Damals in Regensburg

 

 

03.12.05

Theater Regensburg
 


Ein Hoch,
ein Hoch dem Torero
 

    

Theater Regensburg - 03.12.05 -
Wiederaufnahme 'Carmen'
 
   
Musikalische Leitung Raoul Grüneis
   
Die Personen und ihre Darsteller
   
Don José Charles Hens
Escamillo Matias Tosi-Socolov
Remendado Brent L. Damkier
Dancairo Karsten Münster (Darstellung)
Eugen Fillo (Noten ablesend)
Zuniga Jóhann Smári Saevarsson
Moralès Jin-Ho Yoo
Carmen Carmela Calvano Forte
Michaela Katharina Leitgeb
Frasquita Ilonka Vöckel
Mercédès Mirna Ores
Lillas Pastia Wolfgang Binder
   

 


Herumwuselnde Touristen - fliegende Händler warten auf sie - "Hallo, Hallo - hier gibt's Schnäppchen!"
Ein paar Soldaten vertreiben alle, obwohl sie eigentlich die 'Menge im Gedränge' besingen müssten, aber die wurde ja gerade verscheucht.
Ein junger Soldat oder Polizist - es ist José - steht herum, sitzt dann an einem Tisch - vielleicht eine fliegende Visastelle - jedenfalls schiebt er Akten hin und her - mitten 'auf der Gass'. Wenn das wer wüsste - ein Untersuchungsausschuss wäre die Folge.
Michaela kommt mit Koffer - wohl vom Bus oder der Bahn. Singt mit José das Duett von der Mutter, die sie beide sehen und die zurückruft im Bilde, das stille Tal, wo die Wiege einst stand.

Soldaten lümmeln rum - laut der Übertitelungsanlage habe eine Glocke geläutet. Nichts war zu vernehmen - trotzdem kommen die Chordamen aus dem Hintergrund, angeblich der Zigarettenfabrik, in die Pause - eingesperrt hinterm Zaun, der Herrenchor steht auf der Vorderbühne - und plötzlich dürfen die Männer auch hinter die Absperrung. Zu komisch - sie dürfen zu den Damen, die gerade noch den Maschendrahtzaun ansangen.

Carmen tritt auf, Lederjacke, Lederhose, kesse Stiefeletten - sieht aus wie eine Rechtsanwältin oder eine Gewerkschaftsvorsitzende, die gerade einen Parkplatz gefunden hat - jedenfalls ist sie keine Fabrikarbeiterin.
Und hast-du-nicht-gesehen schmeißt die sich an den José, was verständlich ist, denn so einen netten, gut aussehenden Soldaten/Polizisten hat sie wohl noch nicht erlebt. Mit der Habanera versucht sie ihn zu locken und kaum haben die Chormitglieder befremdet zum Nachbarn geschaut, liegen Mezzo und Tenor schon beide im Dreck auf der Bühne, Carmen kommt schnell wieder auf die Füße - Don José bleibt erstmal der Länge lang liegen. 'Ha welch ein Augenblick'!
Wegen eines Streits in der Firma, an der Carmen Schuld sein soll, was aber nicht möglich ist, da sie gar nicht zur Arbeit gegangen ist, sondern stattdessen Josef und Michaela mit Blumen beworfen hat, soll sie nun in Handschellen abgeführt werden.

Noch ist Carmens Seguidilla anzuhören, sie 'zirzt' und es gelingt ihr, Josefchen zu der Äußerung zu bringen: "Carmen, ach mir schwinden die Sinne, kaum mehr weiß ich was ich beginne" - das singt Charles Hens an der internationalen Bühne Regensburg natürlich in französisch, was zur Folge hat, dass die Wenigsten dem Gesagten Glauben schenken können, weil sie kein Wort verstehen.
Allerdings kann Carmen trotz der Divergenz zwischen Übertitel und dem Geschehen auf der Bühne, José dazu bringen, die Fesseln zu lösen und "unterwegs geb' ich dir einen Stoß, mit der ganze Kraft und du lässest mich los, strauchle dann, falle hin, das andre ist meine Sache" - auch diese Textpassage hört das Regensburger Publikum nicht, denn Frau Stadträtin Göhring hatte ja beschlossen, dem Theater Regensburg eine Übertitelungsanlage anzudienen, nun wird übertitelt, was auf der Bühne gar nicht stattfindet. Carmen geht nämlich gemütlich mit José nach links in die Gasse - von Stoß und Hinfallen keine Spur. Aber Kultur ist ja Chefsache. Bei dieser Wiederaufnahme wurde weder der Theaterdirektor mit oder ohne Gattin, noch der Oberbürgermeister im Publikum gesehen.

Im zweiten Akt klampft Stephan Kollmer vor dem eigentlichen Orchestervorspiel, Statisten machen einen Landausflug und geraten in die Kaschemme von Lillas Pastia, werden mit Folkloretänzchen von Carmen, Frasquita und Mercédès unterhalten, bis die Herren Dancairo und Remendado auftreten, die eigentlich Geschäfte machen und nicht auf dem Tisch tanzen wollen.

Leider konnte Karsten Münster nicht singen, so rief man einen Herrn aus Linz, der eiligst angefahren kam und mit Notenpult, Pultbeleuchtung in der Prozeniumsloge stand und für Geld das sang, was Herr Münster nicht singen konnte. Letzterer hatte wohl die rasenden Tempi vorausgeahnt, mit denen der neue Generalmusikdirektor das Quintett nahm. So konnte sich Herr Münster nicht verhaspeln, es stand ja ein Kollege mit Noten da. Er selber versteifte sich mehr auf das Spiel als Brunnenvergifter.

'Karlchen' Hens - der Liebe, Gute - kommt nun als freigelassener José - auch in die Kneipe und schon ist der Knatsch da, denn der Stierkämpfer Escamillo erscheint auch noch und da er Geld hat, fällt ihm Carmen, die Gierige, gleich zu Füßen und José guckt in die bekannte Röhre, weil sie sich natürlich denkt, Geld stinkt nicht und wenn der José auch noch so ein fesches Kerlchen ist, Geld ist mir lieber und so ein Bariton ist auch viel langlebiger und weniger zickig.
Zu allem Übel erscheit auch noch Zuniga, der Chef von José, und will auch mal Carmen irgendwo hinfassen - der Akt endet im Getümmel, José muss bei den illegalen Tandlern bleiben, die ihn mit auf ihre finsteren Geschäfte im dritten Akt nehmen.

Dieser beginnt nach der Pause und zeigt ein Sammelsurium an Ausstattungstücken: eine Stier-Silhouette, Pappkartons, ein Denkmal und mitten drin die Damen und Herren vom Chor, die eigentlich singen müssten, dass ein falscher Tritt zum Abgrund führt - sie meinen wohl die sich in Bewegung setzenden Drehbühne. Als die fachkundigen Herrschaften weg sind, kommt die nette Michaela und singt die Sache vom 'Nicht-fürchten' - aber da erscheint unnötigerweise und zum Fürchten, der Stierkämpfer. José hätte ihn beinahe 'derschossen'. Wäre ihm das nur gelungen, hätte er sich sparen können, dass nun 'g'raft' wird. Es geht schlecht für den Tenor aus, zumal Carmen behauptet, er hätte die Probezeit nicht bestanden - Kündigungsschutz scheint es in dem Stück nicht zu geben.
Nun steht Josef da, ohne Job und ohne Mädel - die Mutter ist auch noch krank, wie Michaela berichtet - also nix wie heim. Zumindest droht er Carmen noch Unangenehmes mit "du bist mein, Tochter der Hölle" an. Die Angelegenheit scheint nicht gut zu gehen.

Vor der Arena sitzt im vierten Akt Don José und kaut an dem Plakat vom Stierkämpfer, das er von einer Wand abgefetzt hat. Man stelle sich vor, die Bürger hätten die Wahlplakate von Herrn Schröder oder Frau Merkel nach dem 18. September aufgegessen. Das hätte aber Bauchweh gegeben.
Charles Hens jedenfalls geht kauend nach links ab, wahrscheinlich spuckt er dort den Baaz wieder aus und wartet bis Escamillo, der gerade zur Arbeit in die Stierkampfarena gekommen ist, das Duett mit Carmen fertig gesungen hat.
Dann ist das nette Jösefchen dran, dem Mezzo heftig Vorwürfe zu machen. Frau Calvano Forte lässt sich das als Carmen nicht bieten, schmeißt ihm den Verlobungsring vor die Füße und hält den Bauch hin, um sich von José reinstechen zu lassen. Was zu schnellem Tode führt.
Das kommt davon, wenn man einen Tenor nicht liebt und ihn mit einem tiefer singenden Mann betrügt. Der hormonell anders Gestrickte gerät außer sich und sticht in höchsten Tönen zu.
Alles sehr traurig und die Statisten/Touristen kommen und fotografieren das ganze Elend auch noch.
Das Publikum fand das Mörderspiel interessant und applaudierte - am 3.12.05 jedenfalls - lang anhaltend.

Dem Beifall nach zu urteilen, gefiel Katharina Leitgeb als Michaela besonders. Nun sieht sie nicht nur reizend aus in ihrem Reisekostüm, mit dem Köfferle - sie ist natürlich die Sympathieträgerin durch die Rolle, die sie verkörpert und da stimmt es einfach und das Publikum empfindet mit ihr.
Unverständlich, dass Don José nun unbedingt auf Carmela Calvano Forte - noch immer kann sie die Kastagnetten nicht selber schlagen, da war doch nun über den Sommer Zeit genug, es zu lernen - bei dem Namen weiß der Zuschauer und Besetzungszettelleser nicht, wo der Vorname aufhört und der Familienname anfängt - reinfällt. Sie hat eine schöne gleichmäßig gefärbte Stimme, die in allen Lagen angenehm klingt, aber diese Dame ist zu herb - wie oben ausgeführt, denken die Menschen - wo ist denn da Erotik ? Will die ihn zum Abschluss eines Bausparvertrages kurz vor Wegfall der Eigenheimzulage überreden - oder wie oder was ? Außerdem hat Frau Leitgeb die schöneren Beine - für eine Lyrische ganz außergewöhnlich schöne Beine. Ganz abgesehen davon, dass die kultivierter singt. Diese Drücker am Ende einer Phrase, die noch bei der Premiere auffielen, lässt sie weitgehend weg. Ausgewogen die Tongebung, die Ausbrüche bleiben im Timbre, die Töne werden mit der Höhe nicht scharf - hoffentlich gelingen ihr 'die Anna' und dann 'Arabella' - da ist Schöngesang pur angesagt. Aber wer anderes als sie ist an diesem oberpfälzischen Theater in Bezug auf Belcanto überhaupt vorführbar - außer Adam Kruzel, aber der war ja als Escamillo nicht dabei. Dafür kam Matias Tosi-Sokolov zum Einsatz. Er ist ein Jung-Stierkämpfer und so klingt auch die Stimme - noch ohne großes Fundament. Im Couplet hörte sich die Tiefe etwas dünne an. Nun, wo soll aus diesem Figürchen auch ein satter Ton herkommen. Ein schönes Timbre hat er, wenn er pfleglich mit seinen Material umgeht, kann da etwas wachsen - nächtelange Barbesuche in München oder sonstwo, so aus der jugendlichen Unbekümmertheit heraus, sind allerdings nicht empfehlenswert ! Übrigens: durch Fingerschnipsen kann man Schluss-Applaus nicht herbeizaubern, das Publikum ist irritiert und befremdet. Er lasse diese Mätzchen.

Jóhann Smári Saevarsson
ist als Zuniga, passender besetzt als mit Martin-Jan Nijhoff in der Premiere, der nämlich so tut, als ginge ihn die Sache nichts an und die Rolle sei unter seiner Würde. Außerdem ist zu bemerken, dass der junge Bass Saevarsson stimmlich gewonnen hat. Und der ist nun unter Nutzung fragwürdiger Argumente entlassen worden - was will man da erwarten, stellt dieser städtische Theaterdirektor doch immer wieder Überraschungen zur Diskussion, die dann in gut informierten Kreisen mit Kopfschütteln quittiert werden.
Charles Hens singt so naiv, wie er Don José ist - wie ein wandernder Sänger, der mit einem Lied auf den Lippen durch die Oberpfalz zieht. Er macht den Mund auf und es klingt, aber warum und wie, scheint er nicht zu wissen.
Ihm müsste man erstmal den Text wegnehmen, damit er lernt, über Vokalisen auf offenes 'O' die hohe Lage mit in sein schönes Timbre zu nehmen und dann Legato und wenigstens dreimal täglich 'messa di voce' üben und immer wieder Fritze Wunderlich hören - dann wird das was, denn Talent hat er, Stimme hat er und aussehen tut er auch. Aber so unbedarft wie er auf diese Carmen reinfällt, so unbedarft klingt auch seine Stimme. Es passt zu seinem Äußeren - ein armer Wehrpflichtiger, der keine Gefahr erkennt und in alles reintappt. Er ist überzeugend als Don Josef, wie auch als Paganini. Da ist der am Hof von Lucca noch ein kleiner Geiger, der erst anfängt, über Land zu ziehen und Karriere zu machen. In der Art wäre er auch der etwas einfältige Jäger Erik im 'Holländer', aber hoffentlich muss diese schwere Partie nicht sein. Und Charles Hens ist hoffentlich nicht so ehrgeizig wie Michael Suttner, der am Gärtnerplatz jetzt - nach der schweren Erkrankung - neben Turiddu, dann in drei Operetten, auch noch Linkerton singt. Da kann man sich nur an den Kopf fassen.
Also, Herr Hens, unter Kontrolle üben und Technik erarbeiten.

Die Hallstein-Schülerin, Ilonka Vöckl, als Frasquita, problemlos in der hohen Lage, sieht natürlich rasant aus in dem Miniröckchen - neben ihr eine Frau Mirna Ores, die als Mercédès nun nicht viel zeigen kann.

Herr Grüneis rast teilweise mit ungeheurem Tempo durch das Stück, als wolle er unbedingt nach der Vorstellung noch einen bestimmten Bus bekommen oder mag er das Stück oder Musik nicht. Es gibt ja Dirigenten, die reden gerne und schaufeln beim Dirigieren wie Karajan einst. Gehetze bringt aber nichts, der Chor - z.B. mit Herrn Pobel und sonstigen Gastsängern kraftvoll verstärkt, kann Texte einfach nicht schaffen - also was soll das ? Bei der Arie gibt er Herrn Hens dann aber alle Zeit der Welt für die Phrase aufs hohe B und lässt ihn das "Carmen, ich liebe dich" ganz bewusst mit einer langen Pause absetzen. Ja - der große Unterschied zwischen Pause und Loch. Obwohl, szenisch fällt das nicht als Loch auf, da der Zuschauer aufmerksam verfolgt, wie 'José-Hens' aus einer Versunkenheit heraus, sich zu der Liebeserklärung strafft.

Die Inszenierung hat unnötige Kanten verloren und ist dadurch stimmiger geworden, dass auch die Besucher der 'Operpfalz-Miete blau' dem Gang der Handlung folgen konnten und zum Schluss dem Beobachter - schon vorher hatten sie gefragt: "was schreims denn da allerweil" - mitteilten: "mei, des Ois und die Musik warn doch so schnee. Sein's halt gnädig mit die Leit' auf der Bühne."

Viel lieber lobt man, als dass man 'merkert'. Nur wenn keiner oder nur zur Premiere jemand was sagt, taugt das nicht - vor allem, wenn es Lobhudelei ist.
Und gerade als Abonnent hat man das Recht, zu sagen, ob es einem gefallen hat.
 

DH