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04.01.2010 - dradio.de

 

 

 

Damals in Regensburg

Thema des Tages

Werkeinführung
Don Giovanni


Theater Regensburg - 05.02.2006
 


Regisseurin Angela Brandt stellte 'ruhig und besonnen' ihr Konzept der Neuproduktion des 'Don Giovanni' vor. Die Kardinalfrage, die bei Werkeinführungen immer gestellt werde, das sei ja 'alles schön und gut, was Sie da erzählen, aber wie sieht denn das dann auf der Bühne aus. Wie modern wird es denn?' (Gelächter im Publikum).

Hier habe Sie immer etwas Bauchschmerzen. Es komme auf das Stück an. Es gebe Stoffe, die über die Jahrhunderte immer aktuell geblieben seien, egal aus welcher Sicht man sie betrachtet, von welcher Gesellschaftsschicht, aus welcher politischen Sicht, aus welcher moralischen Sicht - man fände immer interessante Punkte, die auf die momentane, aktuelle Zeit zuträfen. 'Sonst wäre das Stück schon längst in die Vergessenheit gerutscht.'

Man habe sich beim Theater Regensburg 'lange damit abgequält wie wir es spielen werden'. Dann sei man zu der Entscheidung gekommen, man wolle die Allgemeingültigkeit erhalten und versuchen, einen relativ zeitneutralen Raum zu finden. Dieser sei die relativ nackte Bühne dieses Theaters, schwarz ausgehängt, mit einem großen roten Feuerring dazu.
Da in diesem Hause eine wunderbare Technik funktioniere - 'da kommen wir an einen neuralgischen Punkt, die aber nicht immer funktioniert - haben wir uns entschlossen, mit dieser wunderbaren Technik zu spielen.' Es werden also die Hubpodeste benutzt, um mit diesen die schnellen Verwandlungen, Auftritte und Abgänge zu ermöglichen und um die vom Stück her vorgegebenen 'unnatürlichen Räumlichkeiten' in diesem variablen Bühnenbild darzustellen. Umbauten gäbe es kaum, der Vorhang müsse für Szenenwechsel nicht fallen, was sonst ca. 30 Wartezeiten hervorriefe und was für das Stück tödlich sei.
Das Rot des Feuerrings kehre in den Kostümen wieder, bei den Damen rot/weiß/schwarz - Don Giovanni in weiß 'nicht als die Unschuld'. Die Kostüme als solche seien schick und an 'heute' orientiert, was sich in der Vermeidung von Kosten niederschlage, da historische Gewänder pro Person bis zu 3000 Euro kosteten, bei 24 Personen Chor sowie acht Solisten, wobei jeder zwei Kostüme brauche, hochgerechnet seien das 40 Kostüme - dies sei bei der schlechten finanziellen Ausstattung des Theaters Regensburg nicht darstellbar.
Die vom Publikum nicht gestellte Frage nach dem 'Steinernen Gast' wollte Frau Brandt auch gar nicht beantworten, denn es solle eine Überraschung sein, wie dies szenisch lösbar sei.

Gespielt werden solle zwar die Prager Urfassung, aber man habe sich entschlossen mit dem 'Dalla sua pace' - obwohl die Arie ja Teil der Wiener Fassung sei, 'wenn der Tenor gesund wird.' Frage eines Abonnenten: 'und wenn nicht?' - Antwort der Regisseurin, dann falle die Arie heraus.
Sie selber sei wie die Sänger erkältet und das Wetter tue das Übrige dazu - der eine Tenor - Herr Damkier - könne zur Zeit überhaupt nicht singen 'wir wissen nicht, ob er gesund wird zur Premiere, das ist momentan die große Frage'.
'Wir haben einen neuen finnischen Kollegen engagiert, der jetzt in Windeseile den Ottavio nachlernt, aber auch erkältet ist.'
(Gelächter im Publikum. Offensichtlich sind die Herrschaften sich nicht im Klaren darüber, dass sich eine Erkältung für einen Sänger existenzbedrohend auswirken kann oder lacht man darüber, dass der Tenor jetzt erst die Rolle 'in Windeseile' lernt.)

Es stellt sich allerdings die Frage: Welche Arie meint die Regisseurin: Wenn die Nr. 10 a - 'Nur ihrem Frieden' (Dalla sua pace) schon ein Problem darstellt, was ist dann mit der 21?

Weiter führt die die Frau Regisseurin aus: 'Und wenn beide Sänger krank sind, werden wir diese Arie nicht bringen, weil die wirklich stimmlich so eine Herausforderung ist, dass man sie in dem kranken Zustand nicht singen kann.' Man könne die Vorstellung wegen Krankheit nicht absagen, dann verzichte man auf die Arie, spiele die Prager Urfassung ohne die Arie.

Und der Abonnent fragt sich: Kommt aber die 21 b, dann spielt das Theater Regensburg doch nicht die Prager Ur-Fassung, denn die 21 b - 'Elvira-Rezitativ und Arie' - komponierte Mozart am 30. April 1788 bei der Wiener Aufführung für die Sängerin Caterina Cavalieri hinzu.

So wie es sich jetzt in Erwartung der Regensburger Premiere am 10.2.06 darstellt, wird es mit der 21 b und ohne den Tenören, somit ohne der 21, auf eine 'Regensburger Fassung' hinauslaufen.

Auf die Übertitelung habe Regisseurin Angela Brandt keinen Einfluss genommen, sie vertraue da ganz auf die Dramaturgin. Auf den Hinweis des Abonnenten, dass in Regensburg z.B. bei der 'Carmen' auf der Bühne etwas anderes ablaufe, als die Übertitelung anzeige, meinte Frau Schmidt als verantwortliche Dramaturgin, es werde wohl beim 'Don Giovanni' nicht solche Diskrepanzen zwischen dem Geschehen auf der Bühne und der Übertitelung geben wie bei der 'Carmen'.

Fazit: Regensburg und seine Bürger wie die im kulturellen Einzugsgebiet haben ein besseres Theater verdient, als das Theaterdirektor Ernö Weil auch wegen des kümmerlichen Etats zu bieten im Stande ist.
Es nicht zu fassen:
Er engagiert einen Tenor, der den Ottavio - nach Aussage der Regisseurin - zur Zeit - acht Tage vor der Premiere - 'nachlernt'.
Dass diese Partie nicht nur notenmäßig erfasst werden, sondern - gerade in Bezug auf die Arie Nr. 21 'Folget der Heißgeliebten' - 'in den Hals geübt werden muss', möge ihm doch vielleicht die erfahrene Mechthild Gessendorf - die Gattin - verdeutlichen.
Der neue Ottavio - bedauernswerter Kalle Koiso-Kanttila - 'da, spring und sing. Wenn's nicht geht - dann eben ex und hopp'.
 

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Don Giovanni - 29. Oktober 1787 die Uraufführung in Prag, 7. Mai 1788 die erste Aufführung in Wien - und bereits am 15. Juni 1788 spielt Leipzig das Stück, noch in italienischer Sprache, nach.

Bereits die Wiener Aufführung unterscheidet sich durch die musikalischen Einschübe von der Uraufführung. Nichts im Gegensatz zu dem, was Christian Gottlob Neefe (Singspielkomponist, Hofkapellmeister in Bonn und Lehrer Beethovens, später Theaterkapellmeister in Dessau) mit seiner deutschen Fassung im gleichen Jahr - 1788 - aus Mozarts /Da Pontes ‘Don Giovanni’ macht.

‘Don Juan, der bestrafte Wüstling oder
Der Krug geht solange zu Wasser bis er bricht’

'Eyn Singspiel in zwey Aufzügen'
 Personen:
- Hans von Schwänkereich, ein reicher Edelmann
- Fräulein Marianne, Geliebte des Herrn von Fischblut
- Der Stadtgouverneur, Vater des Fräulein Marianne
- Fräulein Elvire aus Burgos, ein von Herrn von
  Schwänkereich verlassenes Frauenzimmer
- Fickfack, Bedienter des Herrn von Schwänkereich
- Gürge, ein Bauer, Liebhaber von
- Röschen, einer Bäuerin

Wichtig an diesem Theaterzettel ist die Bezeichnung ‘Eyn Singspiel’.
Im 18. Jahrhundert entsteht das Singspiel aus der Vorlage der englischen Beggars Opera, beeinflusst durch die französische Opéra Comique. Das Schauspiel mit Musikeinlage, gelungen oder nicht, hing ab von den stimmlichen Möglichkeiten der Schauspieler.
Die Tugend der Bürger wurde thematisiert, die ländliche Unschuld gegenüber der Dekadenz der Höfe.

Am 13. März 1789 lässt der Intendant des Mainzer Nationaltheaters Friedrich Karl von Dahlberg den 'Don Giovanni' aufführen, am 3. Mai 1789 in Frankfurt in einer deutschen Übersetzung nachspielen.

Diese stammt von Heinrich Gottlob Schmieder, er übernimmt stellenweise die Vorlage von Neefe, mildert den Text ins Sentimentale, und moralisiert erheblich. Aus Molières ‘Don Juan’ übernimmt Schmieder die Schauspiel-Szene mit dem Gerichtsdiener und die mit dem Juwelier, dem Don Juan Geld schuldet.

In Mannheim wird am 27. September 1789 eine drastischere Fassung von Neefe gespielt, zwischen beiden liegt die Revolution in Frankreich, die sich z.B. darin dokumentiert, Don Juan “[...] droht mit dem Stock [...]“ - also nicht mehr der herrschaftliche Degen, sondern ein profaner Stecken.

Eine weitere Bearbeitung wird von Friedrich Ludwig Schröder für den 27. Oktober 1789 für Hamburg mit singenden Schauspielern vorgenommen. Aus dem 2-aktigen Singspiel wird eine 4-Aktige Schauspielfassung, die Figuren hervorhebend. So also im 1. Akt die Donna Anna, Zerlina betritt erst im 2. Akt die Bühne, der 3. Akt entspricht dem üblichen Ablauf, da hier alle Personen auftreten, der 4. Akt beinhaltet die Friedhofszene. Schröder schließt also jede ’Story’ personenbezogen ab, ehe er eine neue beginnt - im Gegensatz zu Da Ponte / Mozart, die Handlungsstränge miteinander verweben. Auch bei Schröder wird der moralische Zeigefinder - wie im Singspiel - erhoben. Das Schlusssextett erhält als Mahnung die Übersetzung:
'Lebenslust fährt schnell dahin
Ewig währt der Tugend Gewinn.'
Das Publikum erhält so 'Don Giovanni's' lasterhafte Züge noch einmal deutlich vor Augen geführt.

Schröders Fassung hält sich lange auf den Bühnen, während die reinen Sängerfassungen Neefes und Schmieders sehr bald in Vergessenheit geraten. Das straff geführte Drama interessiert und packt die Menschen, die Musik ist nur noch Beiwerk, dies um so mehr als nur wenige Theater Sänger mit entsprechender Ausbildung und Orchester zur Verfügung haben.

Auch Berlin spielt kurz darauf die Schröder’sche Fassung, bei der noch eine Eremiten-Szene aus dem Schauspiel eingefügt wird - Don Giovanni wird zum Mörder, da er den ihn suchenden Don Ottavio ersticht.

Die Zuschauer erleben das Ende eines Verbrechers - Furien peinigen ihn, ehe er zur Hölle fährt.

Mit diesem Finale entfällt das Schlusssextett. Die Oper endet dramatisch und nicht mit dem einem Herrscherhaus zur Besänftigung vorgeführten ’lieto fine’ - die Auflösung des Dramas ins Heitere.

Breitkopf und Haertel bringen 1801 eine neue deutsche Fassung von Johann Friedrich Rochlitz heraus, die weiter einen gefühlsbetonten, bürgerlichen Gedanken in den Vordergrund stellt, wonach diese Fassung als lyrisches Drama bzw. - wird die Musik hinzugenommen - als Singdrama bezeichnet werden könnte. Die Aktion aus der Schauspielfassung wird wieder zurückgedrängt und in den Vordergrund tritt die Gefühlsbewegung aus der Musik, die eine Tätigkeit auslöst.

Entscheidend für die Aufführungspraxis des 'Don Giovanni' wird die Bearbeitung vornehmlich der Rezitative durch Richard Wagner für eine Aufführung 1850 in Zürich.

Waren unter Meyerbeer in Berlin am 19. November 1845 die übliche Begleitung des Sprechgesangs durch Mozart-Flügel oder Klavier durch ein Streichquartett - eine Bearbeitung durch Samuel Schmidt - das Novum, so kehrt diese Aufführung im Schweizer Exil zum accompagnierten Rezitativ zurück.

Eine weitere entscheidende Veränderung in die Richtung zum musikalischen Drama beginnt schon früher mit der Übernahme der Rolle der Donna Anna durch die große Sängerdarstellerin Wilhelmine Schröder-Devrient. Sie macht aus der Figur die Rächerin, sie übt Vergeltung am Tod des Vaters und ihrer eigenen Schändung durch Don Giovanni - wie sie E.T.A. Hoffmann 1814 in seine Novelle ‘Don Juan’ einbrachte.

In der Erzählung der nächtlichen Begebenheit in Nr. 10 verschweigt sie diesen Tatbestand und hält somit Ottavio uninformiert. Da oftmals die zweite Arie Ottavios, die Nr. 21, nicht gesungen wurde, Ottavio also nicht mehr auftritt, bestand die Möglichkeit, die Figur der Donna Anna weiter zu verändern, in dem die Nr. 23 als Briefszene gespielt wurde - Donna Anna teilt sich Don Ottavio schriftlich mit.

Die Romantik und Richard Wagner führen die Entwicklung der Rächerin weiter und bringen den Gedanken der Erlöserin ins Spiel - hier den Gegenpol zum ‘Verbrecher’ Giovanni - in der Figur der Donna Anna.

Für die Nr. 23 erhält sie auf der Bühne einen Herrgottswinkel mit Betstuhl und ewiger Lampe - eine Entsprechung zur Arie der Elisabeth im 3. Akt 'Tannhäuser'. Das Böse im Männlichen bedingt durch Sinnlichkeit bei 'Don Giovanni' und 'Tannhäuser' wird aufgelöst durch das Gute im Weiblichen der Donna Anna und Elisabeth.

Die Überwindung der Körperlichkeit durch das Geistige - Wolfram / Elisabeth gegen Venus und Tannhäuser, der Holländer erlöst durch Senta, die Welt erlöst durch Brünnhilde: '[...]So werf ich den Brand in Walhalls prangende Burg.[...]'

 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik
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Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes
und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Dieter Hansing