel erscheit auch noch Zuniga, der Chef von José,
und will auch mal Carmen irgendwo hinfassen - der Akt endet
im Getümmel, José muss bei den illegalen Tandlern bleiben,
die ihn mit auf ihre finsteren Geschäfte im dritten Akt
nehmen.
Dieser beginnt nach der Pause und zeigt ein Sammelsurium an
Ausstattungstücken: eine Stier-Silhouette, Pappkartons, ein
Denkmal und mitten drin die Damen und Herren vom Chor, die
eigentlich singen müssten, dass ein falscher Tritt zum
Abgrund führt - sie meinen wohl die sich in Bewegung
setzenden Drehbühne. Als die fachkundigen Herrschaften weg
sind, kommt die nette Michaela und singt die Sache vom 'Nicht-fürchten'
- aber da erscheint unnötigerweise und zum Fürchten, der
Stierkämpfer. José hätte ihn beinahe 'derschossen'. Wäre ihm
das nur gelungen, hätte er sich sparen können, dass nun
'g'raft' wird. Es geht schlecht für den Tenor aus, zumal
Carmen behauptet, er hätte die Probezeit nicht bestanden -
Kündigungsschutz scheint es in dem Stück nicht zu geben.
Nun steht Josef da, ohne Job und ohne Mädel - die Mutter ist
auch noch krank, wie Michaela berichtet - also nix wie heim.
Zumindest droht er Carmen noch Unangenehmes mit "du bist
mein, Tochter der Hölle" an. Die Angelegenheit scheint nicht
gut zu gehen.
Vor der Arena sitzt im vierten Akt Don José und kaut an dem
Plakat vom Stierkämpfer, das er von einer Wand abgefetzt
hat. Man stelle sich vor, die Bürger hätten die Wahlplakate
von Herrn Schröder oder Frau Merkel nach dem 18. September
aufgegessen. Das hätte aber Bauchweh gegeben.
Charles Hens jedenfalls geht kauend nach links ab,
wahrscheinlich spuckt er dort den Baaz wieder aus und wartet
bis Escamillo, der gerade zur Arbeit in die Stierkampfarena
gekommen ist, das Duett mit Carmen fertig gesungen hat.
Dann ist das nette Jösefchen dran, dem Mezzo heftig Vorwürfe
zu machen. Frau Calvano Forte lässt sich das als Carmen
nicht bieten, schmeißt ihm den Verlobungsring vor die Füße
und hält den Bauch hin, um sich von José reinstechen zu
lassen. Was zu schnellem Tode führt.
Das kommt davon, wenn man einen Tenor nicht liebt und ihn
mit einem tiefer singenden Mann betrügt. Der hormonell
anders Gestrickte gerät außer sich und sticht in höchsten
Tönen zu.
Alles sehr traurig und die Statisten/Touristen kommen und
fotografieren das ganze Elend auch noch.
Das Publikum fand das Mörderspiel interessant und applaudierte - am
3.12.05 jedenfalls - lang anhaltend.
Dem Beifall nach zu urteilen, gefiel Katharina Leitgeb als
Michaela besonders. Nun sieht sie nicht nur reizend aus in
ihrem Reisekostüm, mit dem Köfferle - sie ist natürlich die
Sympathieträgerin durch die Rolle, die sie verkörpert und da
stimmt es einfach und das Publikum empfindet mit ihr.
Unverständlich, dass Don José nun unbedingt auf Carmela
Calvano Forte - noch immer kann sie die Kastagnetten nicht
selber schlagen, da war doch nun über den Sommer Zeit genug,
es zu lernen - bei dem Namen weiß der Zuschauer und
Besetzungszettelleser nicht, wo der Vorname aufhört und der
Familienname anfängt - reinfällt. Sie hat eine schöne
gleichmäßig gefärbte Stimme, die in allen Lagen angenehm
klingt, aber diese Dame ist zu herb - wie oben ausgeführt,
denken die Menschen - wo ist denn da Erotik ? Will die ihn
zum Abschluss eines Bausparvertrages kurz vor Wegfall der
Eigenheimzulage überreden - oder wie oder was ? Außerdem hat
Frau Leitgeb die schöneren Beine - für eine Lyrische ganz
außergewöhnlich schöne Beine. Ganz abgesehen davon, dass die
kultivierter singt. Diese Drücker am Ende einer Phrase, die
noch bei der Premiere auffielen, lässt sie weitgehend weg.
Ausgewogen die Tongebung, die Ausbrüche bleiben im Timbre,
die Töne werden mit der Höhe nicht scharf - hoffentlich
gelingen ihr 'die Anna' und dann 'Arabella' - da ist
Schöngesang pur angesagt. Aber wer anderes als sie ist an
diesem oberpfälzischen Theater in Bezug auf Belcanto
überhaupt vorführbar - außer Adam Kruzel, aber der war ja
als Escamillo nicht dabei. Dafür kam Matias Tosi-Sokolov zum
Einsatz. Er ist ein Jung-Stierkämpfer und so klingt auch die
Stimme - noch ohne großes Fundament. Im Couplet hörte sich
die Tiefe etwas dünne an. Nun, wo soll aus diesem Figürchen
auch ein satter Ton herkommen. Ein schönes Timbre hat er,
wenn er pfleglich mit seinen Material umgeht, kann da etwas
wachsen - nächtelange Barbesuche in München oder sonstwo, so
aus der jugendlichen Unbekümmertheit heraus, sind allerdings
nicht empfehlenswert ! Übrigens: durch Fingerschnipsen kann
man Schluss-Applaus nicht herbeizaubern, das Publikum ist
irritiert und befremdet. Er lasse diese Mätzchen.
Jóhann Smári
Saevarsson
ist als Zuniga,
passender besetzt als mit Martin-Jan Nijhoff in der
Premiere, der nämlich so tut, als ginge ihn die Sache nichts
an und die Rolle sei unter seiner Würde. Außerdem ist zu
bemerken, dass der junge Bass Saevarsson stimmlich gewonnen
hat. Und der ist nun unter Nutzung fragwürdiger Argumente
entlassen worden - was will man da erwarten, stellt dieser
städtische Theaterdirektor doch immer wieder Überraschungen
zur Diskussion, die dann in gut informierten Kreisen mit
Kopfschütteln quittiert werden.
Charles Hens singt so naiv, wie er Don José ist - wie ein
wandernder Sänger, der mit einem Lied auf den Lippen durch
die Oberpfalz zieht. Er macht den Mund auf und es klingt,
aber warum und wie, scheint er nicht zu wissen.
Ihm müsste man erstmal den Text wegnehmen, damit er lernt,
über Vokalisen auf offenes 'O' die hohe Lage mit in sein
schönes Timbre zu nehmen und dann Legato und wenigstens
dreimal täglich 'messa di voce' üben und immer wieder Fritze
Wunderlich hören - dann wird das was, denn Talent hat er,
Stimme hat er und aussehen tut er auch. Aber so unbedarft
wie er auf diese Carmen reinfällt, so unbedarft klingt auch
seine Stimme. Es passt zu seinem Äußeren - ein armer
Wehrpflichtiger, der keine Gefahr erkennt und in alles
reintappt. Er ist überzeugend als Don Josef, wie auch als
Paganini. Da ist der am Hof von Lucca noch ein kleiner
Geiger, der erst anfängt, über Land zu ziehen und Karriere
zu machen. In der Art wäre er auch der etwas einfältige
Jäger Erik im 'Holländer', aber hoffentlich muss diese
schwere Partie nicht sein. Und Charles Hens ist hoffentlich
nicht so ehrgeizig wie Michael Suttner, der am Gärtnerplatz
jetzt - nach der schweren Erkrankung - neben Turiddu, dann
in drei Operetten, auch noch Linkerton singt. Da kann man
sich nur an den Kopf fassen.
Also, Herr Hens, unter Kontrolle üben und Technik
erarbeiten.
Die Hallstein-Schülerin, Ilonka Vöckl, als Frasquita,
problemlos in der hohen Lage, sieht natürlich rasant aus in
dem Miniröckchen - neben ihr eine Frau Mirna Ores, die als
Mercédès nun nicht viel zeigen kann.
Herr Grüneis rast teilweise mit ungeheurem Tempo durch das
Stück, als wolle er unbedingt nach der Vorstellung noch
einen bestimmten Bus bekommen oder mag er das Stück oder
Musik nicht. Es gibt ja Dirigenten, die reden gerne und
schaufeln beim Dirigieren wie Karajan einst. Gehetze bringt
aber nichts, der Chor - z.B. mit Herrn Pobel und sonstigen
Gastsängern kraftvoll verstärkt, kann Texte einfach nicht
schaffen - also was soll das ? Bei der Arie gibt er Herrn
Hens dann aber alle Zeit der Welt für die Phrase aufs hohe B
und lässt ihn das "Carmen, ich liebe dich" ganz bewusst mit
einer langen Pause absetzen. Ja - der große Unterschied
zwischen Pause und Loch. Obwohl, szenisch fällt das nicht
als Loch auf, da der Zuschauer aufmerksam verfolgt, wie 'José-Hens'
aus einer Versunkenheit heraus, sich zu der Liebeserklärung
strafft.
Die Inszenierung hat unnötige Kanten verloren und ist
dadurch stimmiger geworden, dass auch die Besucher der
'Operpfalz-Miete blau' dem Gang der Handlung folgen konnten
und zum Schluss dem Beobachter - schon vorher hatten sie
gefragt: "was schreims denn da allerweil" - mitteilten: "mei,
des Ois und die Musik warn doch so schnee. Sein's halt
gnädig mit die Leit' auf der Bühne."
Viel lieber lobt man, als dass man 'merkert'. Nur wenn
keiner oder nur zur Premiere jemand was sagt, taugt das
nicht - vor allem, wenn es Lobhudelei ist.
Und gerade als Abonnent hat man das Recht, zu sagen, ob es
einem gefallen hat.
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